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COVID19 Politisches

Coronographien 2 – Datenschutz und Bewegungsprofile

Große Mobilfunk-Unternehmen in Europa geben Mobilfunkdaten für Bewegungsprofile an nationale und EU-Institutionen weiter. Ziel ist die Unterstützung der Coronavirus-Epidemie.

Das größte Tekekommunikations- Unternehmen in Österreich A1 hat, wie zahlreiche Medien am 17. März 2020 berichten, zur Coronavirus-Epidemie die Bewegungsprofile aller Handy- Nutzer:innen anonymisiert an die Regierung gegeben. Ohne rechtliche Grundlage, aus eigenem Ermessen, auf eigene (!) Initiative.

Die Daten zeigen für einen beliebigen Tag das Verhalten der Mobilfunk-Nutzer:innen. Ermöglicht wurde der Regierung so ein Vergleich aktueller Bewegungsdaten mit denen vor den beschlossenen Ausgangssperren angesichts der COVID-19 – Epidemie.

bald auch Coronavirus Bewegungsprofile von Infizierten? -  Real Time Mobile Tracking Application - Lizenz CC BY-SA 4.0
bald auch Coronavirus Bewegungsprofile von Infizierten? – Real Time Mobile Tracking Application – Lizenz CC BY-SA 4.0

Coronavirus – Bewegungsprofile – Ein Schritt in den Überwachungsstaat, wie Kritiker monieren? Verstoß gegen den Datenschutz? Ein rechtswidriges Vorgehen? Ein Präjudiz?

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A1 bestätigte inzwischen Bewegungsanalysen zu erstellen … und diese ‚relevanten staatlichen Stellen zur Verfügung zu stellen‘ … DSGVO-konform …

Ein israelisches Unternehmen wirkt inzwischen damit, es habe eine Tracking Software entwickelt, mit der Gesundheitsbehörden die Virus-Ausbreitung verfolgen könnten. Die Software sei bereits in zahlreichen Staaten testweise im Einsatz.

Singapur nutzt eine App auf Bluetooth-Dasis für contact tracing.

Facebook betonte am 19.3.20, in den USA teile das Unternehmen keine Informationen mit der US-Regierung im Rahmen der Coronavirus-Bekämpfung. Er widersprach damit einem anderslautenden Wericht der Washington Post.

Weitergabe von Mobilfunkdaten an das RKI

Auch die Telekom liefert in Deutschland über ihre Tochter Motionlogic Bewegungsdaten (Daten von Mobilfunkzelle, nicht GPS) an das Robert- Koch- Institut RKI, „um Ansteckungsketten besser nachzuvollziehen“. Die Übermittlung der Daten von 46 Millionen Mobilfunknutzern (Quelle) erfolge ‚in anonymisierter Form‘. Kleinste Dateneinheit seien 30 Kunden.

Am RKI wird in der Projektgruppe P4 (Modellierung der Ausbreitung und Dynamik von Infektionskrankheiten) von Prof. Brockmann bereits seit längerem ein entsprechendes mathematisches Modell erarbeitet (s.u. Links).

Und am 19. März 2020 erklärte sich auch O2– Muttergesellschaft Telefonica zu ähnlichen Datenübermittlungen bereit.
(Hinweis: Kunden müssen laut netzpolitik.org einer etwaigen Datenübermittlung über opt-out selbst widersprechen. Links s.u.)

Am 18. März 2020 ergänzte RKI-Chef Wieler, die Daten würden genutzt um zu prüfen ob „die Mobilität der Bevölkerung nachgelassen“ habe [ laut Tagesschau Liveblog 11:59].

Datenschützer befürchten einen Dammbrauch und kritisierten das Vorgehen und befürchten massive Eingriffe in die Privatsphäre.

Im Gegensatz zu Israel sei ein Tracking individueller Bürger aber ausgeschlossen.

Doch auch individuelles Handy-Tracking ist in der Diskussion. Unter anderem könne so die Ermittlung möglicher Kontaktpersonen erleichtert werden. RKI-Chef Wieler sagte am 17. März 2020 in Berlin laut Tagesspiegel, auch personalisierte Handy-Daten auszuwerten hielte er für „ein sinnvolles Konzept“.

Eine Sprecherin des Justizministeriums bemerkte, hierfür sei „auf den ersten Blick keine spezifische Rechtsgrundlage ersichtlich“. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber bezeichnete das Ansinnen als rechtlich bedenklich. Und er äußerte Befürchtungen, die Daten könnten re-personalisierbar sein.

Dr. Niels Zurawski vom Institut für kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg sieht die Gefahr, dass Ausnahmezustände zur Etablierung von Überwachungsmaßnahmen genutzt werden könnten. Mit der Kombination von zwischenmenschlichen Beziehungen und Krankheitsdaten (Verknüpfung von Bewegungs- und Gesundheitsdaten) dringe die Überwachung in bisher nur erahnbare Bereiche vor.

Am 27. März berichtet RND von einem vertraulichen Strategiepapier der Innenminster. In diesem fordern sie eine deutliche Ausweitung von testabgeboten sowie die Isolierung von Infizierten – und langfristig ‚location tracking‘ von Mobiltelefonen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnte am 28. März, die Coronavirus-Epidemie dürfe nicht dazu führen dass „Grundrechte über den Haufen geworfen werden“.

Weitergabe von Mobilfunkdaten an die EU

Am 25. März wurde bekannt, dass acht Mobilfunk-Unternehmen sich mit der EU-Kommission geeinigt haben. Anonymisierte ‚aggregierte‘ Mobilfunkdaten werden zur Bekämpfung der Coronavirus-Epidemie an die kommssion weitergegeben. Die Initiative ging von EU-Kommissar Thierry Breton (früher France Telekom) aus.

Zu den beteiligten Unternehmen zählen mit der Deutschen Telekom und Vodafone die beiden wichtigsten Mobilfunkanbieter in Deutschland. zudem sind Orange, Telefonica, Telecom Italia, Telenor, Telia und A1 einbezogen.

Kein Provider habe sich dem Begehren verweigert, so die Kommission. Erstmals sollen ‚in den kommenden Tagen‘ Daten übermittelt werden. Zuständig auf EU-Seite sei die ‚Gemeinsame Forschungsstelle‘.

Die EU-Kommission betonte, nach Ende der Epidemie sollten die Daten wieder gelöscht werden.

Die EU beabsichtigt, mit den Daten die Wirksamkeit der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zu überwachen.

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Passen wir auf, dass aus der Corona-Epidemie nicht auch eine Überwachungs-Epidemie wird …

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RKI Projektgruppe P4 Prof. Dirk Brokmann: Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten

zu mobile tracking während der Corona-Krise in China siehe dieser lesenswerte taz-Artikel.

siehe auch Coronavirus and data protection – Guidance by data protection authorities (pdf)

Bundesbeauftragter für den Datenschutzn und die informationsfreiheit: Datenschutzrechtliche Informationen zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Arbeitgeber und Dienstherren im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie (html)

EFF Electronic Frontier Foundation 10. März 2020: Protecting Civil Liberties During a Public Health Crisis

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Weitergabe anonymisierter Daten – opt out Service

Telekom

Vodafone (Kundendaten -> Opt-in & Opt-out verwalten)

Telefonica

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COVID19 Politisches

Coronographien 1 – Überwachung von Infizierten

Israel setzt nach Angaben des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet „Überwachungstechnologien ein … Mobiltelefone von Kranken zu überwachen, um zu sehen mit wem sie vor der Diagnose in Kontakt waren … überwachen ob Infizierte gegen Auflagen verstoßen …“
[laut Tagesschau.de Liveblog 17.3.20, 09:15]

… ein Virus verändert unseren Alltag …

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„Auf einer Webseite des litauischen Rundfunks werden die Bewegungsdaten von Staatsbürgern veröffentlicht, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben“, meldet das tagesschau.de blog am 19. März (12:46).
Die Date seien anonymisiert; genannt werde Datum der Einreise, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und Aufenthalt an öfentlichen Orten.

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RKI App Bewegungsprofil

In Deutschland arbeitet das RKI an einer App, die das Tracking von Infizierten und Aufspüren von Kontaktpersonen erlauben soll. Nutzer können dort freiwillig angeben, ob sie sich mit dem Cortonavirus infiziert haben. dann wird ihr Bewegungsprofil geteilt.

‚Vorbild‘ für eine solche App ist Singapur. Dort können andere Nutzer dieser App mithilfe von Bluetooth feststellen, wenn sich eine Person nähert, die mit dem Coronavirus infiziert ist.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnte bereits davor, auch in Zeiten der Coronavirus-Epidmeie dürften nicht „Grundrechte über den Haufen geworfen werden“.

Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Stephan Mayer plädierte am 28. März 22020 für die Nutzung von Handydaten.

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Frankreich HIV/Aids

Cleews Velay (1964 – 1994)

Der französische Aids-Aktivist und Präsident von ACT UP Paris Cleews Velay prägte intensiv die Aids-Bekämpfung in Frankreich in den frühen 1990er Jahren.

Cleews Velay, famous second president of ACT UP Paris in the 90s, in 2019 will be honoured by the city of Paris with a memorial plaque as well as naming a street in Paris.

Promenade Cleews Vellay Paris – Cahtls – Lizenz CC BY-SA 4.0

Cleews Velay (auch ‚Reine des Quetsches‘ genannt, s.u.) wurde am 3. Februar 1964 in Gonesse (Val d’Oise) geboren. Seine Mutter verließ die Familie als er 6 Jahre alt war. Sein homophober Vater warf ihn aus dem Haus, als er von Cleews Homosexualität erfährt. 1986 (bei seinem ersten HIV-test) erfuhr Cleews von seiner HIV-Infektion.

Seit der Gründung im Juli 1989 war Cleews Velay bei ACT UP Paris aktiv. Von September 1992 bis September 1994 (kurz vor seinem Tod) war er als Nachfolger des Gründers Didier Lestrade Präsident von ACT UP Paris (Generalsekretär war zu der Zeit Nicolas Roland).

Cleews starb am 18. Oktober 1994 in Paris an den Folgen von Aids. Im Krankenhaus war er u.a. von Chansonstar Barbara besucht worden, die sich bereits seit 1988 sehr im Kampf gegen Aids engagierte.

Politisch war Cleews bis über den Tod hinaus. Auf seine Anweisung hin war seine Beisetzung am 26. Oktober 1994 ein ‚politischer Akt‘. Cleews Sarg wurde in einer Art ‚politischer Prozession‘ vom Schwulen- und Lesbenzentrum zum Friedhof Pere Lachaise getragen. Über 500 Personen nahmen teil. Auf Pere Lachaise fand die Einäscherung statt.
Einige Tage später wurde seine Asche öffentlich verstreut – unter anderem im Rahmen einer Aktion bei einer Versammlung von Versicherungsvertretern (die Versicherung UAP schloss damals HIV-Positive von der Deckung aus), sowie bei einem Treffen mit Vertretern des Pharmakonzerns Glaxo (bei dem es darum ging, wie schnell das damals neue Medikament 3TC verfügbar wird).

2019 – Paris gedenkt Clews Velay

Die Stadt Paris ehrt 2019 Cleews Velay auf besondere Weise. An den ACT UP Aktivisten wird mit einer Gedenkplakette erinnert, zudem wird eine Promenade nach ihm benannt. Beides wird am 30. November 2019 eingeweiht.

Einladung zur Einweihung der Gedenk-Plakette für Cleews Velay am 30. November 2019
Stadt Paris – Einladung zur Einweihung der Gedenk-Plakette für Cleews Velay am 30. November 2019

An der Fassade des Hauses Nr. 44 in der rue René Boulanger wird eine Gedenkplakette angebracht. Sei soll den Text „En mémoire de Cleews Vellay (1964-1994) mort du sida PrésidentE d’Act Up-Paris dont le local se trouvait dans cet immeuble“ (In Gedenken an Cleews Velay (1996 – 1994), der hier wohnte, gestorben an den Folgen von Aids, Präsident von ACT UP Paris) tragen. Die Promenade zwischen dieser Straße und dem Boulevard Saint-Martin soll nach Velay benannt werden.

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„Au fait, docteur, si demain vous me proposez des quetsches pour durer encore un peu, je les prendrai, jusqu’au dégoût, parce qu’il faut bien l’avouer ici : j’ai envie de vivre, et pas seulement pour faire chier le monde.“
(Herr Doktor, und wenn Sie mir morgen Zwetschgen verschreiben würden damit ich ein wenig länger lebe, ich würde sie bis zum Erbrechen nehmen. Denn es geht darum: ich habe Lust zu leben, und das nicht nur um die Welt wütend zu machen. [Übers. UW])

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In dem Film 120 BPM hat Regisseur Robin Campillo Cleews portraitiert in Form der Film-Figur des Sean [siehe auch ACT UP und Gewaltfreiheit].

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Cleews hat mich damals zutiefst beeindruckt. Er war politisch aus tiefster Überzeugung, auf eine radikale Weise offen mit seiner HIV-Infektion und Aids-Erkrankung. Er stand für einen Mut, wie ihn nur wenige hatten. Und Cleews stand beispielhaft dafür, über die Schranken der eigenen Betroffenheit als schwuler Mann weit hinaus zu blicken – ihm war es immer ein wichtiges Anliegen, auch Frauen, Drogengebraucher, Menschen mit Migrationshintergrund mit einzubeziehen.

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HIV/Aids

DDR – Die Deutsche Reimachse 100% positiv

Die Deutsche Reimachse war eine Hiphop Zusammenarbeit für die Deutsche Aids-Hilfe aus dem Jahr 1993.

Beteiligt waren an Die Deutsche Reimachse

  • Fresh Familee
  • Die Reim Banditen
  • Die Coolen Säue
  • Die fantastischen Vier
  • Die Maximale Lautstärke

Einziges Produkt der Zusammenarbeit war die Maxi CD 100% positiv, eine frühe Form von conscious rap in Deutschland.

Veröffentlicht wurde 100% positiv bei dem kleinen Braunschweiger Label Rap Nation Records, vermarktet u.a. auf ‚Bravo Hits 5‘

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HIV/Aids Persönliches

mein Rolodex Archiv des Grauens

Seit vielen Jahren steht er dort, in ruhigen Ecke. Unverändert, nicht mehr benutzt. Bewusst habe ich mich einst entschieden, ihn so wie er damals war stehen zu lassen.

Nichts mehr zu verändern. Keine neuen Kontakte mehr hinzuzufügen. Keine Karten verstorbener Freunde entfernen.

Ullis Rolodex Archiv des Grauens


So ist er zu einem Gedächtnis geworden.

Wie ein eingefrorener Moment meines damaligen sozialen Seins.

Und wie ein furchtbares Rolodex Archiv des Grauens.

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Die aufgeschlagene Karte meines damaligen Rolodex zeigt die Karte von Michael Callen (1955 – 1993). Der Sänger, Songwriter und Aids-Aktivist starb am 27. Dezember 1993 an den Folgen von Aids.

1983 war Michael Callen einer der drei Herausgeber der ersten Broschüre, in der das HIV-Risiko vermindernde Sex-Verhaltensweisen für Schwule bejahend propagiert wurden – die Erfindung des safer sex.

Bekannt wurde Michael Callen u.a. durch das Aids-Musical zero patience (1993).

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Die Rolodex Rollkartei (benannt nach rolling index) besteht aus auf einer Achse befestigten Karteikarten. Sortiert wurden sie alphabetisch, getrennt durch Index-Karten mit Reitern.

Der Rolodex wurde 1956 von Arnold Neustadter (1910 – 1996) in Zusammenarbeit mit dem dänischen Ingenieur Hildaur L. Neilson, Mitarbeiter in Neustadters Firma Zephyr America, entwickelt. Vorläufer war ein ähnlich konzipiertes Gerät namens Wheeldex. In den Verkauf kam der Rolodex ab 1958.

In Zeiten vor Handys und Online- Adressverzeichnissen galt der Rolodex lange als beste (und elegante) Möglichkeit, Adressen zu organisieren.

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Frankreich HIV/Aids

Kondome auf Rezept – ab 10. Dezember 2018 in Frankreich

Ab 10. Dezember 2018 werden in Frankreich Kondome auf Rezept vom Arzt verordnet werden können. Dies teilte Gesundheitsministerin Agnes Buzyn am 26. November 2018 mit. Zudem sollen HIV-Tests in Paris auch über private Labore kostenlos ermöglicht werden.

Auf Twitter bestätigte Buzyn

? Aujourd’hui sur @franceinter, j’annonce qu’un préservatif masculin sera remboursé par l’Assurance maladie, à partir du 10 décembre 2018.
?Une nouvelle étape en faveur de la prévention et de la protection de tous les Français en particulier les + jeunes. https://t.co/abxAKOfxWs— Agnès Buzyn (@agnesbuzyn) 27. November 2018

Die Verschreibungsfähigkeit von Kondomen betreffe genau eine konkrete Marke von Kondomen (‚Eden‚ des französischen Herstellers Majorelle), die zu äußerst günstigen Konditionen verfügbar sei, so Buzyn im Sender France Inter. Aids-Organisationen wiesen darauf hin, dass weitere Marken einbeogen werden sollten, auch um Spezifika wie z.B. Latex-Allergien gerecht werden zu können.

Zukünftig könnten, so Buzyn, gerade auch junge Menschen zu ihrem Arzt gehen, sich Kondome auf Rezept verordnen lassen und auf Kosten der Sozialversicherung beziehen.

Aids-Organisationen reagierten verhalten auf Buzyns Ankündigung. Man werde sich nicht beschweren. Alles was den zugang zu Präventions-Mitteln erleichtere, sei begrüßenswert, betonte eine Vertreterin von Sidaction.
Andere wiesen darauf hin, dass die Kosten für Kondome jedoch bei weitem nicht das größte Problem in der HIV-Prävention seien. Besonders wichtig sei der HIV-Test und die Frage wie Personen mit Risikosituationen erreicht würden.

Die Kosten für andere Präventionsmittel wie PrEP werden in Frankreich schon länger von der Krankenversicherung übernommen.

Die Kosten für verordnungsfähige Kondome sollen zu 60% direkt von der Krankenversicherung getragen werden. Die verbleibenden 40% sollen von Zusatzversicherungen übernonmmen werden. Abgegeben werden über Apotheken Packungen à 6, 12 oder 24 Kondomen. Es stehen zwei Größen zur Verfügung, ‚klassisch‘ und ‚XL‘.

Mit der Maßnahme soll vor allem der Kampf gegen Aidsund die Prävention intensiviert werden. In Frankreich wird die Zahl der jährlichen Neuinfektionen mit HIV auf circa 6.000 geschätzt (zum Vergleich: Deutschland ca.2.700).

Etwa 800 bis 1.000 der HIV-Neuinfektionen in Frankreich finden bei jungen Menschen unter 25 Jahren statt. Zwischen Januar 2017 und September 2018 wurden 28% der HIV-Neudiagnosen bei Personen mit bereits fortgeschrittenem Infektions-Stadium festgestellt (ein seit 20134 nahezu unveränderter Wert).

Bereits 2014 wurde in Frankreich der Mehrwertsteuer-Satz für Kondome gesenkt, um diese günstiger verfügbar zu machen.
Zudem sind bereits seit Herbst 2015 in Frankreich HIV-Selbsttests in Apotheken frei verfügbar.

Doie Organisation Vers un Paris sans sida kündigte ebenfalls am 27. November 2018 an, ab 2019 könne in Paris jeder ohne Verordnung und ohne Kosten auch in privaten Laboren einen HIV-Test machen. Die Kosten werden von der Caisse primaire d’assurance maladie de Paris übernommen.

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Frankreich HIV/Aids

Homosexuelle und Aids in Frankreich in den 1980er Jahren – Reaktionen in französischen Schwulenszenen in den ersten Jahren der Aids-Krise

Homosexuelle und Aids in Frankreich in den 1980er Jahren – wie gestaltete sich in den ersten Jahre der Aids-Krise in Frankreich der Umgang schwuler Szenen mit der neuen Bedrohung? Manche Reaktionen erscheinen aus heutiger Sicht erstaunlich, andere vielleicht erschreckend, bis eine wirksame Community-Reaktion ausgebildet war. Drei Phasen lassen sich ausmachen.

Homosexuelle, von der Aids-Krise besonders betroffen, reagierten in Frankreich wie auch in Deutschland frühzeitig auf die Mitte der 1980er Jahre noch neue Bedrohung durch Aids. (Tipp: der Téchiné-Film ‚Les Temoins‘ (Wir waren Zeugen) erzählt sehr lebensnah und beispielhaft von dieser Zeit der ersten Aids-Jahre)

Bei einem Blick auf die frühen Jahre der Aids-Krise fällt allerdings auf: Die Reaktionen von Schwulen-Szenen und -Medien in Frankreich unterscheiden sich gerade in den ersten Jahren teils deutlich von jenen in anderen Staaten, z.B. (West-) Deutschland.

Eine Chronologie der ersten Jahre der Aids-Krise in Frankeich (stellenweise sind zum Vergleich auch Entwicklungen in West-Deutschland genannt):

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Frankreich HIV/Aids

Sorry Angel / Plaire, aimer et courir vite (Frankreich 2018)

Christophe Honorés Film Plaire, aimer et courir vite ( international: Sorry Angel ) kehrt in die Aids-Krise der frühen 1990er Jahre zurück, in die Jahre ohne hochwirksame Medikamente, in die Jahre auch von ACT UP. Doch anders als in dem Film 120BPM über ACT UP Paris (mit dem er u.a. die Energie, den drive teilt) geht es hier nicht um Aktivismus und den Kampf gegen Aids. Plaire, aimer et courir (gefallen, lieben und schnell davon laufen) rückt vielmehr die Liebe in den Vordergrund, und die Frage welcher Raum, welche Möglichkeiten ihr in Zeiten von Aids bleiben – Lebenslust bis zum Schluß.

Jacques (beeindruckend Pierre Deladonchamps; in Deutschland am besten bekannt durch L’inconnu du lac / Der Fremde am See) ist in den Dreißigern, gutaussehend, erfolgreicher aber mittelloser Schriftsteller. Er lebt in Paris [an der Wand seiner Wohnung ein Poster des Films Querelle]. Seinen Sohn Louis zieht er gemeinsam mit dessen Mutter groß. Jacques ist mit HIV infiziert.

Arthur (Vincent Lacoste, 24) ist mit seinen 20 Jahren deutlich jünger als Jacques. Er lebt in Rennes [an der Wand u.a. Hervé Guibert], entdeckt gerade erst, dass er neben seiner Freundin auch auf Männer steht.
In einem Kino in Rennes lernen beide sich kennen, verlieben sich in einander.

Cannes 2018 / Plaire, aimer et courir vite / Sorry Angel (Foto: George Biard, lizenz cc by-sa 4.0)
Cannes 2018 / Plaire, aimer et courir vite / Sorry Angel (Foto: George Biard, lizenz cc by-sa 4.0)

Zwei Männer verlieben sich in einander. Beschliessen eine Strecke Weg gemeinsam zu gehen. Eine an sich banale Situation. Und doch, ihre Situation, ihre Perspektiven sind so verschieden. Arthur befindet sich noch am Anfang seines Weges, entdeckt sein Schwulsein und lebt es aus. Jacques hingegen weiß, und seine Ärzte bestätigen es ihm, seine Prognose ist schlecht, viel Zeit bleibt ihm nicht. Erste Liebe, letzte Liebe.

Wie viel Weg ist da gemeinsam? Wie viel Raum für Leben ist da, angesichts der Verzweiflung?

Christophe Honoré, Regisseur von Plaire, aimer et courir vite, ist damit wie Robin Campillo (120 BPM) ‚Zeitzeuge‚. Er lebte während seines Studiums in Rennes, zu recht genau der Zeit, in der der Film spielt. Dieser Film, berichtete er auf einer Pressekonferenz während der Filmfestspiele Cannes 2018, sei ihm eine Herzensangelegenheit, wenn auch mit Verzögerung:

„Moi, le petit étudiant de cinéma à Rennes qui rêvait de Koltès ou Truffaut, arrivé à Paris en 1994, j’ai compris rapidement que, même dans les milieux homosexuels, le sida était un sujet qu’on abordait peu. Beaucoup de nos proches sont morts pendant cette période et ceux qui restaient se sentaient presque coupables d’être encore là. C’est aussi pour cela que Robin et moi avons mis plus de vingt ans pour en parler. Il fallait laisser le temps à la maturation“, erzählte er zur Premiere einer Boulevard-Zeitschrift.
[‚Ich, kleiner Filmstudent in Rennes, der von Truffaut oder Koltès träumte, kam 1994 nach Paris. Ich verstand sehr schnell, dass Aids selbst in der Schwulenszene ein Thema war, um das man sich nur wenig kümmerte. Viele unserer Freunde starben in dieser Zeit, und diejenigen die überlebten fühlen sich fast schuldig, immer noch da zu sein. Auch aus diesem Grund haben Robin und ich mehr als zwanzig Jahre gebraucht, um darüber zu sprechen. Es brauchte diese Zeit der Reifung.‘]

Eine Nähe, die dem Film mit autobiographischen Anklängen anzumerken ist, in seiner Sensibilität, Nähe zu den Figuren, Charme. Bei aller Härte, mit der er alltägliche Realitäten zeigt [Realitäten, die ich damals, in diesen Jahren, mit selbst und mit Jean-Philippe nur zu intensiv erlebte], dabei – sehr französisch – nicht ohne Witz und Charme.

„Je n’ai pas envie de mourir chez mes parents, trop déprimant“
(‚Ich habe keine Lust bei meinen Eltern zu sterben, das ist mir zu deprimierend‚; Nachricht eines Freundes von Jacques, um Hilfe bittend, auf seinem Anrufbeantworter)

Arthur – Darsteller Vincent Lacoste, selbst geboren in dem Jahr, in dem der Film spielt, sieht sich im Film ein wenig als ‚alter ego‘ des Regisseurs, während Deladonchamps als Jacques ein Amalgam verschiedener damaliger, an Aids verstorbener Idole Honorés sei, u.a. Hervé Guibert und Bernard-Marie Koltes.

Plaire, aimer et courir vite (Sorry Angel) wurde am 11. Dezember 2018 mit dem Louis-Delluc-Preis ausgezeichnet. Der nach dem französischen Regisseur und Filmkritiker Louis Delluc benannte Preis wird für die beste französische Kinoproduktion des Jahres vergeben.

Plaire, aimer et courir vite und 120 BPM – der Höhepunkt der Aids-Krise als Thema im französischen Film

Plaire, aimer et courir vite spielt annähernd zur gleichen Zeit wie 120 BPM, der Film über ACT UP Paris, der 2017 für Furore sorgte. Zwei Filme, die die Verwüstungen zeigen die Aids anrichtete. Beide befassen sich mit der Zeit um den Höhepunkt der Aids-Krise. Beide Filme machen dies auf sehr unterschiedliche Weise, und wirken dabei dennoch eigentümlich verwandt (und nicht nur, wenn ACT UP auch in Honorés Film erwähnt wird).

Wo Robin Campilos 120 BPM den Aktivismus als Weg des Umgangs mit der Aids-Krise thematisiert, widmet sich Plaire, aimer et courir vite der persönlichen Ebene. Stellt die Frage, wie kann man leben, wie (und wie intensiv, wie lange) kann man lieben in Zeiten von Aids. Eine Frage, die der Film – so viel kann verraten werden, ohne die Spannung am und Lust auf den Film zu nehmen – auf seine Weise beantwortet: Leben und Lieben – leidenschaftlich, bis zum Schluß.

Zur damaligen Zeit, dem Umgang mit HIV und Aids in Frankreich siehe auch Homosexuelle und Aids in Frankreich in den 1980er Jahren – Reaktionen in französischen Schwulenszenen in den ersten Jahren der Aids-Krise.

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Alain Resnais letzter Film Aimer, boire et chanter fragte 2014, wie sich leben und lieben lässt angesichts schwerer Erkrankung (hier: Krebs des nie und doch immer präsenten George). Doch Resnais Film spielte an einem unbestimmten Tag, in irgend einem (schönen?) Mai. Greift Honoré mit Plaire, aimer et courir vite hierauf (mehr als nur mit Titel-Anklängen) zurück, auch wenn dieser nicht im Theater und in Vorgärten, sondern eben in grauer Aids-Realität Mitte der 90er spielt?

Plaire, aimer et courir vite – 2018 auch nach Deutschland

Plaire, aimer et courir vite (ursprünglicher Arbeitstitel Plaire, baiser et courir vite) wurde für den Wettbewerb um die Palme d’Or Cannes 2018 ausgewählt. Regisseur Christophe Honoré war sowohl für die Goldene Palme als auch die Queer Palm nominiert.

Die Dreharbeiten fanden ab Juni 2017 in der Bretagne (in der Gemeinde Binic sowie in der Innenstadt von Rennes) und in Paris und Amsterdam statt.

Der Film hatte seine Uraufführung in Cannes am 10. Mai 2018 unter dem Festival- und internationalen Titel Sorry Angel.

Beim Marché des Filmfestivals in Cannes 2018 sicherte sich Salzgeber die Rechte für Deutschland. Der Film kommt Ende Oktober 2018 in Deutschland in die Kinos (Salzgeber), unter seinem internationalen Titel Sorry Angel.

Die Rechte für Großbritannien erwarb der Independant Vertrieb  Thunderbird Releasing.

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Plaire, aimer et couriri vite / Sorry Angel – Trailer und zwei Interviews

Christophe Honoré, Regisseur von Plaire, aimer et courir vite, in einem Interview auf Arte (französisch, deutsch untertitelt)

Pressekonferenz Plaire, aimer et courir vite während des Filmfestivals in Cannes  (englisch)

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Sorry Angel – Filmplakat in einem Kino, Plakat Salzgeber)


Plaire, aimer et courir vite (Original-Titel)
Sorry Angel (Festival- und internationaler Titel)
Frankreich 2018
132 Minuten
Regie und Drehbuch: Christophe Honoré
Darsteller: Vincent Lacoste, Pierre Deladonchamps, Denis Podalydès, Rio Vega, Willemijn Kressenhof
Kamera: Rémy Chevrin
Produktion: Les Films Pelléas, ARTE France Cinéma

Uraufführung 10. Mai 2018 Cannes, Frankreich, gleichzeitig Kinostart in Frankreich
Kinostart in Deutschland 25. Oktober 2018 (französische OV mit deutschsprachigen UT)
Erstaufführung USA 30. September 2018 (New York Film Festival)

in Frankreich auf DVD und BluRay veröffentlicht 25. September 2018

Auszeichnungen
Festival de Cannes 2018 – Sélection officielle, Nominierung Goldene Palme, Auszeichnung Queere Palme
Festival du Film de Cabourg 2018 – Auszeichnung als beste Darsteller für Pierre Deladonchamps und Vincent Lacoste
Chicago Film Festival 2018 – Nominierung Gold-Q Hugo
International Cinephile Society Awards 2018 – Auszeichnung ICS Cannes Award
Louis-Delluc-Preis 2018

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HIV/Aids

ACT UP und Gewaltfreiheit

ACT UP und Gewaltfreiheit – Gewaltfreiheit stand von Beginn an im Mittelpunkt, gehörte zum Selbstverständnis der Aids Aktionsgruppen ACT UP. Ihr Handeln war nonviolent direct action, gewaltfreie Aktionen des zivilen Ungehorsams.

Am 30. November 2017 startete in Deutschland der Film 120 BPM (Robin Campillo) über ACT UP Paris in den Kinos. Gleich die Eingangs-Szene des Films thematisert das Verhältnis von ACT UP Paris und Gewaltfreiheit – und weist indirekt auf deutliche Unterschiede hin zwischen der Pariser ACT UP Gruppe und ACT UP in Deutschland, aber auch den USA.

Eine ‚Blutbombe‘, Handschellen, Fixierung – bei der ACT UP Aktion, mit der der Film 120 BPM beginnt, geht es handfest zur Sache. Doch wie stand es in der Realität des Aids-Aktivismus um ACT UP und Gewaltfreiheit ?

Gewaltfreiheit und Protest – nonviolent direct action

Die Aids-Aktionsgruppen ACT UP waren von Beginn an Gruppen der nonviolent direct action. ACT UP bedeutete gewaltfreie Aktionen des zivilen Ungehorsams.

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HIV/Aids Kulturelles

Barbara – Chansonstar machte Aids-Prävention im Knast

Barbara, die 1997 verstorbene französische Sängerin, ist besonders für ihre Chansons wie ‚Göttingen‘ bekannt. Nahezu unbekannt war lange, dass Barbara sich intensiv für die Aids-Bekämpfung einsetzte, regelmäßig HIV-Positive in Krankenhäusern und Haftanstalten besuchte.

Am 9. Juni 1930 wurde Monique Andrée Serf in Paris als zweites Kind einer jüdischen Familie geboren. Vor den NS-Besatzern nach Südost-Frankreich geflohen, musste die Familie sich dort vor dem mit Nazi-Deitschland kollaborierenden Vichy-Regime unter Pétain verbergen.

Ab 1950, nach einem Gesangsstudium in Paris, versucht sie sich in Bruxelles als Chanson-Sängerin, nahm den Künstlernamen Barbara Brody an (der Familienname ihrer Mutter lautete Brodsky). Ab ihrer Rückkehr nach Paris Ende 1955 trat sie unter dem Namen Barbara als Chanson-Sängerin auf, erreichte bald weltweiten Ruhm.

Bekannt wurde Barbara für ihre Chansons. Dass die Sängerin sich auch gesellschaftspolitisch einsetzte, bis kurz vor ihrem Tod für die Aids-Bekämpfung engagierte, war lange Zeit nahezu unbekannt.

Barbara starb am 24. November 1997 im Alter von 67 Jahren in Neuilly sur Seine. Sie wurde auf der Cimetière de Bagneux im Süden von Paris im Familiengrab Brodsky beigesetzt (4. Abteilung).

Barbara und ‚Göttingen‘

In Deutschland ist Barbara vielen am ehesten bekannt für ihr Chanson ‚Göttingen‚, das sie im Jahr 1964 in Göttingen komponierte und das zu einem ihrer bekanntesten Chansons wurde.

Barbara, Auftritt Grand Gala du Disque Populaire 1968 [Jac. de Nijs. Nationaal Archief, Den Haag, Rijksfotoarchief: Fotocollectie Algemeen Nederlands Fotopersbureau (ANEFO), 1945-1989 - negatiefstroken zwart/wit, nummer toegang 2.24.01.05, bestanddeelnummer 921-1453; Lizenz cc-by-sa 3.0 nl]
Barbara, Auftritt Grand Gala du Disque Populaire 1968 [Jac. de Nijs. Nationaal Archief, Den Haag, Rijksfotoarchief: Fotocollectie Algemeen Nederlands Fotopersbureau (ANEFO), 1945-1989 – negatiefstroken zwart/wit, nummer toegang 2.24.01.05, bestanddeelnummer 921-1453; Lizenz cc-by-sa 3.0 nl]

Jac. de Nijs. Nationaal Archief, Den Haag, Rijksfotoarchief: Fotocollectie Algemeen Nederlands Fotopersbureau (ANEFO), 1945-1989 – negatiefstroken zwart/wit, nummer toegang 2.24.01.05, bestanddeelnummer 921-1453Nationaal Archief Lizenz CC BY-SA 3.0 nl

Barbara kam – wenig begeistert – auf Einladung von Günther Klein, Direktor des Jungen Theaters, am 4. Juli 1964 nach Göttingen. Entgegen ihren Erwartungen (und nach einem problematischen Auftakt wegen eines verkehrten Klaviers) wird sie begeistert gefeiert – und verlängert ihren Aufenthalt in Göttingen auf eine Woche. Am letzten Abend stellt sie in ihrem Abschiedskonzert eine erste – damals noch teils gesprochene – Version des Lieds Göttingen vor.

In ihrer Autobiographie erinnert sie sich:

„En Göttingen je découvre la maison des frères Grimm où furent écrits les contes bien connus de notre enfance. C’est dans le petit jardin contigu au théâtre que j’ai gribouillé ‚Göttingen‘, le dernier midi de mon séjour. Le dernier soir, tout en m’excusant, j’en ai lu et chanté les paroles sur une musique inachevée. J’ai terminé cette chanson à Paris. Je dois donc cette chanson à l’insistance têtue de Gunther Klein, à dix étudiants, à une vieille dame compatissante, à la blondeur des petits enfants de Göttingen, à un profond désir de réconciliation, mais non d’oubli.“

(„In Göttingen entdeckte ich das Haus der Gebrüder Grimm, in dem die bekannten Geschichten unserer Kindheit entstanden. In dem kleinen Garten neben dem Theater kritzelte ich am letzten Mittag meines Aufenthalts ‚Göttingen‘. Am letzten Abend las und sang ich den Text, mit Entschuldigungen, zu noch unfertiger Musik. In Paris erst habe ich es fertiggestellt. Dieses Lied verdanke ich also dem hartnäckigen Drängen Günther Kleins, zehn Studenten, einer liebenswerten alten Dame, den blonden kleinen Kindern Göttingens, und einem tiefen Verlangen nach Versöhnung, aber nicht Vergessen.“ [Übers. UW])

Barbara – jahrelang engagiert im Kampf gegen Aids, für Positive

1988 kündigt Barbara an, ein Jahr ihrer Karriere der Aids-Bekämpfung zu widmen. In der Folge sammelt sie Gelder für die Aids-Bekämpfung,  singt an Universitäten, an Schulen, in Gefängnissen. Bei ihren Konzerten werden körbeweise Kondome zur Verfügung gestellt.

Vor allem aber, die Chanson-Sängerin besucht ab Jahresbeginn 1989 äußerst diskret einmal pro Woche Kranke und deren Angehörige auf einer Pariser Infektionsstation.

Auf eine Frage eines Kaplans erzählt sie zu ihren Krankenhaus-Einsätzen

“ Mais qu’est-ce que tu leur dis, aux malades ? – Je dis pas, moi, j’écoute. „
(Aber was sagst du den Kranken? – Ich rede nicht, ich höre zu.“ [Übrs. UW])

Und: Barbara sucht immer wieder, weitgehend ohne Öffentlichkeit im Stillen, Haftanstalten in ganz Frankreich auf. In anstaltsinternen Veranstaltungen mit teils hunderten Teilnehmer/innen tritt sie auf, um Gefangene mit HIV / Aids zu unterstützen und Präven­tionsbotschaften zu übermitteln. Ihre ganz persönliche ‚Mini-Präventions-Tournee‘, wie sie es nennt.

Zu ihrem Aids-Engagement bemerkte Barbar selbst

„Un abruti m’a dit un jour que je menais cette action parce que j’étais morbide. Mais moi, je hais la mort ! Justement, c’est pour ça ! C’est le goût de la vie qui me fait agir.“
(Irgendjemand hat mir einmal gesagt, ich mache das weil ich morbide sei. Aber ich hasse den Tod! Es ist der Geschmack des Lebens, der mich handeln lässt.“ [Übers. UW])

Ihre Eindrücke und Erfahrungen bringt Barbara in derm Chanson Sid’amour às mort [sida = frz. Aids] zum Ausdruck.

Zunächst als Projekt für ein Jahr angekündigt, setzt Barbara ihr Engagement gegen Aids und für HIV-Positive, die Besuche in Krankenhäusern und Haftanstalten, auch nach dem ersten Jahr fort – bis kurz vor ihrem Tod 1997.

Begleitet wurde Barbara dabei oft von Prof. Gilles Pialoux (inzwischen Direktor des ‚ser­vice des maladies infectieuses et tropicales‚ am Hôpital Tenon, Paris, Chefredakteur von vih.org und der Zeitschrift Transcriptases). Pialoux brach erst 2011, vierzehn Jahre nach ih­rem Tod das (von ihr erbetene) Schweigen, um auf diese einzigartige Form des Enga­gements aufmerksam zu machen.

Barbara unterstützte auch die Aids-Aktionsgruppe ACT UP Paris: sie übertrug der Gruppe 1996 die Rechte (droit d’auteur) an ihrem Chanson Le Couloir. Die Einnahmen hieraus fliessen an ACT UP Paris. Kontakte bestanden seit längerer Zeit – einer derjenigen die Barbara im Krankenhaus besuchte, war der 1994 verstorbene ACT UP Paris Präsident Cleews Velay.

Barbara – Interview über Homophobie, HIV und Prävention

Im Dezember 1989 gibt Barbara dem Gai Pied (Ausgabe 398, 14. bis 20. Dezember 1989) ein Interview. Sie erzählt von ihren Besuchen bei HIV-Positiven in Krankenhäusern und Gefängnissen. Berichtet von verzweifelten Menschen, von fehlender Akzeptanz und von Homophobie. Von ihren Schwierigkeiten, überhaupt Insassen in Gefängnissen besuchen zu dürfen, von Repressalien, Drogenkonsum, Stigmatisierung auch als Grund, keine Kondome zu verwenden, der Isolation HIV-positiver Inhaftierter.

Jacques Attali habe ihr viel ermöglicht, Türen geöffnet. Und die von Danielle Mitterrand (1924 – 2011; Resistance Widerstandskämpferin und Frau des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand) gegründete Fondation France-Libertés, die ihre Reisen in die Knäste finanziell ermöglicht.

Über die Aids-Aktionsgruppen ACT UP sagt sie, ja, auch sie sei eine Frau in Wut, und Wut sei Leben. Es sei notwendig, die Wahrheit laut auszusprechen. Sie bittet die Leser

„Ich liebe euch. Passt auf euch auf!

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