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Frankreich: Deportation wegen Homosexualität 1940 – 1945

Zuletzt aktualisiert am 7. April 2021 von Ulrich Würdemann

Deportation wegen Homosexualität – Etwa 500 Menschen sind in Frankreich wegen ihrer Homosexualität in der NS-Zeit deportiert worden, darunter ca. zehn Ausländer. Dies ergaben neue Untersuchungen des französischen Autors Jean-Luc Schwab.

Der Franzose Jean-Luc Schwab befasst sich seit langem mit der Geschichte der Deportation Homosexueller aus Frankreich während des Zweiten Weltkriegs. Im Frühjahr 2015 hat er aktualisierte Zahlen zu deren Umfang und Struktur vorgelegt.

Deportation wegen Homosexualität – Situation in Frankreich und annektierten Gebieten

Schwab unterscheidet bewusst zwischen zwei Gebieten: Frankreich und den von NS-Deutschland annektieren Gebieten [vgl. die französische Demarkationslinie]

Aus Frankreich sei seinen neuesten Forschungen zufolge eine Deportation von 312 Personen mit zumindest dem Vorwurf der Homosexualität und Deportation über das KZ Natzweiler (Befreiung durch Alliierte am 23. November 1944) bekannt. Unter ihnen seien (bezogen auf Staatsgrenzen vor 1938) 286 Deutsche, 14 Franzosen (darunter 9 Rosa Winkel), 5 Österreicher, 3 Tschechoslovaken, 3 Polen und ein Luxemburger. Von den über 300 über Natzweiler Deportierten wegen Homosexualität seien mindestens 160 innerhalb des Systems der KZs gestorben.

KZ Natzweiler Struthof, Portal (Foto: Andreas Klug)
KZ Natzweiler Struthof, Portal, im Hintergrund das flammenförmige Holocaust-Mahnmal (Foto: Andreas Klug)

Anders war die Situation in den beiden von NS-Deutschland annektierten Gebieten Alsace (Region Elsass) und Moselle (Departement Moselle im Osten Lothringens, Hauptstadt Metz)  – hier fand der (1935 von den Nazis verschärfte Paragraph 175 (sowie 175a) Anwendung. Allerdings, so Schwab, sei die Repression gegen Homosexuelle im Elsaß intensiver gewesen als im Moselle.

Im Elsaß seien ungefähr 350 Personen (Elsässer oder im Elsaß lebende Ausländer) wegen ihrer Homosexualität Repressalien ausgesetzt gewesen; etwa 150 von ihnen würden heute wohl als Politisch Deportierte (nach einem französischen Gesetz aus dem Jahr 1948) bezeichnet werden. Nur etwa 30 hätten eine entsprechende Anerkennung beantragt, nur 10 sie erhalten, teils posthum.

Von 27 Personen sei ein zeitweiser Aufenthalt in Konzentrationslagern bekannt, darunter

  • aus den okkupierten Gebieten 12 aus dem Elsaß, 3 aus Moselle sowie ein Pole,
  • und aus Frankreich 11 Personen, darunter ein Rumäne.
  • Zudem seien drei Deutsche aus Paris, Moselle und dem südlichen Elsaß deportiert worden.
  • 115 Personen (unter ihnen Pierre Seel 1923 – 2005) seien zwischen wenigen Wochen und 23 Monaten im KZ Schirmeck – Vorbruck interniert gewesen.

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Deportation wegen Homosexualität – ein verdrängtes Thema

Die Deportation Homosexueller war in Frankreich erstmals im Jahr 2000 (!) offiziell von Regierungsseite thematisiert worden.

2001 wurden erstmals Zahlen veröffentlicht. Damals wurde die Zahl von 210 Personen angegeben (auf Basis von Unterlagen der KZ-Gedenkstätte Natzweiler-Struthof), sowie 10 Personen im Lager Schirmeck-Vorbruk und vier Franzosen in einem Berliner Gefängnis.

Aus Anlass des Nationalen Gedenktags an die Opfer der Deportation hatte Frankreichs Staatspräsident Hollande am 26. April 2015 bei einer Feier auf dem Gelände des ehemaligen KZ Natzweiler – Struthof Homoexuelle explizit als Opfergruppe der Deportation benannt. Zuvor hatten bereits Lionel Jospin (2001) sowie Jacques Chirac (2005) Homosexuelle als Opfer der Deportation benannt.

Auf dem Gelände des ehemaligen KZ Struthof wurde 2010 eine Plakette eingeweiht, auf der auch der wegen Homosexualität verfolgten Insassen des Lagers gedacht wird.

Im Frühjahr 2013 hatte sich in Paris eine Ausstellung mit dem Thema ‚Deportation wegen Homosexualität‚ befasst. Auch diese Ausstellung wurde damals von Jean-Luc Schwab kuratiert. Schwab bereitet derzeit die Publikation seiner Master-Arbeit über die Deportation Homosexueller in Frankreich während der Zeit des Zweiten Weltkriegs vor.

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Bis 1942 waren homosexuelle Handlungen in Frankreich straffrei – seit dem Ende des Ancien Régimes. 1791 wurde die vorher bestehende Kriminalisierung der Homosexualität (‚Sodomie‘) beeendet, seit der französischen Revolution erwähnten Gesetze homosexuelle Praktiken nicht mehr.
Erst mit Beginn der Vichy-Regierung unter Marschal Philippe Pétain wurde 1942 ein Strafrecht gegen Homosexuelle in Frankreich wieder eingeführt. Es blieb bis 1982 (Abschaffung durch Justizminister Robert Badinter unter Francois Mitterrand) in Kraft.

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Die französische Regierung vereinfachte auf Drängen von Historikern mit Dekret veröffentlicht am 27. Dezember 2015 ab 4. Januar 2016 den Zugang zu Archiven des Außen-, Innen- und Justizministeriums aus der Zeit des Vichy-Regimes sowie der nachfolgenden ‚Épuration‘. Zu hoffen ist, dass dies auch die Erforschung des Themenfelds Deportation wegen Homosexualität erleichtert.

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Jedes Jahr am letzten Sonntag im April (2021: 25. April) wird in Frankreich die ‚Journée nationale du souvenir des victimes et des héros de la déportation‘ oder kürzer ‚Journée nationale du souvenir de la déportation‘ begangen, der 1954 eingeführte nationale Gedenktag zur Erinnerung an die Deportierten.

2016 nimmt an den offiziellen Feierlichkeiten in Paris am Mémorial National des Martyrs de la Déportation erstmals auch die Vereinigung ‚Les Oublié.e.s de la Mémoire‘ teil. Die 2003 u.a. von Jean Le Bitoux (1948 – 2010) gegründete Gruppierung widmet sich der offiziellen Anerkennung Homosexueller als Opfer der Deportation und tritt u.a. für ein Monument zur LGBT-Geschichte in Frankreich ein. Auf Initiative der Gruppe ehrte die Stadt Toulouse z.B. Pierre Seel (homosexuelles geastapo- und KZ-Opfer) 2008 mit der Benennung einer Straße.

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Jean-Luc Schwab (Yagg 10.08.2015): «Natzweiler-Struthof et la déportation pour homosexualité en France : Éclairage chiffré d’une réalité complexe»
Fondation pour la Mémoire de la Déportation (FMD) 15.11.2001: „La déportation d’homosexuels à partir de la France dans les lieux de déportation nazis durant la Seconde Guerre mondiale au titre du motif d’arrestation 175“ (auch bekannt unter dem Titel ‚rapport Mercier‘, pdf)

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siehe auch Übersicht über die Denkmale für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

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