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Hamburg Homosexualitäten

schwule Sauna Club Uhlenhorst 1969 – 1987

Eine der Legenden des schwulen Lebens in Hamburg ist das „CU„, die schwule Sauna Club Uhlenhorst .

Der ‚Club Uhlenhorst‚, liebevoll abgekürzt ‚CU‚ , befand sich mitten in Wohlstands-Hamburg an der Adolfstrasse 25 (inzwischen umbenannt, seit Februar 1986: Herbert-Weichmann-Strasse), Ecke Auguststr., eher unauffällig gelegen in einem Viertel sehr nahe der Alster. Großzügige Häuser, eingezäunte Gärten, nichts ließ den nicht Eingeweihten hier auf einen der einst ‚heißesten Orte Hamburgs‘ schließen. Ein schmaler Gang führte zum Eingang im Souterrain. Nicht wesentlich mehr als eine unauffällige Tür – und dahinter ein schwules Eldorado.

Das CU war eine schwule Sauna, und weit mehr als das. Es war zu Zeiten seiner Eröffnung die größte schwule Sauna Europas. Großzügige Schwimmhalle mit großem Schwimmbecken (mit den Pool säumenden griechischen Statuen), ausgedehnte Ruhebereiche, Gartenterrasse, Kabinen mit Cruising-Labyrinth, Solarien, Bar mit Imbiss-Möglichkeit. Zudem bot das CU eine Übernachtungsmöglichkeit (für ein geringes Aufgeld konnte man Ruhekabinen mieten), praktischerweise direkt mit Möglichkeit zum zwischenzeitigen Verlassen der Sauna.

Die Sauna selbst warb in Anzeigen mit ihrer umfangreiche Ausstattung

„Täglich 24 Stunden geöffnet. Finnische Sauna, russisches Dampfbad, Schwimmhalle, Jetstream Massage, Hot Whirl-Pool Jacuzzi, Gartenterrasse, Liegewiese, Tischtennis, großes Sonnenstudio, TV … Alles im Eintrittspreis inbegriffen … Außerdem über 50 Einzel- Privat-Kabinen (Übernachtungsmöglichkeit), Erfrischungs- und Snack-Bar, Frühstück ab 4 Uhr“

Werbeanzeige Club Uhlenhorst

Wolfgang Voigt schreibt 1981 in ‚Hamburg Ahoi!‚ über das ‚CU‘, „das goldene Ghetto in der Adolfstraße, dem sich keiner von uns so leicht entzieht“:

„Als stilbildendes Vorbild für viele Betriebe im Land könnte man die Uhlenhorst-Sauna ansehen, die sofort nach der Reform [von 1969; d.Verf.] eröffnet wurde – eine geniale Verknüpfung von Bar, klassischem Dampfbad, Klappe und Stundenhotel.“

Wolfgang Voigt über das CU

Arno Zedler berichtet (ebenfalls in ‚Hamburg Ahoi!‘) auf bemerkenswerte Weise über seine „Erinnerungen an den ‚Club Uhlenhorst'“.

Betrieben wurde der ‚Club Uhlenhorst‘ von Harald Tangermann (7.12.1932 Hamburg – 27.3.1998 Hamburg) und Peter Daun (19.6.1941 – 15.12.1987; ehemaliger Polizist und Seemann, den Tangermann 1968 in Berlin kennengelernt hatte). Erste Planungen begannen bereits 1968, 1969 fand die Eröffnung statt.

Gelegen war die Sauna in ihrem damaligen Wohnhaus in Uhlenhorst nahe der Außenalster.

Das Wandgemälde in der großen Schwimmhalle hatte extra für diesen Ort Tom of Finland entworfen und realisieren lassen (den beide 1968 auf Vermittlung von Gerhard Pohl kennengelernt hatten).

das Tom of Finland Wandbild im ehemaligen Club Uhlenhorst (Foto © Rinaldo Hopf 2020)

Aufgrund ihres großen Erfolgs warb das CU in Anzeigen bald mit dem Motto „Der internationale Treffpunkt mit Weltruf – Sauna, Freizeitclub und Bar – täglich 24 Stunden geöffnet“

Tangermann und Daun gründeten, inspiriert durch den Erfolg des CU, im Oktober 1974 in Hamburg auch eine Leder-Bar, den legendären nach Tom of Finland benannten ‚Tom’s Saloon‚ (den sie bis zum Verkauf 1977 gemeinsam betrieben).

Der ‚Club Uhlenhorst‘ schloss nach 18 Jahre 1987 für immer seine Pforten. Als Gründe wurden offiziell Probleme mit dem Ordnungsamt sowie mit den Nachbarn (Lärm) angegeben.

Das Haus wurde später umgebaut, das ehemalige riesige Wandgemälde von Tom of Finland exisitiert leider nicht mehr.

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Harald Tangermann starb 1998, Peter Daun bereits 1987. Ihre gemeinsame Grabstätte befindet sich in Hamburg auf dem Hauptfriedhof Ohlsdorf.

Grab von Harald Tangermann und Peter Daun Club Uhlenhorst Toms Saloon Pit
Grab von Harald Tangermann und Peter Daun (Foto April 2019)

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Allein die Eröffnung des CU bereits 1969 und dessen Planung schon 1968 sind bemerkenswert.

Die Zeit des ‚Nachseptember‘ – gerade erst war am 1. September 1969 die Liberalisierung des Paragraphen 175 in Kraft getreten. Am 1. Oktober erschien erstmals das Homosexuellen-Maganzin ‚Du & Ich‘. Und in Hamburg eröffnet aus dem Nichts die größte Sauna für Homosexuelle in Europa.

Respektabilität nach außen bewahren und gleichzeitig im Innern Freiräume schaffen – dieser Gedanke der Homophilen-Bewegung der 1960er Jahre mag sich auch in Nachklängen noch im CU gespiegelt haben.

Und zugleich war die Eröffnung, auch nur kurz nach dem Höhepunkt der Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg der frühen 1960er Jahre, ein Schritt vorher unbekannten Ausmaßes für schwules Leben in Hamburg.

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1981 – ich lebte in Bremerhaven, war mitten im Studium – verzeichnete mein Kalender erstmals den Adress-Eintrag „Club Uhlenhorst, Adolfstr. 25, HH, Tel. 040 / 225954″.

Die schwule Sauna Club Uhlenhorst, kurz ‚das CU‘ – ein Angebot, dass ich als junger Student und direkt nach dem Studium damals viel und gern nutzte. Ähnlich wie die ebenfalls legendäre schwule Sauna Continental Opera in Paris

Bei meinen zahlreichen Wochenend-Visiten in Hamburg Anfang der 1980er Jahre konnte ich so das Angenehme mit dem Zweckmäßigen verbinden. Ein oder mehrere Sauna-Besuche, Freunde treffen, in Bars und Discos gehen, Party machen. Und Sex Sex Sex. Und vielleicht einige Stunden schlafen, im CU ging das unkompliziert, zumal es sonntags morgens auch noch leckeres Frühstück gab.

Für mich war es einst eine wichtige Station, das CU …

Später, mit aufkommendem New Wave, wurde die ‚griechelnde‘ Optik des CU ‚unmodern‘ – ‚coolere‘ Orte wie das (ebenfalls längst legendäre, 1983 eröffnete) Front oder die im Herbst 1982 eröffnete Pool Sauna waren nun ‚in‘ …

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Hamburg Homosexualitäten

Pool Sauna Hamburg – ehemalige schwule Sauna abgerissen

Lang lang ist’s her, da gab es in Hamburg schwule Saunen die hießen ‚Club Uhlenhorst‚ und später auch ‚ Pool Sauna ‚. Längst gibt es beide nicht mehr. Das Gebäude, in dem sie sich einst befand, wurde Ende 2011 abgerissen.

Pool Sauna – ehemaliges Gebäude abgerissen

abgerissen - das Gebäude der früheren schwulen Pool Sauna
abgerissen – das Gebäude der früheren schwulen Pool Sauna

Die ‚Pool-Sauna‘ wurde im Herbst 1982 in Hamburg eröffnet (Pulverteich 25). Sie wirkte damals wie ein ‚Gegen-Entwurf‘ zum stilistisch inzwischen etwas verstaubt wirkenden ‚Club Uhlenhorst‘ mit seinem griechelnden Ambiente, ein Hauch ‚New Wave‘ in der schwulen Sauna-Kultur.

Anzeige für die 'Pool Sauna', 1982
Anzeige für die ‚Pool Sauna‘, 1982

Lange hielt die ‚Pool-Sauna‘ sich nicht – nach wenigen Jahren wurde sie geschlossen. Später beherbergte das Gebäude mehrere Jahre lang einen Hetero-Club – eine schwule Sauna siedelte sich bald gleich nebenan an, die ‚ Dragon Sauna ‚.

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Biohazard Tattoo HIV – Zeichen für mehr Akzeptanz?

Tätowierungen, Brandings die den Träger eindeutig als HIV-positiv kennzeichnen – ist ein Biohazard Tattoo ein Zeichen von Selbst-Akzeptanz und HIV-positivem Selbstbewusstsein? Oder ein Akt der Selbst-Stigmatisierung?

In Berlin sieht man sie schon seit einigen Jahren häufiger, auch gelegentlich in Spanien oder Frankreich, und auch in den USA: schwule Männer mit einer auffälligen Tätowierung – einem Tattoo, mit dem sie sich als HIV-positiv zu erkennen geben.

Mehrere Zeichen werden als solche ‚eindeutige‘ Hinweise genutzt, als Tattoos verwendet. So das ‚Red Ribbon‘ (‚Aids-Schleife‘). Das bekannteste Signal unter Positiven jedoch dürfte das Biohazard Tattoo sein.

Biohazard Probenbeutel
Probenbeutel mit Biohazard Piktogramm

Tätowierungen, die den Träger eindeutig als HIV-positiv kennzeichnen – sie bieten aus Sicht vieler, die diese Tätowierung tragen, einen klaren Vorteil: sie sind eindeutig. Signalisieren dem gegenüber, der Umwelt: ich bin HIV-positiv. Coming-out als HIV-Positiver, langwierige unbequeme Gespräche hätten sich damit weitgehend erledigt. Gerade beim Sex weiß jeder, woran er ist, kann sich entsprechend verhalten. Ohne Worte.

Biohazard-Tattoo – Erfahrungen

Du bist kein Opfer. Du bist ein Champion, ein Überlebender – das ist der bedeutendste Teil des Tattoos„, zitiert CNN einen HIV-Positiven. HIV-Positive in den USA sprechen von einer ‚Umwidmung‘ eines Symbols, und vergleichen ihre Verwendung des Biohazard Tattoo mit der Verwendung des Rosa Winkels durch die Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Hinzu kommt, viele sehen in dem Biohazard Zeichen auch ein Signal der Verbundenheit mit anderen Positiven, einen „geheimen Identifikations-Code“, der auch gegenseitige Unterstützung signalisiere.

Auch in Deutschland ist das Biohazard-Symbol als Zeichen HIV-Positiver verbreitet. Eine Gruppe HIV-Positiver bezeichnet ihre Parties für Positive als ‚BiohazardMen Parties‘, und erläutert auf ihrer Site

Biohazard ist die Kurzform des englischen Begriffes „biological hazard“ (biologische Gefahren). Laut des amerikanischen CDC (Centers for Disease Control and Prevention) werden Erreger in unterschiedliche Biohazard-Levels eingestuft. Dabei geht von Organismen des Levels 1 die geringste Gefahr aus. Mit höherem Level steigt das Gefahrenpotential. Der HI-Virus wird mit Biohazard Level 3 gelistet.
Wir, die Biohazardmen, sind alle HIV-positiv. Du bist es auch? Dann bist du bei uns herzlich willkommen.

Auch Jörg (*), der seit zwei Jahren ein Biohazard Tattoo auf dem Arm trägt, und den ich in einem Berliner Club treffe, betont, sein Tattoo mache vieles einfacher: „Ich find’s einfach klar. Jeder weiß Bescheid, woran er ist. Spart viele Worte und Debatten.

Und, hat er keine Angst vor Stigmatisierung? „Nein. Die meisten Schwulen hier kennen das Symbol, und sehen’s auch als Vereinfachung – jeder weiß, woran er ist. Und die Heten, die mich damit vielleicht sehen, erkennen darin meist nur ‚irgend so eine Tätowierung‘. Die meisten kennen das Symbol doch nicht mal, und wenn doch, dann wissen sie nichts mit anzufangen, warum ich das trage.

Biohazard – ein nicht unumstrittenes Tattoo

Doch – auch unter HIV-Positiven sind ‚eindeutige‘ Tätowierungen umstritten. Manche fühlen sich erinnert an die umstrittene Werbekampagne, die der Photograph Oliviero Toscani Anfang der 1990er Jahre für einen italienischen Modekonzern realisierte: ein Plakat mit einem Hinterteil, auf das groß „H.I.V positive“ tätowiert war.

Bernd (*), ein weiterer Bekannter von mir, erinnert zudem daran, dass es gerade zu Beginn der Aids-Krise Politiker gab, die ernsthaft forderten, HIV-Positive sollten – womöglich zwangsweise – tätowiert werden, damit sie für jerdermann/frau als solche erkennbar seien. Schon deswegen käme für ihn persönlich dieses ‚Positiven-Tattoo‘ nicht in Frage.

(*) Name geändert

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Aids und die subtile Kontrolle der Lüste

Aids-Prävention, weitgehend auch von schwulen Männern zum eigenen Schutz ‘erfunden’, hat viele positive Folgen, und Aids-Prävention hat sich zugleich zum mächtigen Instrument der ‘ Kontrolle der Lüste ’ entwickelt. Brauchen, wollen wir das eigentlich so noch?

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In direkter Reaktion auf die sich stark ausweitende und unsere Existenz als Schwule bedrohende Aids-Krise haben u.a. schwule Männer einst ‘safer sex’ erfunden. Dieses Konzept erwies sich bald als erfolgreich und wurde auch von staatlichen Stellen aufgegriffen, in Public Health Kampagnen eingebunden und promotet. Mit weitreichenden Folgen – positiven, aber auch hinterfragenswerten.

Schwuler Sex lag einst – vor Aids (und auch als Ergebnis der 1970er Schwulenbewegungen; spätestens seit der Strafrechtsreform; und für Schwule über 18 Jahren) – weitgehend außerhalb staatlicher Regulierung und Kontrolle. ‘Wir’ hatten unseren Freiraum, den viele auch leidlich nutzen, experimentierten, ausprobierten. Begriffe wie ‘Subkultur’ brachten diese dezidierte Ferne von Mainstream wie auch staatlicher Kontrolle und Regulierung auch sprachlich zum Ausdruck.

Dann kam die Aids-Krise. Durch Aids, Konzepte wie safer sex und deren bereitwillige Übernahme durch staatliche wie nichtstaatliche Stellen wurden viele positive Erfolge erzielt (wie eine weitgehend niedrige Rate an HIV-Neuinfektionen, gemessen an ursprünglichen Horror-Prognosen). Doch ein Preis dieser Erfolge war: schwuler Sex befand sich plötzlich weit in Reichweite staatlicher Regelung und Kontrolle. Nein, er ‘befand’ sich nicht etwa überraschend dort, wir selbst hatten ihn – ob aus eigenem Überlebens-Interesse, in ‘Notwehr’ oder als ‘Diktat der Vernunft’ – dorthin manövriert.

Inzwischen ist schwuler Sex ein weitgehend staatlich normiertes Feld. Was ist ‘gut’ (sprich: ‘gesund’, ‘Neuinfektionen vermeidend’ etc.)? Dies wird definiert durch staatliche Agenturen und durch (meist) von staatlichen Stellen bezahlte Nichtregierungsorganisationen. Was ist ‘nicht gut’ (sprich: ‘Infektionen riskierend’, ‘ungesund’)? Auch dies wird von ihnen definiert – und bei Bedarf skandalisiert (siehe Debatten um ‚Porno 90‚ oder  ‘Bareback’ etc., aber auch stillschweigend nicht diskutierte Verbote von bestimmten ‘zu expliziten’ Broschüren). Diese Kontrolle – mal war und ist sie mehr subtil (wie in Form von Botschaften des ‘guten Sex’), mal ganz direkt (wie in Form von Verboten von Broschüren, Verhindern oder Verzögern von Kampagnen oder Skandalisieren von Personen und Verhaltensweisen). Aber immer ist sie da, die Kontrolle schwuler Lüste.

Inzwischen ist weitgehend akzeptiert, dass es ‘externe Stellen’ gibt, die definieren, was an Sex ‘gut für uns’ ist (anstatt dass wir das selbst machen). Nichts mehr mit ungeregeltem Experimentieren. Nichts mehr mit ‘hemmungslos’, mit ‘fallen lassen’, mit ‘Aufhebung von Gesetzen und Verboten’.

Die externen politischen und sozialen Regelsysteme des schwulen Sex – wir haben sie längst akzeptiert, und an sie gewöhnt. Einschließlich ihrer Sanktions-Mechanismen.

Und wir haben lange nicht hinterfragt, ob das, was einst angesichts der Aids-Krise zu unserem Schutz gut für uns war, auch heute noch in unserem Interesse ist.

Mehr noch: einige Schwule haben diese Kontroll-Mechanismen als selbstverständlich akzeptiert – und internalisiert. Und so fällt es den Strukturen zunehmend leichter, bei einer sich abschwächenden wahrgenommenen Bedrohung durch HIV als ‘Ersatz’ andere Stressoren zu präsentieren, von Syphilis bis Hepatitis C. Eine Fremd-Kontrolle, die auch bereitwillig akzeptiert wird, statt ein ‘Zurück zum selbst-kontrollierten Zustand’ zu fordern, zu wagen – oder gar selbst zu gehen.

Michel Foucault, offen schwuler und 1984 an den Folgen von Aids gestorbener französischer Philosoph,  hätte diese Situation vielleicht mit seiner Formulierung von der “fehlgeleiteten Philantropie” beschrieben: In anderem Kontext (Umgangs mit Geisteskranken) sprach Foucault von Wissenschaften, deren Anwendung einst aufgeklärt und human schienen, sich aber letztlich als subtile und heimtückische neue Formen sozialer Kontrolle erwiesen hätten …

Dabei wäre heute anderes denkbar.

Hier verbirgt sich die Frage nach Möglichkeiten der ‘Überwindung von Aids’ und seiner Folgen für uns. Wie können schwule Männer etwas von dem, was infolge von Aids die Situation Schwuler negativ beeinflusste, einschränkte, fremd-bestimmte, regulierte, wie können wir das überwinden? Wie können Schwule ein Stück dieser (vielleicht notwendigerweise) aufgegebenen Freiheit (z.B. Freiheit von Regulierung, staatlichen Eingriffen) wieder gewinnen?.

James Miller bezeichnet in seiner Biographie ‚Die Leidenschaft des Michel Foucault‘ den Philosophen als “in seinem radikalen Zugang zum Körper und einen Lüsten eigentlich eine Art Visionär”. Und Miller spricht von der

“Möglichkeit … daß hetero- und homosexuelle Männer und Frauen in der Zukunft … jene Art von körperlicher Experimentation, die ein integraler Bestandteil seines philosophischen Unternehmens war, wieder aufnehmen werden.”

Miller schrieb dies 1993, nur wenige Jahre nach dem Tod Michel Foucaults ( der an den Folgen von Aids gestorben war), geradezu visionär mit dem expliziten Zusatz, diese Möglichkeit ergäbe sich wieder

“nachdem die Bedrohung durch Aids zurückgegangen sein wird”.

Die reale Bedrohung durch HIV und Aids ist – gemessen an Horror-Szenarien der ersten Aids-Jahre – in Deutschland und West-Europa längst deutlich zurück gegangen.

Und doch, es gibt immer noch interessierte Stellen, die Horror-Gemälde an die Wand werfen – aber warum? Auf Basis einer realen Gefahr? Oder vielmehr z.B. um ihre einst durch Aids errungene Macht weiterhin aufrecht zu erhalten?

Hören wir auf Sie? Lassen wir uns weiter Angst-Gemälde vorhalten, internalisieren sie gar? Oder befreien wir uns von der Kontrolle der Lüste, holen uns ein Stück Autonomie über uns, unsere Körper, unsere Leben zurück?

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siehe hierzu auch Ulrich Würdemann: Sorglosigkeit und die Rettung der Lüste

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Frankreich

„quartier naturiste“ Cap d’Agde – Paradies der Nackten

Das Paradies der Nackten … liegt für viele FKK-Anhänger in Südfrankreich, genauer südlich von Montpellier am Mittelmeer: das „quartier naturiste“ von Cap d’Agde.

Das ‚quartier naturiste‚ (centre naturiste, früher CHM centre helio-marin) ist die (mit Abstand) größte Ferienanlage Europas für Nackt-Urlauber. An die 40.000 Nackte tummeln sich hier in der Hochsaison (Juli / August, der hauptsächlichen Sommer-Urlaubszeit in Frankreich) gleichzeitig; insgesamt kommt Cap d’Agde auf circa 1,5 Millionen Übernachtungen pro Jahr.

das quartier nudiste von Cap d’Agde

Cap d’agde, das heißt nackt zum Friseur, nackt zum Bäcker, nackt auf dem Fahrrad, nackt in den Supermarkt … und selbstverständlich: nackt an den Strand. Cap d’Agde hat wunderbare Strände zu bieten, und zwei der insgesamt 14 km Stand sind ausschließlich Nackten vorbehalten.

Strand von Cap d'Agde (Foto: Alex Fischer)
Strand von Cap d’Agde (Foto: Alex Fischer, Lizenz cc by-sa 3.0)

Der Strand vom FKK-Zentrum Cap d’AgdeAlex-fischer CC BY-SA 3.0

Gegründet wurde das Naturisten-Camp ‚quartier naturiste‘ von Cap d’Agde 1950 von Paul René Oltra – in einem unwirtlichen Sumpfgebiet. Einige wenige FKK-Urlauber aus Frankreich, Deutschland und den Niederlanden waren die Gäste in den ersten Jahren. Heute ist Sohn Jean-Michel der Chef … über einen riesigen Campingplatz (2.500 Plätze), zahlreiche Hotels, Apartmentanlagen und Bungalows.

Nur nicht über den ‚Schweinestrand‚. FKK-Anhänger sind ’sauber‘, schließlich entstand die FKK-Bewegung im Umfeld protestantischer Gruppen, bemühte sich immer um ein ’sauberes‘ Image – und möglichst große Distanz zu allem, was mit Schmuddel, gar Sex zu tun haben könnte. Nicht so am ‚Schweinestrand‘ von Cap d’Agde. An diesem gut 2 km von der FKK-Anlage entfernten Strand soll es ‚lebendiger‘ hergehen … gelegentlich allerdings inzwischen überwacht von Polizisten in Neopren-Polizei-Kombi auf Jet-Skis.

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Cap d’Agde

Der Badeort Cap d’Agde wurde auf dem Reißbrett entworfen, auf einem nur durch Sandstrände vom Meer getrennten früheren Sumpfgebiet.

Der Ort versucht inzwischen seine Attraktivität zu steigern und auch außerhalb der Badesaison zu einem attraktiven Reiseziel zu werden. So soll u.a. ein neues Kongreß-Zentrum mit 1.200 Plätzen entstehen. Zudem geplant: ein Casino sowie ein neues Vier-Sterne-Hotel. Und zahlreiche neue Wohnungen, geplant von dem Architekten Jean-Michel Wilmotte.

Der einst im Rahmen der unter de Gaulle entwickelten ‚mission Racine‚ entstandene Ort mit ca. 25.000 Einwohnern hat in der Hochsaison über 250.000 Bewohner.  Das ‚quartier naturiste‘ liegt im Osten des Ortes. Es gilt als bestbesuchte FKK-Anlage der Welt.

Zehntausende Besucher:innen genießen im Sommer täglich die Strände von Cap d’Agde, unter ihnen geschätzt 10 bis 20 Prozent LGBT.

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Während der Coronavirus Pandemie (COVID-19) wurden in Cap d’Agde erhöhte Zahlen von Coronavirus-Infektionen festgestellt. So ergaben Tests Mitte August 2020 95 positive Testergebnisse bei 490 untersuchten Personen, eine Rate von 19%.

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Kulturelles

Pornographie und Holocaust

„Pornographie und Holocaust“, geht das zusammen? Ja – im Israel der 1960er Jahre, in pornographischen Heftchen, in denen weibliche KZ-Aufseher alliierte männliche Soldaten quälen und vergewaltigen. Ein israelischer Dokumentarfilm, der jetzt in Deutschland in die Kinos kommt, gibt verstörende Blicke frei auf einen manchmal schockierend wirkenden Versuch, mit dem Schrecken des Holocaust umzugehen.

Vollbusige weibliche SS-Soldaten, Sadismus, Folter und Vergewaltigung – es ging derb und anzüglich her in den ‚Stalag‘-Heften im Israel der 1960er Jahre. Im damals sehr puritanistischen und konservativen Israel wurden die pornographischen Hefte offen verkauft – z.B. am Busbahnhof von Tel Aviv. Ihre Geschichte erzählt der Film „Pornographie und Holocaust“ des israelischen Dokumentarfilmers Ari Libsker, der nun in Kinos in Deutschland kommt.

Der Film „Pornographie und Holocaust“ behandelt das Thema der „sexuellen Ausbeutung des Holocaust“ an zwei Medien: einerseits den ‚Stalag‘-Heftchen der 1960er Jahre, andererseits bereits in den 1940er und 1950er Jahren erschienenen Büchern des Autors ‚K. Zetnik‘, die der als eine Art frühen ‚Vorläufer‘ der Stalag-Hefte sieht. Beide fanden ihre jeweils eigene, dennoch verwandte Art, die Themen Holocaust und Pornographie mit einander zu verknüpfen.

Unter den Namen „K. Zetnik“ berichtete der in Polen geborene israelische Autor und Holocaust-Überlebende Yehiel Dinur u.a. im Prozess gegen Adolf Eichmann über die Verbrechen der Nazis in KZs. Er verfasste -ebenfalls unter dem Pseudonym ‚K. Zetnik‘- mehrere Bücher über den Holocaust, bekannt u.a. „Das Haus der Puppen“ (1953) und „Salamandra“ (1946). Dinur berichtete darin nicht nur, er schrieb statt Reportagen über das Erlebte oft Passagen, die von Lesern als pornographisch oder gar sexuell stimulierend empfunden werden konnten.

Dinurs Bücher, insbesondere „Das Haus der Puppen“, sind noch im heutigen Israel aktuell, haben „das israelische Bewusstsein durchdrungen“. Gehören seit den 1990er Jahren zum Lehrstoff höherer Schulklassen und sind Prüfungsstoff im Abitur.

Offener pornographisch griffen das Thema einige Jahre später die ‚Stalag‘-Hefte auf. Sie waren -nach den Büchern Dinurs- mit die ersten Formen öffentlicher Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Israel – zu einer Zeit, in der gerade der Prozess gegen den ‚Architekten des Holocaust‘ Adolf Eichmann in Israel stattfand.

Der erste der drei Autoren der ‚Stalags‘ war „Mike Baden“ (i.e. Eli Keidar), ihm folgten „Ralph Butcher“ und „Mike Longshot“. Das erste Stalag unter dem Titel „Stalag 13″ wurde direkt zum Verkaufserfolg – über 80.000 Exemplare wurden verkauft. Schnell folgten weitere Ausgaben, bald auch von weiteren Autoren (unter ihnen Miram Uriel), viele verlegt von Isaac Gutmann. Geworben wurde für die Hefte in Zeitungsanzeigen – oft mit Anzeigen, die direkt neben Berichten platziert waren, die über den gerade stattfindenden Eichmann-Prozess informierten.

Der große Erfolg führte bald zu Nachahmern. Die Zahl der Stalag-Bändchen wuchs schnell, wechselnde Cover über der von Grundmuster her immer gleichen Geschichte. Nach gut zwei Jahren, einem Prozess und einer Übersättigung des Marktes verschwanden die Stalag-Heftchen wieder – und sind heute Objekt einer kleinen Gruppe Sammler.

Der Film“Pornographie und Holocaust“ behandelt ausführlich beides – die Bücher Dinurs wie auch die Stalag-Hefte der 1960er. Er lässt damalige Autoren, Leser, aber auch Wissenschaftler zu Wort kommen – und den Zuschauer immer wieder irritiert, bestürzt zurück. Eine Sexualisierung des unfassbaren Grauens, die selbst wieder kaum fassbar scheint – und doch ein Versuch ist, einen Weg des Umgangs mit eben jenem Grauen zu finden.

Sie bemühe sich, über den Holocaust „nur in kleinen Worten“ zu sprechen, denn eigentlich gebe es dafür überhaupt keine Worte, bemerkt eine der befragten Expertinnen gegen Ende des Films. Ein eigentümlicher Kontrast, wohltuender Abstand zu Worten und Bildern sowohl der Dinur’schen Bücher als auch der Stalag-Heftchen, in einer insgesamt wohltuend distanziert – ruhigen und sehr sehenswerten Dokumentation.

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„Pornographie und Holocaust“ (Original-Titel: ‚Stalags‘)
Dokumentarfilm, Israel 2008, 63 min.
Regie und Drehbuch: Ari Libsker
Verleih: Movimiento, Berlin

derzeit (seit 30.12.2010) zu sehen im Kino ‚Movimiento‘ Berlin

siehe auch:
Website des Films Stalags
SpON 30.12.2010: Kinodoku „Pornografie & Holocaust“
taz 29.12.2010: Die Inszenierung der Gewalt
SZ 30.12.2010: Die Hündin des Hauptmanns

Eichmann-Prozess /Transkript Aussage Yehiel Dimur am 7. Juni 1961 (auf Nizcor Project)
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Berlin Homosexualitäten

Napoleon Seyfarth (31.8.1953 – 2.12.2000)

Napoleon Seyfarth war eine Sau. Eine schwule Sau.” So beginnt der Nachruf auf Napoleon Seyfarth, der am 2. Dezember 2000 in Berlin an den Folgen von Aids starb.

Der am 31. August 1953 in Oggersheim geborene Seyfarth, der als Hans zur Welt kam und von Beruf Postbeamter war, erkor sich früh das Schwein zum Sinnbild. “Schweine sind das Symbol der Wollust”, erklärte er gerne. An seinen Lederklamotten hing meist ein kleines rosa Plüsch-Schweinchen … und als Sau machte er sich in Berlin einen Namen.

Einem größeren Publikum bekannt wurde Napoleon u.a. durch seine zwei Bücher “Schwein Oder Nicht Schwein” und “Schweine müssen nackt sein”.

Napoleon wusste seit 1988 von seiner HIV-Infektion. 1998 erkrankte er. Medikamente, antiretrovirale Therapie lehnte er ab.

Am 2. Dezember 2000 starb N. Seyfarth an den Folgen von Aids. Sein Grab, das sich auf dem Alten St. Matthäus Kirchhof in Berlin befindet,  ziert der Spruch “Das Ende des Schweins ist der Anfang der Wurst.

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Napoleon Seyfarth Grab (Fotos)

Grab Napoleon Seyfart
Grab Napoleon Seyfarth
Grab Napoleon Seyfarth, Detail
Grab N. Seyfarth, Detail

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Kulturelles

Liquid Sky (1982) – New Wave Kult Film

Liquid Sky – der New Wave Film von Slava Tsukerman aus dem Jahr 1982 wird in New York längst als legendärer Kultfilm betrachtet – in Deutschland ist er inzwischen nahezu unbekannt. 2018 wurde eine restaurierte Fassung in 4K Abtastung auf BluRay veröffentlicht.

Liquid Sky Regisseur Slava Tsukerman und Schauspielerin Anne Carlisle 2017 (Foto: Pburka, Lizenz cc by-sa 4.0)
Liquid Sky Regisseur Slava Tsukerman und Schauspielerin Anne Carlisle 2017 (Foto: Pburka, Lizenz cc by-sa 4.0)

Director Slava Tsukerman and actor Anne Carlisle at a screening of Liquid Sky at the Quad Cinema, New York City, May 28, 2017Pburka – CC BY-SA 4.0

Liquid Sky

In einem Apartment mit Dachterrasse in Manhatten lebt ein lesbisches Paar. Margaret, aus Conneticut stammend, ist enttäuscht von New York. Ihre mit Heroin (im US-Slang: Liquid Sky) dealende Freundin Adrian ist Musikerin und Performance Künstlerin, spielt auf einer Rhythm Box, die sie sich umgehängt hat.

Auf Margarets Balkon landet ein tellergroßes Ufo. Nicht weiter besorgniserregend, doch  … die Außerirdischen, denen Johann, ein deutscher Wissenschaftler schon auf der Spur ist, haben ein seltsames Bedürfnis. Sie ernähren sich von Endorphinen, genauer sie verschlingen Margarets männliche Sex-Partner im Moment von deren Orgasmus. Margaret selbst überlebt – sie kommt nie zum Organmus mit Sexpartner_innen, an denen sie nicht wirklich interessiert zu sein scheint. Und das bisexuelle Modell ist bereit den Aliens reichlich Nahrung zuzuführen … während unterdessen der asexuell erscheinende deutsche UFO-Forscher versucht, die Aliens einzufangen und zu untersuchen.

Tsukerman selbst sagt über Liquid Sky

„My basic idea behind Liquid Sky was creating a parable which would include most of the hot mythical topics of the period: sex, drugs, rock ’n’ roll, violence, aliens from the outer space. The story of Cinderella was the basic … This story was very often used in traditional Hollywood, as the embodiment of the American dream: the American Cinderella always finds her Prince Charming. I thought that the post-punk Cinderella of the ‘80s wouldn’t be able to find her prince among the men surrounding her. Her Prince Charming, ironically, would come in a small flying saucer from outer space.“

Liquid Sky – ein queerer Science Fiction ?

Ein Avantgarde – Science Fiction in fast Warhol-artigem Stil. Post Punk gemischt mit New Yorks New Wave – Szene der frühen 1980er Jahre. Gedreht überwiegend tatsächlich in Neon-Beleuchtung. Eine Filmmusik, die die Club-Szene und den baldigen ElectroClash beeinflusste. Ein Aufeinandertreffen von Sexualitäten jenseits starrer Geschlechterrollen, Drogenkonsum und Cybertech. Ein ‚science fiction queer movie‚ ?

„Whether or not I like someone doesn’t depend on what kind of genitals they have.”
(Margaret zu Paul, der sie fragt ob sie auch mit Frauen Sex habe)

who we are is a cretive act
(Anne Carlisle in einem Interview 2017)

Anne Carlisle spielt in beeindruckender Weise in Doppelrolle sowohl das bisexuelle biologisch weibliche Modell Margaret als auch den drogengebrauchenden biologisch männlichen androgynen Jimmy.

Liquid Sky – ein ‚Film vor Aids‘ ?

Orgiastische Sexualität, Drogen und Tod. Ein Film über ‚orgamsms killing people‚  – auch eine Metapher auf die sehr frühen Jahre der Aids-Krise?

Sätze wie „doesn’t that mean orgasms are dangerous“ oder „I’m killing all the people that I fuck“ können – von später, vonn den Aids-Jahren aus betrachtet – auch anders als ’nur‘ queeerer Science Fiction gelesen werden. Der Schluß des Films, wenn nach und nach immer mehr Neon-Lichter verlöschen, wird so auch zu einem Abgesang auf eine Zeit vor Aids.

Im Jahr 1982 erfolgten bereits 539 Aids-Diagnosen in New York, 212 New Yorker_innen waren bereits an den Folgen von Aids verstorben. Und nur wenige Monate später im März 1983 verfasst Larry Kramer seine Wut-Rede „1,112 and counting“.

Slava Tsukerman

Slava Tsukerman wurde 1940 in Moskau geboren. Die einzige Filmschule des Landes nahm jährlich nur 15 neue Schüler auf – er war nicht dabei. Stattdessen studierte er Technik, näherte sich dem Film von dieser Seite. Begann mit Wissenschafts-Dokumentationen. 1961 erster Film I Believe in Spring.

1973 emigieren Tsukerman und seine Ehefrau Nina Kerova, ausgebildete Schauspielerin, nach Israel. Mit einem der dort realisierten Dokumentarfilme nimmt er an einem Filmfestival in den USA teil – und entdeckt New York als ‚Zentrum der kulturellen Freiheit‚.

1976 ziehen beide nach New York. Zunächst dreht er zahlreiche Dokumentarfilme, oft über die Zeit des Endes der Sowjetunion.

Anne Carlisle

Anne Carlisle studierte in New York Fine Arts. Bei einem Casting lernte sie Slava Tsukerman kennen.

2017 kommentierte sie Liquid Sky, in dem Film seien viele Personen darmaturgisch verdichtet, so auch ein Bekannter, der sie immer ‚chicken woman‚ nannte. Zu möglichen Bezügen zur baldigen Aids-Krise bemerkte sie „they were dying of Aids, but nobody knew what it was yet.“

Nach Liquid Sky und einigen kleineren rollen machte Carlisle ihren Master in Art Therapy. Sie arbeitete mit Aids-Patienten, später Obdachlosen.

Liquid Sky – Produktionsnotizen

Der Film hatte ein sehr begrenztes Budget von etwa einer halben Million US-Dollar bei 28 Drehtagen. Teile des Films wurden in Tsukermans damaligem Apartment in Manhatten gedreht. Nahezu die Hälfte des Materials wurde unter Neon-Licht gedreht (was sich bei der Restaurierung als Herausforderung erwies).

Anekdote am Rand: während des Putsches im August 1991 soll dem unter Arrest gestellten Gorbatschow und seiner Frau Raisa ein wenig Unterhaltung gestattet worden sein – der Film Liquid Sky.

In New York und anderen Städten der USA lief der Film vier Jahre in einzelnen Kinos. Auch international war der Film ein großer Erfolg, besonders in Japan und West-Deutschland.

Liquid Sky war lange Zeit nahezu nicht zu sehen. Eine VHS, später Laser Disc Version und DVD waren m.W. nur in den USA erschienen und längst vergriffen. Im Streaming ist er nicht verfügbar. Im Kino waren keine Kopien mehr, einzig Tsukermans private Kopie wurde sehr selten in New York gezeigt.

Bis 2018. Der Film erschien im März 2018 in restaurierter Fassung in Kinos (in den USA) sowie im April 2018 als BluRay (USA, Region 0). Dafür wurde der Film nicht nur restauriert, sondern neu abgetastet in 4K – Auflösung vom 35mm-Negativ und farbkorrigiert.

Tsukerman und Carlisle arbeiten zudem an einem Konzept für ein Sequel.

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Liquid Sky
USA 1982, 112 Minuten
Regie Slava Tsuzkerman
Kamera & sepcial effects Yuri Neyman
Buch Slava Tsukerman, Anne Carlisle, Nina V. Kerova
Produktion Nina V. Kerova
Darsteller_innen Anne Carlisle, Paula E. Sheppard, Susan Doukas, Otto von Wernherr, Bob Brad
Musik Slava Tsukerman, Brenda I. Hutchinson, Clive A. Smith

Uraufführung August 1982 Montreal World Film Festival
Kinostart USA 15. April 1983
Kinostart West-Deutschland 14. Oktober 1983

1982 Special Jury Price, Montreal World Film Festival
Special Jury Prize for Visual Impact, Cartagena Film Festival
Audience Award, Sydney International Film Festival
Special Prize of the Jury, Brussels International Film Festival
Special Jury Prize, Manila International Film Festival

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Österreich

Wien: die ehemalige Opern-Klappe

In der Frage, was man aus Klappen machen kann, jenen einst von so manchem schwulen Mann so gern besuchten Ort, sind Stadtväter ja gelegentlich sehr kreativ.

Da werden Klappen einfach geschlossen, scheinbar renovierungsbedürftig, und nie wieder geöffnet. Oder eine freundlich die Hand aufhaltende Klofrau schreckt die unerwünschte Kundschaft ab – bis sie von geldschluckenden Maschinen an Stahlbarrieren ersetzt wird.

Andernorts mutieren Klappen zu Kiosken, Pizzeria oder Imbiss.

Besonders kreativ zeigt sie Wien. Eine der (einst?) beliebtesten Klappen der Stadt, die Opern-Klappe, kommt nun so daher:

Wien: ehemalige Opern - Klappe
Wien: ehemalige Opern – Klappe

Die frühere ‘Opern-Klappe’  –  nun eine ‘Opera Toilet’ mit kleiner Klavier-Bar im ehemaligen Pissoir und ständiger Strauß-Walzer-Berieselung … wohl bekomm’s …

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Wiener Porno-Identität – porn identity

Pornographie und Kunst stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung in der Kunsthalle Wien. Porn identity –  Kunst? Porno? Spektakel?

“Die Sexualität ist die Triebkraft unseres Lebens”, betont Kunsthallen-Direktor Gerald Matt, bekannt für seine publikumswirksamen Ausstellungen. Und zeigt dem Publikum nun unter dem Titel ‘The Porn Identity’ “Expeditionen in die Dunkelzone”.

Porno ist überall, jeder ist Porno, wenn er will.
Von Anzeigen bis Pop-Video, von Erotik-Messe bis Pay-TV und literarischen Feuchtgebieten – Porno ist längst nicht mehr nur die Domäne schmieriger Hinterzimmer und Kaschemmen. Die Gesellschaft wird sexualisiert, pornografiert. Porno ist scheinbar nahezu Mainstream.
Warum dann nicht auch Porno als Kunst?

Deftig, deutlich geht es zu in der Wiener Ausstellung.

Eines der bemerkenswerten Exponate: eine Rekonstruktion eines Polizei-Überwachungsvideo von 1962, das schwulen Klappensex zeigt (‘Mansfield 1962′ von William E. Jones). Strafverfolgung, Homosexuellenverfolgung von einst – inzwischen zur Kunst gewandelt?

Elmgreen Dragset (die auch das Berliner ‘Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen‘ schufen) sind mit einer ‘Queer Bar’ vertreten, die sich auf Foucault und seine “machtverweigernden Architekturentwürfe” (so der Begleittext) bezieht.

Immerhin, Porno ist noch nicht so allgemein akzeptierst, als dass die Ausstellung frei zugänglich wäre. “Zutritt ab 18″ heißt es auch in Wien …

Eine offene, aufgeschlossene Auseinandersetzung der Kunst, des Kunstbetriebs, der Museen mit Porno ist noch selten – Wien hat hier einen bemerkenswerten Aufschlag gemacht.
Allerdings mit einer Ausstellung, die manchmal ein schales Gefühl hinterlässt – geht es um mehr als geschmäcklerisches Spektakel? Wo ist die tiefere Auseinandersetzung mit Porno, z.B. damit welche Auswirkungen Porno und dessen ‘Normalisierung’ auf unser Zusammenleben, unser Sexleben, unser Geschlechteridentitäten hat? Oftmals vermittelt die Ausstellung den Eindruck, zu sehr im Oberflächlichen zu verharren.
Sperma als Kunst-Objekt (Terence Koh), Dildos zu Kubrick  – zum Schluss bleibt oftmals, so auch in Wien, die Frage – ist es Kunst? ist es Porno?

The Porn Identity – Expeditionen in die Dunkelzone
Kunsthalle Wien Museumsplatz 1, 1070 Wien
bis 1. Juni 2009, Halle 2
täglich 10 – 19 Uhr, Do 10 – 22 Uhr

weitere Informationen:
FR 23.02.2009: Hosen runter