Kategorien
Erinnerungen

damals – Frank ca. 1984

Frank 1984
Frank ca. 1984
Kategorien
Erinnerungen

damals – Ulli Sommer 1977

Ulli 1977, in der Nähe von Bad Segeberg
Ulli 1977, in der Nähe von Bad Segeberg
Kategorien
Erinnerungen

damals – Ulli Januar 1982

Ulli Januar 1982
Ulli Januar 1982
Kategorien
Nachdenkliches

liebende Existenz in Freiheit – nicht im Seitensprung – Zimmer

Seitensprung -Zimmer? Was nur ist ein Seitensprungzimmer? Und was überhaupt ein Seitensprung?
Beim Herumstromern in der großen Stadt entdecke ich im Schaufenster eines Pornokinos einen merkwürdigen Begriff:

Seitensprung - Zimmer (Hinweistafel an einem Pornokino in Berlin)
Seitensprungzimmer (Hinweistafel an einem Pornokino in Berlin)
Kategorien
Erinnerungen Oldenburg

Oldenburg möchte 2012 ‚Heimat für Homosexuelle‘ sein

Als Mittel- und Bezugspunkt einer großen ländlichen Region hat Oldenburg den Anspruch und die Aufgabe, eine Heimat für Homosexuelle zu sein„,

sagt – der Oberbürgermeister von Oldenburg.

Nun, „Heimat für Homosexuelle„, die Formulierung klingt für mich befremdlich. Möchte ich das?

Allein, hinter der mir befremdlich klingenden Formulierung steckt für die Provinz immer noch Bemerkenswertes.

Prof.Dr. Gerd Schwandner, der Oberbürgermeister Oldenburgs, begründet:

Zu einer aufgeklärten Gesellschaft gehört ein Toleranzbegriff, der Vielfalt als Normalität begreift. Und wir können nicht genug dafür tun, diesen Gedanken weiterzutragen und mit Leben zu füllen.

Und ergänzt

Der hohe Anteil von Lesben und Schwulen an unserer Bevölkerung verdeutlicht das; wir verstehen ihn als Kompliment. Und zwar als eins, das immer wieder neu verdient sein will.

Ob in Oldenburg Homosexuelle nun besser leben?

.

Eine Aussage, die man sich von so manchen Bürgermeister auch größerer Städte wünschen würde.

Schon in Deutschland, umso mehr in einigen Nachbar-Staaten (erinnert sie nur daran, dass andere gerade glauben den CSD für 100 Jahre verbieten zu können).

.

Alles außer gewöhnlich.“
Ein schönes Motto für einen CSD – wo sich viele doch gerade danach recken, so gewöhnlich und angepasst wie möglich sein zu ‚dürfen‘.

Wir müssen nicht der Norm entsprechen, um ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein„,

sagt 2012 das Programmheft für den CSD Nordwest. Sein Motto: „Alles außer gewöhnlich!“

Mögen einige über diesen Satz nachdenken . . . und das Potential, das in ihm steckt …

.

Ich erinnere mich.
1980 / 81 begann mein schwules Leben – in Oldenburg, in eben jenen Oldenburg.
Gerade frisch zuhause ausgezogen, entdeckte ich hier erstmals, was so alles möglich war.
Dass manch untergründig schlummernde Sehnsucht durchaus erfüllbar war.
Hatte einen ersten Lover. Raphael.
Ein guter, liebevoller Start in’s schwule Leben, an den ich mich noch heute gern erinnere.

Und Erinnerung an eine Zeit, in der (in meinen Freundes- und Bekanntenkreisen) Maxime nicht war „wir wollen sein wie die“ [Heteros], sondern primäre Idee war, die Chancen und Möglichkeiten des Anderssseins kreativ für den eigenen Lebensweg zu nutzen. Wir wollten nicht der Norm entsprechen …

.

NWZ online 13.06.2012: Oldenburg möchte Homosexuellen gute Heimat sein
CSD Nordwest, dort Link zum Programmheft (als pdf) mit dem Grußwort des Oberbürgermeisters

.

Kategorien
Nachdenkliches

Mein Unwort des Jahres 2012: “Menschenrechtist”

Unwort des Jahres 2012 – mein Kandidat: ‚Menschenrechtist‘.
Der Eurovision Song Contest 2012 ist vorbei. Langsam kehrt wieder Ruhe ein – oder? Wächst jetzt Gras über jede Peinlichkeit der letzten Tage, über jeden Lapsus,  das Gras des Vergessens, eilt die Aufmerksamkeit zum nächsten Hype weiter? Oder erinnern wir uns an sprachliche Entgleisungen der besonderen Art? Eine der in meinen Augen bemerkenswertesten sprachlichen Entgleisungen: Feddersens Wortschöpfung „Menschenrechtist“.

.

Feddersen berichtet und kommentiert für taz und NDR aus Baku. In seiner taz-Kolumne „Bitches in Baku #6: Indezent und dabei gut aussehen“ prägt er den Begriff „Menschenrechtist“:

„Sogar das westliche Gerücht, dass in Aserbaidschan Schwule – von Lesben ist nie die Rede – drakonisch unterdrückt werden, darf als Gräuelpropaganda von, nennen wir sie: Menschenrechtisten genommen werden.“

Schwulen- und Lesbenverfolgung und -unterdrückung in Aserbaidschan – einzig ein „Gerücht“? „Gräuelpropaganda“? Zahlreiche Publikationen (nicht nur in schwulen Medien) haben bereits heraus gearbeitet, dass die Unterdrückung Homosexueller in Aserbaidschan weit mehr ist als „ein Gerücht“.
Mir geht es hier um eine andere Formulierung.
„Menschenrechtist“.
Ein Wort, das man sich auf der Zunge zergehen lassen kann.
Wonach schmeckt es?
Welchen Beigeschmack hat es?
Was will es bewirken?

.

„Menschenrechtist“ – das erinnert (und soll es wohl auch) an Extremist, Fundamentalist …

„Menschenrechtist“ – ein solcher Mensch wäre wohl ‚Vertreter des Menschenrechtismus‘.
‚-ismus‘-Formulierungen werden auch „verwendet, um sich mental von etwas zu distanzieren“, weiß wikipedia. „Außerdem wird das Suffix verwendet, um jemanden zu charakterisieren oder zu klassifizieren.“

.

Gibt es einen Grund, einen neuen Begriff zu prägen?
Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen, nennt man gemeinhin ‚Menschenrechts-Aktivisten‘.
Ein Grund einen neuen Begriff einzuführen für sie ist mir nicht ersichtlich.
Es sei denn, man wolle ihrer Arbeit eine negative Konnotation anhängen, sie diffamieren, verächtlich machen.

.

„Menschenrechtisten“ – ist Feddersen einfach, wie der Titel seiner Kolumne suggeriert, bitchy?

Bitchy – das meint etwa: gemein, gehässig, zickig.
Ist es nur einfach bitchy, Menschenrechts-Aktivisten als „Menschenrechtisten“ zu diffamieren? Ist die Entgleisung des Herrn Feddersen damit zu erklären, gar zu entschuldigen?

Stefan Niggemeier betont (in der taz vom 24.5.2012, „ESC-Berichterstattung -Zwischen Heuchelei und Anteilnahme“)

„Jan Feddersen hat die Menschen, die darüber berichten, in vielfacher Weise verunglimpft. Er hat den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung eine „Spaßbremse“ genannt und Kritiker als „Menschenrechtisten“ verspottet.“

Konnte man eigentlich beruhigt nach Baku fahren, über den ESC berichten, trotz der Situation hinsichtlich der Menschenrechte im Land?

Ist doch alles nicht so schlimm. Die Menschenrechtisten übertreiben maßlos„, meint Herr Feddersen.

Auch ansonsten findet Herr Feddersen deutliche Worte für (oder sollte man sagen gegen?) das Engagement für Menschenrechte. So zitiert Stefan Niggemeier Feddersens Antwort auf die Frage einer Springer-Zeitung „Was sagen die Sänger zur politischen Lage?“

„Für Polit-Sperenzchen haben die meisten Künstler gerade keinen Sinn“

Engagement, Äußerungen zur politischen Lage in Aserbaidschan – das sind für Herrn Feddersen nur ‚Polit-Sperenzchen‚?

Und wenn der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Menschenrechtsskandale in Aserbaidschan angreift – ist er dann mit Feddersen „eine Spaßbremse sondergleichen„?

.

Der von Feddersen geprägte Begriff „Menschenrechtist“ ist ein übler Missgriff. Er ist weit mehr als „nur“ übliche Ironie oder Spott.

Geht es Feddersen (mit dieser Wort-Schöpfung) darum, Raum für differenzierte Debatten zu eröffnen? Zwischentöne zuzulassen? Neue, andere Blicke auf die Menschenrechts-Situation in Aserbaidschan zu ermöglichen?

Nein – mir scheint nicht. Ein Begriff wie „Menschenrechtist“ macht verächtlich, deklassiert, wertet ab. Diffamiert Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen.

Auch wenn Feddersens Begriffs-‚Schöpfung‘ im Kontext seiner Äußerungen über den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung sowie im Kontext seiner Antwort auf die Frage nach Künstler-Äußerungen zur Menschenrechts-Frage gelesen wird, wird greifbar, was er mit diesen Formulierungen intendieren mag: die Verächtlichmachung des Einsatzes für Menschenrechte.

Zeigt der Autor hier – wenig verborgen – gar seinen Ekel vor diesen Aktivisten, diesem Engagement – das ihm seinen (ESC-) Spaß verdirbt?

.

Ginge es allein im sprachliche Missgriffe, könnte man Feddersens Fehltritt(e) als ‚hedonistische Markussiade‚ abtun („Ich will Spaß! Ich will Spaß!“). Aber es geht nicht um irgendwelchen Spaß, es geht um Menschenrechte, und um Menschen, die sich – oftmals unter Eingehen erheblicher Risiken – für deren Einhaltung einsetzen.

.

Feddersen arbeitet unter anderem als Journalist für taz und NDR.
Laut ihrem Redaktionsstatut tritt die taz ein „für die Verteidigung und Entwicklung der Menschenrechte und artikuliert insbesondere die Stimmen, die gegenüber den Mächtigen kein Gehör finden.“ (§2(3))
Zu den Programmgrundsätzen des NDR gehört „die Würde des Menschen zu achten und die Verständigung der Menschen untereinander in allen Bereichen des Lebens zu fördern“.
Wie sich Feddersens Äußerungen mit dem Redaktionsstatut der taz oder den Programmgrundsätzen des NDR vertragen – dies wird mir immer schleierhaft bleiben.

.

„Die Aktion »Unwort des Jahres« möchte auf öffentliche Sprachgebrauchsweisen aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt den Blick auf sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen, um damit zu sprachkritischer Reflexion aufzufordern.“
Die Kriterien für das „Unwort des Jahres“ lauten

„weil sie gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen,
weil sie gegen Prinzipien der Demokratie verstoßen,
weil sie einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren,
weil sie euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind.“

Herrn Feddersen ‚Wortschöpfung‘ „Menschenrechtist“ käme wohl als Kandidat infrage …

.

Und sonst?

Der Ex- taz-Kolumnist und Satiriker Wiglaf Droste spricht (in der ‚Jungen Welt‘ vom 26.5.2012) vom „Menschenfedder“ und stellt fest

„Auch politisch ist das Alt-mao-am Feddersen vollrohr im Niente­capirismus angekommen.“

Christian Scheuß bittet auf queer.de (am 24.5.2012, „ESC in Baku – Jan Feddersen, zero points!„) Jan Feddersen trocken

„Das Mindeste, das du jetzt tun könntest, aus Solidarität zu denjenigen, die ein anderes Verhältnis zu den Realitäten haben: Konzentriere dich auf die schönen Trick-Kleider und den tollen Promo-Tand, schau dir so lang du willst die händchenhaltenden Männer mit den „hautengen T-Shirts“ und den „eingebauten Gemächtbeulen“ an, aber halt in Sachen Menschenrechte doch einfach die Klappe. Danke schön…“

.
.
Deutsche Post: Briefmarke '50 Jahre Erklärung der Menschenrechte' (1998)

.

Deutsche Post: Briefmarke ’50 Jahre Erklärung der Menschenrechte‘ (1998)

.
Anmerkung:
14.12.2012 Titel geändert von „Unwort: „Menschenrechtist““ in „Mein Unwort des Jahres 2012: “Menschenrechtist”“
.

siehe auch
Steven Milverton 31.05.2012: ESC-Nachlese
Elmar Kraushaar „Der homosexuelle Mann …“, in: Männer (online), 04.06.2012
Stefan Niggemeier 04.06.2012: Der homosexuelle Mann… und die Grenze der Toleranz bei der »taz«
queer.de 04.06.2012: Der homosexuelle Mann in Aserbaidschan
aufrechtgehn.de 04.06.2012: Jan Feddersen: der Expertist
.
vorwärts 13.06.2012: Der Eurovisions-Frieden in Baku ist vorbei – Blogger Mehman Huseynov verhaftet
.

Kategorien
Erinnerungen

Schwule Aktion Bremerhaven SAB – 1981 / 82

Schwule Aktion Bremerhaven  – wie kam es dazu? Das schwule Leben in Bremerhaven Anfang der 1980er Jahre war … nun ja, überschaubar, sehr beengt (um nicht zu sagen verklemmt), kurz gesagt für einen jungen Mann, der sein Schwulsein gerade entdeckt und zu akzeptieren gelernt hat, schwul leben will: deprimierend.

Seit 1979 lebte ich in Bremerhaven. Es gab dort drei Kneipen, besucht überwiegend von älteren Herren. Zwei Klappen am Deich. Sonst (an ‚Infrastruktur‘ für männerliebende Männer) nichts, außer – wegfahren, nach Bremen, Oldenburg und in das (bald mein ’schwules Paradies‘ werdende) Hamburg. Und dann: ein Pornokino, zwar überwiegend hetero, aber auch mit schwulen Filmen.

‚Wenn dir was nicht gefällt – versuche es zu ändern‘, hab ich schon früh gelernt. Der Zettel im Pornokino, auf den ich Mitte Oktober 1981 aufmerksam wurde, stieß also sofort auf mein Interesse. „Wir [zwei Namen folgten] sind unzufrieden mit unserer Situation als Schwule in Bremerhaven. Du auch? Wir wollen eine Schwulengruppe hier in Bremerhaven gründen. Interesse? Ruf uns an!„, stand dort (soweit mich meine Erinnerung nicht täuscht) ungefähr zu lesen. Und ich meldete mich, schon am gleichen Tag.

Vorher hatte ich schon selbst (nach einer Notiz im Info der HIB Bremen) versucht, eine Gruppe ins Leben zu rufen, einige Treffen initiiert, Bekannte versucht zum Mitmachen zu bewegen – mit mäßigem Erfolg

Am 27. Oktober 1981 trafen sich die beiden Jungs vom ‚Zettel‘ , ein weiterer Interessent und ich – die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‚ war geboren. Als erste Aktion wurde ein Büchertisch geplant. Wir machten die Gruppe bekannt, mit Aushängen in Buchläden, Kneipen, an der Hochschule, mit Anzeigen in alternativen Stadtmagazinen und Zeitungen. Es folgten eine Lesung mit ‚Schwul – na und?‘ – Autor Thomas Grossmann (dem ich 1986 ein Interview gab für sein Folge-Buch ‚Beziehunsgweise andersrum‘) und ein Stand auf dem ‚Friedensfest 1981‘ (mit vorherigem Rosa Winkel backen …).

Die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‘ SAB hatten bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens einiges an Aktivitäten: Lesungen, Bücherstände, Radio-Interview, Zeitungs-Interviews. Für die Schwule Aktion Bremerhaven verfasste ich auch mein erstes Flugblatt
Die Gruppe wuchs, zaghaft aber kontinuierlich wurden wir mehr Mitstreiter – auch wenn bei weitem nicht alle gleichgeschlechtlich  veranlagten Herren Bremerhavens von unseren Aktivitäten begeistert waren (im Gegenteil, bissige Bemerkungen, selbst Anfeindungen waren nicht eben selten).

Einen der Wirte der drei Bremerhavener Schwulenkneipen schätzte ich sehr. Karl vom ‚Minerva‚ konnte als Wirt abweisend sein, manchmal recht schroff, gelegentlich verletzend scharf. Als Mensch war er ‚ein feiner Kerl‘, mit dem es sehr nahe Momente gab, dessen Rat und Meinung mir viel bedeuteten. Karl fragte mich damals oft, ob denn ‚das sein müsse‘. „Ich weiß, wie es früher war. Und heute ist es doch gar nicht so schlimm, wie ihr immer tut. Lasst es doch gut sein, man kann doch heute als Schwuler ganz gut leben.
So sehr ich Karl verstand [ja? tat ich das damals? oder bemühte ich mich jedenfalls?], mit seinem schwierigen (und leidvollen) Lebensweg, ich konnte damals nicht ‚gut leben‘ mit der Situation der Schwulen, mit meiner Situation als Schwuler in Bremerhaven. Ich wollte anderes. Wir wollten anderes, gemeinsam. So ging die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‘ ihren Weg.

Im ‚Rosa Flieder‘ (Ausgabe 26, Mai 1982) stellten Fred und ich unsere Gruppe folgendermaßen vor:

„Schwule in der Provinz, und dann noch im kühlen Norden, wo gibts denn sowas? Tja, seit August 1981 in Bremerhaven. Da haben sich hier fünf Schwule zusammengetan – inzwischen sind wir 11 geworden – und versuchen, diese ‚Seestadt‘ etwas wärmer zu machen. Häufigste Frage ist bisher die nach dem Sinn dieser Gruppe. Also, was wollen wir?

Zunächst zweierlei: Einerseits anderen Schwulen etwas mehr aus ihrem Ghetto heraushelfen und das bei Heteros (und Schwulen) bestehende Informationsdefizit etwas verringern, andererseits hier auftauchende Repressionen gegen Schwule (Klappenbespitzelung, örtliche ROSA LISTE?) nachgehen. Bisher haben wir einmal nen Bücherstand (aufm Friedensfest) gemacht, einen acht-Minuten-Spot bei Radio Bremen gehabt und eine Lesung mit Thomas Grossmann veranstaltet. Die Resonanz war insgesamt für den Anfang schon ganz erfreulich, um hier aber etwas mehr bewirken zu können, brauchen wir noch mehr Unterstützung und Mitstreiter. Also, wer jetzt Lust hat, bei uns mitzumachen, der schreibe uns doch mal oder rufe kurz an:“ (es folgten sowohl Freds als auch meine Adressen und Telefonnummern)

Die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‘ war damals wohl Selbsthilfe in ihrer ureigensten Bedeutung – ohne dass der Begriff ‚Selbsthilfe‘ mir damals bereits etwas sagte. Wir waren unzufrieden mit dem, was war. Wir wollten anderes. Wir taten uns zusammen. Um gemeinsam zu versuchen, Dinge anders zu machen, andere Wege zu gehen, unsere kleine Welt ein Stück weit zu verändern.

Die „Schwule Aktion Bremerhaven“ existierte noch viele Jahre (unterzeichnete z.B. 1988 einen Aufruf gegen die britische ‚Clause 28‘, nachzulesen bei Jörg Hutter). Ich erinnere mich, einige Jahre nach meinem Wegzug aus Bremerhaven (1982) war ich 1984 noch einmal auf einem Treffen der Gruppe im (inzwischen ebenfalls nicht mehr existierenden) Kulturzentrum ‚Roter Sand‚ gewesen zu sein. Irgendwann hab ich leider zu allen damaligen Mitstreitern den Kontakt verloren …

.

Kategorien
Erinnerungen HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Alles hat seine Geschichte. Auch Aids.

Alles hat seine Geschichte. Auch Aids.

Alles begann 1981. Forscher beobachten eine seltsame Häufung von Pilzinfektionen und seltenen Lungenentzündungen bei Schwulen in Los Angeles, später auch in San Francisco und New York. Im Juni 1981 erscheint ein erster Bericht über das, was später ‚Aids‘ genannt wird, in der Fachpresse (dem ‚MMWR‘). Schon wenig später berichtet mit der New York Times auch die erste Publikums-Zeitung, im März 1982 schließlich berichtet in Deutschland erstmals der ‚Spiegel‘, unter dem Titel “Schreck von drüben”.

So beginnt ‚die Geschichte von Aids‘ (bzw. von der Wahrnehmung von Aids, denn die Anfänge von HIV liegen weit früher).

So beginnt Anfang der 180er Jahre die Geschichte einer Epidemie, die bald das Leben (nicht nur) der Schwulen dramatisch verändert. Die Geschichte einer Infektion, die sich – zunächst schlei­chend, bald jedoch mit massiver Wucht – in die Leben vieler Menschen drängt, auch in meines.

2012, gut dreißig Jahre später. Zahlreiche Feiern haben stattgefunden in den vergangenen Jahren, Jubiläen unzähliger Organisationen, die sich im Kampf gegen Aids engagiert haben. Was gab es zu feiern? 3 Jahre. Erinnern. Geschichte.

Geschichten.
Geschichten wie HIV sich mal schleichend langsam , mal überschlagend schnell in unsere, auch in mein Leben drängte, es aufzusaugen drohte.

Wie wichtig ist HIV in meinem Leben?
Ein weiter Bogen ließe sich spannen, von Ignoranz bis Dominanz, von Verharm­losen bis Hoff­nungslosigkeit, von Liebestrunkenheit bis zu tiefstem Absturz.
Fast wäre es wohl möglich, eine Art ‚Typologie der HIV-Relevanz‘ in meinem Leben zu erstellen – von Null auf Hundert, mit allerlei Achterbahn mittendrin.
Geht es auch wieder zurück? Hört das irgendwann einmal auf?

Anfang der 1980er

An die ersten Berichte über diese „neue Schwulen-Seuche“, wie sie damals tituliert wurde, kann ich mich gut erinnern, und auch an meine Reaktionen. „Haben die jetzt wieder etwas Neues gefunden, um uns weiter zu unterdrücken?“ Die Schwulen der Generation vor mir hatten mühsam gekämpft, um die Freiheiten, auch die sexuellen Freiheiten, zu erreichen, die ich nun gerade in vollen Zügen genoss. Wollten die uns das alles wieder weg nehmen? War da überhaupt etwas dran? Oder übertrei­ben die wieder mal?

Mit HIV (das diesen Namen erst später erhielt) wollte ich damals zunächst nichts zu tun haben. Okay, an das mit den Kondomen, da musste ich mich wohl gewöhnen. Ein kleiner, hauchdünner Schritt war es, mit dem HIV in mein Leben drang.

In Urlauben, gern an Frankreichs schwulen Stränden, erleben wir – anders als in den Homoszenen zuhause – weiterhin ‚das pralle Leben‘. Sex, als sei Aids ein fernes Gespenst, safer Sex etwas für neurotische Großstädter (die genau hier ihren Urlaub machen). Es ist Urlaub, die Sorgen sind fern, Kondome bei Franzosen anscheinend noch un­beliebter als bei uns. Weitgehend sorgenfrei scheint das schwule Standleben hier weiter zu toben.

Mitte der 1980er

Irgendwann begann Aids, mehr Raum in meinem Leben einzunehmen. Ob ich wollte oder nicht (nein, ich wollte nicht), HIV drängte sich mehr in mein Leben. Nicht schleichend, sondern ganz ra­sant. Wegschauen war vorbei. Zunehmend mehr Freunde und Bekannte erkrankten. Die ersten ster­ben.

Ende der 1980er

Und es wurde nicht besser. Monatelang, jahrelang nicht. Im Gegenteil.

Kein Zeichen von Hoffnung.
Kein Lichtstreif am Horizont.
Immer mehr Freunde und Bekannte kamen an, sagten dieses traurige „du, ich hab’s auch“.
Hoffnungslosigkeit schwang bei jedem Test, jeder Diagnose sofort mit.
Zahle ich jetzt den Preis für mein liederliches Lotterleben, wie sie es uns einzureden versuchen? Hat ‚es auch mich erwischt‘? Und wenn ja – wie lange habe ich noch?

Immer mehr Lover, Weggefährten, Mitstreiter starben.
Die Zahl der Trauerkarten und Einladungen zu Begräbnissen in unserem Briefkarten nahm irgend­wann ein Maß an, für das mir nur ein Wort in Erinnerung bleibt: ‚unerträglich‘

Um HIV kam ich nicht mehr herum. Aids war längst tief drin in meinem Leben.

Anfang der 1990er

Im Sommer 1989 lernte ich in Paris einen jungen Mann kennen. Eine ‚große Liebe‘ meines Lebens.Wir verbrachten traumhaft schöne Momente mit einander, positive Momente. Irgendwann in den 1980ern hatte ich selbst die Diagnose ‚HIV-positiv‘ bekommen. Auch er war positiv. Seelenver­wandte waren wir, Gefährten. (Ich habe über die Zeit mit ihm auf unserem privaten Blog 2mecs ge­schrieben „Einige Tage mit dir“.)

HIV hatte sich wieder weiter voran in mein Leben gedrängt, wieder eine Stufe mehr auf der Leiter der Aids-Eskala­tion, eine unerträgliche. Nicht nur waren große Teile meines persönlichen Umfelds HIV-positiv, nicht nur hatte ich selbst längst mein Testergebnis in der Tasche. Nein, nun war auch einer der Menschen, die mir am nächsten sind, einer den ich liebe, positiv – und erkrankte, erkrankte schwer.

Ich erlebte mit ihm, mit uns nicht nur ’sein‘ HIV, sei fortschreitendes Erkranken. Mir war nur zu bewusst: du er­lebst hier auch dein HIV. Du erlebst auch dich selbst – in irgend einer nicht allzu fernen Zukunft. So wie ihm wird es bald auch dir ergehen.

Im Herbst 1990 starb Jean-Philippe.

Selten habe ich mein Leben elendiger empfunden.
Und lange hinterher stand immer wieder eine Frage im imaginären Raum meiner stillen Gedanken: Warum er? Warum ich nicht? Eine Frage, die heute nur schwer verständlich erscheinen mag. Eine Frage, auf die es keine ‚vernünftige‘ Antwort gibt. Keine Antwort die erträglich ist.

Mitte der 1990er

Irgendwann konnte ich auch meiner eigenen HIV-Infektion nicht mehr so locker umgehen wie zu­vor viele Jahre lang. Ich ging regelmäßig zum Arzt, ließ Werte kontrol­lieren, versuchte halbwegs auf eine gesunde Lebensführung zu achten. Nahm erste Medikamente gegen HIV, als sie verfügbar wurden. Bemühte mich aber, mein ich, mein Sein nicht von HIV bestimmen zu lassen.

Doch das funktionierte irgendwann nicht mehr. HIV drängte sich noch weiter vor in mein Leben, nahm nun eine zunehmend wichtigere Rolle ein. Ich erkrankte oft, vielfach an ‚harmlosen‘ Dingen, doch zu­nehmend häufiger, schwerer.

Bis mein Körper irgendwann ’nein‘ sagte, nicht mehr wollte. Ich wachte eines Morgens auf, im Krankenhaus, unter Sauerstoff. PcP – eine der Erkrankun­gen, die damals Horror-Gefühle bei jedem Positiven auslösten. Eines der untrüglichen Zeichen: nun ist es soweit.

HIV begann, mein Leben zu dominieren.

1996

„Wir können nichts mehr für Sie tun.“ Die Worte des Arztes waren eindeutig. Und sie überraschten meinen Mann und nicht, nicht mehr. Zu viel war passiert in den vergangenen Wochen und Monaten.
Mein eigener Horizont war immer enger geworden. Reichte nur mit großer Mühe noch über mich, mein kleines beschissenes Leben, das pure Über-Leben bis zum nächsten Morgen hinaus

Die maximale Eskalationsstufe schien erreicht. HIV hatte sich so massiv in mein Leben gedrängt, das kaum noch Raum für anderes war. HIV hatte mein Leben okkupiert. Zu einhundert Prozent. Es fraß mich auf.

Immer noch 1996

„Es gibt da ein neues Medikament. Noch nicht in Europa zugelassen, aber gute Studiendaten.“ We­nige Wochen später. Der Arzt kann mir zaghaft Hoffnung machen.
Einige Wochen, einige Probleme mit der Krankenkasse, einen Arztwechsel später: plötzlich macht es ‚peng‘. Plötzlich, einige Wochen nachdem ich mit der neuen ‚Kombi‘ begonnen hatte. Eines Tages merkte ich ‚da ist ja doch noch Leben in dir‘. Wachte auf, fühl­te mich. Fühlte mich – ein klein wenig kräftiger. Ein Wort, ein Gedanke, der mir sehr lange nicht mehr gekommen war.

Es war ein kleiner Hoffnungsschimmer – aber er sagte: viel­leicht kannst du doch die Hoheit über dein Leben zurück gewinnen, zumindest für einige Wochen, einige schöne Tage noch.

In den 2000ern

Ein Auf und Ab folgte. Wirken die Pillen? Und wie lange? Wann versagen sie wieder? Trotz aller neuen Hoffnungen, HIV war immer da, ganz vorne im Bewusstsein. Die Drohung des Sterbens war immer präsent.

Mein Leben mit HIV, mit den Pillen ist zu dieser Zeit nicht immer einfach. Die eine Kombi macht so massive Neben­wirkungen, dass ich mich kaum ohne Unterhose zum Wechseln aus dem Haus traue. Die andere führt zu Taubheit an den Füßen, Neuropathien. Irgendwann werden die Arme und Beine immer dün­ner, Löcher schleichen sich ins Gesicht – Lipodystrophie.

Und doch: ich lebe. Und ich lebe zunehmend besser. Lerne mit Neben- und Wechselwirkungen um­zugehen. Therapiewechsel. Irgendwann auch Kombi-Therapien, die ich ruhigen Gewissens als ‚ver­träglich‘ empfinde.

HIV ist noch da, nimmt zuerst weiter einen sehr großen Raum in meinem Leben ein. Aber der Raum wird kleine. Schleichend reduziert sich der Einfluss, den HIV auf mein Leben hat, dem ich ihm gewähren muss.

Und doch – HIV und Aids haben Wunden hinterlassen in mir, die nur sehr langsam heilen (tun sie das?). Schmerzen, die immer wieder aufbrechen. Schaue ich (was ich vermeide) in alte Adressbücher, schreit mich eine Einsamkeit des Zurückgelassenen an. Erinnere ich mich an früher, an Menschen, die ich liebe, mit denen ich mich engagierte, die mich durch mein, durch unsere Leben begleiteten – ist da eine unendliche Traurigkeit. Leere.

2012

Inzwischen, und schon seit einigen Jahren, kann und soll Aids wieder weit weniger Raum in mei­nem Le­ben einnehmen, deutlich weniger. Ja, es gibt noch die täglichen Pillen, die dreimonatigen Arztbesu­che. Gelegentliche Positiventreffen. Meine Site ondamaris.

In meinem Fühlen, in dem was mich persönlich beschäftigt, nimmt Aids hingegen seit Jahren weni­ger Raum ein. HIV okkupiert nicht mehr mein Leben. Ich versuche, ihm ständig weniger Raum zu­zugestehen. Eine kleine, ganz private ‚Normalisierung‘.
Das Leben ist längst zurück gekehrt, mit all seinen Freuden, Banalitäten und Alltagssorgen.

HIV – ist noch da, und wird es wohl, so keine Wunder geschehen, auch mein Leben lang bleiben.
Aber HIV dominiert nicht mehr mein Leben. Ist ein Teil davon, ein kleiner. Bestimmt es nicht mehr.

Im Gegenteil, in den letzten Jahren verliert es an Bedeutung, für mich, in meinem Leben, wird HIV zunehmend – unwichtiger.

.

Was ich mir für die Zukunft wünsche?
Dass HIV und Aids wieder dorthin verschwinden, wo sie hingehören: in die Bedeutungslosigkeit.
Hier, und überall auf der Welt, unabhängig von Industrialisierung oder ‚Wohlstand‘.
Und dass der Weg, die Menschen die diesen Weg gegangen sind, die diesen Weg nicht überlebt ha­ben, erinnert werden.

Alles hat seine Geschichte. Auch Aids.
Geschichten haben für gewöhnlich ein Ende.
Auch die Geschichte von Aids.

.

Diesen Text habe ich als Gast-Beitrag für den ‚Teilzeitblogger‚ verfasst, der ihn am 14. Mai 2012 veröffentlicht hat.
Übernommen hat den Text auch thinkoutsideyourbox.

.

Text 21. April 2017 von ondamaris auf 2mecs

Kategorien
Nachdenkliches

Gedanken zu ‚Erkenne dich selbst‘

Erkenne dich selbst. Gnôthi seautón (Γνῶθι σεαυτόν). Einer der Kern-Gedanken griechischen Denkens.

Zurückgeführt wird ‚gnôthi seautón‚ ( Erkenne dich selbst ) als Urheber auf den griechischen Gott Apollon (Gott der sittlichen Reinheit und Mäßigung). Bekannt geworden durch das Orakel von Delphi (dort stand ‚gnôthi seautón‘ auf einer der Säulen der Vorhalle). Später im Lateinischen übernommen als ‚nosce te ipsum‚.

Erkenne dich selbst – Aufforderung zur Selbsterkenntnis, und doch so viel mehr.

Ai Weiwei ‚Know Thyself‘ (2022), De-/Rekonstruktion in Lego, nach einem an der Via Appia entdeckten Mosaik, heute Diokletianstherme

Gedanke, der mich seit frühester Zeit begleitet, zunächst ganz im persönlichen, im Entwicklungs- Sinn (die philosophische(n) Bedeutung(en), Fragen und Chancen noch gar nicht erfassen könnend). Motiv, an das ich mich erinnern kann, seit ich begann, mich als eigenes Wesen wahrzunehmen, nicht nur als ‚Klon meiner Eltern‘.

“ Erkenne dich selbst „. Sei du selbst. Kopiere nicht, eifere nicht nach. Finde heraus, was ‚du selbst sein‘ bedeutet, probiere es, dich, dein Leben aus, deine Möglichkeiten, deine Grenzen. Sei, werde. Werde Mensch.

.

„In diesem Spruch ist nicht etwa die Selbsterkenntnis der Partikularität seiner Schwächen und Fehler gemeint, sondern der Mensch überhaupt soll sich selbst erkennen.“
(Hans-Georg Pott, ‚Kurze Geschichte der Europäischen Kultur‘)

.

Es gibt (ganz für mich persönlich) Orte, an denen ich Aspekte dieses ‚gnôthi seauthón‘ sehr intensiv erlebe. Wie einst bei der ersten Begegnung mit dem großen steinernen Buddha im Wat Mahathat von Sukhotai. Oder immer wieder am Strand von Lacanau oder Le Porge

erkenne dich selbst

Orte, an denen ich tief zu mir finden kann, zu Momenten großer innerer Ruhe. In denen klar wird, was bedeutend ist in meinem Leben, für mich.

.

Delphi liegt am Süd-Fuß des Parnass. Wohnsitz des Apollon wie auch seines ‚Widersachers‘ Dionysos
Apollon – Gott des Lichts, der Heilung, der sittlichen Reinheit, der Mäßigung. Und Gott der Weissagung. Ihm ist das Heiligtum von Delphi gewidmet.
Dionysos – Sohn des Zeus, Vater des Priapos. Gott der einfachen Leute, des Weines, der Fruchtbarkeit, des Rausches, der Exstase. Hingabe. Im Gefolge des Dionysos oft: Dämonen, die Satyrn (nicht unähnlich den römischen Faunen). Dargestellt (als Fruchtbarkeitssymbole) oft mit übergroßem Phallus (siehe Darstellungen in ‚Das ‚Geheime Kabinett‘ von Neapel‚).

In Dionys und Apoll kehren Seth und Horus wieder.
Im alt-ägyptischen Mythos von Seth und Horus steht Seth, symbolisiert durch Hoden, für Gewalt, verbunden mit Sexualität, Zeugungskraft. Ihm gegenüber steht der Lichtgott Horus als Verkörperung des Gesetzes. Seth und Horus sind Gefährten – und geraten in Streit mit einander um den ägyptischen Thron (Osiris-Mythos). Eine versuchte Versöhnung scheitert. Mit allen Mitteln versucht Seth, Horus zu besiegen. Letztlich obsiegt Horus, der Lichtgott.

Bemerkenswert: in der alt-ägyptischen Kultur wird Seth nicht etwa (wie in unserem oft schwarz-weißen, bipolar geprägten Denken zu erwarten) verteufelt und abgelehnt, ausgegrenzt. Vielmehr wird er ambivalent dargestellt, letztlich wird er integriert.

.

„Man frage mich nicht, wer ich bin, und man sage mir nicht, ich solle der Gleiche bleiben: das ist eine Moral des Personenstandes; sie beherrscht unsere Papiere. Sie soll uns frei lassen, wenn es sich darum handelt zu schreiben.“
Michel Foucault, Archäologie des Wissens

.

Rausch und Wollust. Hingabe. Mäßigung und Reinheit. Gegensätze? Versöhnen? Eine Utopie?
Rausch, Sexualität, Lust sind Bestandteile des Menschen. Versöhnbar mit Mäßigung, Schönheit, höherer Wahrheit.

Apollon und Dionysos.
Seth und Horus.
‚Gnôthi seautón‘ kann nicht verabsolutiert gelten, immer hat es den Satyr an die Seite gestellt …

Kategorien
Erinnerungen Homosexualitäten

Schwusel – 1982/ 83

Seit 1981 gab es in Hamburg eine Gruppe für junge Lesben und Schwule: SCHWUSEL. Ich erinnere mich an schöne Zeiten bei Schwusel in den Jahren 1982 und 1983 – die Gruppe war eine Zeit lang einer der Mittelpunkte meines schwulen Lebens damals – von politischem Engagement bis zu Gruppentreffen, privaten Feiern und schönen Freundschaften.

Im schwulen Stadtführer Hamburg ahoi! (1. Auflage, 1981) stellt Schwusel sich u.a. folgendermaßen vor:

„Wir, Schüler, Studenten und Azubis im Alter bis ca. Mitte 20, haben uns seit Mitte 1980 zusammengefunden. Als junge Homoexuelle haben wir uns bewußt von den bestehenden Gruppen abgesetzt und als eigene Gruppe gegründet, weil wir meinen, daß unsere Situation sich von der ‚erwachsener‘ Schwuler und Lesben noch unterscheidet.“

Schwusel Aufkleber ca. 1981
Schwusel Aufkleber ca. 1981 (Dank an A.R.!)

Schwusel hatte auch eine eigene (kleine) Zeitung „SCHWUSEL – unabhängige Zeitung der schwul-lesbischen Jugend Hamburgs“ . In der erste Ausgabe 1983 wurde die Gruppe so vorgestellt:

„SCHWUSEL – aus SCHWU von SCHWUl und SEL von LESbisch – ist eine Selbsthilfegruppe schwuler und lesbischer Jugendlicher im Alter bis ca. 25 Jahre, die es seit Mai 1981 gibt. … SCHWUSEL hat im Januar 1983 ca. 50 Mitglieder. Einige von uns arbeiten im Forum Hamburger Lesben und Schwule mit.“

Koordiniert wurde Schwusel von einem ‚Kollektiv‘ (in dem ich zeitweise Mitglied war). Die Gruppe traf sich im JuZ St. Georg (Stiftstr.), später dann in den Räumen in der ersten Etage über dem ‚Tuc Tuc‘ in der Oelkersallee 5, wie auch das Titelbild der „SCHWUSEL-Zeitung Nr. 2/83“ zeigt:

Schwusel trifft sich über'm Tuc Tuc (Schwusel Nachrichten 2/1983, Grafik Martin D.)
Schwusel trifft sich über’m Tuc Tuc (Schwusel Nachrichten 2/1983, Grafik Martin D.)

Schwusel bestand vor allem auch aus zahlreichen Unter-Gruppen. So vermeldet die Schwusel-Zeitung 2/83 neben dem Kollektiv eine Coming-Out-Gruppe, eine Kennenlern-Gruppe, eine Provinz-Gruppe, die Freizeitgruppe, hinzu kam später z.B. eine Schul-Gruppe, eine Lesbengruppe, verschiedene Geprächskreise. Schwusel unterhielt zudem ein zwei Stunden pro Woche erreichbares „Schwusel Telefon“ – und war somit eine der ersten regelmäßig für junge Lesben und Schwule erreichbaren Anlaufstellen.

Eines der am leidenschaftlichsten innerhalb von Schwusel diskutierten Themen war übrigens … die Altersgrenze (ja, diese Debatte gab es ‚damals‘ auch schon …). Eigentlich war Schwusel ja für Menschen bis 25 Jahre gedacht. Je mehr sich einige Mitglieder jedoch dieser Grenze näherten, desto mehr kamen einige ins Nachdenken … und Debattieren, um die Altersgrenze.

SCHWUSEL und das Magnus-Hirschfeld-Zentrum MHC

Schwusel plante, sich auch aktiv am (damals noch in Planung befindlichen) MHC Magnus-Hirschfeld-Centrum zu beteiligen. Vertreter/innen der Gruppe nahmen an entsprechenden Gesprächen teil (hier lernte ich erstmals Hans-Georg Stümke kennen, damals einer der sehr aktiven Menschen in der UHA)  – die Mitarbeit von Schwusel im MHC scheiterte letztlich, in meiner Erinnerung vor allem daran, dass die UHA von ihrer dominierenden und allein-entscheidenden Position nicht abweichen wollte.

Die Beschäftigung mit und Auseinandersetzungen um das Magnus-Hirschfeld-Zentrum und die UHA kosteten Schwusel viel Energie – sehr zum Leidwesen einiger Mitglieder, die der Ansicht waren, diese Energien seien besser für die Gruppe eingesetzt.

Die Schwusel-Zeitung Nr. 4 vermeldet schließlich (in einem Beitrag von ‚Intervention‘ angesichts des Auszugs des Beratungs-Vereins ‚Intervention‘ aus dem MHC):

„Wieder geht eine Illusion kaputt. Zwar gibt es weiter ein schwull-lesbisches Zentrum in Hamburg, und der UHA wird es sicher auch gelingen, in Kürze das Beratungs-Angebot des MHC zu gewährleisten. Aber der Traum, in diesem Zentrum auch die verschiedenen Strömungen der Szene zu einigen, ist wohl endgültig dahin. Eher haben sich die Gräben noch weiter vertieft, hat sich die UHA noch weiter isoliert.
Und viele engagierte Menschen haben im Laufe der 1 ½ Jahre Auseinandersetzungen viel Kraft verschleudert und Mut verloren. Von der verschwendeten Kraft an unserer gemeinsamen Sache selbst mal ganz zu schweigen.“

Willi Klinker, damals UHA, zog im gleichen Heft Bilanz:

„Der Sinn und Zweck des MHC ist es, sozusagen ein Forum für alle denkbaren schwulen, lesbischen und sexualpolitischen Aktivitäten zu sein. …
Klar gibt es Unterschiede in der Arbeitsweise zwischen der UHA und anderen Gruppen; dazu gehören auch Mentalitäts- und Stilunterschiede. Die UHA hat in ihrer Arbeit das Hauptaugenmerk auf dem „G.H.“, wie Bea T[…] vor kurzem ironisch formulierte – auf dem gewöhnlichen Homosexuellen.“

Vielleicht waren wir, waren einge Hamburger Lesben und Schwule, damals einfach „nicht gewöhnlich genug“ …

Das MHC, die UHA und die anderen Hamburger Lesben- und Schwulengruppen – es war eine leidige Geschichte, aber auch eine, die Erfahrungen lehrte.
Froh war ich einige Jahre später, dass es in Köln gelang, das dortige neu entstehende Schwulen- und Lesbenzentrum SchULZ um einen Trägerverein (‚Emanzipation e.V.) herum entstehen zu lassen, in dem nahezu alle damals in Köln aktiven Schwulen- und Lesbengruppen und -strömugen vertreten waren.