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ACT UP Paris – Liquidation 2015 knapp vermieden

Zuletzt aktualisiert am 13. Februar 2020 von Ulrich Würdemann

Steht ACT UP Paris vor dem Aus? Die seit 1989 bestehende, allerdings selbst unter Positiven nicht unumstrittene  Aids-Aktionsgruppe kämpft mit großen finanziellen Problemen. Am 24. März 2014 hat ACT UP alle Zahlungen eingestellt. Inzwischen steht die Präsidentin wegen einer Aktion im Sommer 2013 unter Anklage. Über Fortführung oder Liquidation entschied das Gericht. Letztlich konnte die Zwangs-Liquidation abgewendet werden.

ACT UP Paris stirbt – der Epidemie geht’s gut„, klagt die Internetseite der Gruppe:

ACT UP Paris vor dem Aus? (Screenshot actupparis.org 25.2.14)
ACT UP Paris vor dem Aus? (Screenshot actupparis.org 25.2.14)

Ende März ist es zu spät, dann gibt es ACT UP Paris nicht mehr„, betont die Aktionsgruppe in einem aktuellen Spendenaufruf, und fragt „Fällt der Vorhang für eine Organisation, die seit 25 Jahren gegen AIDS kämpft?„.

Nicht nur auf ihrer eigenen Internetseite, sondern auch in sozialen Netzwerken kämpft die Gruppe um Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel. Mittels einer Internet-Petition (die bisher, 25.2.14, 16:40  26.2., 17:30 Uhr) von gut 300 750 Personen gezeichnet wurde) sowie Aufrufen fordert die Gruppe von der französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine, ACT UP Paris zu finanzieren.

ACTUP Paris wurde (wie die Mehrzahl der ACT UP Gruppen) 1989 gegründet. Erster Präsident war Gründer Didier Lestrade, auf den 1992 der legendäre Cleews Velay folgte.

Während die ACT UP Gruppen in Deutschland (ähnlich wie die meisten ACT UP Gruppen in den USA außer New York) ihre Arbeit ab 1993 einstellten, viele Aktive in den Therapieaktivismus wechselten, machte die Pariser Gruppe weiter. Allerdings veränderte sie sich.

Ein Name, der stark für diese Veränderungen steht: Emma Cosse. Emmanuelle Cosse war 1999 bis 2001 Präsidentin der Aids-Aktionsgruppe. Im Vorfeld ihrer Wahl am 26. September 1999 sorgte sie für intensive Diskussionen – Cosse tritt an unter dem Motto ‚fille, hétérosexuelle et séronégative‘ (junge Frau, hetero und HIV-negativ). Ihre Wahl markiert das Ende einer Epoche.

Cosse war Anfang der 1990er Jahre zu der Gruppe gestoßen und war Verantwortliche für eine der spektakulärsten und bekanntesten Aktionen von ACT UP Paris: der Verhüllung des Obelisken auf dem Place de la Concorde in Paris im Herbst 1993 mit einem riesigen Kondom. Und Emma Cosse stand nach ihrer Wahl zur Präsidentin für eine deutliche Professionalisierung der Gruppe.

Eine Professionalisierung, die nicht nur Arbeitsweisen und Strukturen betraf, sondern auch Finanzierung. So wurde die Gruppe im Laufe der Zeit zu einem ‚Unternehmen‘ – die Gruppe erhielt (bereits seit Beginn der 1990er Jahre) nicht nur finanzielle Mittel in beträchtlicher Höhe von der Pharmaindustrie (noch 2013 Einnahmen von 101.000 € von fünf Unternehmen der Pharmaindustrie), sondern auch Zahlungen in bedeutender Höhe von Regierungsstellen. In besten Zeiten hatte ACT UP Paris ein jährliches Budget im hohen sechsstelligen Bereich (z.B. Ausgaben 2003: 693.000€;  2007: 622.000€).

Noch 2012 hatte ACT UP Paris ein Jahres-Budget von 875.000 Euro und 11 fest angestellte Mitarbeiter – was die Gruppe selbst als „sehr reduzierte Struktur angesichts ihrer Aufgaben“ („une structure très réduite„) bezeichnete.

Nachdem sich die finanziellen Probleme bereits seit längerem abzeichneten, wurden sämtliche Angestellten Ende 2013 entlassen.

Heißt es nun Schluß mit ACT UP Paris?
AIDS ist Krieg – Geld ist sein Nerv, spende an ACT UP Paris, auch wenn es nur wenige Euro sind!

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Auch die französische Aidshilfe-Organisation Aides hat derzeit mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, sie ist derzeit im Begriff einen beträchtlichen Teil ihrer Angestellten zu entlassen – was u.a. zu Protesten und Streiks führte.

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Die aktuellen Meldungen über das mögliche Ende von ACT UP Paris kommentierte ein HIV-Aktivist aus Paris mit dem Seufzer „Endlich!“

ACT UP Paris ist seit langem auch bei HIV-Positiven in Frankreich in der Kritik – nicht nur wegen der Verwendung von Metaphern, die eher aus den Zeiten der frühen Jahre der Aids-Krise stammen („AIDS ist Krieg“, s.o. – vgl. hierzu auch: „Aids ist keine düstere Bedrohung mehr!„). Die Organisation hatte lange das EKAF-Statement bekämpft, sich geweigert die Nicht-Infektiosiätät bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie anzuerkennen. Die von vielen oftmals als ‚gestrig‘ oder ’stalinistisch‘ kritisierten Positonen und die vermisste Dialogbereitschaft der Gruppe bildeten auch das Umfeld der Etablierung anderer politischer Positiven-Strukturen wie der in Frankreich, Belgien und Kanada aktiven Gruppe ‚The Warning‘ (vgl. hierzu „Warning : „Wir haben die Schnauze voll von Herablassung und Ignoranz“„).

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Aktualisierung
07.02.2014, 12:00 Uhr: Die Petition an Gesundheitsministerin Touraine hat die Zahl von 4.000 Unterstützer/innen überschritten.
25.03.2014: Die Petition hat inzwsichen gut 4.800 Unterstützer/innen.
Der Publizist und Mit-Gründer Didier Lestrade (der die Gruppe schon länger kritisiert) fragt aktuell in einem Kommentar (s.u.) „Wenn die Mitarbeiter von La Redoute entlassen werden, wenn alle Wohlfahrtsorganisationen im Land dabei sind ihre Kosten zu senken, fragt man sich, warum ACT UP einen privilegierten Statsu haben sollte. Denn dies istb nichts weiter als der letzte Notruf einer Organisation, die keine Menschen mehr anzieht, und die nicht sterben kann. … Es ist an der Zeit, Schluß zu machen mit ACT UP. Punkt.
Das ‚vorläufige Jahresbudget‘ für das Jahr 2013 wies noch die Summe von 869.000 Euro aus, darunter 150.000 € von Unternehmen der Pharmaindustrie.
Im Zeitraum 1999 – 2000 erhielt ACT UP Paris die Summe von 500.000 Francs an Subvention von der DGS (Gesundheitsministerium). Bis dahin hatte die Gruppe jegliche Subvention aus öffentlichen geldern abgelehnt. (l’Express, 25.11.1999)
28.03.2014: Seit dem 24. März 2014 ist die Gruppe insolvent, melden französische Medien. Bei der letzten Sitzung am 20. März 2014 beschlossen die Mitglieder die Einleitung des Konkursverfahrens. Die Angestellten von ACT UP Paris waren bereits im januar 2014 arbeitslos geworden.
07.04.2014: ACT UP Paris hat inzwischen auf einer Crowdfunding-Platform eine bis zum 4. Juni 2014 befristete Finanzierungs-Kampagne gestartet. Wer solle denn die Stimme erheben für „die Kranken“, wenn nicht sie, so die Gruppe.
25.04.2014: Gegen Präsidentin Laure Pora wurde am 24. April 2014 Anklage erhoben. Einige Aktivist/innen der Gruppe hatten am 4. August 2014 die Fassade der ‚Fondation Jérôme-Lejeune‘ angegriffen. Die Kommunikationsabteilung dieser Stiftung wird geleitet von der Präsidentin der Homoehe-Gegner der ‚manif pour tous‘.
16.05.2014: ACT UP Paris sieht sich mit einer Klage zweier ehemaliger Beamter des Wirtschaftsministeriums konfrontiert, deren  Namen die Gruppe in einer Pressemitteilung im Zusammenhang mit Kritik an den ACTA-Verhandlungen genannt hatte. Der Prozeß, so erfolgreich, könne sie existentiell bedrohen, Unterstützer mögen bitte spenden, so die Gruppe.
01.07.2014: ACT UP Paris wurde am 1. Juli 2014 vom Vorwurf der Diffamierung freigesprochen, teilte die Gruppe mit, verbunden erneut mit einem Spendenaufruf.
Am 19. Juni 2014 wurde das Konkursverfahren eröffnet.
18.11.2014: Die Generalversammlung von Paris setzt auch 2015 ihre finanziellen Zuwendungen für Aids-Organisationen fort, darunter auch ACT UP Paris.
02.06.2015: Am 4. Juni 2015 wird das Gericht über die Liquidiation entscheiden.
Die Gruppe hat inzwischen ihren ‚historischen‘ Sitz an der rue Sedaine (XI Arr.) aufgegeben und ist in günstigere Räume im XIX Arr. umgezogen.
04.06.2015: ACT UP Paris teilte auf seiner Facebook-Seite mit, auf der heutigen Anhörung vor dem Tribunal de Grande Instance (TGI) sei bekannt geworden, dass sich nicht alle Gläubiger zu dem Rückzahlungsplan der Organisation geäußert hätten. Aus diesem Grund werde die Frist um weitere drei Monate verlängert. Das Gericht entschied daraufhin, die Frist bis zum 19. September 2015 zu verlängern. Am 17. September 2015 um 14:30 Uhr werde erneut über das Insolvenzverfahren verhandelt. Dann wird eine Entscheidung zu treffen sein zwischen einer Annahme des Weiterführungs-Konzepts , oder einer Liquidation der Organisation.
01.12.2015: Ein für ACT UP Paris schwieriges Jahr neigt sich dem Ende zu. Doch letztlich erfolgreich – die Zwangs-Liquidation konnte vermieden werden, das Handelsgericht schätzte das Konzept des Vereins als machbar und tragfähig ein. Allerdings kann der Vereinsbetrieb nur noch mit einem Beschäftigten und drastisch reduzierten Fixkosten aufrecht erhalten werden.

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Vieles aus den Beständen von ACT UP Paris ist inzwischen online recherchierbar auf den Internetseiten des MUCEM Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée in Marseilles

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zu ACT UP siehe auch zahlreiche verlinkte Artiklel auf der Übersichts-Seite ACT UP – dort u.a. auch meine persönlichen ACT UP Erinnerungen.

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

29 Antworten auf „ACT UP Paris – Liquidation 2015 knapp vermieden“

Was AIDS betrifft, so bin ich der Auffassung, dass die EKAF-Richtlinien für einige Betroffene hilfreich sein können. Aber damit und mit dem sogenannten „Risiko-Management“ wird das Virus nicht aus der Welt geschafft! Schon gar nicht mit zunehmend legalisierten Drogen. Die Diskussion, warum alle wieder ungeschützt Säfte tauschen wollen, hat gar nie angefangen!

[…] Die 1974 in Paris geborene Politikerin der französischen Grünen EE-LV Emmanuelle Cosse wurde am 11. Februar 2016 zur neuen Wohnungsbau-Ministerin in Frankreich ernannt. Ende der 1990er Jahre wurde Emma Cosse bekannt als Aktivistin und später Präsidentin der Aids-Aktionsgruppe ACT UP Paris, die 2015 nur knapp die endgültige Insolvenz abwenden konnte. […]

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