Am 17. September 1922 fand im Alhambra Kino in Berlin Wilmersdorf die erste (störungsfreie) Tonfilm – Vorführung statt.
Gebäude des ehemaligen Alhambra Kino Belrin Kurfürstendamm
In dem neu gegründeten Alhambra Kino am Kurfürstendamm sahen und hörten 1.000 Zuschauer*innen mehrere kurze Filme, u.a. den ersten Dialog-Film ‚Der Brandstifter‘ sowie einige Musikstücke.
Die beiden Sechszehnjährigen Manu und Felipe sind beste Freunde. Sie sind in einer Klasse, spielen gemeisnam am Strand der argentinischen Küstenstadt, sind beide in einer Band.
Peter von Kant – Francois Ozon realisiert seine Hommage an Fassbinder (sehr nah am Original), an dessen Kammerspiel ‚Die bitteren Tränen der Petra von Kant‘, thematisiert Liebe, Macht und Freiheit.
Plakat und Werbematerialien (Türhänger…) zitieren das von Andy Warhol gestaltete Plakat für Fassbinders Film ‚Querelle‘ …
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eine Neuverfilmung (Eröffnungs- Film der Berlinale 2022) die nicht im heute … das Original zitieredn doch glättend – gender change aber warum – gut besetzt perfekt gefilmt … eher glatt als sperrig … comme au theatre …nur – warum ?
Der Dokumentarfilm Europa Passage (Andrei Schwartz 2022) zeigt auf eindrucksvolle Weise das Leben einer Gruppe rumänischer Roma zwischen Hamburg und ihrer Heimat Namaesti.
Europa Passage – Filmplakat
5 Jahre hat Andrei Schwartz (Regie und Drehbuch) eine Gruppe rumänischer Roma begleitet, die in Hamburg leben und immer wieder in ihre Heimat in das Dorf Namaesti in Rumänien reisen.
Musik als ein Stück Heimat in der deutschen Fremde – in seinem Dokumentarfilm ‚Liebe D-Mark und Tod‘ erzählt Regisseur Cem Kaya über sogenannte Gastarbeiter in Deutschland und ihre Musik.
Liebe D-Mark und Tod – Regisseur Cem Kaya (links) bei der Vorstellung seines Films auf dem Watt en Schlick Fest 2022
Ab Anfang der 1960er Jahre ließ die BRD in großem, Umfang sogenannte Gastarbeiter anwerben – Menschen die (zunächst zeitlich befristet) als Arbeitsmigranten aufgrund von Anwerbeabkommen zur Arbeit nach Deutschland geholt wurden.
Sie brachten eines mit, das sie mit ihrer Heimat verband: Musik.
„Wenn es um Deutschland geht, geht es immer um ‚Gurbet‘, also die Fremde.“
Cem Kaya
Cem Kaya portraitiert in seinem Dokumentarfilm Musikerinnen und Musiker wie Cavidan Ünal, Metin Türköz, Ümit Besem, Hatay Engin (1948 – 2020) oder das Duo Derdiyoklar, erzählt die vielen Facetten zwischen melancholischen Heimat-Erinnerungen, kämpferischen Politliedern (Arbeitskämpfe, Streik bei dem Autozulieferer Pierburg), Gazinos und Hip Hop wie Fresh Familee oder Microphone Mafia.
‚Liebe D-Mark und Tod‚ ist eine Nachkriegsgeschichte ganz eigener Art. Der Film zeigt eine deutsche Musiktradition, die außerhalb ihrer Communities wenig bekannt ist – und erzählt viel über Almanya als Einwanderungsland, über Hoffnungen und Realitäten, über 60 Jahre Musikgeschichte und türkisch-deutsche Sozialgeschichte.
Der Film hatte Premiere auf der Berlinale 2022. Er wurde dort mit dem Publikumspreis (Kategorie Panorama Dokumente) ausgezeichnet, ebenso beim Dokufest 2022. Beim Unerhört Musik Film Festival erhielt er ebenfalls den Publikumspreis.
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Liebe D-Mark und Tod– Aşk Mark ve Ölüm D 2022 Regie: Cem Kaya Kinostart Türkei 23. September 2022, Deutschland 29. September 2022, Österreich 7. Oktober 2022
Die dreiteilige schwedische Mini- Serie ‚Dont’t ever wipe tears without gloves‘ (2012) begleitet den Protagonisten Rasmus, der 1982 nach Stockholm kommt, und Benjamin, seinen Liebhaber. Eine Geschichte von Freundschaft, Liebe und Sterben – die deutlich werden lässt, wie sehr Aids schwule Szenen Mitte der 1980er Jahre erschütterte. Und die dabei erfreulicherweise jegliche Larmoyanz vermissen lässt.
„einst waren unsere Tage in Ewigkeit getränkt …“
Ganz zauberhaft erzählt wird die erste Begegnung zwischen Benjamin und Rasmus, in all dem Spagat, den Widersprüchen, der ‚love at first sight‘.
„in welche Richtung musst du?“ „Spielt das eine Rolle? – In die selbe wie du!“ „Weißt du in welche Richtung? – Nein. Und du?“ „Nein.“ „Wollen wir da zusammen hingehen?“
„ich könnte es einfach nicht ertragen, in deinem Leben keine Rolle zu spielen.“
Benjamin zu Rasmus
„und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen“
Offenbarung des Johanes 21 (4)
„man kann nicht noch einmal leben. Nur darum geht es „
Pal
Ich kenne weniges, das im ‚Mainstream TV‘ dermaßen eindringlich und dabei realitätsnah, so ernsthaft und doch nicht larmoyant über die richtig miesen Jahre erzählt. Ein Maßstab.
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Don’t ever wipe tears without gloves (Originaltitel: Torka aldrig tårar utan handskar) Schweden 2012 Regie Simon Kaijser Drehbuch Jonas Gardell (basierend auf seinem gleichnamigen Buch) Produktion Sveriges Television 3 Folgen à 58 Minuten Erstausstrahlung 8. bis 22. Oktober 2012 (SVT1)
Eine Abenteuer-Geschichte aus Hamburg, die zu einem Klassiker des coming of age Films wurde
Hamburg in den 1970er Jahren, in einer Arbeitersiedlung in Hamburg- Wilhelmsburg. Uwe, 14 Jahre alt, ist Anführer einer Bande Jugendlicher. Dschingis ist eines der Opfer der Bande. Dschingis allerdings bietet Uwe Unterschlupf an, als der nach Ärger mit seinem angetrunkenen Vater die Schule schwänzen will. Sie freunden sich an.
auch nach 45 Jahren viel Interesse – open air Aufführung Nordsee ist Mordsee 2021
Das Leben muss doch mehr zu bieten haben als nur Automaten-Knacken und Rumlungern. In einem geklauten Segelboot machen sie sich auf die Reise — elbabwärts Richtung Nordsee …
Hark Bohm 2021 (Zeise open air Aufführung Nordsee ist Mordsee im Innenhof Rathaus Altona am 18. Juli 2021)
„Ich träume oft davon ein Segelboot zu klaun’ und einfach abzuhaun’…“
Udo Lindenberg / Mark Bohm, Schluß-Lied des Films
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Jahre später erst verstand ich: der Zauber dieses Films (wie zahlreicher anderer) liegt nicht in Elbe oder Nordsee, nicht in Uwe oder Dschingis – dieser Zauber wurzelt in Hark Bohm.
Im Reich der Sinne des japanischen Regisseurs und Produzenten Nagisa Ōshima (31.3.1932 – 15.1.2013) gilt (fälschlicherwseise) als ‚pornographischer‘ ‚Skandal-Film‚. Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1936 in Japan.
Kichizo (Tatsuya Fuji) besitzt ein Geisha-Haus. Abe Sada (Eiko Matsuda) arbeitet dort als Dienerin und Prostituierte. Was als leidenschaftliche Beziehung der beiden beginnt, wird tiefe Hingabe – in immer grenzenloserer sexueller Begierde und Obsession. Beide brechen sämtliche Tabus, bis hin zu Kichizos Tod.
Auf Kichizos Brust schreibt Sada mit seinem Blut am Schluss die Worte „Sada Kichi futari kiri“ (Sada und Kichi, beide miteinander vereint). Dies entspricht den Worten, die auf der Brust des ‚echten‘ Kichizo geschrieben waren, als ihn die Polizei am 19. Mai 1936 auffand.
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Im Reich der Sinne – „wenn man alles spüren will muss man bis zum Exzess gehen“. Dies ist kein pornographischer Film – eher ein Film darüber, wie zwei Menschen sich verändern, wenn sie sich immer tiefer an und ineinander binden.
Das Geschlechterrollen- Verständnis des Films liegt (1976 !) jenseits von männlich – weiblich, jenseits von stark – schwach. Beide begehren einander. Er fxxxt sie. Er schlägt sie. Sie verlässt ihn. Sie schlägt ihn. Sie würgt ihn. Beide einander miteinander. Wer foltert wen? Wer gerät mit wem in Ekstase? „Haben Sie denn überhaupt keinen Hunger?“ Der Film ist nicht queer (ein Wort das es damals noch nicht gab) – doch er geht 1976 unkonventionell mit althergebrachten Geschlechterrollen um.
„In einer Beziehung wie der unseren sollte die Liebe bestimmen was wir tun“
Ein sehr außergewöhnlicher Film – der immer wieder seiner Entdeckung harrt … und wert ist …
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Produktions-Notizten
Gedreht wurde der Film in den Daiei-Kyoto Studios (1942 – 1971) in Japan. Aufgrund der strengen Zensur-Vorschriften musste das unentwickelte Rohmaterial für die Entwicklung des Films nach Frankreich ausgeflogen werden.
Nach der Premiere auf der Berlinale 1976 ließ die Staatsanwaltschaft (die in Person eines Staatsanwalts und zweier Richter bei der Premiere anwesend war) den Film beschlagnahmen wegen des Verdachts auf Pornographie. Als Verteidiger des Films trat der Rechtsanwalt Horst von Hartlieb (1910 – 2004) auf, einer der Initiatoren der Freiwilligen SelbstkontrolleFSK. Am 17. März 1977 urteilte das Berliner Landgericht, der Film sei keine Pornographie. Erst 18 Monate später wurde er für die Kinos ohne Kürzungen zugelassen, freigegeben unter dem Prädikat ‚besonders wertvoll‘.
In Großbritannien wurde der Film erst 1989 für Aufführungen in Kinos klassifiziert. Davor konnte er nur in Filmclubs gezeigt werden, deutlich geschnitten.
Im Reich der Sinne – Folgen für Beteiligte
Die Darstellerin der weiblichen Hauptrolle Eiko Matsuda siedelte nach den Dreharbeiten nach Frankreich um – in Japan sah sie sich zu umfangreich feindlichen Reaktionen ausgesetzt. Der Darsteller der männlichen Rolle Tatsuya Fuji fand erst nach zwei Jahren ohne Engagement in Japan neue Rollen.
Regisseur Nagisa Ōshima wurde später wegen Obszönität angeklagt, aber nach vierjährigem Verfahren freigesprochen.
Nagisa Ōshima wurde auch bekannt mit dem Film (1983) Merry Christmas, Mr. Lawrence mit Musik von Ryuichi Sakamoto, sowie (1999) Gohatto (‚gegen das Gesetz‘; über Homosexualität in Japan zum Ende der Samurai-Zeit).
Im Reich der Sinne als Chart-Hit
Der originale Film- Titel Ai no korīda wurde 1980 unter dem Titel Ai No Corrida von Chaz Jankel auf seinem Debut-Album verwendet. 1981 coverte Quincy Jones den Titel auf seinem Album The Dude. Später tauchten immer wieder Cover-Versionen in den Dance-Charts auf – meist ohne dass der Bezug zum Film deutlich wurde.
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Im Reich der Sinne (D) – 愛のコリーダ Ai no korīda (J) – L’Empire des sens (F) – In the Realm of the Senses (USA, UK) RegieNagisa Ōshima DrehbuchNagisa Ōshima (nach einem Roman von Yukio Mishima) ProduktionNagisa Ōshima & Anatole Dauman (offiziell französische Produktion, Schnitt in Frankreich, um die japanische Zensur zu umgehen) Japan / Frankreich 1976 Uraufführung 27. Januar 1976 Berlin Berlinale Filmfestspiele Cannes 15. Mai 1976 (aufgrund er hohen Nachfrage mit insgesamt 13 Aufführungen, bis heute Cannes-Rekord) Uraufführung digital restaurierte Fassung Filmfestspiele Cannes 19. Mai 2017 Laufzeit 109 Minuten / 107 Minuten (Release 2000) / 94 Minuten (rekonstruierte Version)
Der Film Oi! Warning der Brüder Reding ist ein auch queerer Independent Film über Aussteigen, über Skins und Punks, über Männlichkeitsphantasien, Autonomie und Träume. Er erzählt eine auch heute sehr sehenswerte coming of age Geschichte.
Janosch, siebzehn Jahre alt, haut ab. Verlässt seine Freundin, seine Mutter, das Zuhause am Bodensee. Mit dem Roller auf nach Dortmund zu seinem langjährigen Freund Koma, den er schon von der katholischen Landjugend kennt. Koma und Janosch, Hauptfigur des Films, steigen aus ihren bisherigen Lebenswelten aus. Raus aus kleinbürgerlichem Mief – alles, nur das nicht.
Koma trainiert hart Thaiboxen. Das für ihn mehr ist als Sport. „Gleich allemachen. Nicht so halbe Sachen!“ Und Koma ist inzwischen überzeugter Skin geworden. „Parole Spaß – Mal zum Kühlschrank, mal zum Klo, sonst nur Rummachen. Wochenlang.“
Janosch ist begeistert von Koma und dessen Verwandlung. Blicke die auch Begehren erahnen lassen. Janosch folgt Koma, wird auch zum Skin. Ist Janoschs Begeisterung für Koma mehr als freundschaftlich? Seine Blicke scheinen es anzudeuten. Er wohnt zunächst bei Koma und dessen Freundin, übernimmt dessen Gewohnheiten, Klamotten, Stil. Doch beim Tätowierer trifft er zufällig auf Zottel, einen Punk, dessen Tattoo er bewundert. Zottel, eher das Gegenteil von Koma, beginnt ihn zu faszinieren, als er sieht wie dieser bei Blancas Geburtstag die Gäste mit Feuerspucken unterhält. Das will er auch lernen. Janosch besucht Zottel in seinem Bauwagen.
„Was hat keine Haare und kann nur ein Wort?“ (Zottel) „Oi! – Ein Skin!“ (Janosch) „Was hat Stachel und kann schon vier Wörter? – Haste ma ne Mark?“ „Ein Punk!“
Janosch und Zottel, der Möchtegern-Skin und der Punk – finden sie zusammen?
„Hey, das is nicht so dein Ding, Dreck Matsch Pampe – aber ich mag das.“ (Zottel zu Janosch)
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Männerphantasien, latent gewaltbereites Verhalten, Saufen Gegröle und verzerrte Gesichter, aggressive Kumpelhaftigkeit, Frauen die als Zuschauerinnen und Sexobjekte degradiert sind. Der Film zeigt Skinheads, die eher nicht politisch motiviert sind. Und doch eine Skin-Szene die wie eine eingeklemmte letzte Bastion abgestandener gewaltaufgeladener Männlichkeitsphantasien wirkt.
Der Punk Zottel wirkt hier geradezu als Gegenentwurf. Aussteiger auch er, doch auf eine fast verträumte Weise, friedlich, gelegentlich zärtlich, voller Phantasien und Träume. Wo der Skin Koma von Gegröle der Kameraden begleitet bei einem Boxkampf auf einen Unbekannten einprügelt, wird im Gegenschnitt Janosch gezeigt, Zottel beim Jonglieren beobachtend, begleitet von Vogelgezwitscher im Freien auf einer Obstwiese.
Die unterschiedlichen Freiheits-Entwürfe von Skin und Punk, hier fast Proll-Skin und Romantik-Punk, sie sind neben dem Verhältnis von Aussteigen und Gewalt eines der Themen des Films. Dass Koma zum Schluss der Box-Szene KO auf die Bretter geht und seinen Boxkampf verliert, wirkt hier wie ein didaktischer Regie-Kommentar, der dieser Deutlichkeit nicht einmal bedurft hätte. Koma hat mehr als nur einen Boxkampf verloren …
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Dominik und Benjamin Reding bereiteten den Film Oi! Warning fünf Jahre vor. Sie drehten mit Laien aus lokalen Skin- und Punk-Szenen und wenig erfahrenen Schauspielern. Die Dreharbeiten fanden in Hamburg, Bochum, Hagen, Iserlohn, Haltern, Dortmund, Lindau und am Bodensee statt.
Die Musik in Oi! Warning ist u.a. von Terrorgruppe (1993 – 2005, 2014; Deutschpunk / Aggropop, Berlin) und Smegma (1992 – 2000; am Bass der spätere Audiolith-Gründer Lars Lewerenz; unpolitischer Oi!-Punk, die Band äußerte sich immer wieder deutlich gegen rechts; im Film Auftritt unter dem Namen „rOi!mkommando„).
Oi! Warning wurde bei seinem Kinostart 2000 sehr kontrovers aufgenommen. Grobkörnige Gewaltästhetik, Selbstfindung in schwarz – weiß, Handlungsstränge und Figuren holzschnittartig gestrickt. ‚Prädikat wertvoll‘, urteilte die FBW. Nach seinem Kinostart in Deutschland im Jahr 2000 wurde der Film – obwohl die Skins bei Oi! Warning unpolitische sind – als Teil der Debatten über den Umgang mit neonazistischen Tendenzen wahrgenommen. Mehrere Diskussionsveranstaltungen mit den Regisseuren in ostdeutschen Bundesländern mussten nach massiven Drohungen aus rechtsextremen Kreisen abgesagt werden, andere wurden niedergeschrieen.
„Was wir erreichen wollten ist, dass sich der Otto-Normal-Verbraucher fragt, wie eigentlich Homophobie entsteht und an welcher Stelle ein unpolitischer zu einem homophoben Mörder wird und das Opfer ein toller, queerer Mensch ist.“
Dominik Reding, zitiert nach Homopunk History
das Schlammbad – Ratten aller Länder vereinigt euch!
Das Schlammbad im Film Oi! Warning hat ein reales Vorbild und politischen Hintergrund …
28. Juni 1997. CSDin Berlin. Ganz am Ende der Parade, gemeinsam mit dem Wagen des SO36, eine riesige Ratte, und eine Badewanne gefüllt mit Schlamm – der ‚Rattenwagen‚ aus dem Umfeld des früheren Tuntenhauses (genauer: des zweiten Tuntenhauses Mainzer Strasse, das erste war Anfang der 1980er in der Bülowstrasse; vgl. u.a. Andreas Salmen). Motto: Ratten aller Länder, vereingt euch.
Ratten, das griff zurück auf eine Aussage des damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Landowski. Der am 27. Februar 1997 von der Verslummung Berlins sprach, von „Ratten … und Gesindel … Das muss in der Stadt beseitigt werden!„.
Mit Landowski und dem Rattenwagen wurde Schlamm kurzzeitig vom Fetisch zum Politikum. Und schwule Punks und Autonome traten erstmals in Deutschland breiter an die Öffentlichkeit. Mit dabei in der Schlammbadewanne damals [wie Homopunk History Autor Philipp Meinert berichtet] Benjamin Reding (der zu der Zeit noch in Hamburg lebte), später mit seinem Bruder Dominik Regisseur und Produzent von Oi! Warning. Der Rattenwagen war das erste große öffentliche Auftreten schwuler Punks in Deutschland – und ein Akt des Sichtbarmachens eines rebellischen, nicht angepassten Selbstverständnisses von Schwulsein.
Die Veranstalter des CSD fanden den Rattenwagen übrigens gar nicht witzig. Sie meldeten, Ausdruck ihres ‚Verständnisses‘ von queerer Solidarität, den Rattenwagen bereits während der ‚Parade‘ ab. Hinter dem Brandenburger Tor schritt die Polizei ein. Bereits am Abend kam es zu einer kleinen spontanen Protest- Demonstration durch Kreuzberg – die indirekt der Auftakt war zu dem, was später der transgeniale CSD (vgl. transgenialer CSD 2008, transgenialer CSD 2012) wurde.
Und schwule Szenen entdeckten den Schlamm als Fetisch …
Ullis Karre wartet vor dem Ostgut / Lab, 2003
Oi! Warning als Schritt in die Welt des filmischen Umgangs mit Aids in Zeiten der Normalisierung
Das Schlammbad, das Zottel kurz vor Schluss des Films nimmt, und die hier noch offene Frage, ob das tatsächlich ’nicht so Janoschs Ding‘ ist, sie sind einer der zentralen Momente in der Darstellung der Beziehung zwischen Janosch und Zottel. Ein sexuell aufgeladener Moment – mit Hintergrund.
Gerade dem Schlammbad des Films kommt auch im Kontext schwule Sexualität und Aids eine besondere Bedeutung zu. Philipp Meinert berichtet in Homopunk History im Kontext des Rattenwagens 1997
Der lustvolle Umgang mit Dreck war laut Benjamin [Reding; d.Verf.] auch eine Antwort auf die endlosen Safer-Sex- und Reinheits-Diskussionen in denen z.B. ernsthaft darüber gestritten wurde, ob es beim ’safer‘ Küssen zum Speichel-Austausch kommen dürfe.“
Schlamm und Lust am Dreck als Kontrast, ja Kontrapunkt zu Sterilität und Reinheit.
Ende der 1990er Jahre. Wirksame Aids-Medikamente stehen (in Industriestaaten) breiter zur Verfügung. Aids beginnt nicht länger tödliche Drohung zu sein. Ein coming of age Film in dem Aids nicht stattfindet. Ein selbstbewusster junger Schwuler badet im Schlamm. Er genießt lustvoll Dreck Siff Matsch Unreinheit. Das ganze Gegenteil der sterilen reinen sauberen risikobefreienden Welt der Prävention. Lust und Dreck statt Reinheit und Angst.
Auf diese Weise gelesen kann Oi! Warning wenn auch nicht als früher post-Aids- Film, so doch als wichtiger filmischer Schritt der Befreiung, eines anderen (vor allem auch: weniger dominanten) Umgangs mit dem Thema Aids gelesen werden.
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„War einmal ein kleines Schwein das grunzte frech und dreckig … und wenn es nicht gestorben ist dann grunzt es noch heute und wühlt mit Lust im Matsch herum und versaut die braven Leute“
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Oi! Warning (aka: Oi! Warning – Leben auf eigene Gefahr; Arbeitstitel Fettes Gras) Deutschland 1999, schwarz/weiß Regie, Drehbuch & Produktion Benjamin & Dominik Reding
Erstaufführung 11. Juli 1999 (Los Angeles Outfest, Gay and Lesbian Film Festival) Erstaufführung Deutschland 16. Februar 2000 Berlin, Berlinale (noch ohne Off-Kommentar von ‚Janosch‘) Kinostart Deutschland 19. Oktober 2000
auch 2019 weiterhin als DVD erhältlich
ausgezeichnet mit Outstanding Emerging Talent (Dominik & Benjamin Reding) – Los Angeles Outfest 1999 Max Ophüls Preis (Dominik & Benjamin Reding) – Max Ophüls Festival 1999 Lobende Erwähnung Kamera Spielfim (Axel Henschel) – Deutscher Kamera-Preis 1999 Filmpreis des DGB – Internationales Filmfest Emden 2000 Le Prix Spécial du Jury – 17. Festival International du premier Film d´Annonay 2000 Main Jury Award / Best Feature Film – Mezipatra, Czech Gay and Lesbian Film Festival 2003
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