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Politisches

Über Freiheit und Verbote

Immer breiter scheint sich auch in Deutschland eine Tendenz zu mehr Verboten durchzusetzen. Kontrolle, Repression, Machtinstrumente, anstatt auf die Fähigkeiten der Menschen zu vertrauen, Vielfalt zu ermöglichen und auszuhalten. Menschen wo möglich in diesen Fähigkeiten zu unterstützen, ihnen helfen sie auszubauen. Nein, angesagt ist Repression statt Emanzipation.

Was einst die Unantastbarkeit der Privatsphäre war, wird zunehmend ausgehöhlt mit der vordergründigen Erklärungsversuchen, seien sie Förderung der Gesundheit oder auch Bekämpfung von Terrorismus.

Die Maxime der Zeit scheint zu lauten ‚immer weiter gehende Eingriffe in Persönlichkeitsrechte‘. „Mehr Demokratie wagen“, diese Idee scheint längst in der Mottenkiste der Zeit gelandet zu sein. Antidemokratische Ideen hingegen sind groß ‚en vogue‘.

Der Hausfriedensbruch, laut Strafgesetzbuch immer noch eine Straftat, wird wohl bald in Sachen Computer staatlich legalisiert (u.a. Stichwort ‚Bundestrojaner‘, Online- Durchsuchung). Die (vergebliche) Verleihung des schwarz-rot-goldenen trojanischen Pferdes an den Verfassungsschutz NRW durch den Chaos Computer Club hat in hier beinahe schon den Beigeschmack einer verzweifelten kabarettistischen Geste.
Bemühungen, die Gesundheit zu fördern und das Rauchen einzuschränken pervertieren zu Verbotsorgien bis in den Privatbereich (‚Rauchverbot für Eltern‘ etc.). (Ich bin Ex- und jetzt Nichtraucher, seit 14 Jahren, mich stört die Qualmerei auch recht oft. Aber ich will auch keine Hexenjagd…)
Der Pranger wird wohl wieder eingeführt – Sexualstraftäter, selbst wenn sie ihre Strafe verbüßt haben und entlassen sind, sollen in einer weitgehend allgemein einsehbaren Datei („Sexualtäter- Datenbank“) gespeichert werden, fordern ‚christliche‘ Politiker von Petke bis Rüttgers.
Und nicht nur ebenfalls ‚christliche‘ Politiker, sondern auch einige bedauerliche Schwulenaktivisten haben irgendwas mit der Verantwortung missverstanden und möchten am liebsten jegliche Form von unsafem Sex verbieten und den Sozialstaat demontieren (oder schadenfroh sagen können ’selbst schuld, dann zahl jetzt auch selbst …‘). (Vielleicht hilft es, darum nicht viel Fedderlesens zu machen?)
Bleibt nur zu warten, wann aus Gründen des Klimaschutzes der Konsum von Bier und Sekt (Kohlensäure, CO²-Emission!) verboten wird …

Verbote und Kontrollen sind ein billiges Mittel, schnell vermeintliche Entschlossenheit und tatkräftiges Handeln zu demonstrieren.
Im billigsten Fall ist solche Politik nichts mehr als nur plakativer Aktionismus und für Stammtische gedacht. Im schlimmeren Fall ist sie antidemokratisch, gefährdet eine freie Gesellschaft.

Verbote und Kontrollen statt des Förderns als positiv empfundener Verhaltensweisen sind immer auch ein Mittel einer Gesellschaft (und von Menschen), die auf Macht, auf Herrschaft über andere setzt.
Eine Politik der Angst (Angst als gesellschaftlich betriebenes Phänomen und politisches Instrument), womöglich noch verbunden mit politischer Apathie, ist zutiefst antidemokratisch.

Wer Angst hat, kann leichter beherrscht werden. Sehnt sich irgendwann womöglich nach Führung.
Wer sich frei fühlt, benötigt keine Herrschaft, kann selbst eigenverantwortlich (und damit auch ethisch verantwortlich) über sich, sein Leben, sein Verhalten entscheiden.

Emanzipation,Freiheit und eigenverantwortliches Denken und Handeln zu fördern, Autonomie zu stärken wäre meines Erachtens der erstrebenswertere Weg, der Weg zu mehr Demokratie. Und wenn schon regulatorische Eingriffe, dann statt Verboten lieber Gebote.

Freiheit fördern, statt sie immer weiter einzuschränken, Zwänge auszuüben, Verbote auszusprechen.
Freiheit fördern, sich immer neuen Verboten, Einschränkungen, Repressionen, antidemokratischen Tendenzen entgegenstellen.
Verbote und Angst bekämpfen, Freiheit verteidigen und fördern.

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Bareback – Bare? Oder Back? Oder wohin?

Ist safer Sex out in Berlin? Wie weiter mit der HIV-Prävention? Zwei einfache Fragen – deren eingebauter Sprengstoff auf einer Veranstaltung im SchwuZ zu hitzigen Debatten und einem Anflug von Ratlosigkeit führten, sowie zu vielen Rollen rückwärts.

Bareback Diskussion Schwuz Berlin November 2006
Bareback Diskussion Schwuz Berlin November 2006

Schon bei den Begriffen ging und geht es munter durcheinander. „Über welches Bareback redest du eigentlich?“ „Ich unterscheide Bareback lite und heavy Bareback!“ usw. Was einst Ende der 90er Jahre als eine Variante des Sex‘ unter Positiven begann, als „bewusste Entscheidung informierter Positiver“ oder (wie M. Dannecker es nennt) ‚Emanzipation vom Kondom‚, hat sich längst verselbständigt, ist zu einer pseudo-positiv besetzten Worthülse geworden, die jegliche Form von unsafem Sex zu umfassen scheint.

Nicht nur unter Teilnehmern der Diskussion, sondern weit bis in Aids-Hilfen hinein ist eine Art „Roll Back“ in der Präventionspolitik zu beobachten. Eine beunruhigende Entwicklung, bei der über „selbstverschuldete Infektionen“, „Schuld“ und „Drohen“ diskutiert und wild konzipiert wird. Eine Entwicklung, die Stefan Etgeton pointiert hinterfragt mit „wem schadet die Bareback-Debatte in der Prävention eigentlich?“ – und einen differenzierten Umgang mit dem Thema wünscht.
Warum statt Plattitüden à la „wir brauchen wieder mehr Abschreckung“ nicht abwägende, an Vernunft und informiertes persönliches Risiko-Management appellierende Botschaften wie „unter diesen Umständen [wie: 2 als Paar sexuell monogam lebende schwule Männer] ist Bareback okay, und in diesen Kontexten [z.B. der Quickie mal eben nebenbei, unüberlegt ohne Kondom] hast du ein hohes Risiko für …“ ?

Bareback Diskussion Schwuz Berlin November 2006
Bareback Diskussion Schwuz Berlin November 2006

Doch diese Art überlegender Vernunft scheint derzeit auf dem Rückzug zu sein – diesen Eindruck konnte man zumindest zeitweise während der Veranstaltung gewinnen. „Back to the 80s“, das schien einigen Teilnehmern eher vorzuschweben.
Immer wieder kamen aus dem Publikum, vereinzelt unterschwellig auch vom Podium Rufe nach „schockierenden Plakaten“ [als gäbe es nicht längst Daten, dass auch Fotos von Raucherlungen die Anzahl der Raucher oder den Umfang des Tabakkonsums nicht senken], nach „wieder mehr Angst machen“, waren verquere Rufe nach drakonischen Maßnahmen spürbar. Woher diese Sehnsucht nach Repression, nach ‚law and order‘? Ist es die Hoffnung auf ein neues Glücksversprechen risikofreier Zeiten? Oder ein kruder Weg individueller ‚Verarbeitung‘ von Schuld- und Angstgefühlen?

„Angst ist ein schlechter Ratgeber“, riefen die Besonneneren in die Runde, „Horror-Szenarien bringen nichts“. Rolf de Witt betonte, wie wichtig es ist, Respekt für den anderen zu zeigen, nicht auszugrenzen, nicht zu verurteilen. „Tacheles reden ja – aber nicht wild in der Gegend rum provozieren“.
Erwachsene Menschen in ihren Entscheidungen zu akzeptieren, ihnen dafür kompetent Informationen an die Hand zu geben, das scheint – statt mehr Angst, mehr Repression – ein Gebot der Stunde.
Das aber erfordert nicht zuletzt neben guten Ideen aber auch ausreichende finanzielle Mittel. Oder anders herum: wer in den letzten Jahren die Mittel für HIV-Prävention ständig gekürzt hat, wie kann der sich nun über steigende Zahlen bei Neu-Diagnosen wundern? Für Information und Prävention wird zu wenig getan – ja! Aber eben (auch), weil immer weniger finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stehen.
Von „mehr miteinander reden“ über „mehr Achtsamkeit füreinander“ und „neue Räume schaffen“, „verschiedenen Strategien für verschiedene Räume“ bis zu „safer Sex einfacher machen“ [wie es z.B. einige Wirte mit ihrer safety 4 free – Kampagne versuchen] – Ideen sind zahlreich im Raum, warten darauf, aufgegriffen, zu ausgereiften Konzepten weiterentwickelt und umgesetzt zu werden.

Warum dann immer wieder diese Schreie nach „Angst machen“, nach Drohkulissen, oft von auffallend impertinenten Schwestern vorgebracht?

Ich merke, wie diese Sehnsucht nach Repression mich erschreckt, schockiert, diese Sehnsucht nach drakonischen Maßnahmen [gern gemischt mit mangelhaften Wissen oder Inkompetenz (da wird schnell mal von der Aids-Hilfe gefordert, BZgA-Plakate zu ändern) und schnellem Delegieren an Andere („die Positiven müssen doch endlich einmal …“, „da muss die Aids-Hilfe aber doch dringend …“)]. Munter wird da Verantwortung zu-geschoben – den Positiven, der Aids-Hilfen, den Schwulen. Als sei man nicht selbst Teil davon. Als habe man nicht auch selbst Hirn und Hand, selbst aktiv zu werden, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Und mich frustriert, dass erneut Diskussionen geführt werden, die wir schon in den 80ern hatten. Das anscheinend viele nicht auf die Idee kommen, die Politik vergangener Jahre sei vielleicht doch ab und an überlegt gewesen, und die Zeiten heute anders. Ich bin froh, als Matthias das wunderbar auf den Punkt bringt: „das Leben mit Aids, mit HIV ist heute anders als vor 20 Jahren. Es ist schön, dass der Grund zur Angst weniger geworden ist – warum nur wollt ihr immer wieder Angst machen, Angst haben?

Horror-Szenarien bringen nichts. Es gilt zu überlegen, wie wir heute realistisch und ohne Angst Informationen, auch über Risiken (zu denen neben HIV auch sexuell übertragbare Krankheiten, auch Hepatitis C gehören sollten) an den Mann bringen, die eigene Handlungskompetenz in verschiedensten Szenarien stärken können.
Nach vorne blicken, nicht Rollen rückwärts bringen uns weiter.

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