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Frankreich Politisches

Michel Foucault (1926 – 1984)

Der französische Philosoph Michel Foucault zählt zu den bedeutendsten Denkern Frankreichs im 20. Jahrhundert. Foucault wurde am am 15. Oktober 1926 in Poitiers geboren. Er starb am 25. Juni 1984 in Paris. Sein Grab befindet sich in einem kleinen Dorf nördlich von Poitiers.

Paul Michel Foucault wurde am am 15. Oktober 1926 in Poitiers geboren. Er war das zweite Kind seiner Eltern Paul-André Foucault aus Fontainebleau (1893 – 1959) und Anne-Marie, geb. Malapert, Tochter des örtlichen Chirurgen Dr. Prosper Malapert. Michel Foucaults Vater war Chirurg, Professor für Anatomie an der örtlichen Universität und übernahm die Praxis seines Schwiegervaters.

Im Dezember 1955 lernt er Roland Barthes kennen, der Beginn einer lebenslangen Freundschaft – auch wenn er sich gelegentlich als ‚anti – Barthes‘ sah.

Pascal Bruckner, der seine Doktorarbeit bei Barthes machte, erinnerte sich 2017, Foucault habe bei einem gemeinsamen Essen mit Daniel Defert in seiner Wohnung (rue Vaugirard) geäußert, er habe nie diesen Don Juan Mythos verstanden. Er können in einer Disco-Nacht Sex mit zehn Männern haben, ohne daraus einen Mythos zu machen.

Im Oktober 1960 lernt er den frisch zur École normale superieur zugelassenen Daniel Defert kennen. Ab 1963 leben beide in einer engen Partnerschaft.

1968 nimmt er auf Veranlassung von Hélène Cixous an der Gründung der revolutionären Universität von Vincennes teil, leitet den Bereich Philosophie.

Foucault schätzt Schriften und Filme von Pier Paolo Pasolini (1922 – 1975) sehr.

„Der Filmemacher Pasolini beobachtet mit all seinen Ohren“,

angesichts einer Gesellschaft, die im Begriff sei Worte zu finden um sich selbst zu definieren, bemerkt er angesichts des Films Comizi d’amore (in Frankreich gezeigt unter dem Titel Enquête sur la sexualité). Zu Salo merkt er an, er sei erstaunt über die Abwesenheit von Sadismus und von de Sade in dem Film. Es sei nicht möglich, de Sade, diesen akribischen Anatom in präszisen Bildern zu beschreiben. Entweder verschwinde de Sade, ob man mache cinéma de Papa.

1978 nimmt Foucault am Tunix-Kongreß in Berlin teil, ebenso Gilles Deleuze und Felix Guattari.

Eines von Foucaults Hauptwerken ist ‚histoire de la sexualité‚ (Sexualität und Wahrheit), ursprünglich auf sechs Bände angelegt. Drei Bände erschienen zu Lebzeiten, der erste ‚la volonté de savoir‚ (Der Wille zum Wissen) im Dezember 1976. Ein vierter Band erschien posthum 2018.

Der frühere Justizminister Robert Badinter, mit Foucault seit den 1970er Jahren bekannt, bezeichnete Foucaults Vorlesungen am Collège de France 2010 als weitsichtig. Foucault habe hier bereits damals zwei wesentliche Probleme von heute beschrieben, die Verfielfachung von Kontrolle sowie die Sicherheitsverwahrung.

Präsident Valery Giscard d’Estaing lud Foucault zu Beginn seiner Amtszeit zu einem Essen in den Elysée-Palast. Foucault soll geantwortet haben, er käme, sofern er den Präsidenten zur Affäre pull-over rouge (erste unter Giscard verhängte Todesstrafe) befragen dürfe. Giscard verweigerte eine Begnadigung, Foucault kam nicht zum Empfang.

Michel Foucault ‚erfand‘ auch den Namen des legendären bedeutenden französischen Schwulenmagazins Gai Pied, 1978, in der Küche seiner Wohnung (erinnert sich später Daniel Defert).

In Foucaults Zeit am Hamburger Institut Francais (ab September 1959, nach dem Tod seines Vaters) regte er den Schriftsteller Rolf Italiaander (der sich auch für die Rechte Homosexueller einsetzte) zu einer Ausstellung über afrikanische Kunst an.

Foucault und Poitiers

Die Familie, katholisch, gehörte zur gehobene Mittelklasse des bürgerlichen Städtchens mit etwa 80.000 Einwohner. Sie lebte in einem über 400 m² großen Bürgerhaus nahe dem Stadtzentrum in der 10 rue Arthur-Ranc (damals rue de la visitation).

Michel Foucault Geburtshaus in Poitiers
Michel Foucault Geburtshaus in Poitiers

Geburtshaus von / maison natale de / maison de naissance de / birthplace of Michel Foucault in Poitiers

Bis zum Alter von neunzehn Jahren lebte Michel Foucault in Poitiers. Hier besuchte er die Schule, zunächst die Lycée Henri-IV, ab 1940 bis 1945 das Jesuiten-Kolleg Saint- Stanislas.

Zu Poitiers hatte Foucault immer ein zwiespältiges Verhältnis.

Michel Foucault Geburtshaus – inzwischen mit Gedenktafeln

Michel Foucaults Geburtshaus trägt seit Mai 2003 (!, nahezu 20 Jahre nach seinem Tod) eine Erinnerungs-Tafel.

Zuvor wurde in Poitiers lange kaum an ihn gedacht. Bis heute sind in Poitiers kaum Erinnerungen an ihn zu finden. Einzig ein internationales Studentenwohnheim ist nach ihm benannt, sowie eine Straße.

Michel Foucault Geburtshaus in Poitiers - Gedenktafeln
Michel Foucault Geburtshaus in Poitiers – Gedenktafeln

„Maison Natale de Michel Foucault (1926–1984), Historien et Philosophe, Professeur au College de France“

Foucault und Vendeuvre

Michel Foucault verbrachte mit seinen Eltern viele Urlaube auf ihrem – von seinen Großeltern 1875 erbauten – Landsitz ‚Le Piroir‚ in dem Ort Vendeuvre im Poitou.

Hierhin zog sich die Familie auch 1944 bis 1945 zurück, nachdem das Wohnhaus der Familie in Poitiers von den Nazi-Truppen requiriert worden war (sein Vater lehnte die Vichy-Regierung von Pétain ab, engagierte sich jedoch nicht in der Résistance).

Immer wieder kehrte Michel Foucoult später nach Vendeuvre zurück. Das Haus befindet sich inzwischen nicht mehr in Familienbesitz. Eine Straße im Ort ist nach ihm benannt.

Foucaults Tod 1984

Bis April 1984 hielt Fucault noch Vorlesungen am Collège de France. Am 9. Juni 1984 wurde er in Paris mit neurologischen Komplikationen ins Krankenhaus ‚Hôpital de la Pitié Salpétrière‘ eingeliefert und starb dort am 25. Juni 1984 an den Folgen einer opportunistischen Infektion (Aids). Foucaults Umgang mit seiner Aids-Erkrankung ist bis heute umstritten.

Etwa 50 Personen Personen nahmen in der Pitié Salpétrière an einer Trauerfeier und Aussegnung für Michel Foucault teil.Darunter Yves Montand, Simone Signoret, Élisabeth und Robert Badinter, Bernard Kouchner, Pierre Boulez, Claude Mauriac, Thierry Voeltzel, Hervé Guibert, Jean Le Bitoux und natürlich Daniel Defert.

Anschließend wurde er am 29. Juni 1984 in Vendeuvre-du-Poitou auf dem örtlichen Friedhof im privaten Kreis beigesetzt.

Michel Foucault wurde in der Grabstätte seiner Mutter beigesetzt. Die Zeile „Professeur au Collège de France“ auf seinem Grabstein geht auf seine Mutter zurück – zum Entsetzen seines Partners Daniel Defert, wie dieser 2015 berichtete.

Michel Foucault Nachlass

Foucaults Nachlass beschäftigt viele Jahre später die französische Kulturpolitik.

Daniel Defert, damals 75jähriger französischer Soziologe und Aids-Aktivist und sein Lebensgefährte, entschied sich 2012 (auch anlässlich einer bevorstehenden Herz-Operation), sich von einem Teil des Nachlasses des Philosophen zu trennen.

Der über 37.000 Stücke umfassende Michel Foucault Nachlass wurde inzwischen als ‚trésor national‘ (Nationales Erbe‘) eingestuft.

Seit 2015 hat die Bibliothèque nationale de France das Foucault-Archiv Paris für 3,8 Mio. € von Defert übernommen.

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Michel Foucaults Grab – Fotos

Michel Foucault Grabplatte
Michel Foucault Grabplatte
Michel Foucault Grab
Michel Foucault Grab
Michel Foucault Grab
Michel Foucault Grab

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„Je suis un artificier (…). Je ne suis pas pour la destruction mais je suis pour qu’on puisse avancer, pour qu’on puisse faire tomber les murs (…). Je considère mes livres comme des mines, des paquets d’explosifs.“
(„Ich bin ein Handwerker. Ich bin nicht für Zerstörung, aber ich bin dafür, dass wir vorwärts schreiten, dass wir die Mauern einreißen können … Meine Bücher betrachte ich als Minen, als Sprengstoff-Pakete.“ [Übersetzung UW]

„Ne me demandez pas qui je suis et ne me dites pas de rester le même : c’est une morale d’état civil ; elle régit nos papiers. Qu’elle nous laisse libre quand il s’agit d’écrire.“
(„Fragt mich nicht wer ich bin, und sagt mir nicht ich solle der selbe bleiben: das ist Sache der Behörden, unsere Papiere in Ordnung zu halten. Mögen sie uns davon verschonen, wenn wir schreiben.“ in: L’Archéologie du Savoir, 1969 [Übers. UW])

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Michel Foucault Namen und Steine, Bonn

Michel Foucault Namen und Steine Tom Fecht Bonn 1993
Michel Foucault Namen und Steine Tom Fecht Bonn 1993

Stein für Michel Foucault, Namen und Steine – Kaltes Quadrat, Tom Fecht 1993 / Bonn Bundeskunsthalle

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siehe auch Schweigen des Intellektuellen oder Schweigen aus Scham? – wie Michel Foucault Aids sah

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Frankreich Politisches

Rechte in Frankreich: der Front National vor der Kommunalwahl 2014

Durchstarten – so ließe sich das Ziel der rechtsextremen Partei ‚ Front National ‚ für die Kommunalwahlen in Frankreich im März 2014 (Municipales 2014) zusammenfassen. Auf der Sommeruniversität des Front National, die am 14. und 15. September 2013 in Marseille stattfindet, sollen dafür weitere Grundlagen gelegt werden.

Parteigründer Jean-Marie Le Pen, langjähriger Parteichef, verachtete die Kommunalwahlen. Im Mittelpunkt seines Interesses stand das französische Parlament. Ihm waren Prinzipien wichtig, die Einhaltung der wahren (rechten) Lehre – einer der Gründe, aus denen heraus er parteinterne Konkurrenten (die durch Kommunalparlamente hätten groß werden können) kleinhielt.

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Bordeaux Politisches

Gewaltenteilung – erdacht von Montesquieu in Bordeaux

Gewaltenteilung ist heute selbstverständlicher Bestandteil moderner Demokratien. Erdacht wurde sie Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem in Bordeaux, von Montesquieu.

Gewaltenteilung

Gewaltenteilung – die Trennung staatlicher Gewalt in gesetzgebende Gewalt (Legislative), ausführende / vollziehende Gewalt (Exekutive) und richterliche Gewalt (Judikative) – ist heute Grund-Bestandteil moderner Demokratien. Montesquieu erdachte sie (De l’esprit des Lois / Vom Geist der Gesetze, 1748) in Bordeaux – jener wohlhabenden Stadt in Südwest-Frankreich, die sich schon seit langer Zeit möglichst entfernt hielt vom französischen Zentralismus.

Montesquieu, Statue auf der Place des Quinconces, Bordeaux
Montesquieu, Statue auf der Place des Quinconces, Bordeaux

Die Forderung nach strikter Trennung der Gewalten unter Wahrung eines hohen Grades an Unabhängigkeit sowie die Schaffung der hierfür erforderlichen Organe entstand in Reaktion auf die Machtkonzentration und potentielle Willkür des Absolutismus (ein machtvollkommener Herrscher ohne politische Mitwirkung anderer Organisationen) oder der Despotie. Die Gewaltenteilung diente und dient als Schutz vor Willkür – sowohl damals in der Monarchie als auch heute in Demokratie.

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Frankreich HIV/Aids

HIV-Selbsttest in Frankreich ab Jahresanfang 2014 ? (akt.)

Ab Ende 2013, spätestens Anfang 2014 Mitte 2015 wird könnte der HIV-Selbsttest ( HIV-Heimtest ) in Frankreich offiziell für bestimmte Personenkreise verfügbar sein. Dies berichten französische Medien.

Bereits im März 2013 hatte sich die Commission nationale du Sida (CNS; frz. Aids-Rat) unter bestimmten Bedingungen positiv zu einer etwaigen Zulassung des HIV-Heimtest (HIV-Selbsttest) in Frankreich ausgesprochen. Kurz darauf hatte sich auch der Nationale  Ethikrat positiv zum HIV-Selbsttest ausgesprochen. Gesundheitsministerin Marisol Touraine hatte kurze Zeit später die erforderlichen Schritte eingeleitet, die für eine Markteinführung des HIV-Selbsttest in Frankreich erforderlich sind.

Inzwischen hat Informationen von ‚Liberation‘ zufolge, die von der zuständigen ‚Agence nationale de sécurité du médicament‘ (ANSM) bestätigt wurden, der US-Hersteller OraSure einen Antrag auf Zuteilung des für die Inverkehrbringung erforderlichen CE-Kennzeichens gestellt. Der Hersteller selbst äußerte sich hierzu Liberation gegenüber nicht.

Der Preis dieses (in den USA bereist für 40$ verfügbaren) HIV-Heimtest dürfte in Frankreich bei 35 Euro liegen – ein Preis, dessen Höhe Aids-Aktivisten wie auch die französische Aidshilfe-Organisation Aides als deutlich zu hoch kritisieren. Aides fordert einen Preis von unter 20 Euro. Sollte der Hersteller hierauf nicht eingehen, fordert Aides vom französischen Gesetzgeber eine Subventionierung, um die Kostenschwelle für den HIV-Selbsttest niedrig zu halten.

Liberation 06.09.2013: Sida: bientot des autotests de depistage
Liberation 07.11.2013: Sida : les autotests disponibles en France en 2014
Yagg 07.1102013: Marisol Touraine annonce la mise en place des autotests en 2014

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Aktualisierung
07.11.2013: Gesundheitsministerin Marisol Touraine teilte auf Anfrage eines Abgeordneten der Sozialisten (PS) am 7. November 2013 mit, sie habe für die Einführung des HIV-Selbsttest (HIV-Heimtest) in Frankreich ‚grünes Licht‘ gegeben. Dieser werde Anfang 2014 für begrenzte genau definierte Bevölkerungskreise verfügbar sein („une population limitée mais bien identifiée“). Bei dem begrenzten Personenkreis soll es sich laut Touraine um Personen handeln, die „keine Test-Zentren oder Krankenhäuser [zur Durchführung eines HIV-Tests] aufsuchen wollen“.
1. Dezember 2014: Marisol Touraine kündigte an, HIV-Selbsttests würden in Frankreich ab dem 1. Juli 2015 über Apotheken verfügbar sein.

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siehe auch:
2mecs 22.03.2013: HIV Heimtest: Frankreichs Nationaler Aids-Rat empfiehlt Zulassung
2mecs 25.03.2013: HIV Heimtest : Ethik-Gremium CCNE spricht sich für HIV Heimtest aus, formuliert Vorkehrungen
2mecs 05.04.2013: HIV Heimtest Frankreich: Gesundheitsministerin für HIV Selbsttest, leitet für Zulassung erforderliches Bewertungsverfahren ein
2mecs 29.03.2013: HIV Heimtest – Zeit für eine breite unaufgeregte Debatte ?

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Frankreich

der Surfkurs

Surfkurs, Sommer 2000

Was diese jungen Kerle da können, am Strand, auch am schwulen Strand, das müssen wir doch auch hinbekommen?!!

Gesagt, getan – im Sommer-Urlaub 2000 buchen wir spontan eine Woche Surf-Kurs. Eine kleine Gruppe überwiegend männlicher Teilnehmer fast jeden Alters (nein, wir sind nicht die Ältesten) findet sich nun zusammen, jeden Morgen. Das bedeutet jeden Morgen pünktlich an der Surf-Bude sein, die Combinaison (die auch als Fetish-Kleidung durchginge) anziehen, das Board schnappen, Leach, dann aufwärmen und ab an den Strand – um 07:30 Uhr morgens, im Urlaub … Vielleicht hätten wir vor dem Buchen doch an Gezeiten und Tide denken sollen …

Mutig und müde stehen wir so jeden Tag in aller Frühe am Strand:

Surfkurs, Ulli, Sommer 2000
Surfkurs, Ulli, Sommer 2000

Ich schnappe mir ein klassisches Longboard (wie in den 1950ern üblich), Frank eines der heute üblichen kürzern Boards, und los geht’s …

Jeden Morgen sind wir also – das nennt man Urlaub ??? – sehr, sehr früh auf den Beinen, schleppen uns zum Stand, und geben unser Bestes.

Spätestens an Tag 3 allerdings wird deutlich: die jungen Dinger (16, 18 …) sind fixer als wir – nicht fixer im Lernen, sondern fixer auf den Boards. Sind beweglicher, flinker, wohl auch leichter.

Und am Schluss des Kurses bleibt: ja, wir haben ‚Wellen geritten‘, haben gesurft. Aber – Schuster blieb bei deinen Leisten, wir lassen die Boards zukünftig wohl doch besser stehen, bleiben aufmerksame und interessierte Zuschauer 😉

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Kulturelles

Fassbinders Querelle – “Identität, die den Tod als Möglichkeit mit einbezieht”

Er war sein letzter Film, und sein Meisterwerk: die Verfilmung des Romans “Querelle de Brest” von Jean Genet. Der Film “Querelle” wurde 1982 gedreht und erstaufgeführt am 16. September 1982.

Rainer Werner Fassbinder, geboren am 31. Mai 1945 in Bad Wörishofen,  starb am 10. Juni 1982 in München. Juliane Lorenz, Cutterin seiner letzten 14 Filme und langjährige Gefährtin (und seit 1992 alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der in Berlin ansässigen Rainer Werner Fassbinder Foundation RWFF), fand ihn morgens um 4 Uhr tot in seiner Wohnung.

Das Leben von Rainer Werner Fassbinder wird derzeit unter der Regie von Marco Kreuzpaintner verfilmt, der zusammen mit Gerrit Hermanns auch das Drehbuch verfasst.

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Einer der stärksten Filme von Fassbinder, der mich am meisten beeindruckt, ist sein (je nach Zählweise 41. oder 45. und) letzter Film: „Querelle„.

Der Film “Querelle” wurde 1982 in den Berliner CCC-Studios gedreht und erstaufgeführt nach Fassbinders Tod am 16. September 1982.

28 Jahre später, im Jahr 2009 kommt der Film neu heraus und in die Kinos – frisch restauriert. In die Kinos? Ja – in Frankreich, und scheinbar nur dort. Zudem erschien der Film in Frankreich am 20. Oktober 2009 auch als DVD mit umfangreichen Extras.

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In seinem letzten Interview (mit Dieter Schidor) sprach Fassbinder von Genets Querelle als dem „Stoff, der etwa dem entspricht, den ich selber erfinden würde, wenn ich erfinden würde.

„Bei „Querelle“ geht es um den Entwurf einer möglichen Gesellschaft, die nach aller Ekelhaftigkeit wunderbar ist. …
Homosexualität ist aber in „Querelle“ auch gar kein Thema. Das Thema ist die Identität eines Einzelnen und wie er sich diese verschafft. Das hängt damit zusammen, wie Genet sagt, daß man, um vollständig zu sein, sich selber noch einmal braucht. Darin gebe ich Genet vollkommen Recht.

Ulrich Behrens analysiert 2005 auf ‚Filmzentrale‘

„Im magischen Dreieck von Macht (Seblon, Mario), Geld (Nono, Querelle) und Sexualität (als Unterwerfungs- und Integrationsstrategie) offenbart sich Macht als Organisationsprinzip von Gesellschaft, die – ganz im Foucaultschen Sinne – weniger das Instrument einer herrschenden Klasse repräsentiert, als das Zentrum, um das sich eine ganze Gesellschaft samt ihrer Geschichte und damit auch den Mythen, die sich um diese Geschichte bilden, gruppiert. …
Die Entmachtung des weiblichen Prinzips, repräsentiert durch Lysiane, kontrastiert mit einer Suche nach Identität, die den Tod, das heißt die vollkommene Identität, permanent als Möglichkeit einbezieht.“

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Ich kann mich gut erinnern, als ich damals 1982 in Hamburg zum ersten mal Fassbinders „Querelle“ sah. Genets 1947 geschriebenen ‚Querelle de Brest‘ hatte ich zuvor mehrfach gelesen, doch es blieb das Gefühl, den Roman nicht verstanden zu haben. Und dann. Fassbinder verfilmt Querelle. Ich ging aus dem Kino, mit dem tiefen Gefühl ‚er hat ihn verstanden‘, und – er hat ihn zuende gedacht.

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„Jemand muss sich in die tiefsten Tiefen dieser Gesellschaft begeben, um sich für eine neue zu befreien oder sich befreien zu können. Dass jemand, der das tut, wie auch immer faszinierend ist, ist klar.“
(Rainer Werner Fassbinder in seinem letzten Interview mit Dieter Schidor)

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Gilles: „Komisch, wie schnell wir Freunde geworden sind.
Querelle: „Wir waren Freunde von Anfang an.

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Die Film-Welt des Querelle, eine Welt, in der Frauen weitestgehend außen vor sind. Selbst Lisiane, die einzige Frau mit Sprechrolle im Film, wirkt wie in einer anderen Welt.

Lisiane stand immer mehr außerhalb des Spiels
(off)

du bist doch bloß eine Frau
(Querelle, angetrunken, zu Lisiane auf die Frage „was ist mit mir“)

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Passivität und Hingabe

Es gibt eine männliche Passivität die so ausgeprägt ist, dass sie sich in … der absolut entspannten Erwartung des Körpers [ausdrückt], seine Rolle zu erfüllen, seinen Sinn, Lust zu geben und zu empfangen.
(Lisiane)

Ich weiß, dass ich dabei nichts riskiere. Es gibt absolut keine Gefühlsregung, die die Reinheit meines Spiels trübt. Dabei ist keine Leidenschaft. Es ist nur ein Spiel ohne Schwere. Zwei Männer, beide stark und vergnügt, wobei der eine davon sorglos, ohne Umstände zu machen, dem anderen seinen Hintern überlässt.
(Nono)

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Nein, als „Fassbinders am schwersten zugänglichen Film„, wie die Kritik damals formulierte, empfinde ich Querelle nicht. Als bewundernswertesten.

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Querelles Einvernehmen mit sich selbst war unzerstörbar

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weil ich eine todbringende Wunden in mir habe
(Querelle / Brad Davis)

Brad Davis starb 1991, 9 Jahre nach Fertigstellung des Films, nach langer Aids-Erkrankung an einer absichtlichen Überdosis Drogen

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Immer noch irritierend, dass Querelle in Deutschland nicht verfügbar ist, weder für das Kino noch als Konserve (und wie gut, dass es Fassbinders Querelle in Frankreich, sogar restauriert, als DVD gibt, und zudem mit deutschem Ton).

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Lesezeichen:
„In den Tiefen der Gesellschaft“ – Interview mit Rainer Werner Fassbinder. in: Evangelischer Filmbeobachter, Nr. 17, September 1982 (pdf)
Ulrich Behrens: „Querelle – Ein Pakt mit dem Teufel“

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Lacanau unterwegs

Unterwegs mit Bolly Duster – 6: ich bin noch heil, hab aber Konkurrenz bekommen!

Nun sind wir ja endlich da, Samstag mittags sind wir in Lacanau angekommen:

Bolly Duster ist angekommen in Lacanau
Bolly Duster ist angekommen in Lacanau

Hat alles gut geklappt, wir brauchten sogar nicht einmal auf die Wohnung zu warten, obwohl wir zu früh waren 🙂

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unterwegs

Unterwegs mit Bolly Duster – 5: alles eine Frage des Namens

Bolly war ja nu zwei Tage in Bordeaux, ausruhen. Die beiden waren viel unterwegs, ich hab eher verschnauft …

Woder denn mein Name kommt, fragt da einer. Na wo se mich so fragen, also … na wie soll ich sagen … die Schlankeste bin ich ja eben nich, mit der Taille … aber immerhin … ach … finden Sie? … ja? … ach danke, „vollschlank“ … is ja nett … det freut mich ja 🙂 … Also da passt Bolly doch ganz gut, find ich.

Boly hat übrigens nix mit Indien und Celluloid zu tun, wie se vielleicht vermutet haben. Nee, Film, det wär ja was Feines, hat aber bisher nicht geklappt. Aber man weiß ja nie …

Ich komm eher so ausser Nähe von de Karparten, allerdings mit französische Eltern.
Eigentlich bin ich ja sogar was Besseres, mein voller Name is ja ‚Bolly Duster de Relieur‘. Aber det mit dem Adel, is ja auch längst vorbei. Also für Sie einfach Bolly, ja?

Meinen Namen ham se mir ja sogar draußen dran geschrieben, also den Familiennamen jedenfalls, sehn se?

Bolly Duster
Bolly Duster

Hier in Frankreich sind übrigens auffällig viele aus unserer scheinbar doch recht großen Fam,ile untwegs, auf der Autobahn hab ich schon einige Verwandte gesehen, und neulich auf’m Parkplatz sogar direkt neben mir … war aber kein ‚de Relieur‘ 😉

Bolly Duster trifft Verwandte
Bolly Duster trifft Verwandte

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Kulturelles

Runge Farbkugel (1810)

Philipp Otto Runge (geb. 23.7.1777 Wolgast, gest. 2.12.1810 Hamburg) schuf 1810 das erste dreidimensionale Farbsytem: die Runge Farbkugel .

Nach Runge sind fünf Farben Bestandteil aller Farbmischungen: blau, gelb und rot sowie schwarz und weiß. Runge stellte diese 1810 in Form einer Kugel dar – wobei schwarz und weiß als ‚Pole‘ fungieren, während die drei subtraktiven Primär-Farben (und ihre Mischfarben) sich um den ‚Äquator‘ gruppieren. Zum Norden hin werden sie duch zunehmendes Weiß heller, zum Süden durch zunehmendes Schwarz dunkler.

Runge Farbkugel (Foto der Animation im Rungehaus Wolgast)
Runge Farbkugel (Foto der Animation im Rungehaus Wolgast)

Zu der Zeit, als er diese Farbkugel entwickelte, war Runge in engem Konktakt mit Goethe. In einem Brief an Goethe formulierte Runge am 21. November 1807 erstmals seine Idee, die Farben in Form einer Kugel darzustellen. 1810 veröffentlichte er schließlich sein Werk „Farbenkugel oder Konstruktion des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zueinander und ihrer vollständigen Affinität; mit angehängtem Versuch einer Ableitung der Harmonie in den Zusammenstellungen der Farben„.

Eine Animation der Runge Farbkugel ist zu sehen im Runge-Haus Wolgast .

Farbenkugel Runge, Nachbau (1971), Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Foto 2023)
Farbenkugel Runge, Nachbau (1971), Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Foto 2023)

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Auch sehenswert in Wolgast: das Eisenbahndampffährschiff Stralsund sowie die Hans Poelzig Sparkasse Wolgast 1930/31

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Grabstein für Philipp Otto Runge in Hamburg, Friedhof Ohlsdorf
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Frankreich

Unterwegs mit Bolly Duster – 4: hoch und weit zwischen Nord und Süd

Zwei Tage war Bolly in Le Havre. Hat ganz nett gewohnt – im Seemannsheim. Aber nicht dass bei Ihnen die Phantasien durchgehen, Bolly war ganz anständig.

Dafür war’s nach dem Pausen-Tag gestern heute richtig anstrengend. Heute Morgen noch Le Havre, und heut Abend schon in Barbezieux, nahe Alencon Angouleme – das ist weit. Und warum? Wir wollten eigentlich an die Charente – aber eine ganze Region war ausgebucht, und das wegen eines Fahrrad-Rennens!

Ulli am Steuer

Ulli am Steuer

Aber heute war’s nicht nur weit, sondern auch heute.  Hoch über der Seine sind wir gefahren, auf der wunderbaren Pont de Normandie.

Bolly Duster auf der Pont de Normandie
Bolly Duster auf der Pont de Normandie

Und Hochklultur hatten wir auch … auf einem Friedhof, in einem Dorf nahe Potiers. Schreiben die bestimmt noch drüber.

Abends sind wir völlig unerwartet in einem netten Hotel gelandet, da steh ich jetzt hinter’m Haus und ruh mich aus, während die beiden für relativ wenig Geld ziemlich gut gegessen haben (Chez Nicot in Barbezieux).