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Homosexualitäten

IHWO und Praunheim -Film – „wir werden in unserem Bemühen um Anerkennung zurückgeworfen“

Vorauseilend brav und gehorsam sein, oder emanzipatorisch eigene Wege gehen – dieser Konflikt wird immer wieder sichtbar, in Positiven- wie auch in schwulen Bewegungen. Ein guter Reibungspunkt dafür war immer wieder Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt„. Konflikte um diesen Film waren letztlich mit für das Zerfallen der IHWO verantwortlich.

Die IHWO ‚Internationale Homophile Welt-Organisation‘ wurde 1969 in Hamburg gegründet, 1974 löste sich die Gruppe auf. Kurz zuvor wurde sie u.a. mit einer Veranstaltung im Reichshof bekannt, auf der der CDU-Politiker Rollmann von Corny Littmann geoutet (und das Outing von der IHWO vertuscht) wurde.
Auftreten und Handeln der Gruppe war geprägt vom Gedanken der Respektabilität – Anerkennung als Homosexueller erreichen mit Anpassung. Anpassen oder die Dinge ändern wollen – diese Frage sollte mit zum Bruchpunkt der Gruppe werden.

Schwule wollen nicht schwul sein

Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ wurde am 3. Juli 1971 im Rahmen der Berlinale uraufgeführt. In Hamburg wurde er erstmals am 2. Dezember 1971 im Abaton-Kino gezeigt. Zwei Tage vorher, die Ausstrahlung im Fernsehen war für den Herbst angekündigt, forderte die IHWO den WDR per Brief auf, Praunheims Film nicht auszustrahlen. Werde der Film gesendet, habe dies für die Homosexuellen verheerende Wirkungen; sie würden in ihren bisherigen Bemühungen um Anerkennung weit zurück geworfen.

Kurz nach dem ersten Brief der IHWO schrieben die beiden IHWO-Vorstände Carl Stoewahs und Claus Fischdick erneut an den WDR, diesmal als Privatpersonen, betonten ihre Bedenken, dass der Praunheim-Film Klischeevorstellungen von Homosexuellen verfestigen würde. Sie forderten den WDR auf, ein zuvor gegebenes Interview der beiden nicht zu senden. In zwei weiteren Briefe der IHWO sowie beider als Privatpersonen an den WDR tragen sie am 23. Dezember 1971 erneut ihre Bedenken gegen Praunheims Film vor.

„Schwule wollen nicht schwul sein, sondern so spießig und kitschig leben wie der Durchschnittsbürger.“
Rosa von Praunheim / Martin Dannecker: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt

Ohnmacht und Aufbegehren - Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik (Pretzel/Weiß 2010, Männerschwarm)
Ohnmacht und Aufbegehren – Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik (Pretzel/Weiß 2010, Männerschwarm)

IHWO „zu etabliert“? – Praunheim „ungeeignete Sensationsmache“?

Praunheims Film wurde im Januar 1972 ausgestrahlt – im Sendebereich des WDR, zuvor war der Film aus dem Gemeinschaftsprogramm der ARD gestrichen worden.

Bei einem Treffen West-Berliner Interessenten an einer lokalen IHWO -Gruppierung, zu dem der Hamburger IHWO -Vorstand angereist war, kam es zum Eklat: Praunheim und Begleiter waren anwesend, kritisierten die Arbeit der IHWO als „zu etabliert“. Kurze Zeit später stellten sich zwei IHWO-Vorstände nicht mehr zur Wiederwahl.

Im Januar 1973 wurde der Praunheim-Film endlich bundesweit ausgestrahlt (nur Bayern blendete sich aus), gefolgt von einer 100-minütigen Diskussionssendung mit u.a. Rosa von Praunheim und Martin Dannecker. Im Studio anwesend war auch ein neues IHWO -Vorstandsmitglied, er beteiligte sich jedoch nicht aktiv an der Diskussion.

Nach der bundesweiten Ausstrahlung des Praunheim-Films begründete der IHWO -Vorstand die Ablehnung von Praunheims (als Sensationsmache kritisiertem) Film, dieser sei „als gesellschaftliches Mittel absolut ungeeignet, die allgemeine Haltung Homosexuellen gegenüber zu revidieren„.

Nicht alle Mitglieder allerdings folgten dem IHWO-Vorstand in seiner Einschätzung des Films, einige kritisierten „ein fantastisches Fehlverhalten unserer Vertreter„, andere bemerkten es seien künstliche Fronten geschaffen worden.

„Die Mehrzahl der Homosexuellen gleicht dem Typ des unauffälligen Sohnes aus gutem Hause, der den größten Wert darauf legt, männlich zu erscheinen. Sei größter Feind ist die auffällige Tunte. Tunten sind nicht so verlogen, wie der spießige Schwule. Tunten übertreiben ihre schwulen Eigenschaften und machen sich über sie lustig. Sie stellen damit die Normen unserer Gesellschaft in Frage und zeigen, was es bedeutet, schwul zu sein.“
Rosa von Praunheim / Martin Dannecker: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt

Der antihomosexuelle Stein des Anstoßes

Die Positionierung der IHWO, besonders ihrer Vorstände, zu (bzw. gegen) Praunheims Film sollte zum Bruchpunkt werden. Die Folgen skizziert Wolfert (2010) mit seiner Bemerkung, Praunheims Film sei „der Stein des Anstoßes, an dem die Organisation zerbrechenn sollte'“‚.

Martin Dannecker beschreibt in einem Radio-Feature 1998 (nachzulesen im Webarchiv) die Situation generell so:

„Für diejenigen, die gemeint haben, daß die Homosexuellenpolitik aus einer geschickten Anpassung, aus einem vorauseilendem Gehorsam und aus einem Verleugnen der Differenz besteht, war das antihomosexuell. Das konnte gar nicht anders verstanden werden. Für diejenigen, wie ich, die gesagt haben, Homosexualität ist im Zweifelsfall das Ganze, auch etwas ganz Unanständiges, das charakterisiert sie nämlich, war das Politik für Homosexuelle.“

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mehr über die IHWO auf Homowiki: IHWO
Raimund Wolfert: “‘Sollen wir der Öffentlicheeit noch mehr Anlass geben, gegen die ‘Schwulen’ zu sein?’ – Zur Position der Internationalen Homophilen Welt-Organisaton (IHWO)”, in: Pretzel / Weiß: Ohnmacht und Aufbegehren – Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik, Hamburg 2010
-> homophil

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Kulturelles

Emanzipation? Nicht immer – Rosa 70

Rosa von Praunheim wird 70 – und Magazine, Feuilletons, TV-Sender und nicht zuletzt Schwule jubeln. Messias in rosa … Alle jubeln? Nein … eine kleine Schar reibt sich nachdenklich die Augen, erinnert sich.

Rosa von Praunheim stand für Emanzipation, besonders mit seinem Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“. Und Rosa stand für eine nicht eben emanzipatiorische Haltung – mit seiner jahrelang immer wieder deutlich gemachten Haltung zu Aids, Aids-Prävention und HIV-Positiven.

Ich kann mich gut erinnern, welche Kontroversen, welche Proteste Rosa und seine Haltung zu Aids auslösten, als er, zurück aus den USA, meinte uns mit paternalistischem und beserwisserischem Gestus seine vor Moral triefende Vorstellung von Aids-Politik und -Prävention aufzudrängen. Dass ich einmal gegen Rosa protestieren würde, lange konnt ich’s mir nicht vorstellen – aber bei diesen Filmen und dieser Haltung war’s soweit. Als Rosa von Praunheim seinen Film in Köln vorstellte, gab es doch tatsächlich lautstarke Proteste, auch zu Rosas Irritation und Verärgerung … es waren die Zeiten von ACT UP, und Ulli konnte, wollte seinen Mund nicht halten.

In seinem Beitrag „Der Antipode wird 70“ auf dem Blog der Deutschen Aids-Hilfe bringt Dirk Hetzel heute die Situation auf den Punkt:

„Genauso wie Praunheims großartige Kampfansage aus den 70er – „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“ – noch heute gilt, hat auch sein Schlagwort aus den 80er Jahren Gültigkeit bewahrt; „Ein Virus kennt keine Moral.“
Warum in alles in der Welt hat man jedoch bis heute das Gefühl, dass viele Äußerungen Praunheims zum Thema HIV mehr von moralinsaurer Bevormundung als von respektvoller Zugewandtheit geprägt sind?“

Lesen!

Dirk Hetzel / DAH-Blog 25.11.2012: Der Antipode wird 70

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Kulturelles

Rosa von Praunheim: Filmpreis der Stadt Hof

Bei den Hofer Filmtagen wurde Rosa von Praunheim mit dem Filmpreis der Stadt Hof ausgezeichnet.

Seit über 25 Jahren ist Rosa von Praunheim als Filmemacher auf den Filmtagen der Stadt Hof präsent, 2007 u.a. mit dem Film ‘Meine Mütter – Spurensuche in Riga‘. Dieses Jahr wurde er mit dem Filmpreis der Stadt Hof ausgezeichnet.

Die Hofer Filmtage zeichnen den 65jährigen Rosa von Praunheim mit einer Porzellan-Skulptur aus, dem symbolischen Preis der Stadt Hof, der seit 1986 an mit dem Filmfestival eng verbundene Persönlichkeiten verliehen wird.

“Fast jedes Jahr kann Rosa von Praunheim einen Film in Hof präsentieren, in diesem Jahr DER ROSA RIESE, eine Studie in Zusammenarbeit mit dem Jugendtheater Brandenburg über den Beelitzer Frauenmörder, gespielt von Charly Hübner”, schrieben die Hofer Filmtage in einer Pressemitteilung.

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Homosexualitäten

schwule Spießer

Gedanken zum Samstag.

“Schwule wollen nicht schwul sein, sondern so spießig und kitschig leben wie der Durchschnittsbürger. … Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen sie, noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Ihre politische Passivität und ihr konservatives Verhalten sind der Dank dafür, dass sie nicht totgeschlagen werden.”

Dieses Zitat ist – nein, nicht von 2008, nicht von 2007, sondern von 1971. Obwohl es mir wie ein Kommentar zu vielen heutigen Darstellungen / Zerrbildern schwuler Realitäten scheint. Und, ja, es ist unser gutes Recht, (auch) spießig zu sein. Aber nur, und alle? Nur schwule Spießer ? Das ist mir zu wenig …

Das obige Zitat ist von Martin Dannecker / Rosa von Praunheim aus dem Film “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt” von 1971.

… auch wenn Adrian meint, dass es “keinen Schwulen interessieren muss, was Rosa von Praunheim für ihn als angemessen erachtet.”
… Muss nicht, darf aber

😉

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Kulturelles

meine Mütter – Rosas Suche nach der Mutter

Am 6. März 2008 hatte Rosa von Praunheims neuer Film “ meine mütter – Spurensuche in Riga” NRW-Premiere im Kölner ‘Filmhaus’.

Rosa von Praunheim wurde geboren als Holger Mischwitzky, am 25. November 1942 in Riga. Kurz nach seiner Geburt flüchteten seine Eltern, über Berlin in den Frankfurter Raum.

Seine Eltern?
Kurz vor ihrem Tod erzählt ihm seine damals weit über 90jährige Mutter, Rosa sei nicht ihr leibliches Kind, vielmehr habe sie ihn in einem Kinderheim in Riga ‘gefunden’. Mehr nicht, keine weiteren Angaben.

Rosa macht sich auf die Suche. Auf die Suche nach Spuren seiner Herkunft, Spuren seiner Mutter, seines Vaters. Spuren, die ihn tief in die deutsche und lettische Geschichte führen. Spuren, die er in dem Film “meine mütter – Spurensuche in Riga” dokumentiert.

Rosa von Praunheim bei der Premiere von "meine mütter"
Rosa von Praunheim bei der Premiere von „meine mütter“

Die Suche führt in Berliner Archive, norddeutsche Kleinstädte, zu Treffen von Heimatvertriebenen und in triste Knäste und Krankenanstalten. Zu möglichen Vätern, und zur leiblichen Mutter sowie der realen Geburtsurkunde.

Rosa von Praunheim dokumentiert in einem sehr persönlichen Film neben einem Ausschnitt seiner eigene Biographie auch ein Stück deutscher Zeitgeschichte.

Rosa von Praunheim bei der Premiere von "meine mütter"
Premiere von „meine mütter“
Rosa von Praunheim bei der Premiere von "meine mütter"
Rosa von Praunheim bei der Premiere von „meine mütter“

Der Film stieß bei seiner (nicht gut beworbenen und nur mäßig besuchten) NRW-Premiere auf etwas verhaltene Resonanz.

Hinterher sind mein Mann und ich verschiedener Ansicht. Mein Mann mag den Film spontan, schätzt gerade die als spannend empfundene Verknüpfung zwischen persönlicher und deutscher Geschichte. Einige Passagen von Rosa von Praunheims neuem Films erscheinen mir hingegen als larmoyant, manchmal ‘soßig’, viele spekulativ. Allerdings, sehr zu schätzen, Rosa geht wie immer respekt-, geradezu liebevoll mit seinen Figuren um, lässt sie zu Wort und zu ihrem Recht kommen. Insgesamt ein warmer, netter aber doch mir nicht übermäßig bemerkenswert erscheinender Film.

Rosa von Praunheim: ‘meine mütter – Spurensuche in Riga’, Dokumentarfilm, Deutschland 2007, 87 min.

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Messias in Rosa?

Oh Gott, ja, man braucht pointierte Schlagzeilen, um Aufmerksamkeit zu wecken. Selbst, vor allem auch beim Spiegel.

Aber gleich so?

“der schwule Messias”
“der große Held des deutschen Queer-Films”
“der Held des schwulen deutschen Kinos schlechthin”

Geht’s noch dicker?
Gut, Rosa von Praunheim hat Geburtstag, einen besonderen, wird 65.

Und ja, einige seiner Filme schätze ich sehr – mein persönlicher Favorit ist “Anita“, der Film über Anita Berber mit Lotti Huber.
Und die Wirkung von “Nicht der Homosexuelle ist pervers …” ist auch kaum zu überschätzen.

Aber gleich zum Messias erklären?

Manchmal frage ich mich eher, ob nicht die Rente doch wieder mit 65 eingeführt werden sollte …
… oder zumindest ‘Antimoralin’ ausgegeben werden könnte …

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