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Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Frankreich

Zuletzt aktualisiert am 16. Oktober 2022 von Ulrich Würdemann

Die Familie Le Pen dominierte jahrzehntelang das Bild des Rechtsextremismus in Frankreich. Vor der Präsidentschaftswahl im April 2022 kam mit Eric Zemmour ein ’neuer‘ Akteure hinzu. Nehmen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Frankreich zahlenmäßig zu?

die drei Quellen des Rechtsextremismus in Frankreich

Rechtsextremismus und Rechtspopulismus haben in Frankreich ein anderes ‚Gesicht‘, andere ‚Wurzeln‘ als in z.B. Deutschland.
Drei Bereiche lassen sich ausmachen, aus denen er sich in Frankreich speist:

die Petainisten

Die konservative Rechte in Frankreich bewegt sich zwischen zwei Polen, die mit zwei Namen verbunden werden können: de Gaulle und Pétain.

Während der Französischen Revolution wurden Feudalismus und starke Machtposition der (katholischen) Kirche in Frankreich besiegt. Es entstand das seit langem laizistisch verfasste Frankreich, ein Frankreich das sich als Mutterland der Aufklärung und der Menschenrechte empfindet.

Doch nicht alle Franzosen empfinden so. Es gibt eine nennenswert große Gruppe, die eher dem mittelalterlich – christlich geprägten Frankreich nachtrauern (von ‚la douce France‘ bis ‚la France eternelle‘).

Dieses antimoderne, antirepublikanische Frankreich fand auch im 20. Jahrhundert noch einmal zu Macht und Einfluss – 1940, in Form von Marschall Philippe Petain und seinem Kollaborations-Regime von Vichy.

Petain gegenüber positionierte sich als Opponent und Vertreter des modern-konservativen, republikanischen Frankreich Charles de Gaulle.

Die Spaltung der französischen Konservativen wurde zugespitzt deutlich – eine Spaltung die bis heute nachwirkt. Man / frau kann nur eines sein, wenn konservativ: entweder Gaullist oder Pétainist.

Die Petain-Verehrer fanden bald ihr politisches Sprachrohr in Jean-Marie Le Pen und seiner Partei Le front national. Die de Gaulle – Verehrer sammelten sich bei den Konservativen.

die Erzkatholiken

Nicht alle gläubigen Franzosen haben die Aufklärung, die Ergebnisse der französischen Revolution und die Sakularisierung der Republik akzeptiert. Manche konservativ-katholische (und oft bürgerlich und sozioökonomisch gut situierte) Kreise sehen Frankreich weiterhin als ‚christliches Vaterland‘ in mittelalterlicher Tradition.

Gerade im Umfeld der homofeindlichen ‚manif pour tous‚ (lmpt) kam es 2013/14 im Laufe der Debatten um die Einführung der Homoehe in Frankreich zu einer deutlichen Radikalisierung rechtskonservativer katholischer Kreise.

Protest in Kutte - Ordensleute bei der demonstration der Homoehe-Gegner in Bordeaux am 5.10.2014
Protest in Kutte – Ordensleute bei einer Demonstration von Homoehe-Gegnern in Bordeaux am 5. Oktober 2014

die pieds-noirs

Dritte Säule des Rechtsextremismus in Frankreich sind die so genannten ‚pied-noirs‚. So werden seit den 1950er Jahren die Algerien-Franzosen bezeichnet, i.d.R. Franzosen (und Italiener) die sich seit der Eroberung Algeriens durch Frankreich dort niederliessen. 1870 erhielten sie und ihre Nachfahren (anders als die Muslime Algeriens) die französische Staatsbürgerschaft.

Die Unabhängigkeit Algeriens empfanden sie auch als Verlust ihrer Heimat. 1962, bei Ende des Algerienkriegs verließen nahezu alle Europäer das Land. Die meisten Algerienfranzosen siedelten nach Frankreich über (oft in Regionen nahe am Mittelmeer, besonders Marseille, Nizza, Toulon).

Verantwortlich für diese ‚Schmach‘ in ihren Augen: Charles de Gaulle. Mit seinem Rückzug aus der Kolonie habe er sie und Frankreich verraten.

Le Pen – vom Front national zum Rassemblement National

Jahrzehntelang dominierte Familie Le Pen den Rechtsextremismus (oder: die Wahrnehmung des Rechtsextremismus) in Frankreich. Sie hatte – zumindest in Form von Vater und Parteigründer Jean-Marie Le Pen und früher Zeit der Tochter Marine Le Pen – das Monopol darauf, die drei Säulen der extremen Rechten in Frankreich zu vereinen in einer politischen Struktur.

Doch Tochter Marine verkrachte sich bald mit ihrem Vater – ob eines Richtungsstreits, der mit ihrem Wechsel an die Parteispitze 2011 offen sichtbar wurde. Sie erkannte: mit den rassistischen, antisemitischen und eindeutig petainistischen Positionen ihres Vatrrs würde die Partei auf Dauer nicht mehrheitsfähig werden.

Marine Le Pen bewegte die Partei vorsichtig aber deutlich auf den Gaullismus zu (was angesichts zunehmend orientierungsloser Konservativer nicht schwer fiel). Diese (von ihr selbst so genannte) ‚Ent-Dämonisierung‘ des Front national schien erfolgreich.

Den Bruch mit der politischen Position ihres Vatsrs machte schließlich überdeutlich die Umbenennung der Partei in Rassemblement National im Juni 2018.

Zemmour – die rechte Rechte

Mit eben dieser Hinwendung zu de Gaulle, der Umbenennung und Neu-Positionierung der Partei und der Abwendung von offenem Antisemitismus machte Le Pen allerdings ganz rechts ‚das Feld frei‘.

Die Petainisten fühlten sich plötzlich bei Le Pen und dem Rasemblement National nicht mehr aufgehoben, wurden heimatlos.

Dies wurde deutlich beginnend bei den Aktivitäten gegen die von Christine Taubira 2013 durchgesetzte ‚Ehe für alle‘ und den Aktionen der ‚manif pour tous‘ (lmpt) sowie der Kampagnen-Organisation ‚sens commun‚. Zunehmend extremer agierende Katholiken fanden bei Le Pen nicht mehr ihre politische Heimat.

Eric Zemmour (dessen beide Elternteile jüdisch-algerischer Abstammung sind, 1952 von Algerien nach Frankreich auswanderten) erkannte das Potential. Mit klar rassistisch, erzkatholisch, islamfeindlich, antifeministsich und queerphob, strikt extrem konservativ und oft polemisch formulierten Positionen und Parolen, mit dem Kokettieren der Wiedereinführung der 1981 abgeschafften Todesstrafe in Frankreich bot und bietet er ihnen eine neue Basis.

Die französische Tageszeitung Le Monde fragt bereits ob Eric Zemmour der ‚nouveau président de la fachosphère‚ sei. Zemmour wurde mehrfach (zuletzt im Januar 2022) wegen Rassenhass (haine raciale) verurteilt.

Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal (deutlich rechter als ihre Tante) überlegt Medienberichten zufolge, nach ihrem Rückzug 2017 nun wieder in die Politik zurückzukehren. Und bei der Parlamentswahl im Sommer 2022 zu kandidieren – und womöglich nicht die Partei ihrer Tante sondern Zemmour und seine im April 2021 gegründete rechtsextreme Partei Reconquête (Rückeroberung) zu unterstützen.

Bie der Parlamentswahl 2022 erreichte Zemmour mit 23,19% im Var nicht die Stichwahl und schied aus.

und im Resultat? – der Bodensatz des Rechtsextremismus in Frankreich

Eric Zemmour verkörpert heute die ‚harte Rechte‘, während Marine Le Pen ihre Partei eher zu einer rechtspopulistischen Bewegung umgeformt hat.

Bei der Präsidentschaftswahl im April 2022, in der Emmanuel Macron eine zweite Amtszeit anstrebt, treten im ersten Wahlgang am 10. April sowohl Le Pen als auch Zemmour an. Beide suchten in der Vergangenheit teils große Nähe zu Russlands Präsident Putin was ihnen nach Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine nun Probleme bereitet.

Die beiden Kandidat*innen der extremen Rechten stehen derzeit hoch in den Umfragen – und vor der Kandidastin der Konservativen.

Umfragen sehen Le Pen derzeit im ersten Wahlgang mit 14% bis 21% an zweiter Stelle (was bedeuten würde sie erreicht die Stichwahl am 24. April). Für Eric Zemmour bewegen sich die Umfragewerte für den ersten Wahlgang bei 10% bis 12%.

Rechtsextreme bei bisherigen Präsidentschaftswahlen

Am 10. April 2022 erzielte Marine Le Pen beim ersten Wahlgang der Präsidentschafstwahl 2022 ein Ergebnis von 23,41% und zog damit nach Emmanuel Macron als Zweitplatzierte in die Stichwahl ein. Zemmour erreichte mit 7,05% Platz vier. Im zweiten Wahlgang gewann Macron mit 58,54% gegen Le Pen mit 41,46%. Zemmour kommentierte Le Pens Abschneiden mit ‚zum achten Mal trägt die Niederlage den Namen Le Pen‘.

Bei der Präsidentschaftswahl 2017 erzielte Marine Le Pen im ersten Wahlgang mit (damals noch) Front national 21,3%. Sie lag damit an zweiter Stelle und zog in die Stichwahl ein. Im zweiten Wahlgang gewann Emmanuel Macron mit 66,1% gegen Le Pen mit 33,9%.

Bei der Präsidentschaftswahl 2012 schied Marine Le Pen als drittplatzierte im ersten Wahlgang mit 17,9% aus.

2007 erreichte Le Pen im ersten Wahlgang der Präsidentschafstwahl 10,4% und schied als viertplatzierte aus.

Bei der Präsidentschaftswahl 2002 zog Marine Le Pen mit 16,86% im ersten Wahlgang in die Stichwahl ein. Im zweiten Wahlgang wurde Jacques Chirac mit 82,2% zum Präsidenten gewählt (Le Pen 17,8%).

Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

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