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New York Aids Memorial Park – Aids-Gedenken im West Village New York

Die Stadt New York hat im West Village einen Park als Aids-Gedenk-Ort errichtet – den Aids Memorial Park.

Aids Memorial Park – Idee und Planung

Ein Park zum Gedenken an die vielen tausend Aids-Toten der Stadt – das soll es nach dem Willen einer 2011 breit lancierten Kampagne in New York geben. Anfang 2012 wurde der Sieger des Design Entwurfs vorgestellt.

New York ist von der Aids-Epidemie besonders betroffen. Bereits 1981 wurde der erste Aids-Fall in New York City berichtet. Allein für das Jahr 2009 wurde nach Angaben des New York City Department of Mental Health and Hygiene geschätzt, dass weit über 100.000 Menschen mit HIV in der Stadt leben. Über 1.600 Menschen starben allein 2009 in New York City an den Folgen von Aids. Allen an den Folgen von Aids verstorbenen Bürgern New Yorks soll nun mit einem neu zu errichtenden Aids memorial park gedacht werden.

Sieger des im November 2011 gestarteten Design Wettbewerbs für einen Park-Entwurf: die Gruppe ’studio a+1′ (Mateo Paiva, Lily Lim, John Thurtle, Insook Kim, Esteban Erlich). Der Park soll dem Sieger-Entwurf zufolge mit drei Wänden von den ihn umgebenden Starssen abgeschirmt werden. In dem sich ergebenden Dreieck sollen Bäume wachsen. Getrennte Statuen, Skulpturen oder Plaketten soll es nicht geben. Der Park solle von der Reflektion über die Weite des Waldes leben. Unter dem Park soll ein Dokumentaionszentrum (learning centre) errichtet werden.

Der ‚Aids memorial park‘ könnte auf der so genannten ‚Triangle Site‘ entstehen. Die ‚Triangle Site‘ ist Teil des Geländes des ehemaligen St. Vincent’s Hospital und wird gebildet aus den drei Strassenzügen 7th Avenue, 12th Street und Greenwich Avenue. Der zukünftige Park läge zudem direkt gegenüber dem LGBT Community Center. Das Gebiet des ehemaligen St. Vincent’s Hospital wird derzeit restrukturiert.

Das frühere St. Vincent’s Hospital war die erste Einrichtung, in der Aids-Patienten behandelt wurden. Lange Zeit stellte es sozusagen den Mittelpunkt, das Epizentrum der Aids-Epidemie in New York dar.Das Krankenhaus ging im April 2010 pleite. Das Gelände wurde an eine Entwicklungs-Firma verkauft, die hier Luxuswohnungen errichten will. Allerdings wurden die Entwickler verpflichtet, als Teil des Projekts öffentliche Räume zu entwickeln und bereit zu stellen.

Die Initiative ‚Aids memorial park – campaign for a beautiful memorial park at St. Vincent’s campus‘ wurde 2011 gegründet. Ziel ist es, mit dem Park der über 100.000 Männer, Frauen und Kinder zu gedenken und sie zu ehren, die in New York City an den Folgen von Aids gestorben sind.

Aids Memorial Park – Streit um Entwurf

Der Eigentümer des Geländes Triangular Space, ‚Rudin Management‘, hat den mit dem ersten Preis prämierten Gestaltungs-Entwurf sofort nach Bekanntgabe zurückgewiesen. Man sei bereit, mit der Initiative für den ‚Aids Memorial Park‘ zusammen zu arbeiten. Der von ‚a+1‘ vorgerlegte Entwurf würde aber zu Verzögerungen im Baufortschritt führen und werde deswegen abgelehnt.

Bill Rudin, geschäftsführendes Vorstandsmitglied (CEO) von ‚Rudin Management‘ kündigte stattdessen an, das Unternehmen wolle mit seinen eigenen Planungen für das Gelände voranschreiten, man habe den Landschaftsplaner Rick Parisi damit beauftragt. Dabei solle sowohl der an den Folgen von Aids Verstorbenen gedacht als auch an die 160jährige Geschichte des St. Vincent’s Hospital erinnert werden.

Im September 2012 hat das Community Board ein modifiziertes Design für den in New York geplanten Aids Memorial Park auf dem Gelände des ehemaligen St. Vincent Hospitals verabschiedet.

Bis Oktober könnte der Planungs-Prozeß für den Aids Memorial Park abgeschlossen sein. Ein endgültiges Budget für die Realisierung wurde allerdings noch nicht beschlossen.

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siehe auch Kommentar: Wie wichtig sind uns Erinnern und Gedenken an die an Aids Verstorbenen?

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Text 21. April 2017 von ondamaris auf 2mecs, zuletzt aktualisiert 12. September 2012

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Positiv na und ?

1981 veröffentlichte der Hamburger Schwulen-Aktivist und Autor Thomas Grossmann ein Taschenbuch unter dem programmatischen Titel „Schwul – na und?“. Ein Bändchen, das bald eine gewisse Bekanntheit erreichte, und das mit „Beziehungsweise andersrum“ 1986 eine Fortsetzung fand (darin, nebenbei bemerkt, u.a. auch ein Interview mit mir).

Damals, Mitte der 1980er Jahre, behagte mir der Titel von Grossmanns erstem Band nicht sehr. Ja, ich engagierte ihn direkt für eine Veranstaltung – in der Kleinstadt war das ein guter Weg, das Thema wie auch unsere neu gegründete Schwulengruppe bekannt zu machen. Aber dieses „na und?“, musste das sein? Klang es nicht fast entschuldigend? Mir schien der Titel damals zu defensiv, schien zu wenig eine offensivere Haltung auszudrücken.

„Sing, if you’re glad to be gay„, die Tom Robinson Band (TRB) drückte in ihrem Lied von 1976/78 (einer zu unrecht bei Schwulen in Deutschland in Vergessenheit geratenen Hymne schwulen Lebens zu Beginn der 1980er Jahre) mein Lebensgefühl viel eher aus. Ja, ich war stolz, schwul zu sein, endlich offen schwul. Wollte etwas unternehmen gegen die, die uns weiterhin unterdrücken woll(t)en. Und es machte mir einen Heidenspaß, mein Schwulsein auszuleben, meine mühsam errungene Freiheit in jedem Zug zu genießen. Grossmanns „na und“ – es schien mir damals eher einen verdrucksten, beinahe verklemmten Unterton zu haben.

Erst Jahre später entdeckte ich, dass dieses „na und“ auch anders lesbar ist.
Dass es eine wunderbare Gelassenheit, Unaufgeregtheit ausdrücken kann.
„Na und, stört dich irgendwas daran? Mich nicht …“

Wenige Jahre nach Erscheinen gerieten Grossmanns Bändchen in meinem Bücherschrank ein wenig in Vergessenheit. Die Aids-Krise überrollte uns. Auch ich wurde irgendwann von der (Schwulen-) ‚Bewegungsschwester‘ zum ‚Aids-Aktivisten‘. Jüngst kam Grossmanns „Schwul na und“ wieder zum Vorschein. Und erinnerte mich, an damals, an schwule Bewegungen, an mein Lebensgefühl damals, auch an die Aids-Krise, an die „schlimmen Jahre“.

Was sich alles verändert hat. Auch im Leben mit HIV und mit Aids. Der ‚grosse Horror‘ wie ich ihn Ende der 1980er / Anfang der 90er empfand ist (in den wohlhabenden Industriestaaten) nicht mehr. Das Leben besteht auch für HIV-Positive aus so viel mehr als Helferzellen und Viruslast.

Ist es nun an der Zeit auch zu sagen „Positiv – na und?“

„ positiv na und “ wäre Ausdruck eines Umgangs mit mir selbst, einer Haltung, einer Selbst-Sicht. Einer Sicht, die dabei nicht negiert, dass Positive weiterhin diskriminiert, stigmatisiert, kriminalisiert werden. Einer Sicht die vorher fragt, wie sehe ich mich selbst, wie gehe ich mit mir um – und wie bewege ich mich dann damit in der Gesellschaft

„ positiv na und ? “ – das hieße dann auf einer persönlichen Ebene vielleicht: ‚ja, ich habe HIV. Ich mache mir Gedanken darüber, was das für mich und mein Leben bedeutet. Aber ich mach kein Drama draus. Gehe verantwortlich mit mir und meinem Mitmenschen um. HIV steht nicht im Mittelpunkt meines Menschseins. Und es definiert mich nicht – ich definiere mich nicht darüber, und ich will darüber auch nicht von anderen definiert werden. Ich mach‘ kein Drama draus – mach du es auch nicht.‘

Ist es dann – gerade auch in diesem Sinne – an der Zeit, all jenen, die meinen immer noch Menschen mit HIV diskriminieren und stigmatisieren zu können, ein beherzt selbstbewusstes „positiv – na und?“ zu entgegnen? Und zwar zahlreich?

„ positiv  na und ? “ – das könnte dann in diesem Sinne sagen „Ich bin HIV-positiv. Na und? Hast du ein Problem damit? Dann löse es selbst. Kümmere dich um  dein Problem – und mach es nicht zu meinem. Halse es mir nicht auf. Denn ich komm damit ganz gut klar. Ich bin HIV-positiv – na und?“

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Text 25.02.2016 von ondamaris auf 2mecs

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Schock zu Neujahr: Tausende absichtlich mit HIV infiziert – oder doch nicht? Über Schlagzeilen und Wahrheitsgehalt

„Irrer Ami steckte Tausende mit HIV an“, mit dieser grellen Schlagzeile schreckt die Zeitung mit den grossen Buchstaben und dem fragwürdigen Verhältnis zur Wahrheit ihre Leser/innen ins Neue Jahr. Und erläutert „Seine kranke Mission: So viele Personen wie möglich zu infizieren und so umzubringen.“

Ein 51jähriger (mit vollem Namen genannter und mit Foto abgebildeter) Mann aus dem US-Bundesstaat Michigan solle, so das Blatt, seit drei Jahren versucht haben, „durch absichtlich ungeschützten Sex“ Tausende mit HIV zu infizieren. Über das Internet habe er sich „an seine ahnungslosen Opfer herangemacht“, „junge Frauen und … auch Männer“.

Einem weiblichen „mutmaßlichen Opfer“ gegenüber, das sich in einem US-Fernsehsender geäußert hat, habe er zugegeben, „dass er mit 3000 Frauen und Männern ungeschützten Sex hatte“.

Das ist ja fürchterlich! Andere absichtlich mit HIV infiziert – Wir erschrecken maßlos, sind angewidert, fassungslos – oder?
Halten wir inne, denken ein wenig nach. Nur ein klein wenig.

Überlegen wir einmal:

  • Drei Jahre – das macht 1.095 Tage. Der Mann müsste also, sollte er tatsächlich wie behauptet innerhalb der letzten 3 Jahre „Tausende infiziert“ haben, täglich mehrmals Sex gehabt haben, und das jeden Tag, sonn- wie werktags, ohne Unterbrechung, ohne Krankheit, ohne Tage sexueller Untätigkeit.
  • Doch nicht nur das, jeder Sex-Kontakt müsste auch gleich zur Übertragung von HIV geführt haben.
  • Dass dies nicht der Fall ist, bemerkt sogar das Blatt selbst: „er ist in zwei Fällen angeklagt, in denen es ihm allerdings nicht gelang, das lebensgefährliche Virus zu übertragen.“
    Eine HIV-Übertragung erfolgt nicht etwa bei jedem ungeschützten Sex – der Mann hätte, um wie behauptet „Tausende mit HIV angesteckt zu haben“ wohl mit Zehntausenden Sex haben müssen, innerhalb von drei Jahren. Was selbst bei großer Promiskuität eine beachtliche Leistung wäre.
  • Und – vergessen wir nicht, zu einer sexuellen Übertragung von HIV gehören immer (mindestens) zwei Personen. Zwei Personen, die beide keine Schutz-Vorkehrungen wie zum Beispiel die Verwendung von Kondomen ergreifen. Beide sind hierfür verantwortlich – nicht allein eine etwaig mit HIV infizierte Person.
  • Denn – ob der US-Amerikaner tatsächlich mit HIV infiziert ist, oder nur HIV als Vehikel für eine grossspurige Wichtigtuerei nimmt, verschweigt der Artikel ebenfalls.
  • Ganz außer Acht gelassen haben wir dabei bisher die Frage, ob der HIV-Positive antiretrovirale Medikamente nimmt – dies hätte wie bekannt im Fall erfolgreicher Therapie das Risiko einer HIV-Übertragung drastisch gesenkt (siehe „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„).

Eine letzte Frage noch: wie viele Menschen hat er nun infiziert?
„Bislang wurden zwei seiner Opfer identifiziert“, vermerkt der Artikel an unauffälliger Stelle mitten im Text. Sind es genau die zwei Fälle, in denen es – wie der Artikel ebenfalls vermerkt – „nicht gelang“, HIV zu übertragen?
Es bleiben – statt der behaupteten „Tausende“ zwei bis null Fälle einer HIV-Übertragung. Und eine grelle Schlagzeile, von deren überprüfbarem Wahrheitsgehalt wenig bleibt.

Ist eine aufmerksamkeitsheischende schreiende Schlagzeile alles wert?

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Nachtrag:
Immer wieder werden Geschichten von Horror-Zahlen kolportiert, oder dass Mwenschen absichtlich mit HIV infiziert wurden. Bei genauem Nachsehen erweisen sie sich fast immer als substanzarm oder substanzlos.
Schon ZDFneo suchte vergeblich nach Männern, die andere Männer absichtlich mit HIV infizieren wollen – und fand nichts. Es blieb damals Bugchasing: viel neo-Lärm um nichts.
Die gerne behauptete ’neue Sorglosigjkeit‘ ist längst als Mythos entlarvt. Ebenso ein Mythos: die Geschichten vom verantwortungslosen Positiven.
Und auch die ‚Ausrede‘ der vermeintlich guten (präventiven) Absicht greift nicht, denn längst ist gezeigt: Schock-Prävention wirkt nicht.

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Bild.de 01.01.2012: ‚Er wollte mit AIDS töten – Irrer Ami steckte Tausende mit HIV an‘
dailymail 31.12.2011: „‚I’m turning myself in, my life is over‘: HIV-positive man ‚infected hundreds‘ after setting out to pass on virus to as many as possible“

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Frankreich HIV 2010 Zahl der Neudiagnosen konstant

Frankreich HIV 2010 – Seit 2008 ist die Zahl der HIV-Neu-Diagnosen in Frankreich annähernd konstant. Dies teilte die französische Gesundheitsbehörde mit. Während die Zahl der HIV-Neudiagnosen in Frankreich bei Menschen mit heterosexuellen Übertragungswegen weiterhin sinkt, steigt sie bei Schwulen an.

6.265 HIV-Infektionen wurden im Jahr 2010 in Frankreich neu diagnostiziert, gegenüber 6.341 im Jahr zuvor (minus 1,2%). Dies teilte das “Institut de veille sanitaire” (InVS; 2016 aufgegangen in Santé public France) mit. Seit 2008 ist die Zahl jährlicher HIV-Neudiagnosen in Frankreich annähernd stabil, nachdem es zwischen 2004 (7.679 HIV-Neudiagnosen) und 2007 (6.464 HIV-Neudiagnosen) einen deutlichen Rückgang gab.

Hinter der annähernd stabilen Zahl der HIV-Neudiagnosen verbirgt sich allerdings auf den ersten Blick, dass es in den unterschiedlichen Gruppen deutlich abweichende Entwicklungen gibt:

Frankreich: HIV-Neudiagnosen 2003-2010 nach Übertragungsweg (Quelle: InVS)
Frankreich: HIV-Neudiagnosen 2003-2010 nach Übertragungsweg (Quelle: InVS)

Die Zahl der HIV-Neudiagnosen, bei denen heterosexuelle Übertragungswege angegeben wurden, sinkt seit 2008 weiterhin deutlich (2010: 3.600), bei Drogengebraucher/innen ist sie weitgehend stabil (2010: 70). Bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), stieg die Zahl der HIV-Neudiagnosen hingegen sowohl von 2008 auf 2009, als auch von 2009 auf 2010 an. 2010 wurde bei ca. 2.500 Schwulen und Männern, die Sex mit Männern haben, neu eine HIV-Infektion diagnostiziert. Der Anteil dieser Gruppe an den gesamten HIV-Neudiagnosen beläuft sich auf 40%, MSM stellen seit 2003 in Frankreich die einzige Gruppe dar, in der die Zahl der HIV-Neudiagnosen ansteigt. Zudem beträfen, so das InVS, 83% aller Syphilis-Diagnosen und fast alle rektalen LGV-Diagnosen (Lymphogranuloma venereum) diese Gruppe.

18 Prozent der HIV-Neudiagnosen (2010: ca. 1.100) erfolgen in Frankreich bei Menschen in einem Lebensalter von über 50 Jahren. Seit 2003 steigt ihr Anteil an. Oft wird bei ihnen eine HIV-Infektion in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert.

Insgesamt wurden 2009 (!) in Frankreich 18 neue HIV-Infektionen pro 100.000 Einwohner festgestellt. In den überseeischen Departements (DOM, départements d’Outre-Mer) liegt dieser Wert mit 44 pro 100.000 deutlich über dem Durchschnitt (besonders hoch in Guayana sowie auf Guadeloupe), ebenso in der Region Ile de France (entspricht ungefähr dem Ballungsraum Paris) mit 39 pro 100.000 Einwohnern.

Ungefähr 5 Millionen HIV-Tests wurden 2010 in Frankreich durchgeführt (ca. 77 pro 1.000 Einwohner). Die Zahl jährlicher HIV-Tests in Frankreich ist seit 2006 annähernd stabil; im Herbst 2010 wurde eine Ausweitung der HIV-Test Bestandteil der nationalen Aids-Strategie, dies dürfte sich ab 2011 in den Zahlen widerspiegeln.

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weitere Informationen:
Institut de veille sanitaire (InVS) 29.11.2011: Dossier de presse : données épidémiologiques sur l’infection à VIH et les IST. 1er décembre 2011 (pdf)
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Text 20.02.2016 von ondamaris auf 2mecs

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ondamaris Texte zu HIV & Aids

Sigrun Haagen und Matthias Hinz neue Ehrenmitglieder Deutsche Aids-Hilfe

Auf ihrem Jahresempfang 2011 hat die Deutsche Aids-Hilfe DAH am 4. November 2011 Matthias Hinz und Sigrun Haagen zu Ehrenmitgliedern ernannt.

Sigrun Haagen ist unter anderem Gründungsmitglied des Bundesweiten Netzwerks der Angehörigen von Menschen mit HIV und AIDS und seit vielen Jahren auch aktiv in der Vorbereitung der ‚Positiven Begegnungen‘.
Sie lebt im Sauerland, und arbeitet seit vielen Jahren im Vorstand eines ambulanten Hospizvereins (DIE BRÜCKE – Sterbe- und Trauerbegleitung e.V.).

Matthias Hinz war auf vielen Ebenen in der DAH aktiv (vom Mitarbeiter bis zum Mitglied des Delegiertenrats) und u.a. auch Mitglied von positiv e.V., dem (zusammen mit dem Waldschlößchen) Organisator der Bundesweiten Positiventreffen. Einer seiner grundlegenden Gedanken (aus der Zeit der Diskussion zum Leitbild der DAH):

„Der Wunsch, Infektionen und Krankheit zu verhindern, der Wunsch, Gesundheit und Leben zu erhalten, mögen für uns zwar die Motivation unseres Handelns sein, aber: Ziele unserer Arbeit, „Leitsterne“ von Aids-Hilfe können sie nicht sein. Warum nicht? Weil die AH-Arbeit auf Werten basiert, die wichtiger sind als unsere Wünsche, auf Werten, die uns einen handlungsleitenden Rahmen setzen – sowohl begrenzend als auch motivierend. Der oberste dieser Werte ist die Autonomie, die Selbstbestimmung des Menschen, in der sich seine Freiheit und seine Würde ausdrücken. Diese Selbstbestimmung zu achten und sie zu fördern ist in meinen Augen die wichtigste Aufgabe der Aids-Hilfe …“.

Matthias Hinz Ehrenmitglied der DAH
Matthias Hinz Ehrenmitglied der DAH

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

„Jeder hat das Recht auf Sex ohne Kondom, auch Menschen mit HIV“

Im Rahmen des 144. Bundesweiten Positiventreffens fand am 29. Juni 2011 im Waldschlößchen ein Workshop zum Thema ‚Kriminalisierung von Menschen mit HIV‘ statt. Die Teilnehmer erarbeiteten gemeinsam mit dem Workshop-Leiter RA Jacob Hösl eine Resolution, die im Folgenden dokumentiert ist:

Forderungen und Positionen aus dem Workshop „Kriminalisierung von Menschen mit HIV“ am 29.6.2011 im Rahmen des 144. HIV-Positiven-Treffens

Forderungen und Positionen aus dem Workshop „Kriminalisierung von Menschen mit HIV“ am 29.6.2011 im Rahmen des 144. HIV-Positiven-Treffens im Waldschlösschen Gleichen-Reinhausen, gerichtet an die Aidshilfeorganisationen, allen voran an die Deutsche Aids-Hilfe. Sie mögen sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mittel dafür einsetzen.

Denn nicht akzeptabel, ärgerlich und verletzend ist das Bild von Sexualität, wie es leider seit Jahren, zum Teil wider besseres Wissen, in Öffentlichkeitskampagnen verbreitet wird. Diese müssen ehrlicher und zur Änderung der falschen Bilder zunächst auch provokanter werden. Das ist nötig, weil das „alte Aids“ heute eher Schreckgespenst denn Wirklichkeit ist, was aber bei den meisten Menschen noch nicht angekommen ist.

Viele von uns sind nicht mehr ansteckend.

Weitgehender Konsens unter den Teilnehmern herrschte über Folgendes:

1. Es gibt keine Sicherheit, auch nicht beim Sex.

2. Die Selbstbestimmtheit der „HIV-Negativen“ im Sexualverhalten muss gestärkt werden.

3. Jeder hat das Recht auf Sex ohne Kondom, auch Menschen mit HIV.

4. Die Unwissenheit über HIV muss beseitigt werden, das Wissen muss verbreitet werden, etwa über die tatsächliche Infektiosität.

5. Die Angst „HIV = Sex + Tod“ muss genommen werden.

6. HIV-Positive müssen antidiskriminierungsrechtlich geschützt werden.

7. Geld für Antidiskriminierungskampagnen muss bereitgestellt werden.

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Text 19. April 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Kulturelles ondamaris Texte zu HIV & Aids

Der PontiFix und das Goldene Kalb

Der PontiFix und das Goldene Kalb (Foto: Südblock)
Der PontiFix und das Goldene Kalb (Foto: Südblock)

… morgen live auf der Demonstration „Der Papst kommt!“

siehe auch
Südblock
„Deutsche AIDS-Hilfe fordert Papst zur Umkehr auf“

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Biohazard Tattoo HIV – Zeichen für mehr Akzeptanz?

Tätowierungen, Brandings die den Träger eindeutig als HIV-positiv kennzeichnen – ist ein Biohazard Tattoo ein Zeichen von Selbst-Akzeptanz und HIV-positivem Selbstbewusstsein? Oder ein Akt der Selbst-Stigmatisierung?

In Berlin sieht man sie schon seit einigen Jahren häufiger, auch gelegentlich in Spanien oder Frankreich, und auch in den USA: schwule Männer mit einer auffälligen Tätowierung – einem Tattoo, mit dem sie sich als HIV-positiv zu erkennen geben.

Mehrere Zeichen werden als solche ‚eindeutige‘ Hinweise genutzt, als Tattoos verwendet. So das ‚Red Ribbon‘ (‚Aids-Schleife‘). Das bekannteste Signal unter Positiven jedoch dürfte das Biohazard Tattoo sein.

Biohazard Probenbeutel
Probenbeutel mit Biohazard Piktogramm

Tätowierungen, die den Träger eindeutig als HIV-positiv kennzeichnen – sie bieten aus Sicht vieler, die diese Tätowierung tragen, einen klaren Vorteil: sie sind eindeutig. Signalisieren dem gegenüber, der Umwelt: ich bin HIV-positiv. Coming-out als HIV-Positiver, langwierige unbequeme Gespräche hätten sich damit weitgehend erledigt. Gerade beim Sex weiß jeder, woran er ist, kann sich entsprechend verhalten. Ohne Worte.

Biohazard-Tattoo – Erfahrungen

Du bist kein Opfer. Du bist ein Champion, ein Überlebender – das ist der bedeutendste Teil des Tattoos„, zitiert CNN einen HIV-Positiven. HIV-Positive in den USA sprechen von einer ‚Umwidmung‘ eines Symbols, und vergleichen ihre Verwendung des Biohazard Tattoo mit der Verwendung des Rosa Winkels durch die Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Hinzu kommt, viele sehen in dem Biohazard Zeichen auch ein Signal der Verbundenheit mit anderen Positiven, einen „geheimen Identifikations-Code“, der auch gegenseitige Unterstützung signalisiere.

Auch in Deutschland ist das Biohazard-Symbol als Zeichen HIV-Positiver verbreitet. Eine Gruppe HIV-Positiver bezeichnet ihre Parties für Positive als ‚BiohazardMen Parties‘, und erläutert auf ihrer Site

Biohazard ist die Kurzform des englischen Begriffes „biological hazard“ (biologische Gefahren). Laut des amerikanischen CDC (Centers for Disease Control and Prevention) werden Erreger in unterschiedliche Biohazard-Levels eingestuft. Dabei geht von Organismen des Levels 1 die geringste Gefahr aus. Mit höherem Level steigt das Gefahrenpotential. Der HI-Virus wird mit Biohazard Level 3 gelistet.
Wir, die Biohazardmen, sind alle HIV-positiv. Du bist es auch? Dann bist du bei uns herzlich willkommen.

Auch Jörg (*), der seit zwei Jahren ein Biohazard Tattoo auf dem Arm trägt, und den ich in einem Berliner Club treffe, betont, sein Tattoo mache vieles einfacher: „Ich find’s einfach klar. Jeder weiß Bescheid, woran er ist. Spart viele Worte und Debatten.

Und, hat er keine Angst vor Stigmatisierung? „Nein. Die meisten Schwulen hier kennen das Symbol, und sehen’s auch als Vereinfachung – jeder weiß, woran er ist. Und die Heten, die mich damit vielleicht sehen, erkennen darin meist nur ‚irgend so eine Tätowierung‘. Die meisten kennen das Symbol doch nicht mal, und wenn doch, dann wissen sie nichts mit anzufangen, warum ich das trage.

Biohazard – ein nicht unumstrittenes Tattoo

Doch – auch unter HIV-Positiven sind ‚eindeutige‘ Tätowierungen umstritten. Manche fühlen sich erinnert an die umstrittene Werbekampagne, die der Photograph Oliviero Toscani Anfang der 1990er Jahre für einen italienischen Modekonzern realisierte: ein Plakat mit einem Hinterteil, auf das groß „H.I.V positive“ tätowiert war.

Bernd (*), ein weiterer Bekannter von mir, erinnert zudem daran, dass es gerade zu Beginn der Aids-Krise Politiker gab, die ernsthaft forderten, HIV-Positive sollten – womöglich zwangsweise – tätowiert werden, damit sie für jerdermann/frau als solche erkennbar seien. Schon deswegen käme für ihn persönlich dieses ‚Positiven-Tattoo‘ nicht in Frage.

(*) Name geändert

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Aids und die subtile Kontrolle der Lüste

Aids-Prävention, weitgehend auch von schwulen Männern zum eigenen Schutz ‘erfunden’, hat viele positive Folgen, und Aids-Prävention hat sich zugleich zum mächtigen Instrument der ‘ Kontrolle der Lüste ’ entwickelt. Brauchen, wollen wir das eigentlich so noch?

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In direkter Reaktion auf die sich stark ausweitende und unsere Existenz als Schwule bedrohende Aids-Krise haben u.a. schwule Männer einst ‘safer sex’ erfunden. Dieses Konzept erwies sich bald als erfolgreich und wurde auch von staatlichen Stellen aufgegriffen, in Public Health Kampagnen eingebunden und promotet. Mit weitreichenden Folgen – positiven, aber auch hinterfragenswerten.

Schwuler Sex lag einst – vor Aids (und auch als Ergebnis der 1970er Schwulenbewegungen; spätestens seit der Strafrechtsreform; und für Schwule über 18 Jahren) – weitgehend außerhalb staatlicher Regulierung und Kontrolle. ‘Wir’ hatten unseren Freiraum, den viele auch leidlich nutzen, experimentierten, ausprobierten. Begriffe wie ‘Subkultur’ brachten diese dezidierte Ferne von Mainstream wie auch staatlicher Kontrolle und Regulierung auch sprachlich zum Ausdruck.

Dann kam die Aids-Krise. Durch Aids, Konzepte wie safer sex und deren bereitwillige Übernahme durch staatliche wie nichtstaatliche Stellen wurden viele positive Erfolge erzielt (wie eine weitgehend niedrige Rate an HIV-Neuinfektionen, gemessen an ursprünglichen Horror-Prognosen). Doch ein Preis dieser Erfolge war: schwuler Sex befand sich plötzlich weit in Reichweite staatlicher Regelung und Kontrolle. Nein, er ‘befand’ sich nicht etwa überraschend dort, wir selbst hatten ihn – ob aus eigenem Überlebens-Interesse, in ‘Notwehr’ oder als ‘Diktat der Vernunft’ – dorthin manövriert.

Inzwischen ist schwuler Sex ein weitgehend staatlich normiertes Feld. Was ist ‘gut’ (sprich: ‘gesund’, ‘Neuinfektionen vermeidend’ etc.)? Dies wird definiert durch staatliche Agenturen und durch (meist) von staatlichen Stellen bezahlte Nichtregierungsorganisationen. Was ist ‘nicht gut’ (sprich: ‘Infektionen riskierend’, ‘ungesund’)? Auch dies wird von ihnen definiert – und bei Bedarf skandalisiert (siehe Debatten um ‚Porno 90‚ oder  ‘Bareback’ etc., aber auch stillschweigend nicht diskutierte Verbote von bestimmten ‘zu expliziten’ Broschüren). Diese Kontrolle – mal war und ist sie mehr subtil (wie in Form von Botschaften des ‘guten Sex’), mal ganz direkt (wie in Form von Verboten von Broschüren, Verhindern oder Verzögern von Kampagnen oder Skandalisieren von Personen und Verhaltensweisen). Aber immer ist sie da, die Kontrolle schwuler Lüste.

Inzwischen ist weitgehend akzeptiert, dass es ‘externe Stellen’ gibt, die definieren, was an Sex ‘gut für uns’ ist (anstatt dass wir das selbst machen). Nichts mehr mit ungeregeltem Experimentieren. Nichts mehr mit ‘hemmungslos’, mit ‘fallen lassen’, mit ‘Aufhebung von Gesetzen und Verboten’.

Die externen politischen und sozialen Regelsysteme des schwulen Sex – wir haben sie längst akzeptiert, und an sie gewöhnt. Einschließlich ihrer Sanktions-Mechanismen.

Und wir haben lange nicht hinterfragt, ob das, was einst angesichts der Aids-Krise zu unserem Schutz gut für uns war, auch heute noch in unserem Interesse ist.

Mehr noch: einige Schwule haben diese Kontroll-Mechanismen als selbstverständlich akzeptiert – und internalisiert. Und so fällt es den Strukturen zunehmend leichter, bei einer sich abschwächenden wahrgenommenen Bedrohung durch HIV als ‘Ersatz’ andere Stressoren zu präsentieren, von Syphilis bis Hepatitis C. Eine Fremd-Kontrolle, die auch bereitwillig akzeptiert wird, statt ein ‘Zurück zum selbst-kontrollierten Zustand’ zu fordern, zu wagen – oder gar selbst zu gehen.

Michel Foucault, offen schwuler und 1984 an den Folgen von Aids gestorbener französischer Philosoph,  hätte diese Situation vielleicht mit seiner Formulierung von der “fehlgeleiteten Philantropie” beschrieben: In anderem Kontext (Umgangs mit Geisteskranken) sprach Foucault von Wissenschaften, deren Anwendung einst aufgeklärt und human schienen, sich aber letztlich als subtile und heimtückische neue Formen sozialer Kontrolle erwiesen hätten …

Dabei wäre heute anderes denkbar.

Hier verbirgt sich die Frage nach Möglichkeiten der ‘Überwindung von Aids’ und seiner Folgen für uns. Wie können schwule Männer etwas von dem, was infolge von Aids die Situation Schwuler negativ beeinflusste, einschränkte, fremd-bestimmte, regulierte, wie können wir das überwinden? Wie können Schwule ein Stück dieser (vielleicht notwendigerweise) aufgegebenen Freiheit (z.B. Freiheit von Regulierung, staatlichen Eingriffen) wieder gewinnen?.

James Miller bezeichnet in seiner Biographie ‚Die Leidenschaft des Michel Foucault‘ den Philosophen als “in seinem radikalen Zugang zum Körper und einen Lüsten eigentlich eine Art Visionär”. Und Miller spricht von der

“Möglichkeit … daß hetero- und homosexuelle Männer und Frauen in der Zukunft … jene Art von körperlicher Experimentation, die ein integraler Bestandteil seines philosophischen Unternehmens war, wieder aufnehmen werden.”

Miller schrieb dies 1993, nur wenige Jahre nach dem Tod Michel Foucaults ( der an den Folgen von Aids gestorben war), geradezu visionär mit dem expliziten Zusatz, diese Möglichkeit ergäbe sich wieder

“nachdem die Bedrohung durch Aids zurückgegangen sein wird”.

Die reale Bedrohung durch HIV und Aids ist – gemessen an Horror-Szenarien der ersten Aids-Jahre – in Deutschland und West-Europa längst deutlich zurück gegangen.

Und doch, es gibt immer noch interessierte Stellen, die Horror-Gemälde an die Wand werfen – aber warum? Auf Basis einer realen Gefahr? Oder vielmehr z.B. um ihre einst durch Aids errungene Macht weiterhin aufrecht zu erhalten?

Hören wir auf Sie? Lassen wir uns weiter Angst-Gemälde vorhalten, internalisieren sie gar? Oder befreien wir uns von der Kontrolle der Lüste, holen uns ein Stück Autonomie über uns, unsere Körper, unsere Leben zurück?

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siehe hierzu auch Ulrich Würdemann: Sorglosigkeit und die Rettung der Lüste

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30 Jahre Aids – und ‚war da was‘?

30 Jahre Aids wurden in den vergangenen Tagen und Wochen [2011] ‘zelebriert’. Viel wurde geschrieben, erinnert, in Interviews, Geschichten und Berichten zurück geblickt.
Und doch – es war ein eigentümliches ‘Gedenken’, zwar zurückblickend aber seltsam ahistorisch.

Viele der ’ 30 Jahre Aids ’-Rückblicke, so scheint mir, sind gefühlt, gesehen, geschrieben aus der Sicht von heute. Aus der Sicht einer HIV-Infektion, die oft als ‘auf dem Weg in die Normalität’ dargestellt wird (so sehr ich anzweifle, dass dies zutreffend ist, siehe meine Rede in der Frankfurter Paulskirche 2010).

Doch das Aids der zweiten Hälfte der 1980er Jahre und der beginnenden 1990er Jahre hat mit diesem ‘normalisierten HIV’ nicht viel gemeinsam. Und sie kann nicht aus dessen Blickwinkel betrachtet, mit dessen Maßstab gemessen werden.

Jenes Aids hieß: innerhalb weniger Jahre starben ganze Freundeskreise. Starben wahre Heerscharen junger Menschen. Nicht zufällig wecken diese ‘schlechten Jahre’ bei vielen derer, die sie überlebten, immer noch die Assoziation “beinahe wie in einem Krieg“.

In den USA wurden diese Jahre damals oft als ‘the gay holocaust’ bezeichnet. So fehl am Platz diese Bezeichnung mir heute scheint (und auch damals schon schien, gerade angesichts der Einzigartigkeit des organisierten Mordes an den Juden Europas) – diese Bezeichnung lässt erahnen, wie ein Teil der Schwulen damals diese Zeit erlebte. Als ein Massensterben eines großen Teiles derjenigen Menschen, die schwules Leben damals mit aufgebaut haben und mit ihrem Handeln und Denken prägten. Schwule Künstler, Musiker, Regisseure, Aktivisten der politischen Schwulenbewegungen, Gründer von Lederclubs, Philosophen, Vordenker, Weg-Suchende und Weg-Weisende – sie alle wurden innerhalb kürzester Zeit dahin gerafft. Starben. Weit vor ihrer Zeit, weit bevor sie ihre Ideen und Projekte zu Reife und Blüte bringen konnten. Es starb ein bedeutender Teil einer ganzen Generation junger schwuler Männer.

Jenes Aids wird oft als ‘altes Aids’ bezeichnet – ganz so, als wären wir dieses “alte” sehr gerne los, ließen es in der Versenkung verschwinden. Lange her, Vergangenheit, abgeschlossen und weit entfernt von unserer Realität von heute.

Doch jene Jahre, ihr Leben, ihr massenhaftes vorzeitiges Sterben haben unsere Gesellschaften, unser heutiges Leben – und ganz besonders das schwuler Menschen – verändert, auf drastische Weise beeinflusst. Auswirkungen, derer wir uns heute kaum noch bewusst sind. Geschweige denn dass wir sie verstanden, reflektiert, verarbeitet hätten. Oder uns gar fragten, ob wir einige der verloren gegangenen Ideen wiederfinden, die ein oder andere der nicht zu ende entwickelten Ideen weiter denken, manches vorzeitig und unfreiwillig abgebrochene, zerstörte Experiment weiterführen sollten – könnten – wollen.

All diese abgebrochenen Experimente, vorzeitig aus der Welt gefallenen Ideen, nicht zu ende geführten Projekte, sie sind nur äußerst selten thematisiert, erinnert, kritisch reflektiert. Auch darauf hin, ob sie uns für heute etwas sagen könnten, auch wenn ihre Initiatoren, Propagandisten, geistigen Väter in eben jenen “schlechten Jahren” des ‘alten Aids’ vorzeitig aus ihrem Leben gerissen wurden.

Nur selten werden sie (Ideen und Projekte, wie auch ihre Protagonisten) wieder ins Bewusstsein gehoben, zutage gefördert und hinterfragt. Wie in dem m.E. großartigen NGBK-Projekt der AG “Unterbrochene Karrieren” (u.a. Frank Wagner, Thomas Michalak), 2003 mit dem Medienpreis der Deutschen Aids-Stiftung ausgezeichnet. Nur selten werden sie dem -ungeplanten, ungewollten, von Aids bedingten- Vergessen entrissen.

Es scheint fast, als wollten wir gar nicht wissen, uns möglichst nicht bewusst machen was Aids damals in uns, in unseren Biographien, in unseren Szenen – und damit: in dem Potential unserer zukünftigen Entwicklungen – anrichtete. Als wollten wir ja nicht die Tragweite dieser Verluste sichtbar werden lassen. Es scheint als wollten wir sie im Gegenteil schnellstmöglich und möglichst unauffällig ins Unsichtbare verschwinden lassen.

Die Zerstörungen und Verwüstungen, die Aids damals, Ende der 1980er und Anfang der 1990er in unseren Leben, unseren Szenen, unseren Kulturen anrichtete – wir sanktionieren, wir wiederholen sie mit unserem respektlosen und Geschichts-vergessenen Verdrängen, mit dieser Ignoranz nachträglich geradezu.

Interessant wäre m.E. zu erforschen, in wie weit die heutigen Realitäten gesellschaftlichen Lebens von Schwulen in Deutschland und Europa heute durch die Situation und Geschehnisse von Aids Ende der 1980er geprägt und verändert worden sind.

Heute [2011], 30 Jahre nachdem Aids in das öffentliche Bewusstsein trat, und 15 Jahre nachdem die Aids-Konferenz von Vancouver ein Zeichen für den Aufbruch in eine Zeit eines anderen Lebens mit HIV setzte, ist es zudem an der Zeit, dass wir uns unseres schwierigen Erbes, der vorzeitig beendeten Projekte, der unvollendeten Ideen, der abgebrochenen Karrieren erneut besinnen. Uns ihnen stellen, sie würdigen und kritisch hinterfragen – auch darauf, was sie uns für unser heutige Leben sagen können.

Statt weiterhin zu vergessen, zu verdrängen, könnten wir beginnen, uns dieser Verluste bewusst zu werden – und mit ihnen umgehen zu lernen.

Im Bewusstsein der ihnen innewohnenden Chancen und Hoffnungen für unsere eigene vielfältige und bunte Zukunft – und aus Respekt vor all denen, die gestorben sind.

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Text 18.02.2016 von ondamaris auf 2mecs