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Kulturelles

Oi! Warning (1999)

Der Film Oi! Warning der Brüder Reding ist ein auch queerer Independent Film über Aussteigen, über Skins und Punks, über Männlichkeitsphantasien, Autonomie und Träume. Er erzählt eine auch heute sehr sehenswerte coming of age Geschichte.

Janosch, siebzehn Jahre alt, haut ab. Verlässt seine Freundin, seine Mutter, das Zuhause am Bodensee. Mit dem Roller auf nach Dortmund zu seinem langjährigen Freund Koma, den er schon von der katholischen Landjugend kennt. Koma und Janosch, Hauptfigur des Films, steigen aus ihren bisherigen Lebenswelten aus. Raus aus kleinbürgerlichem Mief – alles, nur das nicht.

Koma trainiert hart Thaiboxen. Das für ihn mehr ist als Sport. „Gleich allemachen. Nicht so halbe Sachen!“ Und Koma ist inzwischen überzeugter Skin geworden. „Parole Spaß – Mal zum Kühlschrank, mal zum Klo, sonst nur Rummachen. Wochenlang.“

Janosch ist begeistert von Koma und dessen Verwandlung. Blicke die auch Begehren erahnen lassen. Janosch folgt Koma, wird auch zum Skin. Ist Janoschs Begeisterung für Koma mehr als freundschaftlich? Seine Blicke scheinen es anzudeuten. Er wohnt zunächst bei Koma und dessen Freundin, übernimmt dessen Gewohnheiten, Klamotten, Stil. Doch beim Tätowierer trifft er zufällig auf Zottel, einen Punk, dessen Tattoo er bewundert. Zottel, eher das Gegenteil von Koma, beginnt ihn zu faszinieren, als er sieht wie dieser bei Blancas Geburtstag die Gäste mit Feuerspucken unterhält. Das will er auch lernen. Janosch besucht Zottel in seinem Bauwagen.

„Was hat keine Haare und kann nur ein Wort?“ (Zottel)
„Oi! – Ein Skin!“ (Janosch)
„Was hat Stachel und kann schon vier Wörter? – Haste ma ne Mark?“
„Ein Punk!“

Oi! Warning : Zottel – Darsteller Jens Veith bei einer Tonaufnahme – GraurheindorfCC BY-SA 3.0

Janosch und Zottel, der Möchtegern-Skin und der Punk – finden sie zusammen?

„Hey, das is nicht so dein Ding, Dreck Matsch Pampe – aber ich mag das.“ (Zottel zu Janosch)

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Männerphantasien, latent gewaltbereites Verhalten, Saufen Gegröle und verzerrte Gesichter, aggressive Kumpelhaftigkeit, Frauen die als Zuschauerinnen und Sexobjekte degradiert sind. Der Film zeigt Skinheads, die eher nicht politisch motiviert sind. Und doch eine Skin-Szene die wie eine eingeklemmte letzte Bastion abgestandener gewaltaufgeladener Männlichkeitsphantasien wirkt.

Der Punk Zottel wirkt hier geradezu als Gegenentwurf. Aussteiger auch er, doch auf eine fast verträumte Weise, friedlich, gelegentlich zärtlich, voller Phantasien und Träume. Wo der Skin Koma von Gegröle der Kameraden begleitet bei einem Boxkampf auf einen Unbekannten einprügelt, wird im Gegenschnitt Janosch gezeigt, Zottel beim Jonglieren beobachtend, begleitet von Vogelgezwitscher im Freien auf einer Obstwiese.

Die unterschiedlichen Freiheits-Entwürfe von Skin und Punk, hier fast Proll-Skin und Romantik-Punk, sie sind neben dem Verhältnis von Aussteigen und Gewalt eines der Themen des Films. Dass Koma zum Schluss der Box-Szene KO auf die Bretter geht und seinen Boxkampf verliert, wirkt hier wie ein didaktischer Regie-Kommentar, der dieser Deutlichkeit nicht einmal bedurft hätte. Koma hat mehr als nur einen Boxkampf verloren …

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Dominik und Benjamin Reding bereiteten den Film Oi! Warning fünf Jahre vor. Sie drehten mit Laien aus lokalen Skin- und Punk-Szenen und wenig erfahrenen Schauspielern. Die Dreharbeiten fanden in Hamburg, Bochum, Hagen, Iserlohn, Haltern, Dortmund, Lindau und am Bodensee statt.

Die Musik in Oi! Warning ist u.a. von Terrorgruppe (1993 – 2005, 2014; Deutschpunk / Aggropop, Berlin) und Smegma (1992 – 2000; am Bass der spätere Audiolith-Gründer Lars Lewerenz; unpolitischer Oi!-Punk, die Band äußerte sich immer wieder deutlich gegen rechts; im Film Auftritt unter dem Namen „rOi!mkommando„).

Oi! Warning wurde bei seinem Kinostart 2000 sehr kontrovers aufgenommen. Grobkörnige Gewaltästhetik, Selbstfindung in schwarz – weiß, Handlungsstränge und Figuren holzschnittartig gestrickt. ‚Prädikat wertvoll‘, urteilte die FBW.
Nach seinem Kinostart in Deutschland im Jahr 2000 wurde der Film – obwohl die Skins bei Oi! Warning unpolitische sind – als Teil der Debatten über den Umgang mit neonazistischen Tendenzen wahrgenommen. Mehrere Diskussionsveranstaltungen mit den Regisseuren in ostdeutschen Bundesländern mussten nach massiven Drohungen aus rechtsextremen Kreisen abgesagt werden, andere wurden niedergeschrieen.

„Was wir erreichen wollten ist, dass sich der Otto-Normal-Verbraucher fragt, wie eigentlich Homophobie entsteht und an welcher Stelle ein unpolitischer zu einem homophoben Mörder wird und das Opfer ein toller, queerer Mensch ist.“

Dominik Reding, zitiert nach Homopunk History

Das Schlammbad im Film Oi! Warning hat ein reales Vorbild und politischen Hintergrund … den ‚Rattenwagen‘ beim CSD 1997

Und schwule Szenen entdeckten den Schlamm als Fetisch …

Ullis Karre wartet vor dem Ostgut / Lab, 2003

Oi! Warning als Schritt in die Welt des filmischen Umgangs mit Aids in Zeiten der Normalisierung

Das Schlammbad, das Zottel kurz vor Schluss des Films nimmt, und die hier noch offene Frage, ob das tatsächlich ’nicht so Janoschs Ding‘ ist, sie sind einer der zentralen Momente in der Darstellung der Beziehung zwischen Janosch und Zottel. Ein sexuell aufgeladener Moment – mit Hintergrund.

Gerade dem Schlammbad des Films kommt auch im Kontext schwule Sexualität und Aids eine besondere Bedeutung zu. Philipp Meinert berichtet in Homopunk History im Kontext des Rattenwagens 1997

Der lustvolle Umgang mit Dreck war laut Benjamin [Reding; d.Verf.] auch eine Antwort auf die endlosen Safer-Sex- und Reinheits-Diskussionen in denen z.B. ernsthaft darüber gestritten wurde, ob es beim ’safer‘ Küssen zum Speichel-Austausch kommen dürfe.“

Schlamm und Lust am Dreck als Kontrast, ja Kontrapunkt zu Sterilität und Reinheit.

Ende der 1990er Jahre. Wirksame Aids-Medikamente stehen (in Industriestaaten) breiter zur Verfügung. Aids beginnt nicht länger tödliche Drohung zu sein. Ein coming of age Film in dem Aids nicht stattfindet. Ein selbstbewusster junger Schwuler badet im Schlamm. Er genießt lustvoll Dreck Siff Matsch Unreinheit. Das ganze Gegenteil der sterilen reinen sauberen risikobefreienden Welt der Prävention. Lust und Dreck statt Reinheit und Angst.

Auf diese Weise gelesen kann Oi! Warning wenn auch nicht als früher post-Aids- Film, so doch als wichtiger filmischer Schritt der Befreiung, eines anderen (vor allem auch: weniger dominanten) Umgangs mit dem Thema Aids gelesen werden.

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„War einmal ein kleines Schwein
das grunzte frech und dreckig

und wenn es nicht gestorben ist
dann grunzt es noch heute
und wühlt mit Lust im Matsch herum
und versaut die braven Leute“

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Oi! Warning (aka: Oi! Warning – Leben auf eigene Gefahr; Arbeitstitel Fettes Gras)
Deutschland 1999, schwarz/weiß
Regie, Drehbuch & Produktion Benjamin & Dominik Reding

Erstaufführung 11. Juli 1999 (Los Angeles Outfest, Gay and Lesbian Film Festival)
Erstaufführung Deutschland 16. Februar 2000 Berlin, Berlinale (noch ohne Off-Kommentar von ‚Janosch‘)
Kinostart Deutschland 19. Oktober 2000

auch 2019 weiterhin als DVD erhältlich

ausgezeichnet mit
Outstanding Emerging Talent (Dominik & Benjamin Reding) – Los Angeles Outfest 1999
Max Ophüls Preis (Dominik & Benjamin Reding) – Max Ophüls Festival 1999
Lobende Erwähnung Kamera Spielfim (Axel Henschel) – Deutscher Kamera-Preis 1999
Filmpreis des DGB – Internationales Filmfest Emden 2000
Le Prix Spécial du Jury – 17. Festival International du premier Film d´Annonay 2000
Main Jury Award / Best Feature Film – Mezipatra, Czech Gay and Lesbian Film Festival 2003

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Berlin Homosexualitäten

Adolf Brand (1874 – 1945)

Adolf Brand gründete Ende des 19. Jahrhunderts die weltweit erste reegelmäßig erscheinenden Homosexuellen-Zeitschrift. Der Anarchist, Verleger und Aktivist der Homosexuellen-Bewegung wurde 1874 in Berlin geboren und starb 1945 ebenda.

Adolf Brand wurde am 18. November 1874 in Berlin geboren. Brand arbeitete kurzzeitig als Lehrer gründete bald seinen eigenen Verlag.

Während des Ersten Weltkriegs diente Adolf Brand zwei Jahre als Soldat. Er heiratete kurz vor Kriegsende die Krankenschwester Elise Berendt, die von seiner Homosexualität wußte und sie akzeptierte. Mit ihr und seinem Freund Max Miede lebte er in seinem Haus in Wilhelmshagen (Bismarckstr. 7).

Adolf Brand in Berliner Illustrierte Zeitung 1907
Adolf Brand, in Berliner Illustrierte Zeitung, vol. 16 (1907)

Im März 1896 gründete Adolf Brandt – damals 21 Jahre alt – die erste Homosexuellen-Zeitschrift der Welt, ‚Der Eigene‘, ab dem dritten Jahrgang 1899/1900 mit dem Zusatz ‚Ein Blatt für männliche Kultur‘. (1) ‚Der Eigene‘ erschien bis Mai 1932.

Der Eigene – Ein Blatt für Alle und Keinen, erste Ausgabe März 1896, Adolf Brand’s Verlag, Berlin-Willemshagen

Brand stand dem freidenkerischen Friedrichshagener Dichterkreis nahe. Er hatte engen Kontakt mit dem Schriftstellerr und Antifaschisten Ludwig Renn (i.e. Arnold Friedrich Vieth von Golßenau, 22.6.1889 – 21.07.1979), mit Kurt Hiller (der auch im ‚Eigenen‘ häufig schrieb), mit dem Schriftsteller Sagitta (i.e. John Henry Mackay (1864 – 1933) sowie mit dem Anarchisten Erich Mühsam (1878 – 1934)

Aus ihrem Umfeld gründete Adolf Brand gemeinsam mit dem Sexualwissenschaftler und Soziologen Benedict Friedlaender (1866 – 1908) und dem Gutsbesitzer Wilhelm Jansen (der auch den ‚Wandervogel‘ finanziell unterstützte) im Jahr 1903 die bis 1933 bestehende ‚Gemeinschaft der Eigenen‚ GdE. Diese Vereinigung firmierte bis 1907 mit dem Zusatz ‚Philosophische Gesellschaft für Sittenverbesserung und Lebenskunst‘, ab 1908 als ‚Verein für Kunst und männliche Kultur‘, nach dem Ersten Weltkrieg als ‚Bund für Freundschaft und Freiheit‘.

Brand und die GdE vertraten eher maskulinistische Positionen [Maskulinismus, Begriff geprägt von dem US-amerikanischen Literaturwissenschaftler Andrew Hewitt]. Deutlich wird dies z.B. in einer Eigen-Werbung aus dem Jahr 1906

Im striktesten Gegensatz zu der Verweiberung, Verpfaffung und Versittelung unserer Zeit will die G.D.E. in unserem Volke wieder die höchsten Güter des Mannes pflegen, Freude an Freundschaft u. Freiheit, männlicher Kraft und Schönheit, und Freude am männlichen Sinn – zum Wohle und Wachsen des Staates und der Kultur.“

1933 sah sich Adolf Brand nicht mehr in der Lage, seinen Aktivismus fortzusetzen. Nach 5 Hausdurchsuchungen durch die Polizei 1933 (der weitere 1935 folgten) zermürbt, berichtete er selbst über seine Lage in einem Brief

Ich wurde durch diese 5 Konfiskationen vollständig ausgeplündert, habe nichts mehr zu verkaufen und bin nun geschäftlich ruiniert. Ich weiß auch nicht mehr, wovon ich mit meinen Angehörigen zusammen noch weiter leben soll. Denn meine ganze Lebensarbeit ist jetzt zugrunde gerichtet. Und die meisten meiner Anhänger haben nicht einmal den Mut, auch nur einen Brief an mich zu schreiben, und erst recht nicht, zur Unterstützung meiner Arbeit irgendeine Zahlung an mich zu leisten. … Aus dieser Lage ergibt sich die sehr einfache Tatsache, daß eine Fortsetzung meiner Arbeit und ein Weitererscheinen meiner Zeitschriften auf deutschem Boden nicht mehr möglich ist und daß die Weiterherausgabe meiner Zeitschrift DER EIGENE nur noch im Auslande geschehen kann, wo dafür die dazu notwendige Pressefreiheit und Rechtssicherheit besteht.

Adolf Brand am 29. November 1933 (in: Günter Grau: Homosexualität in der NS-Zeit)

Adolf Brand und seine Frau starben verarmt am 2. Februar 1945 in Berlin Wilhelsmshagen bei einem Luftangriff der Alliierten. Ihr Wohnhaus (Berlin – Wilhemshagen, das damals noch als Neu-Rahnsdorf bezeichnet wurde) in der Bismarckstraße 7 hatten sie schon zuvor verkaufen müssen, lebten nur noch in einem Zimmer darin.

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Adolf Brand und das Outing

Adolf Brand betrieb und vertrat offensiv das Outing (erzwungene Comingout von meist prominenten Personen), lange bevor dieser Begriff (m.W. Ende der 1980er Jahre) geprägt wurde.

So bezeichnete er im Umfeld der ‚Eulenburg-Affäre‘ 1907 den Reiuchskanzler Bernhard von Bülow (1849-1929) als Homosexuellen. Brand wurde verklagt – und verurteilt, da er keine Beweise für seine Behauptung vorlegen konnte.

Bereits 1904 hatte er den katholischen Priester, Verleger und Politiker der Zentrums-Partei Friedrich Dasbach (1846 – 1907) in einer Broschüre als Homosexuellen bezeichnet. Dasbach (der ähnlich mehrfach beschuldigt bzw. erpresst wurde) konnte ein gerichtliches Verbot der Broschüre erreichen.

Brand versuchte immer wieder, die Homosexualität bekannter Persönlichkeiten offen zu legen – mit dem Beweggrund, die Absurdität des Paragraphen 175 aufzuzeigen und die Betroffenen zur unterstützung seiner Bemühungen zu bewegen, den Paragraph 175 abzuschaffen.

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zur Frage der weltweit ersten Homosexuellen-Zeitschrift

Zwar hatte Karl Heinrich Ulrichs bereits 1870 die Zeitschrift Uranus herausgegeben. Es erschien jedoch nur eine Ausgabe.

Adolf Brands ‚Der Eigene‚ ist damit korrekter bezeichnet die erste fortlaufend erschienene Homosexuellen-Zeitschrift der Welt.

Ebenfalls im Jahr 1896 gab der Psychiater Pasquale Penta (1859 – 1904) in Italien die (’sexuelle Abweichungen‘ behandelnden) ‚Archivio delle psicopatie sessuali‚ heraus, die jedoch nur ein Jahr erschienen. Sie gelten als erste sexualwissenschaftliche Zeitschrift Italiens (und weltweit zweite).

1909 gründete Jacques d’Adelswärd-Fersen mit Akademos die erste Zeitschrift über Homosexualität in Frankreich.
Die erste Homoseuellen-Zeitschrift erschien in Frankreich 1924 – Inversions.

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Erinnerungen

Franks Coming out Erinnerungen – Video Interview

Franks coming out Erinnerungen gibt es derzeit im Deutschen Historischen Museum in einem Video zu sehen – und jetzt auch hier auf 2mecs:

Im Deutschen Historischen Museum und im Schwulen Museum* eröffnete jüngst die Ausstellung ‚Homosexualität_en‘. Der erste Saal der Ausstellung im DHM widmet sich dem Thema Coming Out.

Dem Aufruf des Schwulen Museums folgend habe ich über meine Coming out – Erinnerungen berichtet. Das dabei im November 2014 entstandene Video ist bis Dezember 2015 im Deutschen Historischen Museum zu sehen in der Ausstellung Homosexualität_en – und dank der Einwilligung des Museums jetzt auch hier:

Copyright des Videos Franks Coming out Erinnerungen : Schwules Museum*

Das Video ist auch in der vom 12. Mai bis 4. September 2016 in Münster gezeigten Ausstellung ‚Homosexualität_en‘ zu sehen.

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in this video Frank talks about his coming out 1979/1980, the reaction of his parents, and a conversation with a judge
(video with english subtitles)

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und hier gibt’s / see also Ullis coming out Erinnerungen

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Erinnerungen Oldenburg

Ullis Coming out Erinnerungen – Video

Ullis coming out Erinnerungen gibt es derzeit im Deutschen Historischen Museum in einem Video zu sehen – und jetzt auch hier auf 2mecs:

Im Deutschen Historischen Museum und im Schwulen Museum* eröffnete jüngst die Ausstellung ‚Homosexualität_en‘. Der erste Saal der Ausstellung im DHM widmet sich dem Thema Coming Out.

Dem Aufruf des Schwulen Museums folgend habe ich über meine Coming out – Erinnerungen berichtet. Dazu habe ich dem Museum ‚Mein erstes Flugblatt‘ übergeben. Es steht für mich für den Schritt vom persönlichen zum öffentlichen Coming out.

Video: Ullis Coming out Erinnerungen

Das dabei im November 2014 entstandene Video ist bis Dezember 2015 im Deutschen Historischen Museum zu sehen in der Ausstellung Homosexualität_en. Dank der Einwilligung des Museums kann ich es jetzt auch hier zeigen:

Copyright des Videos Ullis Coming out Erinnerungen : Schwules Museum*

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Erinnerungen Oldenburg

2mecs Coming-out Erinnerungen im Museum

2mecs Frank und Ulli erinnern sich an ihre Coming-outs – zu sehen und zu hören in der Ausstellung Homosexualität_en im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin.

Im Deutschen Historischen Museum und im Schwulen Museum* eröffnete jüngst die Ausstellung ‚Homosexualität_en‘. Der erste Saal der Ausstellung im DHM widmet sich dem Thema Coming Out. An zahlreichen Säulen sind jeweils Video-Interviews zu sehen, in denen Menschen über ihr Coming Out sprechen, oft ergänzt um einem Gegenstand, mit dem sie dieses Coming Out besonders verbinden – darunter auch 2mecs Frank und Ulli.

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Berlin Homosexualitäten

Karl Heinrich Ulrichs – der „erste Schwule der Weltgeschichte“

Karl Heinrich Ulrichs gilt als ein Pionier der Schwulenbewegung und „erster Schwuler der Weltgeschichte“. In Berlin wurde eine Straße nach ihm benannt, in Bremen ein Platz. Eine mehrfach vandalisierte Ausstellung in Berlin informierte an verschiedenen Stationen bis August 2014 über sein Wirken.

Karl Heinrich Ulrichs wurde am 28. August 1825 in Westerfeld (heute zu Aurich gehörend) geboren. Von 1844 bis 1864 studierte er Theologie und Jurisprudenz an der Universität Göttingen. Ulrichs starb am 14. Juli 1895 in L’Aquila (Italien), wohin er 1890 enttäuscht ins Exil gegangen war.

Karl Heinrich Ulrichs (Porträt zuerst erschienen in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Jg. 1, 1899, S. 35)
Karl Heinrich Ulrichs (Porträt zuerst erschienen in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Jg. 1, 1899, S. 35)

1864 veröffentlichte der Jurist Karl Heinrich Ulrichs  mit ‚Inclusa‚ (April 1864) und ‚Vindex‚ (Mai 1864) die ersten beiden Schriften seines auf zwölf Bände angelegten Werkes „Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe“. Ulrichs formulierte hierin seine Theorie von den vier Geschlechtern.

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Homosexualitäten

Guy Hocquenghem (1946 – 1988)

Guy Hocquenghem (geboren am 10. Dezember 1946 in Boulogne-Bilancourt; gestorben am 28. August 1988 in Paris) gilt als Galionsfigur der französischen Schwulenbewegung der 1970er Jahre.

Hocquenghem betrachtete Promiskuität, vielfältige sexuelle Erfahrungen als emanzipatorischen Akt. Durch ein offenes und fröhliches Sexleben weise der Schwule die gesellschaftliche Dämonisierung des Analverkehrs und ihre Fixierung auf das anale Tabu zurück.

Liebe mit jedem machen und diesen jeden auch noch verändern: das haben wir unterschätzt, indem wir das homosexuelle Verlangen auf das Verlangen reduzierten, mit anderen Männern ins Bett zu gehen. … Unser Verlangen hat keinesfalls den Traum als Ziel, uns vor der Front der ‚Hetero‘-Normalität als homosexuelle Normalität einzurichten.“
(Guy Hocquenghem 1979)

Guy Hocquenghem studierte an der École normale supérieure,  wurde später Dozent für Philosophie an der Universität von Vincennes.

Hocquenghem war seit deren Gründung 1971 Mitglied der Front Homosexuel d’Action Révolutionaire (FHAR).

Guy Hocquenghem veröffentlichte 1972 mit „Le Désir Homosexuel“ (auf deutsch erschienen 1974 „Das homosexuelle Verlangen“) eines der wichtigsten Werke der französischen Schwulenbewegung der 1970er Jahre.

Zuvor hatte er am 10. Januar 1972 in einem Brief im Nouvel Observateur (‚Je m’appelle Guy Hocquenghem. J’ai 25 ans.‚) seine Homosexualität öffentlich gemacht. Es war das nach Verlaine 1888 vermutlich erst zweite öffentliche coming out in der französischen Presse.

Er gehörte Ende der 1970er Jahre mit zu den Initiatoren des schwulen Radiosenders Fréquence Gaie und schrieb sowohl in der Tageszeitung Libération als auch im legendären französischen Schwulen-Magazin Gai Pied. 1979 arbeitete er gemeinsam mit dem Regisseur Lionel Soukaz an einem Dokumentarfilm über Homosexualität ‚Race d’Ep!‘.

Hocquenghem prägt die Begriffe der ‚homosexualité blanche‚ und ‚homosexualité noir‚. Im Gegensatz zur ‚homosexualité blanche‚, austauschbar und ohne soziale Risiken, sei die ‚homosexulité noir‚ eine Art Wirbelwind, der die Situation und vor allem Identität des Subjekts in Frage stelle.

Später formuliert er (in Liberation 29. März 1976) „Ein Stereotyp eines Staats-Homosexuellen … ersetzt nach und nach die barocke Diversität traditioneller homosexueller Stile. … Kommt schließlich die Zeit in der der Homosexuelle nicht mehr ist als ein Sex-Tourist, ein höfliches Mitglied im Club Méditerranée …

Hocquenghem verfasste neben seinen aktivistischen Schriften auch zahlreiche Romane und andere Werke, so u.a. ‚L’amour en relief‚, ‚Voyages et aventures extraordinaires du frère Aneglo‚, ‚Eve‚, ‚Co-ire, album systématique de l’enfance‚ oder ‚Le Gay voyage‚.

Guy Hocquenghem starb am 28. August 1988 in Paris im Hôpital Claude-Bernard an den Folgen von Aids. Er ist im Kolumbarium des Pariser Friedhofs Père Lachaise beigesetzt (Division 87, Grab Nr. 392).

Guy Hocquenghem Urnen-Grab auf Père Lachaise, Paris (Foto: Pierre-Yves Beaudouin)
Guy Hocquenghem Urnen-Grab auf Père Lachaise, Paris (Foto: Pierre-Yves Beaudouin, cc by-sa 3.0)

Vue d’ensemblePierre-Yves Beaudouin / CC BY-SA 3.0

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Guy Hocquenghem – Video

Hocquenghem 1979 im französischen TV über seine Aktivitäten, u.a. als Journalist der Tageszeitung ‚Liberation‘:
[ Video leider nicht mehr online ]

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Welche Bedeutung Hocquenghem heute noch hat, wie sehr er im ’schwulen Gedächtnis‘ Frankreichs präsent ist, zeigt dass der schwule Buchladen von Paris ‚Les Mots à la Bouche‚ Mitte Februar 2017 eine Veranstaltung ‚Guy Hocquenghem, quel héritage aujourd’hui?‚ (Was hat uns Guy Hocquenghem heute zu sagen?; Übers. UW) durchführt.

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HIV/Aids Paris

Warning : „Wir haben die Schnauze voll von Herablassung und Ignoranz“ – Mr. HIV

„ Mr. HIV 2013 – positivenfreundlich, selbstbewusst positiv, serodifferent, Posi-Queen …“: Unter diesem Motto hat die französisch-belgisch-kanadisch-schwerizerische Aktivistengruppe „Warning“ jüngst in Brüssel eine Kampagne gegen Serophobie (gemeint: unbegründete Angst vor Menschen mit HIV-positivem Serostatus), Vorurteile und die Unsichtbarkeit HIV-Positiver in der Schwulenszene gestartet. Ulli Würdemann sprach mit Laurent Gaissad, Sozio-Anthropologe an der ULB (Université libre de Bruxelles) und Präsident von Warning Brüssel, über die Hintergründe, Ziele und ersten Erfahrungen der Kampagne.

Laurent, viele Leserinnen und Leser in Deutschland kennen „Warning“ noch nicht. Kannst du uns die Gruppe und eure Ziele kurz vorstellen?

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Homosexualitäten

Michelangelo Signorile : Aktivismus hat uns voran gebracht, nicht schwuler Mainstream

Aktivismus hat uns voran gebracht, nicht der schwule Mainstream …“, sagt Michelangelo Signorile anlässlich der heute beginnenden Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof über die Homo-Ehe.

In den USA entscheidet im Juni 2013 der Supreme Court (Oberste Gerichtshof, SCOTUS) darüber, ob gleichgeschlechtliche Ehen (Homoehen) mit der US-Verfassung vereinbar sind. In einem Artikel der HuffPost Gay Voices geht der US-Schriftsteller Michelangelo Signorile u.a. der Frage nach, wie Schwule und Lesben es geschafft haben, diese Frage bis zum Obersten Gerichtshof zu bringen:

Ob es nun ACT UP war mit seinem Organisieren von zivilem Ungehorsam Ende der 1980er Jahre, als die US-Regierung die Aids-Krise völlig ignorierte, oder Mitglieder von Get Equal, die sich an den Zaun des Weißen Hauses ketteten, um den Präsidenten dazu zu bewegen, sich zu ‚don’t ask don’t tell‚ zu äußern – es brauchte mutige Menschen, die ihren guten Ruf, ihre Privatsphäre, ihre Zukunft, ihren Beruf, ihre Familien und manchmal sogar ganz wortwörtlich ihre Körper einsetzten, um die Dinge voran zu bringen. Sie widerstanden den Angriffen nicht nur der anti-schwulen Zeloten [Eiferer], der Polizei und der Medien, sondern auch denen des schwulen Establishments, das ihnen nahelegte doch brave Jungs und Mädchen zu sein.“

Michelangelo Signorile in New York währned der (von ihm mit organisierten) Proteste gegen 'Proposition 8' vor dem Lincoln Center Mormonen-Versammlungsraum (Foto: David Shankbone)
Michelangelo Signorile in New York während der (von ihm mit organisierten) Proteste gegen ‚Proposition 8‘ vor dem Lincoln Center Mormonen-Versammlungsraum (Foto: David Shankbone; Lizenz cc by-sa 3.0)

Michelangelo Signorile at the New York City protest outside the Lincoln Center Mormon temple he helped organize in protest of California Proposition 8.David ShankboneCC BY-SA 3.0

Der 1960 geborene Michelangelo Signorile ist Schriftsteller und Rundfunksprecher der wöchentlich in den ganzen USA und Kanada ausgestrahlten Sendung The Michelangelo Signorile Show. Signoriles Aktivismus wurzelt in Erfahrungen der Aids-Krise Ende der 1980er Jahre. Signorile engagiert sich seit 1988 in der Schwulenbewegung sowie bei ACT UP (wo er u.a. Vorsitzender des Media Committee war). Er war u.a. Mit-Gründer des Magazins OutWeek, schrieb für The Advocate und war Mit-Gründer der Aktivistengruppe Queer Nation. Signorile war früher Chefredakteuer der HuffPost Gay Voices.

In seinem zweiteiligen Artikel „Out at The New York Times“ thematisierte Signorile 1994 die jahrzehntelange Homophobie der New York Times, zahlreiche schwule und lesbische Mitarbeiter/innen der Zeitung, aber auch Chefredakteure und Herausgeber kamen zu Wort. Signorile hat zahlreiche Bücher über Schwule und Lesben geschrieben, u.a. Queer In America: Sex, Media, and the Closets of Power, in dem er sich mit den Folgen des versteckten Lebens als Homosexueller auseinander setzt und Outing in bestimmten Konstellationen befürwortet. Signorile outete während seiner Tätigkeit bei OutWeek  u.a. den Hollywood-Produzenten David Geffen als schwul, der damals u.a. bei seinem Platten-Laben Musik der Gruppe Guns N’Roses herausbrachte, die für schwulenfeindliche Texte kritisiert wurde.

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Michelangelo Singnorile: How We Got to the Supreme Court. in: HuffPost Gay Voices Blog 25.03.2013

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HIV/Aids

Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland

Mit dem Thema “sexuelle Zufriedenheit” ( sexual happiness ) bei schwulen und bisexuellen Männern habe ich mich in einer zweiteiligen Artikel-Miniserie für das Internetportal queer.de auseinander gesetzt.
Der erste Teil erschien am 18.03.2013: Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa. Teil 2 wurde zuerst veröffentlicht auf queer.de am 22.03.2013: „Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland„.

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Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland

Wie zufrieden sind wir hierzulande mit unserem Sexleben? Ganz wesentlich scheint dabei zu sein, wie mit dem eigenen Schwulsein umgegangen wird.

Von Ulrich Würdemann

Schwule und bisexuelle Männer in Europa sind zu einem beträchtlichen Teil unzufrieden mit ihrem Sexleben. Dies zeigte uns die Auswertung der ersten europäischen Befragung EMIS (queer.de berichtete) Wie aber steht es um uns in Deutschland? Sind wir sexuell zufriedener?

Auch hierzu gibt es erstmals Daten – sie stammen aus der deutschlandweiten Befragung „Schwule Männer und Aids“ (SMA) [1].

62% aller Befragten aus Deutschland sagten: „Ja, ich bin zufrieden mit meinem Sexleben“. Aber immerhin 38% verneinten dies. Nahezu 40 Prozent der schwulen und bisexuellen Männer sind unzufrieden mit ihrem Sexleben? Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Wer? Und warum?

Welche Faktoren könnten entscheidend sein?

Warum ist wer zufrieden mit seinem Sexleben? Liegt es an der Großstadt? Stimmt gar die These „Dumm fickt gut“? Beide oft zu hörenden Vorurteile konnten die Forscher nicht bestätigen – es ließ sich kaum ein Zusammenhang feststellen zwischen Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben und der Größe des Wohnorts, mit dem sozioökonomischen Status oder mit dem Bildungsniveau. Großstadt-Homos sind also nicht zufriedener mit ihrem Sex als Provinzschwule, reiche Tucken und arme Stecher sexuell kaum unterschiedlich zufrieden, und auch mit Doktortitel reicht’s (was die eigene sexuelle Zufriedenheit angeht) nicht weit, Studenten wie Grundschul-Absolventen sind sexuell gleich glücklich.

Deutlich allerdings war der Zusammenhang von sexueller Zufriedenheit und Zahl der Sexpartner: Befragte, die angaben, innerhalb der letzten zwölf Monate keinen Sexpartner gehabt zu haben, waren nur zu 28% mit ihrem Sexleben zufrieden – hingegen 56% derer mit zwei bis fünf Sexpartnern, 65% mit 6 bis 10, 72% derer mit 11 bis 50 und 82% der MSM mit mehr als 50 Sexpartnern innerhalb der letzten zwölf Monate.

Wer viele Sexpartner hat, ist also zufriedener mit seinem Sexleben? Nicht ganz – es gibt eine bemerkenswerte Ausnahme: Stolze 68% der Männer, die angaben, einen einzigen Sexpartner zu haben, waren zufrieden mit ihrem Sexleben. 80% von ihnen, merken die Forscher an, leben nach eigenen Angaben in einer eher monogamen Beziehung. Generell meinten drei Viertel aller Männer in einer festen Beziehung, sie seien zufrieden mit ihrem Sexleben.

Schwule Männer und HIV/AIDS: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten AIDS-Forum DAH Band 60
Schwule Männer und HIV/AIDS: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten
AIDS-Forum DAH Band 60

Macht Analverkehr glücklicher?

Männer, die Analverkehr haben, sind zu 76% zufrieden mit ihrem Sexleben – Männer ohne Analverkehr hingegen nur zu 47%. Die Schwulenszene scheint zudem ein wichtiger Faktor des sexuellen Wohlbefindens zu sein: Die Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben steigt mit der Zahl der im vorangegangenen Jahr besuchten Szeneorte (bei „keinen Szeneort besucht“ 50% unzufrieden, 1-2 Orte = 41%, 3-4 = 35%, 5-6 = 31%, 7-8 = 21%).

Die Daten aus Deutschland wurden (anders als die europaweiten EMIS-Daten [2]) auch gezielt zur sexuellen Zufriedenheit HIV-Positiver ausgewertet. Generell zeigte sich zunächst kein großer Unterschied: 67% der HIV-positiv Getesteten und 65% der HIV-negativ getesteten Männer gaben an, mit ihrem Sexleben zufrieden zu sein.

Allerdings kämpfen nennenswert viele HIV-Positive mit Beeinträchtigungen ihrer Sexualität: Von den HIV-Positiven, die mit ihrem Sexleben nicht zufrieden sind, führte ein Drittel diese Unzufriedenheit auf gesundheitliche Probleme zurück, und ein Viertel berichtete von Erektionsstörungen (beide Werte deutlich über dem Durchschnitt aller Befragten).

Warum sind schwule und bisexuelle Männer unzufrieden?

38% der befragten schwulen und bisexuellen Männer erklärten sich unzufrieden mit ihrem Sexleben – aber warum? Was beeinträchtigt ihr Sexleben? Ganz wesentlich scheint die Frage zu sein, wie mit dem eigenen Schwulsein umgegangen wird:

Männer, die Sex mit Männern haben und verdeckt leben, beklagen deutlich häufiger einen Mangel an Sexkontakten. War dagegen ihre Homosexualität bei allen oder fast allen in ihrem Umfeld bekannt (11.008 Befragte), klagten nur 10,9%, sie hätten überhaupt keinen Sex, und 32,8% gaben an, gern mehr Sexpartner haben zu wollen. Bei Männern, bei denen niemand im Umfeld ‚davon‘ wusste (n = 2.891), hatten hingegen 13,5% überhaupt keinen Sex, und 44,5% hätten gerne mehr Sexpartner.

Bei den „verdeckt lebenden“ Homosexuellen lag auch der Anteil derer höher, die sich als sexuell unsicher wahrnahmen: 41% bezeichneten sich als sich „in sexueller Hinsicht nicht so selbstsicher, wie ich es gerne wäre“ (im Vergleich zu 37,1% der Männer, bei denen alle oder fast alle von ihrer Homosexualität wissen). Wesentlich deutlicher waren bei ihnen auch Befürchtungen, sich mit HIV oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken: 33,9% der „verdeckt lebenden“ MSM gaben dies an im Vergleich zu 22,8% derer, bei denen ihre Homosexualität im Umfeld bekannt ist.

Jeder zweite wünscht sich eine feste Beziehung

In allen Gruppen nahezu gleich hoch ausgeprägt war mit durchschnittlich 48,3% der Wunsch nach einer festen Beziehung – außer bei Männern, bei denen niemand in ihrem Umfeld „davon“ wusste, sie wünschten sich nur zu 33,7% eine feste Beziehung.

Stehen sich verdeckt lebende Homosexuelle mit ihrem Bestreben, ihr sexuelles Interesse an anderen Männern zu verbergen, nicht offen sichtbar werden zu lassen, „selbst im Weg“ bei ihren Wünschen nach mehr und zufriedenstellender Sexualität? Vermissen sie weniger als andere eine feste Beziehung, weil diese die weitere Verheimlichung ihrer Homosexualität gefährden könnte? Und spiegelt sich in ihrer deutlicher ausgeprägten Angst vor HIV- und STD-Ansteckungsrisiken ein schlechterer Informations-Stand?

Fragen, die nun von den Präventionsexperten in den Beratungsstellen und Verbänden diskutiert werden müssen…

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Weitere Infos zu EMIS / Fußnoten

Die “sexual happiness”, übersetzt als ‘Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben’, ist bis 2010 in Befragungen in Deutschland und Europa nie ein Kriterium gewesen. Erstmals überhaupt wurde sie im Rahmen des europaweiten Projektes EMIS [2] (European MSM Internet Survey) sowie der im Rahmen von EMIS stattfindenden deutschlandweiten Befragung Schwule Männer und Aids (SMA) thematisiert [1].

“Sind Sie mit Ihrem Sexleben zufrieden?”, wurden die Teilnehmer im deutschen EMIS-Fragebogen gefragt. Im englischen Original heißt es “Are you happy with your sex life?”, die Autoren empfanden für die deutsche Übersetzung “glücklich” als zu pathetische Formulierung und entschieden sich für “zufrieden”. Die Frage konnte von den Teilnehmern mit ‘ja’ und ‘nein’ beantwortet werden, und in einem zweiten Schritt konnten sie begründen, warum sie nicht mit ihrem Sexleben zufrieden sind.

Für die Auswertung standen insgesamt Daten von 180.000 schwulen und Bi-Männern (MSM, Männer die Sex mit Männern haben) aus 38 Ländern in Europa zur Verfügung. Aus Deutschland konnten über 14.000 Fragebögen EMIS und über 40.000 Zusatzfragebögen SMA ausgewertet werden.

[1] “Sexual happiness”. In: Michael Bochow, Stefanie Lenuweit, Todd Sekuler, Axel J. Schmidt: “Schwule Männer und HIV/Aids: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten“. Aids-Forum DAH Nr. 60, Berlin Dezember 2012 [Anmerkung: Die Befragung „Schwule Männer und Aids“ (SMA) findet bereits seit 1987 statt. Aids-Forum DAH Nr. 60 berichtet über die Befragung 2010, die im Rahmen des Projektes EMIS stattfand]
[2] “Sexual Unhappiness” in: “The EMIS Network: The European MSM Internet Survey 2010 -Descriptive report of survey results”, Stockholm, ECDC; 2013 (forthcoming / Veröffentlichung geplant)
[3] Weltgesundheitsorganisation WHO: Sexuelle und reproduktive Gesundheit (Definition)
[4] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA: Definitionen von sexueller und reproduktiver Gesundheit