Kategorien
HIV/Aids

HIV Heimtest: Frankreichs Nationaler Aids-Rat empfiehlt Zulassung (akt.6)

Frankreich: Nationaler Aids-Rat empfiehlt Zulassung von HIV Heimtest

Der Nationale Aids-Rat Frankreichs hat am Freitag 22. März 2013 die Zulassung von HIV-Schnelltests für die eigene Anwendung ( HIV Heimtest ) empfohlen und seine jahrelang ablehnende Haltung revidiert. In Deutschland sind selbst angewendete HIV-Schnelltests (HIV Heimtest) derzeit verboten.

Auf einer Veranstaltung am 22. März 2013 unter Leitung von Prof. Patrick Yeni, seit Mai 2012 Präsident des Nationalen Aids-Rats (Conseil national du sida, CNS), im Ministerium für Gesundheit und Soziales wurden zunächst ein Bericht und eine Stellungnahme zu HIV-Heimtests vorgestellt. Anschließend wurden in 2 Workshops mögliche Risiken und Nutzen von HIV-Heimtests (im Französischen: autotest VIH) sowie mögliche Vertriebs-Kanäle und unterstützende Maßnahmen diskutiert. Unter den Teilnehmern waren auch Vertreter der französischen Aidshilfe-Organisation Aides sowie von ACT UP Paris und der HIV-Aktivistengruppe The Warning. Der Nationale Aids-Rat CNS berät die französische Regierung in Aids-Fragen, er entspricht ungefähr dem nationalen Aids-Beirat in Deutschland.

Autotests de dépistage de l’infection à VIH ( HIV-Heimtest ), Grafik: CNS
Autotests de dépistage de l’infection à VIH ( HIV Heimtest ), Grafik: CNS

Die neue Haltung des Nationalen Aids-Rats (CNS) Frankreich lautet nun:

„Considérant l’importance de l’enjeu d’améliorer la précocité du dépistage en France, les propriétés des autotests, la place qu’ils sont susceptibles de prendre dans l’offre de dépistage et leur rapport bénéfices / risques, le Conseil national du sida se prononce en faveur de la mise à disposition des autotests de dépistage de l’infection à VIH.“
(„In Anbetracht der Bedeutung der Frage der Verbesserung der Früherkennung in Frankreich, sowie der Eigenschaften des HIV-Heimtest , des Platzes den sie vermutlich im Rahmen von Testangeboten einnehmen werden, und des Verhältnisses von Risiken und Nutzen spricht sich der Nationale Aids-Rat für die Bereitstellung von HIV-Tests für die Selbstanwendung aus.“, Übers. UW)

Vor einer Zulassung des HIV Heimtest in Frankreich ist noch die Position des Comité consultatif national d’éthique (CCNE) erforderlich. Dieses Ethik-Beratungsgremium hatte sich 2005 nach Beratungen (bei denen auch Mitarbeiter der französischen Aidshilfe-Organisation Aides konsultiert wurden) ebenfalls gegen den HIV Heimtest ausgesprochen. Über eine neue Position ist noch nichts bekannt. Einer Pressemitteilung der französischen Aidshilfe-Organisation Aides zufolge ist die neue Empfehlung bereits in Abstimmung mit dem CCNE erfolgt. (siehe auch Aktualisierungen unten)

Zusätzliche Empfehlungen für HIV Heimtest

Der Nationale Aids-Rat erließ zusätzliche Empfehlungen, „um die Wirksamkeit und Sicherheit dieser neuen Screening-Tools zu optimieren“. So sollen Selbsttests bestehende Angebote ergänzen, diese nicht ersetzen sondern vielmehr durch konventionelle Tests bestätigt und durch verschiedene Präventuionsansätze, auch zu sexuell übertragbaren Krankheiten, ergänzt werden.

Der HIV Heimtest soll in Frankreich rezeptfrei in Apotheken, Drogerien sowie über das Internet angeboten werden, empfiehlt der Rat. Gerade mit der Zulassung von Internet-Vertrieb solle das Risiko fehlerhafter oder gefälschter HIV-Heimtests reduziert und zugleich auch eine anonyme Zugangsmöglichkeit geboten werden. Er soll besonders Menschen mit einem hohen HIV-Infektionsrisko angeboten werden, hierzu sollen auch Verbände und Beratungsstellen genutzt werden. Jeder HIV Heimtest soll zusammen mit Informationsmaterial u.a. zu Bestätigungstest, Zugang zu medizinischer Behandlung oder Grenzen des Heimtests abgegeben werden. Für eine erfolgreiche Bereitstellugn von HIV-Heimtests sei eine „breite Mobilisierung, auch über die traditionellen Akteure im Kampf gegen HIV / AIDS“ von wesentlicher Bedeutung. Ein Jahr nach Einführung der HIV-Selbsttests soll eine Evaluation erfolgen.

Der 1989 gegründete Nationale Aids-Rat Frankreichs revidiert damit eine zuvor jahrelang geäußerte ablehnende Haltung zu HIV-Heimtests. Noch anlässlich des Welt-Aids-Tags 2008 hatte der Nationale Aids-Rat Frankreichs HIV-Heimtests als „eine falsche gute Idee“ bezeichnet. Man wolle zwar einen breiteren Zugang zu HIV-Tests, auch um die Zahl später HIV-Diagnosen zu reduzieren, Heimtests seien aber abzulehnen u.a. wegen fehlender direkter Anbindung an Pflege und Betreuung sowie der Möglichkeit, dadurch zu Sex ohne Kondomen zu ermuntern. Eine ähnliche Haltung hatte der CNS auch bereits 2004 und 1998 eingenommen und damals besonders die Notwendigkeit ärztlicher Aufsicht über HIV-Tests betont.

Frankreich: Aids-Aktivisten für HIV Heimtest

Im Vorfeld der Veranstaltung hatte sich insbesondere die Aktivistengruppe The Warning zugunsten von HIV-Heimtests eingesetzt. Mit Hilfe selbst angewendeter HIV-Schnelltests könne jeder Benutzer Akteur seiner eigenen Gesundheit werden. Der HIV Heimtest seien ein sinnvolles Werkzeug um die HIV-Epidemie zu beenden. Unter dem bisherigen Verbot seien nur über das Internet aus dem Ausland bezogene HIV-Heimtests unsicherer Qualität möglich gewesen. Angesichts von mindestens 20 bis 30% der HIV-Infizierten, die in Europa nicht von ihrer Infektion wüssten, sei der HIV Heimtest eine weitere Möglichkeit des HIV-Screenings und stärke zudem die Autonomie der Anwender.

The Warning fordert bereits seit 2008 in Frankreich die Zulassung von Selbsttests. Bereits am Rand der XIX. Internationalen Aids-Konfernez in Washington im August 2012 hatte Georges Sidéris, Präsident von The Warning, die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine auf HIV-Heimtests angesprochen. Die Ministerin zeigte sich offen für das Thema, sie sei sich dieser Frage bewusst. Im Anschluss hatte Touraine den Nationalen Aids-Rat des Landes um eine Stellungnahme gebeten.
Die heutige Empfehlung des Nationalen Aids-Rats, den HIV Heimtest in Frankreich zuzulassen, begrüßten die Aktivisten von The Warning (die jüngst in Belgien mit dem Start der Kampagne Mr. HIV für Aufmerksamkeit sorgten). Nun sei das Ministerium gefordert, die notwendigen administrativen Schritte zügig umzusetzen, um eine baldige Verfügbarkeit zu erreichen.

HIV Heimtest: USA – ja, Deutschland – nein

In den USA wurden HIV-Schnelltests für die Selbstanwendung zuhause bereits im Juli 2012 zugelassen und sind dort seit Oktober 2012 über Apotheken verfügbar. In Australien hatte jüngst ACON, eine Aidshilfe-Gruppe die sich besonders in LGBT-Szenen engagiert, die Legalisierung von HIV-Selbsttest gefordert.

In Deutschland sind HIV-Tests für die Selbstanwendung derzeit nicht zugelassen (Verbot seit dem 21.03.2010, ‚Gesetz zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften‘). HIV-Tests, auch Schnelltests, dürfen nur im Beisein eines Arztes / einer Ärztin durchgeführt werden.
Die Zulassung eines HIV-Schnelltests zur Selbstanwendung in den USA hatte die Deutsche Aids-Hilfe im Juli 2012 als „Ausdruck der Verzweiflung“ angesichts der sich immer weiter ausbreitenden HIV-Epidemie eingeschätzt und darauf hingewiesen, dass Beratung entscheidend sei: „Auch wenn der Heimtest vielleicht attraktiv erscheint, weil man ihn völlig anonym machen kann – Antworten auf Fragen und Beratung zu HIV, Safer Sex und anderen sexuell übertragbaren Infektionen kann er nicht liefern.“

.

Aktualisierung:
22.03.2013, 14:00: Die französische Aidshilfe-Organisation Aides betonte ihre Unterstützung für den HIV-Heimtest und die neue Empfehlung des CNS.
ACT UP Paris stimmte der neuen Empfehlung des CNS zu. Die Gruppe hatte sich in den Jahren zuvor gegen Heimtesst ausgesprochen. Allerdings sollte der HIV-Heimtest mit Bedacht eingesetzt werden, und komplementär zur Verwendung von Kondomen.
22.03.2013, 16:00: Die französsiche Presse berichtet breit über die neue Empfehlung des CNS. Eine Zulassung der HIV-Heimtests könne zur Verringerung der Zahl der jährlichen HIV-Neuinfektionen um 400 führen, berichtet Ouest-France (die auflagenstärkste französische Regionalzeitung). 2011 seien 6.100 HIV-Infektionen in Frankreich diagnostiziert worden. 30.000 bis 40.000 Menschen lebten in Frankreich mit einer HIV-Infektion, ohne von dieser zu wissen.
Das Schwulen-Magazin Tetu konnte aufgrund eines Streiks bisher nicht berichten.
22.03.2013, 18:30: Die Position des Ethik-Gremiums CCNE wird Montag (25.3.2013) gegen 14:00 Uhr bekannt gegeben werden. Eine Entscheidung der zuständigen Gesundheitsministerin über die Zulassung des HIV-Heimtest in Frankreich wird anschließend für die folgenden Tage erwartet.
25.03.2013, 14:00: Das CCNE hat seine 30 Seiten umfassende Stellungnahme („Les problèmes éthiques posés par la commercialisation d’autotests de dépistage de l’infection VIH“ vom 21.2.2013) am 25.3.2013 um 14:00 Uhr veröffentlicht. Details siehe 2mecs 25.03.2013: HIV-Heimtest: Ethik-Gremium CCNE spricht sich nicht gegen HIV-Heimtest aus, formuliert Vorkehrungen
29.03.2013: Iast auch bei uns Zeit für eine unaufgeregte Debatte zum HIV-Selbsttest? (Interview mit Blog Immunantwort)
03.04.2013: Sind HIV-Selbsttests eine gute Alternative für Menschen, die nicht in Beratungseinrichtungen gehen wollen? Diese Frage hat ein Übersichtsartikel behandelt, der in PLOS Medicine publiziert ist: Nitika Pant Pai et al.: Supervised and Unsupervised Self-Testing for HIV in High- and Low-Risk Populations: A Systematic Review, PLOS Medicine
„In Deutschland sind HIV-Selbsttests auch nicht sinnvoll“, sagt Holger Rabenau vom Nationalen Referenzzentrum für Retroviren in Frankfurt.
06.04.2013: Am Freitag, 05. April 2013, hat sich Frankreichs Gesundheitsministerin Tourain für die Zulassung von HIV-Selbsttests ausgesprochen und angekündigt, die erforderlichen Bewertungsverfahren in die Wege zu leiten.

.

weitere Informationen:
Conseil national du sida 22.12.2012: Avis sur les autotests de dépistage de l’infection à VIH (pdf)
Conseil national du sida 22.12.2012: Rapport sur les autotests de dépistage de l’infection à VIH (pdf)
Conseil national du sida 22.03.2013: Autotests de dépistage de l’infection à VIH : présentation de l’Avis du CNS
Conseil national du sida 01.12.2008: Dépistage et autotest : une fausse bonne idée
Conseil national du sida 09.12.2004: Note valant avis sur la commercialisation des autotests VIH
Conseil national du sida 19.06.1998: Rapport sur l’opportunité de la mise sur le marché français des tests à domicile de dépistage du VIH
Comité consultatif national d’éthique 2005: Avis No. 86: Problèmes posés par la commercialisation d’autotests permettant le dépistage de l’infection VIH et le diagnostic de maladies genetiques (pdf)  
ondamaris 05.05.2012: Frankreich: Patrick Yeni zum neuen Präsident des ‘Conseil national du sida’ nominiert
Warning 06.08.2012: Marisol Touraine se montre ouverte à la question des autotests VIH
Warning 21.03.2013: Pourquoi Warning soutient la légalisation des autotests VIH
Warning 15.03.2013: Autotest VIH: chaque utilisateur est acteur de sa santé et de la lutte pour la fin de l’épidémie
Warning 13.03.2013: «Ma séropositivité, c’est par un autotest que je l’ai apprise»
ACON Februar 2013: ACON’s Position Statement on Home Based HIV Testing & Gay Men (komplette Pressemitteilung als pdf)
DAH 17.06.2009: Bundestag sichert Qualität des HIV-Test
DAH 04.07.2012: „Die Zulassung der HIV-Heimtests in den USA ist ein Ausdruck der Verzweiflung“
ACT UP Paris 22.03.2013: Le Conseil national du sida (CNS) rend un avis favorable à la mise à disposition des autotests de dépistage de l’infection à VIH
Aides 22.03.2013: Aides dit „oui“ aux autotests
Ouest-France 22.03.2013: Dépistage du sida. Les autotests reçoivent un avis favorable
CCNE 25.03.2013: Les problèmes éthiques posés par la commercialisation d’autotests de dépistage de l’infection VIH (Avis No. 119, pdf)
.

Kategorien
Homosexualitäten

Sexual Happiness (1): Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa (akt.)

Mit dem Thema „sexuelle Zufriedenheit“ ( sexual happiness ) bei schwulen und bisexuellen Männern habe ich mich in einer zweiteiligen Artikel-Miniserie für das Internetportal queer.de auseinander gesetzt.
Der erste Teil erschien dort am 18.03.2013: Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa:
Teil 2 “ Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland“ erschien bei queer.de am 22.3.2013.

Sexual Happiness (Teil 1): Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa

Schwule haben viel Sex und sind ständig bereit, so das Klischee. Aber haben wir auch guten Sex? Unsere Sex-Zufriedenheit im europäischen Vergleich.

Von Ulrich Würdemann

Unzufrieden mit seinem Sexleben zu sein, das ist offenbar ein in ganz Europa weit verbreitetes Phänomen. Das ergibt sich aus den Zahlen des Projekts EMIS, bei dem 2010 in 38 Staaten Männer, die mit Männern Sex haben, zu ihrem Liebesleben Auskunft gaben.

Immerhin 38,6% aller befragten schwulen und bisexuellen Männer der europaweiten EMIS-Befragung (180.000 ausgefüllte Fragebögen!) gaben an, nicht mit ihrem Sexleben zufrieden zu sein! Die Gründe für diese sexuelle Unzufriedenheit sind vielfältig, reichen von Lebensalter über Bildungsniveau über die Wohnortgröße bis zur Frage, wie offen man(n) mit seinem sexuellen Interesse an Männern umgeht.

European Sex-Umfrage: And here are the results…

  • Je jünger, desto zufriedener: im Vergleich zur Altersgruppe 25 bis 39 Jahre (1,0) haben MSM über 40 Jahre ein leicht (1,02) erhöhtes Risiko sexueller Unzufriedenheit, während es bei jungen MSM unter 25 Jahren deutlich (0,92) niedriger ist.
  • MSM mit einem mittleren Bildungs-Niveau haben ein höheres Risiko sexueller Unzufriedenheit als Männer mit niedrigem oder hohem Bildungsniveau.
  • Die Provinz macht (sexuell) eher nicht glücklich: Bei Männern, die in kleinen Städten sowie in Dörfern leben, ist sexuelle Unzufriedenheit häufiger als bei Männern in Städten über 100.000 Einwohner.
  • Männer, die sich noch nie in ihrem Leben auf HIV hatten testen lassen, äußerten deutlich öfter, sexuell unzufrieden zu sein, als HIV-positiv getestete Männer. HIV-negativ getestete Männer hatten wiederum ein deutlich niedrigeres Risiko sexueller Unzufriedenheit.
  • Männer, die sich selbst als bisexuell bezeichneten, waren mit geringerer Wahrscheinlichkeit sexuell unzufrieden als Männer, die sich als homosexuell oder schwul bezeichneten, diese wiederum waren seltener sexuell unzufrieden als diejenigen Männer, die keinen oder einen anderen als die drei bisherigen Begriffe für sich verwenden.
  • Fickt sich’s mit Coming-out zufriedener? Ja. Im Vergleich zu Männern, die mit ihrem Schwulsein offen allen oder nahezu allen Menschen in ihrem Umfeld gegenüber waren, war das Risiko sexueller Unzufriedenheit signifikant höher selbst bei Männern, bei denen über die Hälfte des Umfelds ‚es‘ wusste, und bei denen, die niemandem von ihrem Begehren für Männer erzählten, war das Risiko sexueller Unzufriedenheit mehr als doppelt so hoch.

[Alle Werte berücksichtigen bereits etwaige Unterschiede hinsichtlich Alter, Ausbildung, Wohnortgröße, bisherigen HIV-Tests, sexueller Identität, Offenheit im Umgang mit dem eigenen sexuellen Interesse an Männern und Quelle des Fragebogens (AOR, adjusted odds ratio)]

Es mag eine Vielzahl von Gründen geben, die dazu beitragen, dass jemand mit seinem Sexleben unzufrieden ist. Für die in Europa befragten schwulen und bisexuellen Männer allerdings gab es einen Grund, der klar heraus ragt: in 35 der 38 teilnehmenden Staaten war der meist genannte Grund sexueller Unzufriedenheit: sich eine beständige sexuelle Beziehung mit einem Partner zu wünschen, diese aber nicht zu haben.

Die Sehnsucht nach einer stabilen sexuellen Beziehung wurde selbst häufiger genannt als der Wunsch nach mehr Sex oder nach mehr Sexpartnern – und auch häufiger als der Wunsch nach mehr sexuellem Selbstvertrauen. Typischerweise war ein Viertel der Männer in jedem Land deswegen sexuell unzufrieden, weil sie Single sind.

Französisch macht glücklich? Oder: viel Arbeit für die EU!

Innerhalb Europas schwankt der Anteil der schwulen und bisexuellen Männer, die unzufrieden mit ihrem Sexleben sind, ausgesprochen stark.

Ausgesprochen hoch ist der Grad an sexueller Unzufriedenheit bei schwulen und bisexuellen Männern in Bosnien-Herzegowina (61,3%), Mazedonien (55,4%) und Zypern (53,7%), dicht gefolgt bemerkenswerterweise von Schweden mit 47,8%. MSM in Deutschland sind mit 38,4% annähernd im Durchschnitt aller Befragten (38,6%), während es schwulen wie bisexuellen Männern in Belgien (31,7% unzufrieden), den Niederlanden (30,7%), Spanien (31,9%) und der Schweiz (31,2% unzufrieden) scheinbar sexuell recht gut zu gehen scheint. Und am besten scheint es – wer hätte es vermutet – den Franzosen zu gehen. Nur 27,8% gaben an: „Nein, ich bin nicht zufrieden mit meinem Sexleben.“

Nun mag man gegen diesen Ländervergleich einwenden, nicht aus allen Staaten nahmen Männer im gleichen Alter teil – und sicherlich ist z.B. der Anteil offen schwul lebender MSM in manchen Staaten höher als in anderen. Die Forscher haben dies berücksichtigt: Sie haben diese Unzufriedenheits-Werte zur besseren Vergleichbarkeit justiert (AOR, adjusted odds ratio) nach Alter, Ausbildung, Wohnortgröße, bisherigen HIV-Tests, sexueller Identität, Offenheit im Umgang mit dem eigenen sexuellen Interesse an Männern und auch nach Quelle des Fragebogens (z.B. Internetsite, Magazin etc.). Das Ergebnis veränderte sich hierdurch nicht gravierend. In Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Zypern und Schweden ist sexuelle Unzufriedenheit am weitesten unter MSM verbreitet, MSM in Deutschland geht es mit einem Wert von 0,85 leicht besser als dem Referenz-Mittelwert Großbritannien (1,0), und die geringsten Werte an Unzufriedenheit stammen aus Spanien, Portugal, der Schweiz und Frankreich.

In welchem Staat ein Mann, der sexuell Männer begehrt, in Europa lebt, ist damit der wichtigste Faktor für das Risiko, sexuell unzufrieden zu sein! Das Risiko eines schwulen oder bisexuellen Mannes, unzufrieden mit seinem Sexleben zu sein, ist in Bosnien-Herzegowina über zweieinhalb mal so hoch wie in Frankreich!

Unzufriedenheit weit und breit?

Wir fassen zusammen: Sexuelle Unzufriedenheit ist unter Männern, die Sex mit Männern haben, in Europa weit verbreitet. Für Männer, die nicht offen mit ihrem sexuellen Interesse für andere Männer umgehen, ist das Risiko sexueller Unzufriedenheit deutlich erhöht, ebenso für Männer die sich nicht als homosexuell oder schwul bezeichnen. Wer in Kleinstädten oder Dörfern lebt, hat ein höheres Risiko sexueller Unzufriedenheit, ebenso Männer die sich noch nie auf HIV haben testen lassen.

Unzufriedenheit mit dem eigenen Single-Sein, die Sehnsucht nach einer stabilen sexuellen Beziehung sind für schwule und bisexuelle Männer in allen Staaten Europas ein wichtiges Thema und Quelle sexueller Unzufriedenheit. Werden unsere derzeitigen Szenen, ob Bars und Kneipen, Saunen und Partys, Internetportale und Magazine dieser Sehnsucht gerecht?

Innerhalb Europas sind die Unterschiede sexueller Zufriedenheit bei schwulen und bisexuellen Männern groß. Bis alle schwulen und bisexuellen Männer so zufrieden mit ihrem Sexleben sind wie die Franzosen, ist es offensichtlich noch ein weiter Weg. Eine Europäische Union, die sich zum Ziel setzt, allen Europäern gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen, hat auf dem Gebiet sexueller Zufriedenheit schwuler und bisexueller Männer also noch viel zu tun!

.

Weitere Infos zu EMIS / Fußnoten

Die „sexual happiness“, übersetzt als ‚Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben‘, ist bis 2010 in Befragungen in Deutschland und Europa nie ein Kriterium gewesen. Erstmals überhaupt wurde sie im Rahmen des europaweiten Projektes EMIS [2] (European MSM Internet Survey) sowie der im Rahmen von EMIS stattfindenden deutschlandweiten Befragung Schwule Männer und Aids (SMA) thematisiert [1].

„Sind Sie mit Ihrem Sexleben zufrieden?“, wurden die Teilnehmer im deutschen EMIS-Fragebogen gefragt. Im englischen Original heißt es „Are you happy with your sex life?“, die Autoren empfanden für die deutsche Übersetzung „glücklich“ als zu pathetische Formulierung und entschieden sich für „zufrieden“. Die Frage konnte von den Teilnehmern mit ‚ja‘ und ’nein‘ beantwortet werden, und in einem zweiten Schritt konnten sie begründen, warum sie nicht mit ihrem Sexleben zufrieden sind.

Für die Auswertung standen insgesamt Daten von 180.000 schwulen und Bi-Männern (MSM, Männer die Sex mit Männern haben) aus 38 Ländern in Europa zur Verfügung. Aus Deutschland konnten über 14.000 Fragebögen EMIS und über 40.000 Zusatzfragebögen SMA ausgewertet werden.

[1] „Sexual happiness“. In: Michael Bochow, Stefanie Lenuweit, Todd Sekuler, Axel J. Schmidt: „Schwule Männer und HIV/Aids: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten“. Aids-Forum DAH Nr. 60, Berlin Dezember 2012 [Anmerkung: Die Befragung „Schwule Männer und Aids“ (SMA) findet bereits seit 1987 statt. Aids-Forum DAH Nr. 60 berichtet über die Befragung 2010, die im Rahmen des Projektes EMIS stattfand]
[2] „Sexual Unhappiness“ in: „The EMIS Network: The European MSM Internet Survey 2010 -Descriptive report of survey results“, Stockholm, ECDC; 2013 (forthcoming / Veröffentlichung geplant) s.u.
[3] Weltgesundheitsorganisation WHO: Sexuelle und reproduktive Gesundheit (Definition)
[4] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA: Definitionen von sexueller und reproduktiver Gesundheit

.

Aktualisierung
27.05.2013: Der 200-seitige EMIS-Schlußbericht (Autor: „The EMIS network“, Herausgeber: „European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC)“) ist inzwischen publiziert und steht als Download zur Verfügung auf http://www.emis-project.eu/. Zudem sind für ausgewählte Staaten EMIS-Länder-Reports verfügbar: Russland, Norwegen, Österreich, Schweiz, Irland (Republik Irland sowie Nord-Irland), Estland, Dänemark, Deutschland, and Lettland. EMIS -Zusammenfassungen sind erschienen für England, Schottland, Wales und Nord-Irland.

6.10.2019: Ergebnisse der Nachfolge-Studie EMIS 2017 zu Sexualverhalten und Gesundheit von rund 128.000 Männern, die Sex mit Männern haben: „EMIS-2017: The European Men-Who-Have-Sex-With-Men Internet Survey“ (PDF, englisch)

.

Kategorien
Hamburg Homosexualitäten

CDU-Politiker Rollmann geoutet – Eklat im ‚Reichshof‘ Oktober 1972

Der Hamburger CDU-Politiker Dietrich-Wilhelm (‚Didi‘) Rollmann wurde 1972 auf einer Diskussionsveranstaltung der IHWO im Hamburger ‚Reichshof‘ als homosexuell geoutet – vom späteren ‚Brühwarm‘-Mitglied, ‚Grünen‘-Politiker und Kulturunternehmer Corny Littmann.

Hamburg, im Bundestags-Wahlkampf 1972. Eine inzwischen nahezu in Vergessenheit geratene Homosexuellen-Organisation mit dem (immer etwas arg großspurig anmutenden) Namen ‚Internationale Homophile Welt-Organisation‘ IHWO (-> homophil) organisiert am 27. Oktober 1972 im renommierten Hotel Reichshof eine mit rund 200 Teilnehmern sehr gut besuchte Diskussions-Veranstaltung zum Thema Strafrecht. Als Gäste: der Jurist und Politiker Dr. Claus Arndt (SPD), der Rechtsanwalt und ehemalige Chefjustitiar des ‚Springer‘-Verlags Dr. Herman Ferdinand Arning (FDP) sowie der Jurist und Politiker Dietrich-Wilhelm (‚Didi‘) Rollmann (CDU). Geleitet wurde die Veranstaltung von Pastor Joachim Ziegenrücker, bis 1963 Direktor der Evangelischen Akademie Hamburg.

Kategorien
HIV/Aids

Larry Kramer Wut-Rede „1,112 and counting“ – 14. März 1983

Der US-Autor und Aktivist Larry Kramer ist seit Anfang der 1980er Jahre eine der lautesten und engagiertesten Stimmen in den USA im Kampf gegen Aids. Am 14. März 1983 erschien mit 1,112 and counting einer seiner wichtigsten frühen Texte, um die Schwulen New Yorks wachzurütteln, ein Text der sich heute wie ein frühes ACT UP – Manifest liest.
.

Kalenderblatt: 14. März 1983 – vor 30 Jahren: Larry Kramers Wut-Rede „1,112 and counting“

Am 14. März 1983 erscheint im New York Native als Cover-Story ein Artikel von Larry Kramer “1.112 und weiter ansteigend” (“1,112 and counting”). Der Text wird in 17 weiteren Schwulenmagazinen in den ganzen USA nachgedruckt. Er wird zu einem der Meilensteine des Kampfes gegen Aids.

„Wenn dieser Artikel nicht eure Wut weckt, euren Ärger, eure Rage, eure Aktion – dann haben Schwule auf dieser Erde keine Zukunft mehr.“ [1]

Larry Kramers Text war der vermutlich erste größere Essay über eine damals noch sehr neue Seuche, die noch kurz zuvor als „Schwulenkrebs“ oder GRID (gay related immune deficiency) bezeichnet wurde und gerade erst den Namen Aids erhalten hatte. Kramers „1,112 and counting“ im New York Native war eine einzige wütende Anklage gegen Schweigen, gegen Untätigkeit, gegen Desinteresse.

Larry Kramer im Frühjahr 2007 auf dem Balkon seiner Wohnung in New York (Foto: David Shankbone)
Larry Kramer im Frühjahr 2007 auf dem Balkon seiner Wohnung in New York (Foto: David Shankbone; Lizenz cc by-sa 3.0)

Larry Kramer spring 2 by David ShankboneDavid ShankboneCC BY-SA 3.0

Der New York Native, eine 14tägig erscheinende schwule Stadtzeitung, war zu Beginn der Aids-Krise das einzige schwule Medium der US-Metropole und galt lange als eines der einflussreichsten Schwulen-Magazine der USA [5]. Und Kramer nutzte sie als sein Forum:

„Unsere weitere Existenz als schwule Männer in dieser Welt steht auf dem Spiel. Wenn wir nicht um unser Leben kämpfen, werden wir sterben…” [1]

Die steigende Anzahl der neuen Aids-Fälle und insbesondere der Toten sei erschreckend. Was auch immer es sei, es breite sich schneller und schneller aus, und selbst führende Ärzte und Forscher wüssten nicht was vor sich ginge (das auslösende Virus wurde Ende 1983 erstmals noch unter anderem Namen beschrieben und erst drei Jahre später als HIV bezeichnet).

Kramer kritisiert nicht nur die Untätigkeit von Politik, Gesundheitsbehörden, Forschung – er greift vor allem die Schwulen und ihre Medien (wie den Advocate, eines der auflagenstärksten US-Homo-Magazine) für Ihr Schweigen an:

„Ich habe die Schnauze voll vom Advocate… Ich habe die Schnauze voll von Schwulen, die keine Wohltätigkeitsveranstaltungen für Schwule unterstützen … Ich habe die Schnauze voll von Klemmschwestern … Ich habe die Schnauze voll von all jenen in dieser Community, die mir sagen ich solle aufhören eine Panik auszulösen.
Ich will nicht sterben. Ich kann nur annehmen, dass auch ihr nicht sterben wollt. Können wir gemeinsam kämpfen?“ [1]

Wie viele Schwule müssten noch sterben, bevor ihr endlich den Arsch hoch bekommt, fragt Kramer. Die Kritik an Untätigkeit, Desinteresse, Schweigen verdichtet sich wenig später in dem Slogan „Schweigen = Tod“ (Silence = Death). Er wurde zu einer der Kern-Aussagen von ACT UP, der Aids-Aktions-Gruppe, die Larry Kramer 1987 mit gründete. Das Schweigen bringt Kramer auch nahezu 30 Jahre später (anlässlich des 20jährigen Bestehens von ACT UP) noch in Rage:

“Es fällt mir schwer diese Überbleibsel früherer Größe anzuklagen, wenn die Schwulen in diesem Land weiterhin in dermaßen großer Passivität und Apathie verharren, so ‚ach-halt-die Fresse-mit-deinen-ewigen-Warnungen‘.“ [3]

Kramers Text trug wesentlich mit dazu bei, nicht nur die Reaktion von Schwulen auf Aids in den USA zu verändern, sondern auch das US-amerikanische Medizinsystem. Ein im Jahr 2002 im The New Yorker veröffentlichtes Larry-Kramer- Portrait [2] betont die Breite und Wucht der Anklage, die Kramer mit „1,112 and counting“ 1983 formulierte: Schreie die heute beinahe sanftmütig klängen und doch weitreichende Folgen hatten. Viele Patienten informieren sich heute selbst und wollen an ärztlichen Entscheidungen beteiligt sein. Ärzte haben einen großen Teil ihres „Halbgott in weiß“ – Images eingebüßt. Patienten werden bei Erforschung und Zulassung von Arzneimitteln einbezogen. Konkret am Beispiel Aids betont Kramer 2007:

„Jedes einzelne dieser Medikamente gegen HIV ist auf den Markt gekommen, weil Aktivisten es heraus quetschten aus diesem System, aus Laboren, aus Pharma-Konzernen, aus der Regierung, ins reale Leben hinein.“ [3]

Für Kramer selbst, der schon 1983 in seinem Text Aktionen zivilen Ungehorsams forderte, ist es seit „1,112 and counting“ die wesentliche Erkenntnis, aus der Passivität auszubrechen, sich zusammen zu schließen und für die eigenen Belange zu kämpfen:

“Du bekommst gar nichts, wenn du nicht dafür kämpfst, vereint und in wahrnehmbarer Anzahl. Wenn ACT UP uns eines gelehrt hat, dann dies.“ [4]

Larry Kramer mag von so manchem als „schwuler Extremist“ betrachtet werden, und als arrogante, gelegentlich auch demagogische alternde Tunte verschrien sein – seine Worte haben dazu beigetragen, die Realität nicht nur von HIV-Positiven sondern von Patienten im Gesundheitssystem generell zu verändern.

Larry Kramer ist Mitgründer von Gay Men’s Health Crisis GMHC (1982) sowie von ACT UP New York (1987). Er ist Autor von Theaterstücken wie „The Normal Heart“ (1985) und Sachbüchern wie „ Reports from the Holocaust: The Story of an AIDS Activist“ (1989/94). Kramer ist mit HIV und Hepatitis B infiziert und erhielt 2001 als einer der erste HIV-Positiven der USA eine Leber-Transplantation. Kramer lebt mit seinem Partner, dem Architekten David Webster, in New York.

.

Larry Kramer starb am 27. Mai 2020 im Alter von 84 Jahren in New York.

.

[1] Larry Kramer: 1,112 and Counting – A historic article that helped start the fight against AIDS. Erstveröffentlicht in New York Native 14.03.1983
[2] Michael Specter: Public Nuisance, in: New Yorker 13.05.2002
[3] Ulrich Würdemann: Larry Kramer: Happy Birthday, ACT UP, ondamaris 02.04.2012
Larry Kramer: We are not crumbs; we must not accept crumbs – Rede zum 20. Geburtstag von ACT UP.
[4] Happy Birthday, ACT UP, Wherever You Are. Larry Kramer. Huffington Post 28.3.2012 http://www.huffingtonpost.com/larry-kramer/act-up_b_1382314.html
[5] Der New York Native, der zu Beginn der Aids-Krise ein wichtiges Medium darstellte und Pionierarbeit leistete, wurde später eher zu einem Forum für Verschwörungs-Theorien rund um Aids und wurde von Gruppen wie ACT UP boykottiert.

.

In einem ‚Kalenderblatt‘ habe ich für das Blog der Deutschen Aids-Hilfe an diesen Text Kramers erinnert, dort ist dieser Text (mit 2 weiteren Fotos) zuerst erschienen am 14. März 2013.

.

Kategorien
Hamburg Politisches

Fracking in Hamburg Bergedorf / Schwarzenbek und Vierlanden ?

Fracking in Norddeutschland: Unter anderem in Hamburg Bergedorf sowie den Vierlanden planen PRD Energy bzw. BEB, Tochterunternehmen des US-Energiekonzerns Exxon Mobile, nach Erdgas und Erdöl zu suchen – mittels des umstrittenen Fracking (hydraulic fracturing).

Im „Erlaubnisfeld Schwarzenbek“ (südlich der Autobahn A24 zwischen Gudow und Glinde, ’nahezu das gesamte Kreisgebiet‘), plant PRD über einen Zeitraum von 5 Jahren Explorationsbohrungen sowie „seismische 3D-Messungen“. Ziel: die Chancen einer späteren Förderung von in Gesteinsschichten gebundenem Erdöl zu erkunden. Die entsprechenden Anträge sind seit Oktober 2012 bei der Obersten Baubehörde Schleswig-Holstein in Bearbeitung. Der Kreisausschuss für Energie, Umwelt und Regionales sprach sich auf Antrag der SPD gegen Fracking sowie generell gegen „die Suche nach im Gestein gebundenen Öl- und Gasvorkommen“ aus.

Kategorien
Homosexualitäten

Köln 16. März 1985 : SCHULZ Eröffnung Fotos

SCHULZ Eröffnung Fotos : Am 16. März 1985 war es endlich soweit: nach monatelangen Vorbereitungen und Umbauarbeiten in der ehemaligen Tanzschule Meyer eröffnete das SCHULZ Schwulen- und Lesbenzentrum in der Bismarckstraße mit einer grossen Feier mit Disco, Markt der Möglichkeiten (insbesondere der zahlreichen das SCHULZ tragenden Gruppen und Organisationen) und üppigem Buffet.

Als besonderer Gast war zur Eröffnung anwesend Frau von Oehmichen, die letzte Besitzerin der ‚Tanzschule Meyer‘ [1]. Anlässlich der Schlüsselübergabe [2] des SCHULZ wurde sie zum Ehrenmitglied des Trägervereins des SCHULZ, dem Emanzipation e.V. ernannt:

„Als Zeichen unserer besonderen Verehrung ernennen wir Frau Elfriede von Oehmichen zum Ehrenmitglied der Emanzipation e.V.“

SCHULZ Eröffnung Fotos

SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Ehrenmitgliedschaft Frau von Oehmichen
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Ehrenmitgliedschaft Frau von Oehmichen
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke

Ab sofort standen Kölner Lesben und Schwulen und ihren Projekten und Organisationen 400m² zur Verfügung, selbst verwaltet und selbst organisiert: der Saal, das ‚Blumenzimmer‘, das Café, das ‚Afrikazimmer‘ sowie einige Nebenräume.

Zu Beginn wurde das SCHULZ von 20, später von bis zu 30 verschiedenen Gruppen gemeinsam getragen. Schon bald nach der Eröffnung entwickete sich reger Betrieb im SCHULZ von Diskussionsveranstaltungen und Gruppentreffen bis zu Flohmärkten und einem boomenden Kulturbetrieb – Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Parties, Theater, Kabarett sowie eine im Herbst 1987 eröffnete Bibliothek. Zur Ankündigung der zahlreichen Veranstaltungen entstand bald ein extra Mitteilungsblatt, das ‚Raus in Köln‘.

.

[1] Elfriede von Oehmichen belegte u.a. 1947 den 3. Platz und 1948 den 4. Platz in der Deutschen Meisterschaft Standardtanz (pdf).
[2] auf dem Bild zur Schlüsselübergabe bei der SCHULZ Eröffnung ist rechts der 1990 verstorbene Jean Claude Letist zu sehen

Kategorien
Berlin

Zoo-Terrassen / Terrassen am Zoo

Die Zoo-Terrassen (auch: Terrassen am Zoo). Es gab nur noch wenige Orte in der City West, an denen man so authentisch in das West-Berlin der 1970er Jahre abtauchen konnte. 2006 wurden sie geschlossen. Anfang November 2016 folgte die Neu-Eröffnung als Schnellimbiß.

Unbequeme Stühle, schöner Blick. Unfreundliche Bedienung, zerkochte Speisen. Das Bier allerdings war meist tatsächlich kalt und gelegentlich auch mit Schaumkrone.

Ein Relikt aus einer Zeit, in der viele Ecken an und im Bahnhof Zoo noch das Attribut ’schmuddelig’ verdienten.

Eine Zeit, in der der Begriff ‘Inter City’ (siehe unten Wand- Fotos aus dem Jahr 2006) noch stand für Tempo, für Schnelligkeit, für die schnelle Überwindung von räumlicher Distanz. Für den schnellen und relativ bequemen Weg zwischen Berlin und ‘dem Westen’.

Architekt der Zoo-Terrassen

Die ‚Terrassen am Zoo‚ wurden in den 1950er Jahren an den eigentlichen Bahnhof Zoologischer Garten angebaut. Entworfen wurden sie vom Berliner vom Architekten Horst E. Engel.

Engel wurde am 13. September 1910 in Berlin geboren. Er entwarf in Berlin u.a. das Gebäude des SFB Sender Freies Berlin sowie 1960 das Reichsbahnzentralamt am Halleschen Ufer. Die Zoo-Terrassen wurden am 10. Oktober 1957 eröffnet.

Engel starb am 29. Dezember 1977 in Berlin.

2006 das (vorläufige) Ende der Zoo-Terrassen

2006 war es dann vorbei mit diesem bizarren Ort des Verweilens im Verkehrstrubel. Das ‘InterCity Restaurant – Terrassen am Zoo’ schloss am 22. November 2006 für immer.

Und danach? Die Bahn hüllte sich zunächst in Schweigen. Der Bahnhof Zoo wurde modernisiert. Ankündigungen zufolge drohten zunächst neue aufgehübschte bunte glitzernde Shopping-Arkaden.

Lange war seit der Schließung 2006 jedoch das einzige, was sich hier bewegte, rieselnder Staub. Bis die ‚Terrassen am Zoo‘ Anfang November 2016 als Schnellimbiß neu eröffnet wurden.

Die Zoo-Terrassen – eine Geschichte in Fotos 2006 bis 2016:

Zoo-Terrassen – Fotos vor der Schließung 2006

InterCity Restaurant – Terrassen am Zoo, 2006
InterCity Restaurant – Terrassen am Zoo, 2006
Zoo-Terrassen 2006
Zoo-Terrassen 2006

Zoo-Terrassen 2013

2013: Leere Vitrinen, ein einsamer Regenschirm, einige Tischdecken, verlorene Plastikpflanzen –

Zooterrassen 2013
Zooterrassen 2013
Zoo-Terrassen 2013
Zoo-Terrassen 2013

.

Zoo-Terrassen März 2015

Zooterrassen, März 2015
Zoo Terrassen, März 2015

.

Terrassen am Zoo Juli 2015

Die ehemaligen Terrassen am Zoo (Zooterrassen) werden umgebaut. Im Sommer 2016 sollen sie wieder eröffnet werden – mit einem Fastfood-Restaurant. Die Freiluft-Terrasse soll Medienberichten zufolge im Zustand wie 1957 wieder hergestellt werden.

Zooterrassen, Umbau, Juli 2015
Zooterrassen, Umbau, Juli 2015
Zoo-Terrassen Juli 2015 2
Zooterrassen Juli 2015 3
Zooterrassen Juli 2015 4
Zooterrassen Juli 2015 5
Zooterrassen Juli 2015 6

Terrassen am Zoo Juli 2016

… noch wird gebaut:

Zoo-Terrassen im Juli 2016 - noch Baustelle
Zoo-Terrassen im Juli 2016 – noch Baustelle

.

Terrassen am Zoo Anfang November 2016

Am 9. November 2016 eröffneten die Zooterrassen neu. 100 Meter Restaurant in der ersten Etage als Filiale einer Imbisskette. Die Flächen im Erdgeschoß werden bis 2018 neu gestaltet bzw. renoviert.

Zoo-Terrassen / Terrassen am Zoo am 8. November 2016, einen Tag vor der Wieder-Eröffnung
Zoo-Terrassen / Terrassen am Zoo am 8. November 2016, einen Tag vor der Wieder-Eröffnung
Zoo-Terassen / Terrassen am Zoo am 8. November 2016, einen Tag vor der Wieder-Eröffnung

.

Kategorien
Zeichnungen & Grafiken

Einladung Fete im Schulz 1985

Einladung Fete im späteren SCHULZ am 2.3.19855_a
Einladung Fete im späteren SCHULZ am 2.3.1985

Kategorien
Homosexualitäten Köln

SCHULZ früher : Übernahme ‚Tanzschule Meyer‘ (1984, Fotos)

Das SCHULZ früher : eine Tanzschule! Das Kölner Lesben- und Schwulenzentrum SCHULZ öffnete am 16. März 1985 seine Pforten. Zuvor waren bis zur Eröffnung des SCHULZ umfangreiche Aufräum- und Umbauarbeiten in der ehemaligen Tanzschule Meyer erforderlich, die nach Unterzeichnung des Mietvertrags (am 24.10.1984) am 8. Dezember 1984 begannen.

Hier einige Photos, die ich damals machte, und die einen guten Eindruck der früheren ‚Tanzschule Meyer‚ vermitteln: das SchuLZ früher

SCHULZ bei Übernahme 1984, vorderer Saal
SCHULZ bei Übernahme 1984, vorderer Saal

SCHULZ bei Übernahme 1984
SCHULZ bei Übernahme 1984

SCHULZ bei Übernahme 1984, Saal
SCHULZ bei Übernahme 1984, Saal

SCHULZ bei Übernahme 1984, Tür zum zweiten Saal
SCHULZ bei Übernahme 1984, Tür zum zweiten Saal

SCHULZ bei Übernahme 1984, Blick zur Eingangstür
SCHULZ bei Übernahme 1984, Blick zur Eingangstür

SCHULZ bei Übernahme 1984, Fassade mit 'Die Tanzschule Meyer'
SCHULZ bei Übernahme 1984, Fassade mit ‚Die Tanzschule Meyer‘

SCHULZ bei Übernahme 1984, Container
SCHULZ bei Übernahme 1984, Container

SCHULZ bei Übernahme 1984, Keller
SCHULZ bei Übernahme 1984, Keller

SCHULZ bei Übernahme 1984, Keller
SCHULZ bei Übernahme 1984, Keller

.

Bei den Aufräumarbeiten im Keller kamen auch zahlreiche Unterlagen der früheren Tanzschule Meyer in Köln zum Vorschein, unter anderem zur Geschichte der Neu-Konstituierung des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbandes nach 1945, an der Herr Meyer beteiligt war. Das Deutsche Tanzarchiv hat sich sehr gefreut, als wir ihm diese Akten später übergaben.

.

Kategorien
Politisches

AIDS-Forschung in Deutschland – Akte eines (finanziellen) Trauerspiels (2001)

In der AIDS-Forschung spielt Deutschland eine Rolle – eine traurige, nämlich eine weitgehend unbedeutende (gerade wenn man die Aktivitäten hierzulande mit denen z.B. in Frankreich vergleicht). Mit diesem ‚Trauerspiel‘ habe ich mich 2001 in einem Kommentar in den ‚HIV Nachrichten‚ (Ausgabe Nr. 42, März 2001) beschäftigt.
Dass das geringe Engagement der BRD für Aids-Forschung 2013 immer noch Thema ist, wurde erst gestern wieder deutlich: „Gerade der deutsche Beitrag [zur Aids-Forschung] ist viel zu gering. Um HIV zu besiegen braucht es auch politischen Willen!“ (sagt Carsten Schatz, DAH-Vorstand, 04.03.2013)

AIDS-Forschung in Deutschland – Akte eines (finanziellen) Trauerspiels

Weltweit sind circa 36,2 Millionen Menschen HIV-positiv – nahezu doppelt so viele, wie die Weltgesundheitsorganisation 1991 für das Ende des Jahrhunderts voraussagte. In Deutschland leben derzeit nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa 37.000 Positive.
Trotz intensiver Forschung stehen bisher keine Medikamente oder auch nur Ansätze zur Verfügung, die HIV kausal be­kämpfen (einen Positiven also wieder negativ machen) oder eine Infektion wirksam verhindern. Die bisher verfügbaren Medikamente können sich weltweit betrachtet nur wenige Positive leisten – Medizin für reiche Länder. Die Mehrzahl der Positiven lebt (und stirbt) mehr oder weniger ohne Medikamente.
Auch wenn die HIV-Forschung bereits wirksame Medikamente gebracht hat, und hoffnungsvolle Ansätze für Impfstoffe – dieser Fortschritt reicht noch nicht aus, und er kommt bisher zu wenig Positiven zugute. Weitere und intensivere AIDS-Forschung ist eigentlich unabdingbar… In Deutschland stellt sich die Situation der AIDS-Forschung jedoch eher als beschämendes Trau­erspiel dar:

Der erste Akt

Ende der achtziger Jahre ist AIDS im Bewusst­sein der Öffentlichkeit angelangt, und auch im Bewusstsein der Politiker. In den Industriestaaten werden vermehrt öffentliche Gelder für die AIDS-Forschung zur Verfügung gestellt.
Erste Medikamente werden verfügbar – oft genug hervorgegangen aus staatlichen Forschungspro­grammen, vermarktet jedoch von privatwirt­schaftlich orientierten Pharmakonzernen.
In Deutschland werden u.a. einige Bundesmo­dellprogramme eingerichtet, in Forschung, Prä­vention und Selbsthilfe.

Der zweite Akt

Das Interesse an AIDS hat nachgelassen. Große Teile der Öffentlichkeit glauben, eigentlich sei AIDS schon so gut wie behandelbar, und na ja Afrika ist so weit weg…
Ende des Jahrtausends laufen noch genau zwei (2 !) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte AIDS-Verbundvorhaben, ein Verbund zur Pathogenese von HIV, einer zu Pathophysiologie und Pathomorphologie der HIV-Infektion. Die Förderung beider Verbünde läuft jedoch Ende Februar 2001 aus. Das Sti­pendienprogramm (BMBF-gefördert), das junge Wissenschaftler in der Infektionsforschung nach Auslandsaufenthalten unterstützte, läuft Ende 2001 ebenfalls aus.
Während die Projektförderung des BMBF zu di­rekten HIV/AIDS-Vorhaben noch 1999 bei 9,23 Millionen DM lag, wird sie 2001 noch ganze 2,32 Mio. DM erreichen (nach 7,23 Mio. DM 2000)
Das Bundesgesundheitsministerium stellt zu­sätzlich im Jahr 2000 3 Mio. DM für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Verfügung – ein Großteil für das Robert-Koch-Institut (Überwa­chungsstudien, HIV-Impfstoff-Entwicklung).

Der dritte Akt

Ein internationaler Vergleich: im Jahr 2000 hat die Bundesregierung 17,45 Millionen DM für die HIV/AIDS-Forschung ausgegeben (Summe BMBF, BMG, DFG). Im gleichen Zeitraum wendete die briti­sche Regierung für den selben Zweck umge­rechnet 67 Mio. DM auf, und die US-amerikani­sche 4.413,2 Mio. DM.
Na die sind ja auch viel größer, mag man/frau einwenden. Also vergleichen wir die Aufwendun­gen pro Kopf: wie viel gibt die jeweilige Regie­rung für die HIV/AIDS-Forschung umgerechnet pro Einwohner aus? Die USA 15,98 DM, die bri­tische Regierung immerhin noch 1,14 DM, und die deutsche? 0,21 DM – gerade noch einund­zwanzig Pfennige pro Kopf für die AIDS-For­schung in Deutschland, Tendenz (siehe oben) weiter sinkend.
Die USA geben also absolut betrachtet (in Beträ­gen) das 253fache des Betrages für die AIDS-Forschung aus, den die Bundesregierung zur Verfügung stellt. Pro Kopf der Bevölkerung be­trachtet, immer noch das 76fache.
Und selbst Großbritannien, das ungefähr die gleiche Zahl Positiver hat wie die BRD, wendet absolut noch das 3,8fache und pro Kopf den 5,4fachen Betrag für die AIDS-Forschung auf.

Der vierte Akt

Dennoch, es gibt Wissenschaftler, die aus eige­nem Antrieb, trotz oft fehlender Mittel, AIDS-For­schung auf internationalem Niveau auch in Deutschland durchführen wollen. In be­grenztem Umfang können sie auf Mittel privater Stiftungen zurückgreifen, aber auch die sind lange nicht so groß wie die US-amerikanischen AIDS-Stiftun­gen. Vereinzelt, z.B. in Bayern, stellen Bundes­länder (wenige) Extra-Mittel be­reit.
Und – nicht alle Forscher in Deutschland sind sich grün. Da scheitern Anträge auf Finanzierung unter anderem daran, dass sich verschiedene Fraktionen bekämpfen. Eitelkeiten, Graben­kämpfe, vergangenheitsbezogene Konflikte statt nach vorn gewandtem gemeinsamem Engage­ment. Abstimmungen mit Communities? Ein Fremdwort für viele Forscher, oder höchstens hinterher, wenn alles entscheiden ist. So stellt auch die Forscher-Szene sich selbst ein Bein…
Was bleibt? Die Pharmaindustrie. Die meisten klinischen Studien, die in der BRD durchgeführt werden, finden mit finanzieller Unterstützung oder sogar Vollfinanzierung durch die Pharmain­dustrie statt. Im Bereich der klinischen For­schung (sicher gerade für Positive einer der inte­ressantesten) findet nach Angaben der Deut­schen AIDS-Gesellschaft (DAIG) derzeit keine relevante Förderung durch die öffentliche Hand statt.
Diese Abhängigkeit von privater Finanzierung der Forschung ist problematisch, und sie ist erst recht problematisch, wenn Hersteller die Studien mit ihren eigenen Medikamenten finanzieren und gleichzeitig eine öffentlich finanzierte klinische Forschung nicht mehr stattfindet. Mittelfristig muss dies zwangsläufig dazu führen, dass AIDS-Forschung sich zunehmend an den Interessen und Zielen der Sponsoren, eben der herstellen­den Industrie, ausrichtet.
[Wohlgemerkt – es geht hier nicht um die Gelder, die der Bund für Präventionsmaßnahmen bereit­stellt (und aus denen u.a. auch die Arbeit von BzgA und AIDS-Hilfen unterstützt wird – mit ebenfalls sinkender Tendenz).]
Was wir brauchen, ist interessenneutrale For­schung, aus einer Vielzahl von Gründen. An be­stimmten Themen ist die pharmazeutische In­dustrie einfach nicht oder nur am Rande interes­siert – z.B. wenn keine patentgeschützte Investi­tion dahinter steht (siehe die fehlenden Studien zu „alternativen“ Therapieansätzen) oder „der Markt fehlt“. Auch tendieren einige Hersteller dazu, zunächst sich selbst eine komplette Pro­duktpalette zusammen­zustellen, auch wenn ver­gleichbare Medika­mente bereits am Markt ver­fügbar sind. Dies führt dazu, dass reine „Mee-Toos“ entwickelt werden, ohne erkennbaren the­rapeutischen Fort­schritt – während wir neue, in­novative Therapieansätze benötigen.
Ein Interesse von Herstellern wird es zudem oft­mals sein, eine Substanz – wenn sie denn in der klinischen Prüfung die ersten Sicherheitsprüfun­gen bestan­den und Wirksamkeit gezeigt hat – so schnell wie möglich zugelassen zu bekommen. Die Erforschung von Nebenwirkungen, optimaler Dosierung oder zusätzlichen Wirkungen drohen so an den Rand gedrängt zu werden.
Und immer wieder wird auch die Befürchtung geäußert, die Pharmaindustrie hätte kein Inte­resse daran, an einer Heilung für die HIV-Infek­tion zu forschen – mit einer chronischen Infek­tion, einer lebenslangen Therapie ließe sich ein­fach mehr Geld verdienen.
Alles Argumente, die zeigen, wir benötigen auch pharma-unabhängige AIDS-Forschung, auch für Positive ist dies dringend erforderlich. Und Wis­senschaftler, die alte Streits endlich begraben und an einem Strang ziehen. Patientengruppen und Communities mit einbinden.
Das Gegenteil passiert – AIDS-Forschung wird in Deutschland bald öffentlich nahezu gar nicht mehr unterstützt, wird nur noch durch private Fi­nanzierung möglich sein. Forscher klagen – und streiten sich munter weiter. Und Communities schmollen, oder sind ganz und gar desinteressiert. Ein Trauerspiel.