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Nachdenkliches

Lieben ist schwer

„Es ist sehr einfach, geliebt zu werden. Lieben ist schwer.“

Marius Müller-Westernhagen, SZ 7./8. Januar 2023
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Nachdenkliches

gemeinsam schweigen

Schweigen bedeutet nichts sagen.
Doch dieses ’nichts sagen‘, diese Sprachlosigkeit muss nicht sprachlos sein.
Schweigen kann beredt sein.
Beredtes Schweigen.

Schweigen im gemeinsamen Gespräch signalisiert ‚ich höre dir aufmerksam und interessiert zu‘.

gemeinsame Stille – gemeinsames Schweigen

Gemeinsam schweigen, am Fluss entlang spazieren, die Ruhe genießen, die Gedanken treiben lassen, und zugleich fühlen ‚ja, du bist da, wir sind zusammen‘ … gemeinsam schwiegen kann zugleich Gefühl größten Glücks (eher: Glückseeligkeit) beinhalten.

wohlwollendes Schweigen miteinander – weit anders als ‚gepflegte Langeweile‘, viel mehr Vertrautheit, die keiner Worte bedarf, nicht in diesem einen Moment.

Schweigen ist die wesentliche Bedingung des Glücks.

Heinrich Heine

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Die Liebe ist vor allem ein Lauschen im Schweigen.

Antoine de Saint-Exupéry

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Nachdenkliches

Wolf Biermanns Lebensmotto – ‚gib dir Mühe!‘

Mein einfacheres Lebensmotto ist wie vegetatives Luftholen: Lebe lebendig, sei tapfer, gib dir Mühe! Dann kannst du gar nicht ganz falsch durch dieses Leben kommen. Sei menschlich zu deinen Kindern, zu deinen Liebsten, verrate deine Freunde nicht, stehe ihnen bei, wenn sie in Not sind, denn sonst verrätst du dich ja selber.

Wolf Biermann, Interview ‚Wolf Biermann über krieg‘, Süddeutsche Zeitung 29./30. Oktober 2022

Und stehe auch einem Volk bei, wenn es in Not ist wie jetzt die Ukraine in Putins Vernichtungskrieg. Der nicht mal Krieg genannt werden darf im russischen Riesenreich dieses Diktators. Dieser kleine Bloody-Wladimir ist der legitime Sohn aus der Ehe Stalin-Hitler.

Wolf Biermann, Interview ‚Wolf Biermann über krieg‘, Süddeutsche Zeitung 29./30. Oktober 2022
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Nachdenkliches

Liebe und Verletzlichkeit

Stark sein, ja keine Schwäche zeigen. Perfekt sein, möglichst makellos. Nicht erlebbar machen dass ich nicht perfekt bin. Erst recht nicht hilflos wirken. Und wenn ich es doch bin, dann möglichst verbergen.

Doch ich bin nicht perfekt.

Liebe heißt auch verletzlich zu sein – genauer: sich selbst zu erlauben verletzlich zu sein. Sich verletzlich zeigen. Verletzbar sein durch den den man liebt.

„Verletzlichkeit ist zwar die Ursache von vielen Ängsten und Unsicherheiten. Doch scheinbar ist sie gleichzeitig auch der Geburtsort der Liebe, der Verbundenheit, der Freude, der Kreativität und des Glücks.“

Brené Brown, Sozialwissenschaftlerin

Verletzlichkeit ermöglicht den anderen wirklich zu erfahren.

Liebe ist Verletzlichkeit.

Hippolyte Flandrin, Jeune homme nu assis sur le bord de la mer (auch Étude de nu), 1836 – public domain

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Der Mensch ist ein soziales Wesen. Damit steht er in eigener Abhängigkeit von anderen Menschen – die Verletzlichkeit mit sich bringt. Verletzlichkeit ist existentiell. Sie macht den Menschen mit aus (inhärente Verletzlichkeit). Eine Leben in Sozialität, aber ohne Verletzlichkeit ist letztlich undenkbar.

Verletzlichkeit kann auch durch äußere Einflüsse bedingt sein. Durch persönliche Begegnungen, soziale Faktoren, politische Ereignisse (situative Verletzlichkeit).

Was ist Verletzlichkeit? Von tiefsten Gefühlen sprechen, oder sie sichtbar werden zu lassen. So offen sein, dass ich auf Hilfe angewiesen bin in meiner Nacktheit.

Verletzlichkeit ist Voraussetzung für Nähe, für Intimität, für Liebe. Dem Gegenüber, dem Lover, dem Freund wirklich zu begegnen, das erfordert Offenheit – die Verletzlichkeit mit sich bringt. Verletzlichkeit ist die Schwester einer intensiven Begegnung, von Verbundenheit und Hingabe.

Gleichzeitig bedingt Verletzlichkeit, dass es ein ‚außen‘ gibt. Nach Judith Butler entsteht Verletzlichkeit geradezu erst als grundsätzlichen Gebundenheit des Selbst an das Andere.

Verletzlichkeit bedeutet auf ’neudeutsch‘, die ‚Komfortzone zu verlassen‘, das bekannte Terrain der Sicherheit aufzugeben.

Verletzlichkeit oder Empfindsamkeit ?

Ideengeschichtlich lässt sich Empfindsamkeit im Rokkoko verorten, das auch als ‚Epoche der Empfindsamkeit‘ bezeichnet wurde. Aus der Aufklärung (genauer: erst dem französischen ‚Zeitalter der Vernunft‘, danach dem deutschen ‚Zeitalter der Aufklärung‘) entstand unter Hinzufügen von Sentimentalität und Empfindsamkeit zu rationalem Denken und Vernunft [vgl. Kant / sapere aude!] etwas Neues.

Dass ein Mensch fühlt, und seine (subjektiven!) Gefühle, letztlich seine Seele zum Ausdruck bringt, ist nicht etwa ein Makel – sondern eine Bereicherung. Auch gegenüber äußerlichen Dogmen. Vernunft wird dabei nicht abgelehnt, sie ist (u.a.) ein Mittel Gefühle zu lenken und sich zu entwickeln.

Empfindsamkeit ist dabei nicht gedacht als Gegensatz, sondern als Ergänzung – keine Gegenbewegung, vielmehr eine Strömung innerhalb der Aufklärung. Beiden gemeinsam ist der Gedanke des Bürgers als selbstsicher und selbstbewusst, mit ethischen und moralischen Grundsätzen und natürlichem Menschsein.

Lessing schlägt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (bei Bodes Übersetzung eines Reiseberichts 1768) vor, das englische Wort sentimental mit empfindsam zu übersetzen. Wahrscheinlich die erste Verwendung, die Prägung des Wortes Empfindsamkeit.

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Karl Jaspers zufolge erfordert Selbstwerdung Kommunikation mit anderen Menschen. Das eigentliche Selbstwerden finde in einer Offenbarung sich selbst gegenüber und dann einem anderen Menschen gegenüber statt. Dieses Offenbarwerden könne nicht einzig isoliert mit sich selbst erfolgen. Dieses Offenbarwerden in Kommunkation mit einem anderen Menschen bezeichnet Jaspers als ‚liebenden Kampf‚.

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Kulturelles

Im Reich der Sinne (Nagisa Ōshima 1976)

Im Reich der Sinne des japanischen Regisseurs und Produzenten Nagisa Ōshima (31.3.1932 – 15.1.2013) gilt (fälschlicherwseise) als ‚pornographischer‘ ‚Skandal-Film‚. Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1936 in Japan.

Kichizo (Tatsuya Fuji) besitzt ein Geisha-Haus. Abe Sada (Eiko Matsuda) arbeitet dort als Dienerin und Prostituierte. Was als leidenschaftliche Beziehung der beiden beginnt, wird tiefe Hingabe – in immer grenzenloserer sexueller Begierde und Obsession. Beide brechen sämtliche Tabus, bis hin zu Kichizos Tod.

Auf Kichizos Brust schreibt Sada mit seinem Blut am Schluss die Worte „Sada Kichi futari kiri“ (Sada und Kichi, beide miteinander vereint). Dies entspricht den Worten, die auf der Brust des ‚echten‘ Kichizo geschrieben waren, als ihn die Polizei am 19. Mai 1936 auffand.

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Im Reich der Sinne – „wenn man alles spüren will muss man bis zum Exzess gehen“. Dies ist kein pornographischer Film – eher ein Film darüber, wie zwei Menschen sich verändern, wenn sie sich immer tiefer an und ineinander binden.

Das Geschlechterrollen- Verständnis des Films liegt (1976 !) jenseits von männlich – weiblich, jenseits von stark – schwach. Beide begehren einander. Er fxxxt sie. Er schlägt sie. Sie verlässt ihn. Sie schlägt ihn. Sie würgt ihn. Beide einander miteinander. Wer foltert wen? Wer gerät mit wem in Ekstase? „Haben Sie denn überhaupt keinen Hunger?“
Der Film ist nicht queer (ein Wort das es damals noch nicht gab) – doch er geht 1976 unkonventionell mit althergebrachten Geschlechterrollen um.

„In einer Beziehung wie der unseren sollte die Liebe bestimmen was wir tun“

Ein sehr außergewöhnlicher Film – der immer wieder seiner Entdeckung harrt … und wert ist …

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Produktions-Notizten

Gedreht wurde der Film in den Daiei-Kyoto Studios (1942 – 1971) in Japan. Aufgrund der strengen Zensur-Vorschriften musste das unentwickelte Rohmaterial für die Entwicklung des Films nach Frankreich ausgeflogen werden.

Nach der Premiere auf der Berlinale 1976 ließ die Staatsanwaltschaft (die in Person eines Staatsanwalts und zweier Richter bei der Premiere anwesend war) den Film beschlagnahmen wegen des Verdachts auf Pornographie. Als Verteidiger des Films trat der Rechtsanwalt Horst von Hartlieb (1910 – 2004) auf, einer der Initiatoren der Freiwilligen Selbstkontrolle FSK.
Am 17. März 1977 urteilte das Berliner Landgericht, der Film sei keine Pornographie. Erst 18 Monate später wurde er für die Kinos ohne Kürzungen zugelassen, freigegeben unter dem Prädikat ‚besonders wertvoll‘.

In Großbritannien wurde der Film erst 1989 für Aufführungen in Kinos klassifiziert. Davor konnte er nur in Filmclubs gezeigt werden, deutlich geschnitten.

Im Reich der Sinne – Folgen für Beteiligte

Die Darstellerin der weiblichen Hauptrolle Eiko Matsuda siedelte nach den Dreharbeiten nach Frankreich um – in Japan sah sie sich zu umfangreich feindlichen Reaktionen ausgesetzt.
Der Darsteller der männlichen Rolle Tatsuya Fuji fand erst nach zwei Jahren ohne Engagement in Japan neue Rollen.

Regisseur Nagisa Ōshima wurde später wegen Obszönität angeklagt, aber nach vierjährigem Verfahren freigesprochen.

Nagisa Oshima, Regisseur von Im Reich der Sinne, 2000 in Cannes
Nagisa Oshima at Cannes in 2000. – Rita Molnár – Own work – CC BY-SA 2.

Nagisa Ōshima wurde auch bekannt mit dem Film (1983) Merry Christmas, Mr. Lawrence mit Musik von Ryuichi Sakamoto, sowie (1999) Gohatto (‚gegen das Gesetz‘; über Homosexualität in Japan zum Ende der Samurai-Zeit).

Im Reich der Sinne als Chart-Hit

Der originale Film- Titel Ai no korīda wurde 1980 unter dem Titel Ai No Corrida von Chaz Jankel auf seinem Debut-Album verwendet. 1981 coverte Quincy Jones den Titel auf seinem Album The Dude. Später tauchten immer wieder Cover-Versionen in den Dance-Charts auf – meist ohne dass der Bezug zum Film deutlich wurde.

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Im Reich der Sinne (D) – 愛のコリーダ Ai no korīda (J) – L’Empire des sens (F) – In the Realm of the Senses (USA, UK)
Regie Nagisa Ōshima
Drehbuch Nagisa Ōshima (nach einem Roman von Yukio Mishima)
Produktion Nagisa Ōshima & Anatole Dauman (offiziell französische Produktion, Schnitt in Frankreich, um die japanische Zensur zu umgehen)
Japan / Frankreich 1976
Uraufführung 27. Januar 1976 Berlin Berlinale
Filmfestspiele Cannes 15. Mai 1976 (aufgrund er hohen Nachfrage mit insgesamt 13 Aufführungen, bis heute Cannes-Rekord)
Uraufführung digital restaurierte Fassung Filmfestspiele Cannes 19. Mai 2017
Laufzeit 109 Minuten / 107 Minuten (Release 2000) / 94 Minuten (rekonstruierte Version)


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Nachdenkliches

Schattenseiten und Selbstakzeptanz

„Der Mensch lebt umso entspannter, je mehr er Kontakt zu seinen Schattenseiten hat und diese annehmen kann.“
„Frei ist aber eher jemand, der von sich nicht verlangt, perfekt sein zu müssen.“
„Zu sich mit seinen Ängsten und Schwächen zu stehen, eröffnet den Weg zu einer echten Selbstsicherheit. Sie ist leiser als die mittels Dominanz-Getöse erzeugte, aber dafür tief und menschlich. Selbstakzeptanz statt Selbstoptimierung.“
Prof. Willi Butollo, Psychologe, Interview in der SZ 4.7.2019

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Erinnerungen Konzerte & Festivals Oldenburg

umsonst und draussen Wardenburg 1980

Es war nur ein einfaches Festival. Nichts großes, nichts besondere, einfach nur ein großer Acker, eine Bühne, Bands aus der Region.

umsonst und draussen Wardenburg 1980

Und es war, von später aus betrachtet, ein wichtiger Schritt für mich.

Ende der 1970er Jahre gab es in der Region, in der ich aufwuchs, erste open-air Konzerte. Nicht Riesen-Festivals für Zehn- oder Hunderttausende Zuschauer, sondern kleine lokale, höchstens regionale Veranstaltungen. Von jungen Menschen aus der Region auf die Beine gestellt. Oft unter dem Titel ‚Umsonst und draußen‘. Ein Titel, der Programm war. Kein Eintritt, mehrere meist lokale Bands, die ohne oder zu niedrigen Gagen auftraten, ein Bauer der einen Acker oder (eher) ein Stoppelfeld zur Verfügung stellte, viele Menschen die sich freiwillig und ohne Entgelt engagierten, vergleichsweise geringe Kosten durch Bier- und Getränkeverkauf refinanziert.

Eine Grundidee war ‚von uns für uns‘. Immer wieder gab es kurze Durchsagen, es würden einige Leute zum Getränkeschleppen gesucht, oder für einen Bühnenabbau, zum Aufräumen. Meistens fanden sich schnell genügend.

Hier lernte ich ganz praktisch: wenn du etwas willst was es noch nicht gibt, oder etwas anders willst als es derzeit ist – dann bekomm‘ den Arsch hoch und werde selbst aktiv! Nicht warten, nicht lamentieren irgend jemand müsse doch mal … – nein, selbst aktiv werden.

umsonst und draussen Wardenburg 1980 – Fotos

Wardenburg umsonst und draußen 1980
umsonst und draußen Wardenburg 1980

umsonst und draussen

Mitte der 1970er Jahre beginnen Bands, gemeinsame Auftrittsmöglichkeiten zu suchen. Aus einem ersten Konzert entsteht bald eine Idee, die sich schnell verbreitet: umsonst und draußen.

Umsonst und draußen – Festivals unter freiem Himmel und bei freiem Eintritt. Ein Gegenentwurf zu kommerziellen Groß-Konzerten und -Festivals. Kultur soll frei zugänglich sein für jedermann und -frau. Weitgehend ohne kommerzielle Interessen. Im Vordergrund das Miteinander und Begegnen.

Sehr früh mit dabei und bald in Norddeutschland sehr bekannt: ‚umsonst und draussen Wardenburg‚ später ‚open air Wardenburg‘.

Wardenburg ist eine Gemeinde südlich von Oldenburg, nahe meinem Geburtsort Delmenhorst.

Im Umfeld dieser umsonst und draußen – Bewegung entstanden auch Schallplatten – in den Jahren 1975 bis 1978 (und vor wenigen Jahren auf CD wieder veröffentlicht).

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Das Umsonst und Draußen Wardenburg gehört – wie die frühere Diskothek Rockpalast Delmenhorst und der Etzhorner Krug – zu meinen schönen Erinnerungen an meine Jahre in Delmenhorst, bevor ich nach Bremerhaven zog (und dort das Wally entdeckte).
Heute ist das Watt en Schlick Fest ganz in der Nähe in Dangast mein Lieblings- Festival …

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Frankreich Kulturelles Oldenburg

der Wind wird uns tragen – le vent nous portera

Le vent nous portera – Ein kleiner Song von Noir Desir, 2010 gecovert von Sophie Hunger, wird nach und nach zu einem viel gecoverten Indie-Hit.

2001 bringen Noir Desir auf ihrem Album Des Visages Des Figures einen Song, der zu einem kleinen Hit wird. Klang Le vent nous portera 2001 bei Noir Desir noch fast ein wenig zwischen Blues-Rock und Reggae, interpretierte Sophie Hunger ihn 2010 eher chansonhaft. Zahlreiche weitere Cover-Versionen folgen.

Mag das Leben noch so kompliziert sein, noch so viele Irrwege parat haben, Verletzungen, Hingabe und Wunden, mühsam sein und manchmal aussichtslos scheinen, der Wind wird uns tragen.

Ein Lied über Unabhängigkeit, Zärtlichkeit, Freiheit und Spuren. Keine Angst vor dem Weg haben. Jegliche Wendung des Weges mitgehen, bis es gut ist. Denn der Wind wird uns tragen.

Le vent nous portera / Noir desir (2001)

Bereits in den 1980er Jahren entstand in Bordeaux die Rockband Noir Desir, getragen insbesondere von Frontman Bertrand Cantat (geb. 5.3.1964 in Pau) und Serge Teyssot-Gay (geb. 16.5.1963 in Saint-Étienne). Eine Gruppe mit einer sich durch die Alben ziehenden Geschichte sehr kritischer Texte, engagiert antifaschistisch, antirassistisch, Kapitalismus-kritisch, Globalisierungs-kritisch.

Noir desir gilt, so laut.de, „neben Mano Negra als wichtigster Vorreiter für den modernen französischen Rock“. Bald wurden sie eine der populärsten französischen Rock-Gruppen (mit zeitweise Anklängen von Punk).

2001 veröffentlicht Noir Desir das Album Des Visages Des Figures. Darauf als dritter Track Le vent nous portera. Eine leichte, fast gefällig in einem dem Reggae nahen Stil daher kommende Musik (aufgenommen mit Manu Chao (geb. 21.6.1961 Paris) als Gitarristen).

Das Lied erscheint bald als erste Single-Auskopplung aus dem Album, wird ein Independant-Hit und erreicht Chart-Plätze (Italien z.B. 4 Wochen Nr. 1). Das zugehörige unter der Regie des französischen Musikvideo-Regisseurs Alexandre Courtes entstandene Video wird 2001 als Music Video of the Year ausgezeichnet.

Von Noir Desir erschien am 24. Januar 2020 ein weiteres Album mit elf zuvor nicht veröffentlichten Chansons aus den jahren 1997 bis 2002.

Le vent nous portera / Sophie Hunger (2010)

Im Jahr 2010 covert die Schweizer Sängerin Sophie Hunger (i.e. Émilie Jeanne-Sophie Welti, * 31. März 1983 Bern) den Song Le vent nous portera auf ihrem selbst produzierten zweiten Studio-Album 1983 als siebten Track.

Eine Interpretation, fast im Stil einer Ballade. Mit milder Stimme zur Gitarre, einem nahezu zaghaft anmutenden, liebevollen Saxophon. Nicht Zerbrechlichkeit, aber doch respektvolle, fast zaghafte Annäherung auf liebevolle Weise.
Hunger spielt den Song auch heute (2019) noch oft auf ihren Konzerten.

Sophie Hunger Konzert im Februar 2019 in Oldenburg

Hungers Chanson-Version wird im Jahr 2018 Titelsong der Arte- Miniserie Fiertés – Mut zur Liebe über drei Jahrzehnte gesellschaftlichen Kampf für die Rechte Homosexueller und gegen Aids.

https://youtu.be/AyUp1rnv7rY

weitere Cover-Versionen

Le vent nous portera wird im Laufe der Jahre ein Indie-Hit. Bertrand Cantat selbst singt dieses ‚kleine Chanson‘ weiterhin bei seinen Auftritten [Video 2018 in Lyon].

Im Laufe der Zeit wird der Song von zahlreichen Interpret_innen gecovert. Element of Crime singen ihn 2009 auf ihrem Album Fremde Federn (Track 17), eigentlich aufgenommen 2009 als Bonustrack des Albums „Immer da wo du bist bin ich nie“.

Der Indie-Rock-Chor Scala & Kolacny Brothers sind das Lied 2011 im Stil fast einer Happy Music mit Frauen-Chor und frühen Mickey-Comics [Video].

Einige weitere Beispiele: Das Jazz-Ensemble Mea Culpa aus Montreal interpretiert es neu [Video]. Ganz akustisch 2017 Cybèle Castoriadis und Orestis Kalampalikis [Video]. Ebenfalls akustisch 2010 Les Charbonniers de l’enfer [Video]. Oder ganz klein 2018 als jours hereux [Video].

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Nachdenkliches

Sterben und Tod

Sterben und Tod finden im Bewusstsein unseres Alltags kaum einmal statt. Wir wollen gut aussehend sein, fit und gesund, und wenn schon älter werdend dann zumindest gepflegt und adrett.

Das Thema Tod hatte 2018 mehr Bedeutung in meinem täglichen Leben als in den Jahren zuvor. Nach Jahren der Aids-Krise, in denen in den schlimmsten Jahren Tod beinahe täglich auch mit Thema war, war es ruhiger geworden. Gelegentlich starben Verwandte, Bekannte, nur sehr selten jemand der mir sehr nahe war.

Im vergangenen Jahr ist mein Vater nach langer Krankheit gestorben. Diese Zeit hat bei mir auch dazu geführt, mich an mein eigenes Erleben des Todes eines geliebten Menschen zu erinnern.

Die Begegnung mit dem Tod ist eine radikale Erfahrung

Die Begegnung mit dem Tod ist eine radikale Erfahrung. Die Radikalität dieser Erfahrung wurde mir brutal bewusst bei der Einäscherung von Jean-Philippe, der 1990 an den Folgen von Aids starb.

Paris, Cimetière du Père-Lachaise, Trauerhalle. Der Sarg mit seinem Leichnam steht zu Beginn der Trauerfeier auf der Bühne. Doch schon während der Zeremonie, abgehalten seinem Wunsch entsprechend von Mönchen eines japanischen buddhistischen Ordens, entgleitet der Sarg sanft nach unten. Ein schwarzes Loch im Boden verschluckt ihn. Auf seltsame Weise sehen es alle, doch niemand scheint Notiz zu nehmen. Die Zeremonie geht ungerührt weiter.

Jean-Philippe wird im Verlauf der Trauerfeier zeitgleich eingeäschert. Wir sitzen oben in der Trauerhalle, nehmen Abscheid. Eine Etage tiefer wird sein Körper verbrannt.

Am Ende der Trauerfeier, angekündigt von einem dezenten Gong, tritt ein leer dreinblickender Krematoriums-Angestellter aus der Kulisse. Überbringt Jean-Philippes Mann die Urne, in einem neutralen Papp-Karton verpackt.

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Die Radikalität dieser Erfahrung war damals, 1990, im körperlichen Sinn ein KO-Schlag für mich.
Irgendwie muss ich, in Tränen aufgelöst, nach draußen geflüchtet sein. Irgendwie. Nach langer Zeit der Suche fand mich Sylvain hinter Büschen auf einem Grab hockend, zitternd, in Tränen.
„Ich weiß“, sagte er nur, zog mich hoch, nahm mich in den Arm. Bugsierte mich zu seinem Wagen, und zum Rest der Trauergesellschaft, die in Jean-Philippe und Syriacs Wohnung beisammen saß.

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Natürlich ist mir bewusst dass Jean-Philippe nicht mehr am Leben ist. Aber er ist weiterhin Teil meines Lebens. Nicht permanent, nicht einmal oft. Doch es gibt diese Momente in denen wir uns ganz nahe sind, auch so viele Jahre nach seinem Tod.

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Ich weiß nicht einmal ob es ein Grab gibt, noch ob es nicht bereits wieder eingeebnet wurde (Jean-Philippe starb 1990). Ich habe nur eine einzige Photographie von ihm in der Wohnung, an meiner ‚Wand der Freunde‘.

Eine Grabstätte als Ort der Erinnerung brauchte ich selbst für mich, für mein gedenken nie. Mein Gedenken findet in mir statt. In meinem Seelengarten.

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Roland Barthes spricht (in Die helle Kammer) von einem ‚Gerinnungsmoment‚ der Photographie. Doch in diesem Photo an meiner ‚Wand der Freunde‘ ist für mich nichts geronnen. Es ist einfach Erinnerung an einen schönen Urlaub zusammen. Nicht mehr, nicht weniger.

Wenn es so etwas wie einen Gerinnungsmoment gibt, dann ist es dieser eine Augenblick im Krankenhaus.
Von diesem Moment habe ich kein Photo, benötige auch keines.
Dieser Moment ist direkt in meiner Erinnerung.

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Johann Michael Eder – Mann halb skelettiert (memento mori)
– Self-photographed, User:Mattes, 8 March 2014
CC BY-SA 2.0

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Wer sich für meine Zeit mit Jean-Philippe interessiert – ich habe darüber 2012 eine kleine siebenteilige Mini-Serie von Texten geschrieben, die hier zu finden sind: Jean-Philippe – Einige Tage mit dir

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Nachdenkliches

Hingabe Freiheit Autonomie Liebe und Sexualität

Hingabe – sich einem Menschen rückhaltlos hingeben, sich ihm aus eigenem freien Entschluss öffnen und vorbehaltlos zuwenden.

Hingabe ist ein Begriff, der oft Unbehagen auslöst. Assoziationen von Fremdbestimmung, Ausgeliefertsein, Selbstverlust weckt. Der Begriff berührt Hoffnungen, aber auch Ängste und Tabus.

Was bedeutet Hingabe? Und in welcher Beziehung steht sie zu Liebe, zu Sexualität, und zu Freiheit?

Zen Garten als Ort der Hingabe
Ort der Hingabe – ein Zen Stein-Garten (Hamburg, Neuer Botanischer Garten)

Versuch einer Eingrenzung

Hingabe meint sich jemandem zu öffnen und zuzuwenden. Mehr als ’nur‘ Zugewandtheit. Sich einem Menschen hingeben. Sich ihm widmen. Meint Offenheit. Den eigenen Schutzpanzer ablegen.
Sie scheint ein wenig jenseits des Verstandes zu liegen. Freiwillige Abgabe von Kontrolle. Freiwillige Nacktheit [vgl. Liebe und Verletzlichkeit].

Hingabe setzt einen Partner voraus. Zu ihr gehört immer auch ein Hinnehmen.

Hingabe meint, dass ich den anderen annehme so wie er ist. Sie macht sich nicht an Äußerlichkeiten fest. Sie hat als Voraussetzung für mein eigenes Hingeben an den anderen, dass ich mich selbst annehme

Hingabe ist ihrem Wesen nach freiwillig. Erfolgt aus eigenem Willen nach eigener überlegte Entscheidung in Freiheit [vgl. Freiheitsbegriff bei Hannah Arendt]. Sie kann dabei auch eigene Befreiung sein

Sie entsteht aus freien Stücken, aus in einem in der Person selbst ruhenden Bedürfnis heraus. Sie muss nicht explizit erfolgen. Auch unausgesprochene Hingabe ist möglich.

Hingabe ist das Gegenteil jener kruderweise auf die Ebene menschliche Begegnung übertragenen neoliberalen Markt-Denkweise, derzufolge ich mich „rar machen“ sollte, damit der andere mich mehr begehrt (wie ein Produkt, dessen Preis mit sinkender Verfügbarkeit steigt). Die Hingabe sagt ’siehe, hier bin ich, mit Haut und Haaren – nimm‘ mich, ich gebe mich dir hin, nimm‘ mich wie du begehrst‘.

Hingabe kann wechselseitig sein. So wie ich mich hingebe, völlig öffne, kann ich auch das sich Hingeben des Partners annehmen.

Hingeben beinhaltet ein Geben und Erfüllen ohne Erwartung, ohne Forderung. Bedeutet Loslassen bzw. Überwinden eigener Ängste, Erwartungen, Begierden.
Ohne Erwartung? Vielleicht doch die eine Hoffnung: im sich Hingeben aufgefangen zu werden.


Der Apostel Johannes an der Brust Christi (Christus-Johannes-Gruppe; Johannesminne), Schwaben (Bodenseegebiet), Anfang 14. Jh.; Eichenholz mit kleinen Resten originaler Fassung, Mantel des Johannes in neuerer Fassung, Photo: Andreas Praefcke, public domain

Hingabe Liebe Beziehung

Hingabe hat etwas beidseitiges – sie setzt immer den anderen voraus, der Hingeben annimmt. Sie ist eine mögliche Dimension einer Beziehung zwischen Menschen. Sie setzt emotionale Bindung voraus.

Als Grundlagen hat Hingabe Dankbarkeit und Vertrauen, in den anderen, aber auch in sich selbst.

Hingeben im Kontext von Liebe meint: der Liebende, der sich schenkt.

Hingabe kann ein Schritt sein. Zu mehr Nähe, mehr Intensität, mehr Wahrhaftigkeit. Wie eine Verwandlung.

Hingabe und Dominanz

Hingabe bedeutet nicht die Aufgabe des Selbst. Hingeben ist per se nicht Unterwerfung. Kann aber in Fortführung oder Umdeutung zu deren freiwilliger Form führen. [vgl. hierzu auch ‚Im Reich der Sinne‘, Nagisa Oshima 1976]

Hingabe und Dominanz – in welchem Verhältnis stehen sie? Und wie verträgt sich dies mit dem Ideal einer gleichberechtigten Partnerschaft?

Im Kontext von Dominanz kann ’sich hingeben‘ auch meinen ’sich jemandem ergeben‘. Einvernehmlich Asymetrie statt Gleichberechtigung. Ein Partner ist dominant, ein Partner unterwirft sich, ist devot, submissiv – aus Lust sich hinzugeben. Dem Partner Macht zu geben. Aus Vertrauen. Aus Liebe. Aus Freiheit.

Verletzlichkeit und Stärke

Ein naher und doch ungeliebter Verwandter der Hingabe ist die Verletzlichkeit. Wenn ich Angst habe verletzt zu werden, wird Hingabe schwerer bis unmöglich. Wenn ich mich hingebe, mich schenke, mache ich mich verletzlich. Freiwillige Verletzbarkeit. Vertrauen, in den anderen wie in mich selbst, mindert Angst, macht Angst beherrschbar – oder ganz entbehrlich.
Vertrauen ist eine Grundlage von Hingabe. Hingeben ohne begründetes Vertrauen, gar ins völlig Ungewisse wäre wohl nahe an Torheit. Die Hingabe wird möglich im Vertrauen darauf, liebevoll aufgefangen zu werden. Sie findet im Rahmen eines vertrauensvollen „wir“ statt

So wie sie Verletzlichkeit mit sich bringen mag, baut Hingeben gleichzeitig auf Stärke auf. Eigene Stärke als Basis der Hingabe. Selbstablehnung würde die Fähigkeit dazu beinträchtigen. Vertrauen, Erfahrung eigener Möglichkeiten und Stärke machen es umgekehrt leichter, Schutzmechanismen vertrauensvoll abzulegen, Risiken einzugehen, und sich hinzugeben. Das ‚ich‘ überwinden – und dabei ganz selbst sein. Nahe am Wesentlichen

Antagonisten der Hingabe sind zum Beispiel Routine, Langeweile, Desinteresse. Was geschieht wenn Hingabe fehlt, wenn eine Liebesbeziehung ambitionslos wird, wenn Bemühen fehlt und Routine einkehrt, hat Ian Curtis (Joy Division) in ‚Love will tear us apart‚ eindrücklich besungen.

Glück ist Liebe. Nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich.

Hermann Hesse, Über die Liebe

Hingabe und Geschlechterrolle

Wie steht es um das Verhältnis – ist Hingabe weiblich? Ist sie unmännlich?

Historisch wurde Hingeben lange als eine weibliche Eigenschaft betrachtet. Besonders deutlich brachte dies Fichte (s.u. Hingabe und Freiheit) zum Ausdruck, der damit vermutlich den gängigen Geschlechterrollen-Verständnis seiner Zeit gerecht wurde.

Die Zuschreibung der weiblichen Rolle an diese Verhaltensweise mag resultieren aus einem dichotomen Verständnis von Penetration als aktiv und passiv sowie dem Reduzieren weiblicher Sexualität auf ein vermeintlich passives Verhalten

Der Mensch, egal welchen biologischen Geschlechts, der sich einem anderen hingibt, kann sich körperlich weitgehend oder völlig passiv verhalten. Er kann aber auch selbst in seiner Hingabe, zu der er sich aktiv entschlossen hat, selbst körperlich aktiv verhalten.

Hingeben ist eine Möglichkeit, wie zwei Menschen mit einander agieren. Hingabe ist nicht weiblich. Sie ist nicht männlich. Sie ist menschlich.

Hingabe und Sexualität

In welchem Verhältnis stehen Sexualität und Hingabe? Sex ohne Hingeben sei ‚reiner Matratzensport‘, sagen die einen. Hingabe, womöglich sich verlieren geht nicht einher mit ‚Sex auf Augenhöhe‘, entgegnen andere.

Sich fallen lassen, den Kopf abschalten, Hemmungen ablegen, Leidenschaft statt Vernunft, ist das allein schon Hingabe (in sexuellem Kontext)?

Oder kommt zumindest das Fokussieren auf den anderen hinzu? Das weitgehende Außerachtlassen eigener Begierden und Gelüste? Die Auflösung der Ich-Bezogenheit zugunsten des ‚du‘ und eines ‚wir‘. Das Ausrichten der eigenen Aufmerksamkeit auf den anderen, seinen Körper, sein Agieren? Ohne Nachdenken, ohne eigene Kontrollinstanzen? Und ohne ‚Gegenleistung‘? Eine auf den anderen gerichtete Selbstvergessenheit?

Es gibt eine männliche Passivität die so ausgeprägt ist, dass sie sich in … der absolut entspannten Erwartung des Körpers [ausdrückt], seine Rolle zu erfüllen, seinen Sinn, Lust zu geben und zu empfangen.

Jeanne Moreau in der Rolle der ‚Lisiane‘ in Querelle (R.W. Fassbinder)

Hingabe ist asymetrisch.
Ein Mensch gibt sich dem anderen Menschen hin.
Wie kann Hingabe, wie kann diese Asymetrie passen in eine Zeit, in der die (auch sexuell) ausgewogene gleichberechtigte, ebenbürtige Beziehung das proklamierte Ideal ist

Ein Widerspruch, der nur vermeintlich existiert. Hingabe findet in einer  Konstellation statt, die einvernehmlich ist. Sie findet freiwillig statt. Sie drückt das Verhältnis zweier Menschen aus, sei es im konkreten sexuellen Akt, sei es in ihrer Beziehung mit einander.

Sich hingeben wie auch Hingabe annehmen kann der Ausdruck der Autonomie zweier frei von Fremdbestimmung handelnder Menschen sein.

Sexualität und Hingabe stehen in einem engen Verhältnis. Hingabe ermöglicht die Überwindung von Ich-Bezogenheit. Und kann ein möglicher Ausdruck von Autonomie, der Eigengesetzlichkeit in Freiheit handelnder Menschen sein.

die Frage der Freiheit

Eine Frage bleibt: kann wer sich hingibt noch frei sein? Kann ein Wesen der Freiheit zugleich Hingabe leben? Verletzt sich Hingeben nicht doch den Gedanken der Autonomie?

In welchem Verhältnis stehen Hingabe und Freiheit? In keinem guten, denken Philosophen wie Fichte und Immanuel Kant. Der sich hingebende Mensch gebe seine Freiheit auf, denken Fichte wie auch Kant, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten.

Johann Gottlieb Fichte denkt, die Frau werde mit ihrer geschlechtlichen Hingabe Mittel zum Zweck des Mannes. Der Frau sei der Trieb angeboren, durch Hingabe an den Mann ein eigenes natürliches Bedürfnis zu erfüllen. Dem der Mann mit Großmut begegne.

Hingabe sei ein passives Verhalten, betont Immanuel Kant. Genuß, angewiesen auf das Genießbare und damit in einer Abhängigkeit, sei generell ein passives Verhalten. Hingeben sei Passivität. Sei eine Abgabe menschlicher Freiheit.

Der lebenslange Junggeselle Kant ist der Ansicht, der Mensch der sich einseitig einem anderen hingibt, verliere Persönlichkeit und Menschenwürde. Er mache sich selbst [kantianisch ein schweres Vergehen] vom Subjekt zum Objekt. Hingabe widerspricht nach Kant der Menschenwürde.

Anders als Fichte, der den Freiheitsverlust ’nur‘ beim sich hingebenden Menschen (i.e. bei Fichte die Frau) sieht, betont Kant zudem, nicht nur der sich Hingebende, sondern beide Partner verlören ihre Freiheit, ihre Würde. Machten sich zum ‚Genußobjekt‘ für den jeweils anderen.
Einzig unter der Bedingung, dass dieser ‚Erwerb als Sache wechselseitig‘ ist, werde ihrer beider Persönlichkeit wieder hergestellt. Nehmen beide Partner wechselseitig die hingebende Rolle ein (die Fichte noch einzig bei der Frau sieht), nur dann könne Hingabe unter Wahrung der Menschenwürde möglich sein.

Kant und Fichte zum Trotz bleibt die Frage ist offen: ist Hingabe in Freiheit möglich?

Einzig und allein durch Hingabe kann man die absolute Wahrheit erkennen.

Buddha, Tibetisches Buch vom Leben und Sterben (Sogyal Rinpoche)

 Ja, es kann Hingabe in Freiheit geben.

Und wenn Hingabe mit Kant notwendig Selbstaufgabe, Objekt-Werden bedeuten sollte – ist dann eine Beziehung, in der einer der Liebenden sich dem anderen schenkt, überhaupt als Sich-Begegnen zweier freier Menschen denkbar, möglich?

Ja. Denn Hingabe ist Freiheit – oder: Hingabe kann Freiheit sein.

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„Die große Herausforderung des Lebens liegt letztlich darin, die Grenzen in dir selbst zu überwinden und soweit zu gehen, wie Du Dir niemals hättest träumen lassen.

(Paul Gauguin, 1848 – 1903)

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Für Jan

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Dir / Ihnen gefällt dieser Text? Oder du hast Widerspruch? Eine Überlegung, eine Anregung?

Ich würde mich sehr freuen über deinen Kommentar zu meinen Gedanken zum Thema Hingabe !