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Deutschland

Stadthalle Bremen 1961/64

Eine weithin unbekannte architektonische Perle – die leider bei der Sanierung verhunzt wurde – ist die Stadthalle Bremen.

1961 bis 1964 wurde die Stadthalle Bremen nach Plänen des Architekten Roland Rainer errichtet. Am 31. Oktober 1964 wurde sie eingeweiht. Ihre Besonderheit – neben dem prägnanten Äußeren – ist war ihr aus einer Hängeseil-Konstruktion bestehendes Tragwerk.

Ein Betondach „wie ein gespanntes Segel„, wie der Architekt es beschrieb. Ein Segel, das von Stahlseilen gespannt wird, Stahlseile, die von sechs an der Seite der Halle stehenden weithin sichtbaren markanten Pfeilern gehalten werden.

Werden? Nein, wurden.

Stadthalle Bremen – Foto

Stadthalle Bremen
Stadthalle Bremen

Genau diese Tragwerks-Konstruktion wurde bei der Sanierung 2004/05 verändert (die Bremer Stadthalle stand nicht unter Denkmal-Schutz).

Und so gaukeln die außen noch vorhandenen Pfeiler weiterhin vor, die Tragwerkskonstruktion sei noch komplett vorhanden und erfülle ihre vom Architekten vorgesehene Funktion. Dem ist jedoch nicht so: das Innere der Bremer Stadthalle wurde bei der Sanierung drastisch umgebaut, die Tragwerksstruktur ebenfalls massiv verändert – so dass die statische Funktion der Hängeseil-Konstruktion nicht mehr existiert.

Architekt Roland Rainer lehnt seit der Sanierung die Nennung seines Namens als Architekt der Stadthalle ab. Und der Landeskonservator bezeichnete sie nach der Sanierung als „ein gerupftes Huhn“ …

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Die Stadthalle – ein weiteres trauriges Beispiel (neben z.B. dem Abriss der Kölner Kunsthalle von Franz Lammersen 1967 oder des ‚Ahornblatts‘ von Ulrich Müther in Berlin) dafür, wie wenig respektvoll der Umgang mit der Architektur der Nachkriegs-Moderne in Deutschland ist.

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Nebenbei, ja, ich weiß, dass sie seit 2005 einen (genauer, derzeit bereits den zweiten) Sponsoring-Partner-Namen trägt. Muss man nicht mögen. Mir ist der Name Stadthalle Bremen auch weiterhin lieber.

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Hamburg Kulturelles

Ernst-Barlach-Haus Hamburg

Es ist für mich das feinste und schönste der Barlach-Museen: das Ernst-Barlach-Haus in Hamburg, das 2012 sein 50-jähriges Jubiläum feierte.

Hervorgegangen aus der umfangreichen Privatsammlung des Industriellen Hermann F. Reemtsma, gelegen in einem der schönsten Landschaftsgärten Hamburgs (dem Jenisch-Park), gibt das als Stiftung geführte und 1962 eröffnete Ernst-Barlach-Haus eine beeindruckenden Überblick über das plastische Werk Ernst Barlachs.

Ernst Barlach - Haus Hamburg
Ernst Barlach – Haus Hamburg

Das Ernst-Barlach-Haus besticht neben den zahlreichen wunderbaren Barlach-Werken besonders auch wegen seiner beeindruckenden Architektur: ein Museums-Gebäude, das sich zurück nimmt, das die ausgestellten Werke in den Mittelpunkt rückt – und nicht sich selbst, nicht die Architektur. Barlach, seine Werke stehen hier im Mittelpunkt – in diesem 1961/62 errichteten Meisterwerk des Hamburger Architekten Werner Kallmorgen (1902 – 1979).

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Für mich ist das Barlachmuseum von Werner Kallmorgen ein wesentliches Beispiel gelungener Museums-Architektur. Ein Gebäude, das sich ganz auf seine Aufgabe konzentriert, das Räume bereit stellt für die Objekte die es präsentiert, möglichst ideale Raum- und Lichtverhältnisse dafür bietet, und sich selbst völlig zurück nimmt. Ein Gebäude, das (und dieses auf ganz zauberhafte Weise) nahezu zu sagen scheint ‚ich bin nicht da, betrachte die Kunst‘.

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Hamburg

Letter for the Queen – Königliche Post, Hamburg 2012

Königliche Post - Letter for the Queen
Königliche Post – Letter for the Queen
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Hamburg Homosexualitäten

Interschwul 1981 Hamburg Lesben- und Schwulentage

Mein erster CSD: Interschwul 1981

Interschwul – das klingt heute nach Kreuzung aus italienischem Fußballclub und früherem ostdeutschen Wessi-Einkaufsparadies, nur homosexueller. War aber: eine Ur-Ahnin der heutigen CSDs.

1980 hatte es in Hamburg eine gemeinsame Veranstaltung gegeben, getragen vom HLSV – dem ‚Hamburger Lesben- und Schwulenverband‘: Stonewall 1980. 1981 klappte dies nicht – eine Gruppe (rund um Teile des Tuntenchors [siehe ‚Liebe Schrillgänse‚] und der HAH) spaltete sich ab. So gab es 1981 vom 14. bis 27. Juni die

Lesben- und Schwulentage Interschwul

Ich war damals wohl das was man ‚jungschwul‘ nannte, viel unterwegs, umtriebig, und homopolitisch naiv bis unerfahren. Ich lebte noch in Bremerhaven, hatte gerade begonnen, Hamburg und seine schwulen Szenen für mich zu entdecken. Und landete, angezogen von einem Plakat, bei ‚Interschwul‘.

Ich stolperte mehr in einen Herrn Littmann, durfte im ’schwulen Piratenradio Stintfang‘ unsere noch recht neue „Schwule Aktion Bremerhaven“ vorstellen, und (nicht nur) die wohl größte Schokoladen-Osterhasen-Sammung der damaligen Welt bewundern. Ich lernte viele spannende, Menschen kennen, mir neue Ideen und (schwule) Lebensweisen sowie Projekte wie den neu gegründeten schwulen Buchladen ‚Männerschwarm‘, der bald zu meiner ‚homopolitischen Bildungsstätte Nr. 1‘ wurde. Ich entdeckte mir bis dahin verborgene Welten und Möglichkeiten – und machte viele Bekanntschaften, die mein Leben mit prägten. Interschwul ’81 – für mich ein wichtiger Schritt in eine bewegte schwule Welt, in der ich mich bald wohl fühlte.

1982 und 1983 folgte dann jeweils Stonewall Hamburg

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‚Mein erster CSD‘, diese Eingangsworte treffen also zu, was den Anlass betrifft. Und sind doch so völlig in die Irre leitend – denn mir scheint fast, es sind zwei völlig verschiedene Welten. Wo Schwule und Lesben heute möglichst ‚gleich‘ sein wollen, ‚genau so wie die Heterosexuellen‘, war Common Sense damals (unter der Mehrzahl der Jungs und Männer, mit denen ich zu tun hatte), die Chance des ‚Andersseins‘ zu nutzen, kreativ sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu sehen, wie der ‚Makel‘ zur Chance werden kann, zum Freiraum für Experimente, vor denen andere schon immer gewarnt hatten. Wo heute der Sinn des CSD-Lebens manchmal darin zu bestehen scheint, zwischen Bratwurst und überteuertem Bier gelangweilt zur nächsten Party zu steuern, war damals Experimentieren, andere Wege gehen angesagt.

Mit ist bewusst, dass hier romantische Erinnerungen eines älter werdenden schwulen Mannes mitschwingen, teils vielleicht auch verklärend. Und dass ’sich die Zeiten geändert haben‘.
Wenn ich mir heutige CSDs anschaue, wundere ich mich oft, fühle mich erinnert an eine frühere Rubrik ‚dafür haben wir nicht gekämpft‘.
Ein Blick zurück kann manchmal hilfreich sein. Die Erinnerung an ‚Interschwul ’81‘ (und teils auch die folgenden Hamburger Stonewalls) zeigt, es ging auch anders …

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Stonewall '83: Für die Vielfalt der Liebe - gegen Diskriminierung
Stonewall ’83: Für die Vielfalt der Liebe – gegen Diskriminierung
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Nachdenkliches

Gedanken zu ‚Erkenne dich selbst‘

Erkenne dich selbst. Gnôthi seautón (Γνῶθι σεαυτόν). Einer der Kern-Gedanken griechischen Denkens.

Zurückgeführt wird ‚gnôthi seautón‚ ( Erkenne dich selbst ) als Urheber auf den griechischen Gott Apollon (Gott der sittlichen Reinheit und Mäßigung). Bekannt geworden durch das Orakel von Delphi (dort stand ‚gnôthi seautón‘ auf einer der Säulen der Vorhalle). Später im Lateinischen übernommen als ‚nosce te ipsum‚.

Erkenne dich selbst – Aufforderung zur Selbsterkenntnis, und doch so viel mehr.

Ai Weiwei ‚Know Thyself‘ (2022), De-/Rekonstruktion in Lego, nach einem an der Via Appia entdeckten Mosaik, heute Diokletianstherme

Gedanke, der mich seit frühester Zeit begleitet, zunächst ganz im persönlichen, im Entwicklungs- Sinn (die philosophische(n) Bedeutung(en), Fragen und Chancen noch gar nicht erfassen könnend). Motiv, an das ich mich erinnern kann, seit ich begann, mich als eigenes Wesen wahrzunehmen, nicht nur als ‚Klon meiner Eltern‘.

“ Erkenne dich selbst „. Sei du selbst. Kopiere nicht, eifere nicht nach. Finde heraus, was ‚du selbst sein‘ bedeutet, probiere es, dich, dein Leben aus, deine Möglichkeiten, deine Grenzen. Sei, werde. Werde Mensch.

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„In diesem Spruch ist nicht etwa die Selbsterkenntnis der Partikularität seiner Schwächen und Fehler gemeint, sondern der Mensch überhaupt soll sich selbst erkennen.“
(Hans-Georg Pott, ‚Kurze Geschichte der Europäischen Kultur‘)

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Es gibt (ganz für mich persönlich) Orte, an denen ich Aspekte dieses ‚gnôthi seauthón‘ sehr intensiv erlebe. Wie einst bei der ersten Begegnung mit dem großen steinernen Buddha im Wat Mahathat von Sukhotai. Oder immer wieder am Strand von Lacanau oder Le Porge

erkenne dich selbst

Orte, an denen ich tief zu mir finden kann, zu Momenten großer innerer Ruhe. In denen klar wird, was bedeutend ist in meinem Leben, für mich.

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Delphi liegt am Süd-Fuß des Parnass. Wohnsitz des Apollon wie auch seines ‚Widersachers‘ Dionysos
Apollon – Gott des Lichts, der Heilung, der sittlichen Reinheit, der Mäßigung. Und Gott der Weissagung. Ihm ist das Heiligtum von Delphi gewidmet.
Dionysos – Sohn des Zeus, Vater des Priapos. Gott der einfachen Leute, des Weines, der Fruchtbarkeit, des Rausches, der Exstase. Hingabe. Im Gefolge des Dionysos oft: Dämonen, die Satyrn (nicht unähnlich den römischen Faunen). Dargestellt (als Fruchtbarkeitssymbole) oft mit übergroßem Phallus (siehe Darstellungen in ‚Das ‚Geheime Kabinett‘ von Neapel‚).

In Dionys und Apoll kehren Seth und Horus wieder.
Im alt-ägyptischen Mythos von Seth und Horus steht Seth, symbolisiert durch Hoden, für Gewalt, verbunden mit Sexualität, Zeugungskraft. Ihm gegenüber steht der Lichtgott Horus als Verkörperung des Gesetzes. Seth und Horus sind Gefährten – und geraten in Streit mit einander um den ägyptischen Thron (Osiris-Mythos). Eine versuchte Versöhnung scheitert. Mit allen Mitteln versucht Seth, Horus zu besiegen. Letztlich obsiegt Horus, der Lichtgott.

Bemerkenswert: in der alt-ägyptischen Kultur wird Seth nicht etwa (wie in unserem oft schwarz-weißen, bipolar geprägten Denken zu erwarten) verteufelt und abgelehnt, ausgegrenzt. Vielmehr wird er ambivalent dargestellt, letztlich wird er integriert.

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„Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der Gleiche bleiben: das ist eine Moral des Personenstandes; sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum handelt zu schreiben.“
Michel Foucault, Archäologie des Wissens

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Rausch und Wollust. Hingabe. Mäßigung und Reinheit. Gegensätze? Versöhnen? Eine Utopie?
Rausch, Sexualität, Lust sind Bestandteile des Menschen. Versöhnbar mit Mäßigung, Schönheit, höherer Wahrheit.

Apollon und Dionysos.
Seth und Horus.
‚Gnôthi seautón‘ kann nicht verabsolutiert gelten, immer hat es den Satyr an die Seite gestellt …

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Hamburg Homosexualitäten

Schellfischtunnel – einst beliebter Ort schwulen Cruisings

Der Altonaer Hafenbahn-Tunnel (im Volksmund ‚ Schellfischtunnel ‚ genannt) war bis 1992 wichtiger Bestandteil des Hafenbetriebs. Und er war einst in Hamburg ein bei Schwulen, besonders in der schwulen Lederszene, beliebtes Cruising-Gebiet.

Er ist der älteste Eisenbahntunnel in Norddeutschland, der ‚ Schellfischtunnel ‚. Ab 1874 wurde er gebaut, am 18. Januar 1876 eröffnet. Er verbindet den Altonaer Bahnhof mit den erheblich tiefer liegenden Anlagen des Neumühlener Kais und des Fischereihafens. Zur Überwindung des Höhenunterschieds ist der zur Elbe gelegene Teil des Schellfischtunnels eine lang gezogene Rampe.

Die Geneigte Ebene in Altona um 1855, Ölgemälde von Georgine Fries
Die Geneigte Ebene in Altona um 1855 (weit vor dem Bau der Schienenwege), Ölgemälde von Georgine Fries

Schellfischtunnel – hafenseitige Einfahrt

Die Lage des hafenseitigen Eingangs zum Schellfischtunnel zeigt gut das Modell ‚Hafenanlagen in Hamburg und Altona‘. Dieses Modell entstand für den deutschen Pavillon auf der Weltausstellung 1900 in Paris.

Das Modell ist im Museum für Hamburgische Geschichte zu sehen:

Eingang zum Schellfischtunnel (Modell 'Hafenanlagen in Hamburg und Altona, 1900)
Eingang zum Schellfischtunnel (Modell ‚Hafenanlagen in Hamburg und Altona, 1900)

Der Schellfisch-Tunnel war die einzige unterirdische Güterverkehrs- Schienenstrecke im Hamburger Raum.

Schellfischtunnel, Einfahrt Hafen Altona
Schellfisch-Tunnel, Einfahrt Hafen Altona, Mai 2012

Bedeutung des Schellfischtunnels

Der ‚Schellfischtunnel‘ (bahndeutsch ‚Bauwerk T33‘) war Bestandteil der Altonaer Hafenbahn, die ausschließlich für den Güterverkehr genutzt wurde. Eine umfangreiche Sanierung des Tunnelgewölbes von 1876 erfolgte in den 1930er Jahren.

Im Zweiten Weltkrieg dienten die Tunnel vielen Altonaer Bürgern als (inoffizieller) Luftschutzraum.

Noch in den 1950er Jahren wurde der Tunnel erweitert, eine Expressgut-Abfertigung mit Tunnelerweiterung entstand im Ostteil des Altonaer Bahnhofs.

Schienenanlagen Hafenbahn Altona
Schienenanlagen Hafenbahn Altona

Nach 1945 verlor der Handel mit Frischfisch zunehmend an Bedeutung. Der 1911 aufgenommene elektrische Betrieb im Tunnel (eine der ersten elektrifizierten Strecken in Deutschland überhaupt) wurde 1954 wieder eingestellt. Stattdessen wurden wieder Dampfloks eingesetzt, ab 1956 auch Dieselloks.

Doch das Verkehrsvolumen auf der Altonaer Hafenbahn ging immer weiter zurück. Die Zahl der Beschäftigten sank von einst 16 auf 1978 nur noch 2 Mitarbeiter. 1978 stellte die Deutsche Bahn den Betrieb ein. Das Hamburger Amt für Strom- und Hafenbau übernahm den Betrieb der Altonaer Hafenbahn bis zum Beginn der 1990er Jahre.

Der Schellfischtunnel wurde bis 1992 genutzt, wobei die Einstellung des Güterverkehrs bereits 1989 erfolgte. Zuletzt hatten nur noch zwei bis drei Transporte pro Monat stattgefunden.

Mit Abwanderung der letzten Nutzer  (zuletzt noch durch ‚Protank‘, ‚Transthermos‘) wurde die Altonaer Hafenbahn aufgegeben. Seit dem 30. September 1992 ist der Tunnel geschlossen.

Immer wieder standen in den vergangenen Jahren Überlegungen im Raum, den Tunnel zu reaktivieren (z.B. für den öffentlichen Nahverkehr). Keine davon war bisher erfolgreich.

Cruising im Schellfischtunnel

Andere Nutzer ‚entdeckten‘ den Schellfischtunnel nach 1945 für sich – der seit 1895 gut 960 m lange Tunnel wurde (gemeinsam mit der nahe gelegenen Klappe an der Großen Elbstraße) zu einem beliebten Schwulen-Treffpunkt.

Cruising im Schellfischtunnel‘ – insbesondere für Ledermänner ab Ende der 1960er bis in die 1980er Jahren war der Schellfisch-Tunnel ein beliebter und ‚heißer‘ (wenn auch nicht besonders ‚wohlriechender‘) Treffpunkt. Und ein sicherer Treffpunkt, galt er doch als sicher vor Überfällen und Polizei-Razzien. Ein Zeitzeuge:

„Anfang der 70-er Jahre bin ich häufig zum Schellfischtunnel gefahren. Lernte ich in der knatschengen Klappe einen Lederkerl kennen, gingen wir in den dunklen Tunnel. Dort ging es dann zur Sache. Das einzig Störende war der bestialische Fischgestank. Am Rande der Schienen standen Tonnen und Kisten mit Fischresten, die auch massenhaft Fliegen anzogen.“

Zeitzeuge, zitiert in Rosenkranz / Lorenz: Hamburg auf anderen Wegen. 2. Auflage Hamburg 2006

Auch Touko Laaksonen, der seine internationale Karriere in Hamburg begann, Malereien für Schwulensauna Club Uhlenhorst (CU) und die Bar Tom’s realisierte und später als Tom of Finland bekannt wurde, kannte bereits in den 1960er Jahren den Schellfischtunnel …

die Zeit nach dem Bahnbetrieb im Schellfischtunnel …

Seit Mitte der 1990er Jahre entsteht auf dem früheren Hafengebiet ein modernes Büro- und Geschäftsviertel. Der Bahnsteig am südlichen Ausgang des Schellfischtunnels ist inzwischen integriert in das Gebäude ‚elbberg campus @altona‘.

Zugänglich ist der 961 Meter lange Schellfischtunnel heute nicht mehr – außer einmal im Jahr am ‚Tag des offenen Denkmals‘ (zweites September-Wochenende; Info). Dann finden Führungen durch den Tunnel statt (Anmeldung empfohlen).

Schellfischtunnel, Einfahrt Hafen Altona
Schellfischtunnel, Einfahrt Hafen Altona, Mai 2012

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Nachtrag 2024: inzwischen werden regelmäßig Führungen (‚Hamburger Unterwelten‘) angeboten.

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Kulturelles

Alkoholverbot im ÖPNV – Schilderwirrwarr

Alkoholverbot im ÖPNV: Die Einführung des Verbots, Alkohol im Öffentlichen Nahverkehr einiger Städte zu konsumieren, muss die Gestalter der Hinweisschilder in arge Unsicherheiten gestürzt haben:

Alkoholverbot im ÖPNV – der Schilderwirrwarr

Alkoholverbot im ÖPNV - Alkoholfreie Zone Nahverkehr
Alkoholverbot im ÖPNV – Alkoholfreie Zone Nahverkehr

Im Hamburger Verkehrs-Verbund HVV (der vornehmer von einem ‚Alkoholkonsumverbot‘ spricht) begegnet einem einerseits eine schnöde Flasche, eher Apotheken-konform …

Alkohol-Verbot im HVV Hamburg
Alkoholverbot HVV

und schlicht mit „Alc“ tituliert.

Alkoholverbot HVV
Alkoholverbot HVV

Aber auch eine gleich viel ansprechender gestaltete, zudem in verbotenem Verzehr involvierte Flaschen-Variante, die die Prozente in verschiedenen Varianten mit bringt:

Alkohol-Verbot HVV
Alkohol-Verbot HVV

Besonders liebevoll der Hinweis im zweiten Schild oben, dass das Alk-Verbot auch für Dosen, Schraub- und Bügelflaschen gilt … wenn sie auf dem Tisch vor dem Fenster stehen …

Bliebe noch die Frage, wohin mit den (natürlich nicht im Öffentlichen Nahverkehr geleerten) Flaschen:

Flaschen nicht aus dem Fenster werfen (S-Bahn Berlin)
Flaschen nicht aus dem Fenster werfen (S-Bahn Berlin)

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Hamburg Kulturelles

Karl Opfermann 1891 – 1960

Für das 1903 bis 1931 für den ‚Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband‘ errichtete Kontorhaus in Hamburg entwarf der Bildhauer Karl Opfermann 1930 sechs Figuren – jeder ein überlebensgroßer Bronzejüngling. Sie stehen außen an der dem Holstenwall zugewandten Fassade je auf einem Kragstein.

Karl Opfermann Figuren 1930

Das Kontorhaus steht seit 2003 unter Denkmalschutz. In den Jahren von 1965 bis 2005 hieß es DAG-Haus. Seit 2005 trägt das Gebäude den Namen Brahms-Kontor.

Bronzejüngling (Jünglingsfigur von Karl Opfermann am Brahmskontor, Hamburg)
Bronzejüngling (Jünglingsfigur von Karl Opfermann Ludwig Kunstmann (1877 Regensbirg – 1961 Hamburg) am Brahmskontor, Hamburg, Foto 2012)

Karl Opfermann (1891 – 1960)

Karl Opfermann wurde am 28. September 1891 in der damaligen
Rødding Kommune in Nordschleswig geboren. Nach einer Jugendzeit in Flensburg studierte er an der Kunstgewerbeschule Hamburg.

Er war befreudet mit Ernst Barlach. Opfermann war (wie u.a. Eduard Bargheer) Mitglied der Künstlergruppe Hamburgische Sezession (1919 bis 1933). Ab 1932 unterhielt er ein Atelier in der Villa Ohlendorff in Hamm. Diese Villa wurde 1872 bis 1874 von Architekt Martin Haller (auch Architekt der Laeiszhalle) für den Kaufmann (größter Guano-Importeur) Heinrich Ohlendorff errichtet, der privat in Volksdorf auf seinem Gut lebte (heute Ohlendorffsche Villa). Die Villa in Hamm wurde ab 1930 (bis zur Zerstörung 1943 bei einem Luftangriff) als Künstlerhaus der Sezession genutzt.

In der NS-Zeit wurden einige Werke Opfermanns als ‚entartete Kunst‘ beschlagnahmt. Er arbeitet in dieser Zeit u.a. an der Ausstattung von Kasernen (auch Hitler-Büste).

Opfermann starb am 7. März 1960 in Ahrensburg, wo er seit 1948 lebte. Er wurde auf dem Friedhof Ohlsdorf beigesetzt.

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Hamburg Homosexualitäten

Harry Pauly – Pauline Courage (1914 – 1985)

Harry Pauly: zu einer meiner bemerkenswertesten Erinnerungen an das schwule Hamburg Anfang der 1980er Jahre gehört Pauline. Pauline Courage. Pauline Courage und ihr Theater, ihre Stücke in der ‚Kellerbühne‚. Pauline Courage, das war ‚bürgerlich‘ Harry Pauly.

Am 23. September 1914 in Berlin geboren, entdeckte Harry Pauly schon als Junge seine Liebe zum Theater, zunächst ab 1929 mit der kleinen (anfangs heimlich gespielten) Rolle als ‚Lausejunge‘ am ‚Theater am Nollendorfplatz‚ (Piscator / ‚Militärmusik‘) in Berlin.

Harry Pauly (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
Harry Pauly (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)

In den 1930er Jahren spielte Harry Pauly in zahlreichen Stücken auf verschiedenen Bühnen überwiegend in Berlin, u.a. Volksbühne, Schloßparktheater, Lessing-Theater. Zudem hat er kleinere Rollen in mehreren Filmen (‚Gräfin Mariza‚, Richard Oswald; ‚Liebe will gelernt sein‚, Hans Steinhoff; ‚Flüchtlinge‚, Gustav Ucicky; ‚Ein Unsichtbarer geht durch die Stadt‚, Harry Piel; ‚Eine Siebzehnjährige‚ Arthur Maria Rabenalt). 1937 wurde er mit seinem ‚Gastspielunternehmen Harry Pauly‚ jüngster Theaterchef Berlins.

In der NS-Zeit wurde Pauly mehrfach aufgrund von §175 verhaftet (erstmals 1936) und mehrfach verurteilt, kam u.a. für 15 Monate in das KZ Neusustrum, das berüchtigte ‚Lager V‘ der ‚Emslandlager‘. Über Neusustrum, das ‚vergessene Lager der Homosexuellen‘, berichtet Pauly (zitiert in Hans-Georg Stümke ‚Homosexuelle in Deutschland‘, 1989; ausführliche Erinnerungen auch in Stümke/Winkler/ Rosa Winkel, Rosa Listen S. 298 – 301 & 312 – 316), dass  „ca. 20% schwul waren und auch in anderen, umliegenden Lagern viele Homosexuelle gefangen waren.“ Pauly selbst kommt 1943 nach erneuter Verhaftung in ein Strafbatallion.

Harry Pauly erinnerte sich später an die Prozesse u.a.

„Ich erinnere mich da auch noch an einen Berliner Richter, der in die Schwulengeschichte eingegangen ist. Der hieß Sponer und war ein einmaliges Schwein. Wenn der Schwule abzuurteilen hatte, dann fielen die Strafen immer ganz besonders hart aus.“

Die NS-Zeit war 1945 vorbei – die Diskriminierung der Homosexuellen jedoch nicht. Der von den Nazis 1935 verschärfte Paragraph 175 bestand weiter.

Im Nachkriegs-Berlin ist Harry Pauly u.a. Direktor des Apollo-Theaters an der Schönhauser Allee (mind. 1948, s.u.) und spielt auf verschiedenen  Bühnen. Legendär soll seine 500 Mal gespielte Version von ‚Charlys Tante‚ gewesen sein:

Harry Pauly als 'Charleys Tante' am ABC-Theater Berlin (aus: Presseheft 'Paulines Geburtstag')
Harry Pauly als ‚Charleys Tante‘ am ABC-Theater Berlin (aus: Presseheft ‚Paulines Geburtstag‘)

Bereits im Jahr 1946 war Harry Pauly Direktor des ABC-Theaters in Berlin Spandau Hakenfelde, wie ein Plakat einer Märchen-Aufführung 1946 belegt, auf das mich freundlicherweise die Tochter der damaligen Ballettmeisterin Ingeborg Kurth aufmerksam machte. Dort wurde 1946 das „Märchen vom braven Johannes und der bezaubernden Prinzessin“ gegeben, unter der Direktion von Harry Pauly. Für das Jahr 1948 verzeichnet das Berliner Adressbuch „Apollo-Theater Direktion Harry Pauly, Büro: Charlottenburg, Schloßstr. 67“.

Nach politischen Problemen mit der SED (in Folge seiner geplanten Inszenierung der Operette ‚Die Rose von Stambul‚) flüchtete Harry Pauly 1952 nach West-Berlin. Harry Pauly erinnert sich 1979:

„Wie wir die ‚Rose‘ spielen wollten, da hat man mir im Osten gesagt: Herr Pauly, Adenauer steht mit der Türkei besser als wir. Setzen Sie das Stück erstmal ab. Ich bin ja sehr schnell erregbar, und das brachte mich auf den Entschluß zu flüchten. Ich mußte sogar flüchten, weil ich ziemlich ausfallend wurde. Ich habe den ganzen SED-Apparat doch ziemlich in Aufregung gebracht. So bin ich dann noch durch’s Brandenburger Tor gekommen, sonst wäre ich vielleicht heute noch im Knast.“

(aus: Presseheft ‚Paulines Geburtstag‘)

Von 1952 bis 1973 war Harry Pauly in der Gastronomie tätig. 1954 heiratete er, bekam einen Sohn (der später in den USA lebte). Anfang der 1960er Jahre zog er nach Hamburg. 1961 wurde er in Itzehoe auf Grundlage des §175 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt (den größten Teil hatte er, wie Stümke/Finkler berichten, bereits in der U-Haft abgesessen).

In Hamburg pachtete er 1973 eine Kneipe in einer Parallelstraße der Reeperbahn (Kastanienallee 22), machte daraus den ‚MC Club‚ (MC = Mutter Courage). Und er begann, bald den darunter liegenden Keller zu nutzen: Harry Pauly eröffnete dort 1976 sein eigenes kleines (wirklich sehr kleines) Theater, die ‚Kellerbühne‚.
Der schwule Stadtführer Hamburg ahoi! stellt es (in der ersten Auflage 1981) so vor: „Paulines Kellertheater – das war der MC-Club – wird meist von Stammpblikum besucht.

Das Haus Kastanienallee 22, bis 1982 Sitz des ' mc Club', Ende Februar 2014
Das Haus Kastanienallee 22, bis 1982 Sitz des ‚ mc Club‘, Ende Februar 2014

Paulines dort gespielte Stücke hatten so bezaubernde wie anregende Titel wie „Skandal in Baden-Baden„, „Tumult im Hotel Sacher„, „Die Bestie von Notre Dame„, das bekannte „Mutter Grimm“,Das Millionending„, mit dem er auch auf Deutschland-Tournee ging; oder zuletzt, in Sri Lanka entstanden, (1982) „Hilfe, meine Schwiegertochter ist ein Mann„.

Harry Pauly selbst über sein Theater:

„Die Jungs haben da so richtig ihrn Spaß bei und können auch al so richtig lachen, denn von zuhause haben sie ja meistens nicht so viel mitbekommen. Denn so richtige Männerfreundschaften wie Rudi [i.e. Rudi Schumacher, d.Verf., s.u.] und ich das hatten, das kennen die nicht. Die gehen hin und wieder mal anschaffen und haben mal ne kleine Freundschaft, mehr kennen die nicht. Und hier bei uns im Theater, da fühlen sie sich so richtig wohl, wie, wie in einer Familie.“

‚Paulines Geburtstag‘, zitiert nach Presseheft
Harry Pauly 1978 (Presseheft 'Paulines Geburtstag')
Harry Pauly 1978 (Presseheft ‚Paulines Geburtstag‘)

Harry Pauly spielte u.a. in der Musical-Inszenierung „Männer sind die besseren Frauen“ (1978 als Buchhalter Tabaro, Inszenierung Peter Ahrweiler, im Operettenhaus Hamburg, nach „Ein Käfig voller Narren„) und in TV-Filmen wie „Revolution“ (Wolfgang Schleif 1976) oder „Ein Mann fürs Leben“ (1980) mit Manfred Krug mit.

Corny Litmann berichtet (in ‚Hamburg mit anderen Augen‚, Hamburg 2007), Harry Pauly habe 1980 auch die erste der beiden Klappen-Spiegel – Aktionen (‚Spiegel-Affäre‘) am Spielbudenplatz aktiv unterstützt:

„Pauline Courage reichte uns einen schweren Hammer heraus, und wir sind dann runter in die Klappe unter dem Spielbudenplatz an der Taubenstraße. Mit dem Hammer haben wir nacheinander auf den Spiegel eingeschlagen.“

Corny Littmann

Ein Denkmal gesetzt bekam Harry Pauly bereits Ende der 1970er Jahre, mit dem 1977 bis 1979 entstandene Film „Paulines Geburtstag oder Die Bestie von Notre Dame“ von Fritz Matthies (Regie und Drehbuch). Paulys langjähriger Weggefährte Rudi Schumacher erlitt während der Dreharbeiten des Films am Premierenabend des Stückes „Die Bestie von Notre Dame“ einen Herzinfarkt und starb.

1982 musste Pauline sowohl Kneipe als auch Bühne schließen. Er lebte weiterhin in Hamburg (in der 1. Etage über dem MC-Club), hielt sich aber mit seinem Lover oft in Sri Lanka (Negombo) auf, wo er ein Feriendomizil besaß. „Da lebe ich mit zwei Boys und einer großen Anzahl junger Männer, die alle freundschaftlich zu uns stehen“ (zitiert nach Hamburg ahoi! 1981). Häufig hatte er bei seinen Hamburg-Aufenthalten Gastauftritte, so auch im TucTuc, Kampnagel oder im 1983 eröffneten MHC.

Harry Pauly starb am 13. April 1985 in Hamburg an einem Lungenödem. Die Trauerfeier fand im Krematorium des Friedhofs Ohlsdorf statt.

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Dank für freundliche Hinweise, Ergänzungen und Korrekturen u.a. an Frau Späth und Eric Jauch!

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Paulines Theater, das war viel Klamauk, rüschige Kostüme, oft eher billige Garderoben, und doch ein wenig erinnernd an das was Trude Herr in Köln auf der Bühne anstellte, ein Schuss schwules Boulevard-Theater (Volks-Theater?) dazu. Schräge Unterhaltung, die damals nicht so ganz ‚meine‘ war (schräges eher im Tuc Tuc). Und knackige Jungs. Überhaupt, machte Pauline vielleicht Theater, um an die knackigen Jungs ranzukommen? Die zogen sich nämlich so oft aus in seinen Stücken …  😉

Von Paulines Geschichte erfuhr ich erst nach meinem ersten Besuch in dem kleinen Keller-Theater.

Damals konnte ich mit dieser Art Theater nicht viel anfangen – und bin doch froh, dass Freunde mich hierhin ‚mitgeschleppt‘ hatten. Bin froh, dieses kleine Theater noch erlebt zu haben, bevor Pauline es dicht machen musste und gen Süden reiste. Und bin besonders froh, diesem Menschen mit dem so bemerkenswerten Leben begegnet zu sein.

Harry Pauly, Pauline Courage – ich denke, er und sein Theater hätten längst ein Denkmal auf dem Kiez verdient.

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siehe auch
Harry Pauly im United States Holocaust Memorial (html)
Harry Pauly (Pauline Courage), Jahrgang 1914, Strafbatallion. in: Hans-Georg Stümke, Rudi Finkler: Rosa Winkel – Rosa Listen. Hamburg 1981, S. 312 ff.
Eric Oluf Jauch: Freie schwule Theaterszene. in: Hamburg ahoi!, 1. Auflage, Berlin 1981
Strafakte gegen Harry Pauly u.a.: Landesarchiv Berlin: A Rep. 358-02, Nr. 44324
Paulines Geburtstag oder Die Bestie von Notre Dame – Presseheft, 1979
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Kulturelles

Dagmar Manzel „Die sieben Todsünden“ – Komische Oper Berlin

Die Komische Oper Berlin bietet derzeit eine sehenswerte Inszenierung der „Sieben Todsünden“ von Brecht / Weill mit Dagmar Manzel . Meine Eindrücke der Aufführung vom gestrigen Abend.

Die Komische Oper schreibt zu den „Sieben Todsünden“

„Vor ihrer Flucht in die USA schrieben Kurt Weill und Bertolt Brecht im Exil ein letztes gemeinsames Werk: Die sieben Todsünden, uraufgeführt 1933 in Paris. Es schildert die Odyssee zweier Schwestern, die beide Anna heißen und eigentlich zwei Seelen eines Wesens sind, die eine »schön, die andere praktisch«. Anna wird von ihrer Familie in die großen Städte geschickt, um Karriere als Tänzerin zu machen und damit Geld zu verdienen für den Bau eines neuen Häuschens »in Louisiana, wo die Wasser des Mississippi unterm Monde fließen«. Sieben Stationen muss Anna durchwandern und ihre Haut zu Markte tragen. Dabei deutet Brecht die klassischen Todsünden wie Faulheit, Stolz, Unzucht oder Neid zu Tugenden um. Allerdings können sich in ungerechten Verhältnissen nur reiche Menschen so etwas wie Stolz leisten – Anna muss ihre Blöße zeigen, wenn die Leute dafür bezahlen. Weill kontrastiert seinen unnachahmlich verführerischen Songstil mit dem parodistisch gesetzten Männerquartett (!) der Familie.“

Dagmar Manzel in: Die sieben Todsünden
Die sieben Todsünden

Anna eins und Anna zwei, beide Rollen sind in der Inszenierung unter Regie des zukünftigen Intendanten der Komischen Oper, Barrie Kosky, mit Dagmar Manzel besetzt, die damit die einzige (sichtbare) Darstellerin des mit einigen weiteren Weill-Chansons umrahmten Abends ist.

Dagmar Manzel hat schon mehrfach an der Komischen Oper gespielt, mit Barrie Kosky hat sie u.a. bereits ‚Kiss Me, Kate‚  gemacht.

Wer sich jetzt entscheidet, Dagmar Manzel in den „sieben Todsünden“ in der Komischen Oper Berlin sehen zu wollen: sorry – alle sechs derzeit bis Juli 2012 im Spielplan stehenden Vorstellungen sind ausverkauft. Aber – im Mai soll es Zusatz-Vorstellungen geben

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Ja, und wie war’s? Wie war’s – das frage ich mich auch, hinterher, auch jetzt mit einigem Abstand.

Es war sehr eindrucksvoll, und doch auch zwiespältig.

Eine beeindruckende Dagmar Manzel, mit einer Bühnenpräsenz, die unter die Haut geht. Und mit Fragezeichen.

Eine Inszenierung, die durch Zurückhaltung besticht – eigentlich nur Vorhang und Bühne, ein Verfolger als einzige Beleuchtung, das Orchester nicht im Graben, sondern im Rückraum der Bühne platziert, die vier Stimmen des ‚Familien-Quartetts‘ unsichtbar aus den Proszeniumslogen. Eine wohltuende Kargheit, die Stück und Musik viel Raum lässt – und Dagmar Manzel. Der Kommentar der FAZ trifft es an diesem Punkt meines Erachtens gut: „Inszeniert ist das wie ein Auftritt von Juliette Gréco“.

Eine Musik, nun ja – kann man sich in Musik zu hause fühlen? Ich habe dieses Gefühl fast immer bei Musik von Kurt Weill. Und hier wurden Weills Stücke (sowohl die Chansons am Klavier, als auch die ‚Todsünden‘ vom Orchester) auf wunderbare Weise interpretiert – nicht weich, unterhaltsam (in der oft zu hörenden Manier von Kur-Orchestern), sondern vergleichsweise hart gespielter Jazz (noch ein wenig schroffer vielleicht?). Insgesamt ein beeindruckender Einstand für die estnische Dirigentin Kristiina Koska, die ab der kommenden Spielzeit Kapellmeisterin an der Komischen Oper sein wird.

Und gesungen?
Nun – es waren, bedenkt man die Inszenierung, die Reaktionen des Publikums, den lang anhaltenden Applaus, beinahe ‚Manzel-Festspiele‘

Allein, bei aller Bühnenpräsenz, Frau Manzels Gesang gefiel mir nicht so gut wie dem größten Teil des Publikums. Gut, bei den ’sieben Todsünden‘ habe ich Lotte Lenya im Ohr, oder die unvergleichliche Gisela May. Vielleicht lag’s daran – es wollte sich kein richtiges ‚Gefühl‘ einstellen. Charakter, Tiefe fehlten. Ist Dagmar Manzel eine Brecht-/Weill-Sängerin? Mir scheint nein.

Diese ’sieben Todsünden‘ klangen nicht ‚brechtisch‘. Diese ’sieben Todsünden‘ klangen … hübsch, oft fast … gefällig. Gelegentlich nicht kräftig, manchmal zu weich. Oft vermisse ich das Gebrochene, das Raue in der Stimme. Zu selten war da eine Ahnung einer ‚Mutter Courage‘, zu viel eine Diseuse. So bleibt mir der Eindruck, Manzel singt ‚Anna‘, aber sie ‚ist‘ nicht Anna.

Eine zweite Frage an die Aufführung bleibt, sie wird leider nicht beantwortet: Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit – was haben sie uns heute zu sagen?
Die ’sieben Todsünden‘ – ein Stück, das gerade heute viel an Aktualität zu bieten hätte. Hübsch gesungen, Wiedergabe des Gestrigen plus ‚Manzel-Hommage‘ – das ist hübsch, gute Unterhaltung, aber reicht das?

Ein gelungener Abend – der mehr hätte sein können.