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Frankreich HIV/Aids

wie Michel Foucault Aids sah

Zuletzt aktualisiert am 8. Februar 2023 von Ulrich Würdemann

Der französische Philosoph Michel Foucault (1926 – 1984) starb 1984 an den Folgen von Aids. Zu Lebzeiten soll Foucault Aids als ‚erfundene Krankheit‘ bezeichnet haben. Seine eigene Infektion und Erkrankung erwähnte er zu Lebzeiten öffentlich nie. Das ‚Schweigen eines Intellektuellen‘ – oder Verbergen aus Scham, wie ein früherer enger Freund und Zeitgenosse meint?

Der französische Philosoph Michel Foucault wurde am am 15. Oktober 1926 in Poitiers geboren. Foucault starb am 25. Juni 1984 in Paris an den Folgen von Aids.

Foucaults Umgang mit HIV / Aids wird bis heute kontrovers betrachtet.

Michel Foucaults Tod an den Folgen von Aids

Im Sommer 1983 erkrankte Michel Foucault an einem trockenen Husten. Er bestand jedoch darauf, es handele sich um einen harmlosen Infekt.

Erst im Krankenhaus wurde seine HIV-Infektion diagnostiziert. Foucault wurde mit Antibiotika behandelt. Hierüber schrieb er später an Maurice Pinguet „Ich dachte schon ich hätte Aids“.

Am 1. Februar 1984 spricht er, Abweichungen vom geplanten Vorlesungsverlauf erklärend, bei einer Vorlesung am Collège de France auch über Krankheit, „j’ai été malade, très malade“ (Ich war krank, sehr krank). Am 21. März ergänzt er „j’ai un peu et meme tout à fait la grippe“ (Ich habe ein bisschen, eigentlich sogar ziemlich die Grippe).

Am 28. März 1984 hält Foucault seine letzte Vorlesung am Collège de France, ‚Le courage de la verité‚. Er schließt mit den Worten „Il est trop tard. Alors, merci“ (Es ist zu spät. Ich danke Ihnen).

Am 3. Juni findet ihn sein Partner Daniel Defert in der Küche seiner Wohnung in Paris zusammengebrochen vor. Foucault wird zunächst in das Krankenhaus Saint-Michel eingeliefert, bald in das Hôpital de la Salpêtrière verlegt. Neurologische Komplikationen sind aufgetreten. Er verstirbt hier [ausgerechnet an dem Ort, der der Hintergrund seiner Doktorarbeit Histoire de la Folie war] am 25. Juni 1984.

Michel Foucault wurde nahe Poitiers beigesetzt.

Michel Foucault Namen und Steine Tom Fecht Bonn 1993
Michel Foucault Namen und Steine Tom Fecht Bonn 1993

Foucault Aids ? – zunächst ein Gerücht

Foucaults HIV-Infektion war bis zu seinem Tod nur wenigen engen Freunden bekannt.

Am Tag nach seinem Tod allerdings meldete die Zeitung Liberation u.a. das Gerücht, er sei an den Folgen von Aids verstorben.

Eine Stellungnahme seiner Familie am darauf folgenden Tag hingegen ließ HIV / Aids unerwähnt.

Foucault Aids – späte Bestätigung

Daniel Defert, Foucaults Lebenspartner, gründete nach dessen Tod die französische Aidshilfe-Organisation Aides.

Am zweiten Todestag von Michel Foucault 1986 teilte Daniel Defert offiziell mit (im Advocate, Ausgabe März 1986), Foucault sei an den Folgen von Aids gestorben.

Einer breiteren Öffentlichkeit wird Foucaults HIV-Infektion und Aids-Tod erst 1990, mit Veröffentlichung des Romans ‘Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat‘ von Hervé Guibert bekannt.

Foucaults Umgang mit HIV / Aids – kontrovers diskutiert

Foucaults Umgang mit seiner HIV-Infektion wurde oftmals kontrovers diskutiert (siehe u.a. der ‚unveröffentlichte‘ „Letter to The Times Literary Supplement“ (pdf); siehe auch literarisch Hervé Guibert; Biographie Eribon; James Miller).

Edmund White, 1983 nach Paris gezogen, berichtete, Foucault habe damals

über Aids gelacht„, dies sei „eine erfundene Krankheit, um die Schwulen für ihren ‚unnatürlichen‘ Sex zu bestrafen.“

Daniel Defert, Foucaults Lebensgefährte, berichtet, Foucault habe erst zwei Tage vor seinem Tod davon erfahren, dass er Aids habe.

Der Philosoph Jean-Paul Aron (am 20. August 1988 an den Folgen von Aids gestorben) ging seit 1987 offen mit seiner HIV-Infektion um. Er, in den 1950er Jahren ein enger Freund Foucaults, bemerkt über Foucaults Umgang mit seiner eigenen Aids-Erkrankung (in seinem Buch ‚Mon sida‘‚ 1988):

Foucault était l’homme du langage, du savoir et de la verité, point du vecu et du sens. Il était aussi homosexuel. Il en avait honte, tout en le vivant parfois de façon insensée. Son silence devant la maladie m’a indisposé parce que c’était un silence de honte, pas un silence d’intellectuel. Ç’était tellement contraire à ce qu’il avait défendu! Ça m’a paru ridicule!
(‚Foucault war ein Mensch des Wortes, des Wissens, der Wahrheit, Kulminationspunkt von Leben und Sinn. Und er war homosexuell. Dafür schämte er sich, auch wenn er sie in manchmal exzentrischer Weise auslebte. Sein Schweigen der Krankheit gegenüber erfüllt mich mit Abneigung, weil es ein Schwiegen der Scham war, nicht das Schweigen eines Intellektuellen. Das stand dermaßen dem konträr gegenüber was er verteidigte. Das schien mir lächerlich!‘; Übers. UW)

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Zum Umgang mit Aids Mitte und Ende der 1980er Jahre in Frankreich siehe auch Homosexuelle und Aids in Frankreich in den 1980er Jahren – Reaktionen in französischen Schwulenszenen in den ersten Jahren der Aids-Krise

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

4 Antworten auf „wie Michel Foucault Aids sah“

[…] Bis April 1984 hielt Foucault noch Vorlesungen am Collège de France. Am 9. Juni 1984 wurde er in Paris mit neurologischen Komplikationen ins Krankenhaus ‚Hôpital de la Pitié Salpétrière‘ eingeliefert und starb dort am 25. Juni 1984 an den Folgen einer opportunistischen Infektion (Aids). Foucaults Umgang mit seiner Aids-Erkrankung ist bish heute umstritten. […]

Interessanterweise hatte Foucault was Aids anging sowohl Recht als auch Unrecht. Sein Irrtum ist irgendwo bezeichnend für seine Philosophie, die die physische Realität so sehr hinter der sozialen Konstruktion verschwinden sieht, dass man meinen könnte sie existiert für Foucault und die die nach ihm kamen nicht mehr. Und doch wurde er von dieser Realität letztendlich eingeholt.
Auf der anderen Seite war seine Vermutung, dass Aids nur ein Konstrukt ist, Homosexuelle zu diskreditieren, auch wahr und berechtigt. Zwar gab es die Krankheit wirklich, aber sie wurde eben oft als Krankheit gesehen, die nur Schwule bekommen, woraus sich dann eine Unnatürlichkeit oder eine Strafe Gottes ableiten lässt.
Insofern war Aids eben doch auch diskursiv konstruiert, wenn auch mit einem „wahren“ physischen Kern.

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