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Erinnerungen HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Community Advisory Board der klinischen HIV-Impfstoffstudie zu HIV-1 rgp-160, Immuno AG (1993 – 1997)

Von 1993 bis 1997 untersuchte eine der ersten Studien in Europa einen experimentellen Impfstoff gegen HIV an Menschen (HIV-Impfstoffstudie zu HIV-1 rgp-160 der Immuno AG Wien, Leiter Prof. Goebel). Erstmals in Europa war ein Community-Advisory Board aktiv in einer multinationalen multizentrischen klinischen HIV-Studie eingebunden. Ich war damals Mitglied in diesem Community Advisory Board, zeitweise dessen Chairman.

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Mitglieder des Community Boards waren

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HIV/Aids Persönliches

persönliches Statement – meine Motivation zur Mitarbeit im Immuno Community Advisory Board (1997)

In den Jahren 1993 bis 1997 begleitete ein Community Advisory Board (CAB) eine der ersten klinischen Studien mit HIV-Impfstoff-Kandidaten (Immuno AG rgp160). Ich war damals Mitglied dieses CABs. Über meine persönliche Motivation, in diesem CAB mitzuarbeiten, habe ich (wie alle anderen CAB-Mitglieder auch) im Schlussbericht 1997 ein Statement abgegeben. Es erzählt einiges über die Zeit damals, über meine Motivation, über eine Zeit des Übergangs von Aids-Aktivismus / ACT UP zu Therapieaktivismus.  Der im Folgenden wiedergegebene Text ist übersetzt aus dem englischen Original des Schlussberichts.

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Frankreich Politisches

Gesundheitsstrategie Frankreich : Kampf gegen Ungleichheit im Gesundheitswesen

Allen Bürgern Frankreichs eine Gesundheitsversorgung hoher Qualität gleichermaßen zu ermöglichen, und dazu bestehende Ungleichheiten aktiv zu bekämpfen, dies ist eines der Ziele der neuen Gesundheitsstrategie Frankreich für die kommenden zehn Jahre.

Die Linie 13 der Metro durchquert Paris von Châtillon-Montrouge bis Asnièrs im Süden der französischen Hauptstadt. Nichts besonderes – außer, dass die Lebenserwartung sich an beiden Enden der Pariser Metro-Linie um über zwei Jahre unterscheidet. Menschen im wohlhabenderen Stadtteil leben bedeutend länger. „Es ist an der Zeit, den Abbau derartiger gesundheitlicher Ungleichheiten voll und ganz zu einem Ziel unserer Gesundheitspolitik zu machen“, stellt Marisol Touraine fest, die Gesundheitsministerin Frankreichs.

neue Gesundheitsstrategie Frankreich : Marisol Touraine, Ministerin für Gesundheit und Soziales in Frankreich, im Juli 2007 (Foto: Ludovic Lepeltier)
neue Gesundheitsstrategie Frankreich : Marisol Touraine, Ministerin für Gesundheit und Soziales in Frankreich, im Juli 2007 (Foto: Ludovic Lepeltier, cc by-sa 2.5)

Marisol Touraine Juillet 2007I, Lepeltier.ludovicCC BY-SA 2.5

Ungleichheiten im französischen Gesundheitssystem bekämpfen, dies will Marisol Touraine zu einem der Schwerpunkte ihrer neuen Gesundheitsstrategie Frankreich für die kommenden zehn Jahre machen, die sie am 24. September 2013 vorstellte.

„Es ist geradezu paradox in unserem Gesundheitssystem: wir haben die höchste Lebenserwartung unter allen Staaten der EU – aber die vermeidbare vorzeitiger Sterblichkeit (vor einem Lebensalter von 65 Jahren) ist gleichzeitig die höchste der westeuropäischen Staaten.“

Eines der Probleme, die sie in ihrer neuen Gesundheitsstrategie angehen will: die Gesundheitsversorgung auf dem Land. Auch in Frankreich leidet die Bevölkerung auf dem Land unter Mangel an Ärzten, Fachärzten und medizinischen Dienstleistungen, besonders in akzeptabler Entfernung, gerade auch für mobilitätseingeschränkte Menschen. Die französische Regierung hat in Pilotprojekten multidisziplinäre ‚maisons de santé‘ (Gesundheitszentren) erprobt; schon bis zum Jahresende 2013 sollen 200 von ihnen landesweit eröffnet werden.

Weiterer Schritt zur Verbesserung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum: die Frage des ‚Landarztes‘ angehen, eine in Frankreich wie auch in Deutschland zunehmend aussterbende Spezies. Frankreichs Antwort: Allgemeinmediziner, die sich in ländlichen Regionen ohne ärztliche Versorgung ansiedeln, erhalten vom Staat eine Garantie für ein monatliches Einkommen von 3.600 Euro.

Schließlich habe Frankreich ein ausgezeichnetes Gesundheitssystem, so Marisol Touraine gegenüber ‚Liberation‘, nun gehe es darum, bestehende große Ungleichheiten aktiv zu bekämpfen.

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Frankreich nimmt sich – in beide Richtungen – gerne Deutschland als Maßstab, Modell und gelegentlich auch Vorbild.
Vielleicht lohnt das ein oder andere Mal auch ein Blick von Deutschland aus auf Frankreich, wie jetzt bei der Gesundheitsstrategie Frankreich von Marisol Touraine.

Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit sind die zentralen ‚republikanischen Werte‘ Frankreichs. Ungleichheiten im Gesundheitssystem – sie sind leider auch in Deutschland zur Genüge zu finden, von unterschiedlichen Chancen auf medizinische Behandlung je nach sozioökonomischem Status bis zu Probleme in der medizinischen Versorgung auf dem Land.

Diskrepanzen und Benachteiligungen aktiv anzugehen, Ungleichheit mit konkreten Maßnahmen bekämpfen – hier könnte die Gesundheitspolitik in Deutschland sich manche Inspiration in Frankreich holen.

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HIV/Aids

Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland

Mit dem Thema “sexuelle Zufriedenheit” ( sexual happiness ) bei schwulen und bisexuellen Männern habe ich mich in einer zweiteiligen Artikel-Miniserie für das Internetportal queer.de auseinander gesetzt.
Der erste Teil erschien am 18.03.2013: Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa. Teil 2 wurde zuerst veröffentlicht auf queer.de am 22.03.2013: „Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland„.

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Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland

Wie zufrieden sind wir hierzulande mit unserem Sexleben? Ganz wesentlich scheint dabei zu sein, wie mit dem eigenen Schwulsein umgegangen wird.

Von Ulrich Würdemann

Schwule und bisexuelle Männer in Europa sind zu einem beträchtlichen Teil unzufrieden mit ihrem Sexleben. Dies zeigte uns die Auswertung der ersten europäischen Befragung EMIS (queer.de berichtete) Wie aber steht es um uns in Deutschland? Sind wir sexuell zufriedener?

Auch hierzu gibt es erstmals Daten – sie stammen aus der deutschlandweiten Befragung „Schwule Männer und Aids“ (SMA) [1].

62% aller Befragten aus Deutschland sagten: „Ja, ich bin zufrieden mit meinem Sexleben“. Aber immerhin 38% verneinten dies. Nahezu 40 Prozent der schwulen und bisexuellen Männer sind unzufrieden mit ihrem Sexleben? Da lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Wer? Und warum?

Welche Faktoren könnten entscheidend sein?

Warum ist wer zufrieden mit seinem Sexleben? Liegt es an der Großstadt? Stimmt gar die These „Dumm fickt gut“? Beide oft zu hörenden Vorurteile konnten die Forscher nicht bestätigen – es ließ sich kaum ein Zusammenhang feststellen zwischen Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben und der Größe des Wohnorts, mit dem sozioökonomischen Status oder mit dem Bildungsniveau. Großstadt-Homos sind also nicht zufriedener mit ihrem Sex als Provinzschwule, reiche Tucken und arme Stecher sexuell kaum unterschiedlich zufrieden, und auch mit Doktortitel reicht’s (was die eigene sexuelle Zufriedenheit angeht) nicht weit, Studenten wie Grundschul-Absolventen sind sexuell gleich glücklich.

Deutlich allerdings war der Zusammenhang von sexueller Zufriedenheit und Zahl der Sexpartner: Befragte, die angaben, innerhalb der letzten zwölf Monate keinen Sexpartner gehabt zu haben, waren nur zu 28% mit ihrem Sexleben zufrieden – hingegen 56% derer mit zwei bis fünf Sexpartnern, 65% mit 6 bis 10, 72% derer mit 11 bis 50 und 82% der MSM mit mehr als 50 Sexpartnern innerhalb der letzten zwölf Monate.

Wer viele Sexpartner hat, ist also zufriedener mit seinem Sexleben? Nicht ganz – es gibt eine bemerkenswerte Ausnahme: Stolze 68% der Männer, die angaben, einen einzigen Sexpartner zu haben, waren zufrieden mit ihrem Sexleben. 80% von ihnen, merken die Forscher an, leben nach eigenen Angaben in einer eher monogamen Beziehung. Generell meinten drei Viertel aller Männer in einer festen Beziehung, sie seien zufrieden mit ihrem Sexleben.

Schwule Männer und HIV/AIDS: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten AIDS-Forum DAH Band 60
Schwule Männer und HIV/AIDS: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten
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Macht Analverkehr glücklicher?

Männer, die Analverkehr haben, sind zu 76% zufrieden mit ihrem Sexleben – Männer ohne Analverkehr hingegen nur zu 47%. Die Schwulenszene scheint zudem ein wichtiger Faktor des sexuellen Wohlbefindens zu sein: Die Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben steigt mit der Zahl der im vorangegangenen Jahr besuchten Szeneorte (bei „keinen Szeneort besucht“ 50% unzufrieden, 1-2 Orte = 41%, 3-4 = 35%, 5-6 = 31%, 7-8 = 21%).

Die Daten aus Deutschland wurden (anders als die europaweiten EMIS-Daten [2]) auch gezielt zur sexuellen Zufriedenheit HIV-Positiver ausgewertet. Generell zeigte sich zunächst kein großer Unterschied: 67% der HIV-positiv Getesteten und 65% der HIV-negativ getesteten Männer gaben an, mit ihrem Sexleben zufrieden zu sein.

Allerdings kämpfen nennenswert viele HIV-Positive mit Beeinträchtigungen ihrer Sexualität: Von den HIV-Positiven, die mit ihrem Sexleben nicht zufrieden sind, führte ein Drittel diese Unzufriedenheit auf gesundheitliche Probleme zurück, und ein Viertel berichtete von Erektionsstörungen (beide Werte deutlich über dem Durchschnitt aller Befragten).

Warum sind schwule und bisexuelle Männer unzufrieden?

38% der befragten schwulen und bisexuellen Männer erklärten sich unzufrieden mit ihrem Sexleben – aber warum? Was beeinträchtigt ihr Sexleben? Ganz wesentlich scheint die Frage zu sein, wie mit dem eigenen Schwulsein umgegangen wird:

Männer, die Sex mit Männern haben und verdeckt leben, beklagen deutlich häufiger einen Mangel an Sexkontakten. War dagegen ihre Homosexualität bei allen oder fast allen in ihrem Umfeld bekannt (11.008 Befragte), klagten nur 10,9%, sie hätten überhaupt keinen Sex, und 32,8% gaben an, gern mehr Sexpartner haben zu wollen. Bei Männern, bei denen niemand im Umfeld ‚davon‘ wusste (n = 2.891), hatten hingegen 13,5% überhaupt keinen Sex, und 44,5% hätten gerne mehr Sexpartner.

Bei den „verdeckt lebenden“ Homosexuellen lag auch der Anteil derer höher, die sich als sexuell unsicher wahrnahmen: 41% bezeichneten sich als sich „in sexueller Hinsicht nicht so selbstsicher, wie ich es gerne wäre“ (im Vergleich zu 37,1% der Männer, bei denen alle oder fast alle von ihrer Homosexualität wissen). Wesentlich deutlicher waren bei ihnen auch Befürchtungen, sich mit HIV oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken: 33,9% der „verdeckt lebenden“ MSM gaben dies an im Vergleich zu 22,8% derer, bei denen ihre Homosexualität im Umfeld bekannt ist.

Jeder zweite wünscht sich eine feste Beziehung

In allen Gruppen nahezu gleich hoch ausgeprägt war mit durchschnittlich 48,3% der Wunsch nach einer festen Beziehung – außer bei Männern, bei denen niemand in ihrem Umfeld „davon“ wusste, sie wünschten sich nur zu 33,7% eine feste Beziehung.

Stehen sich verdeckt lebende Homosexuelle mit ihrem Bestreben, ihr sexuelles Interesse an anderen Männern zu verbergen, nicht offen sichtbar werden zu lassen, „selbst im Weg“ bei ihren Wünschen nach mehr und zufriedenstellender Sexualität? Vermissen sie weniger als andere eine feste Beziehung, weil diese die weitere Verheimlichung ihrer Homosexualität gefährden könnte? Und spiegelt sich in ihrer deutlicher ausgeprägten Angst vor HIV- und STD-Ansteckungsrisiken ein schlechterer Informations-Stand?

Fragen, die nun von den Präventionsexperten in den Beratungsstellen und Verbänden diskutiert werden müssen…

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Weitere Infos zu EMIS / Fußnoten

Die “sexual happiness”, übersetzt als ‘Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben’, ist bis 2010 in Befragungen in Deutschland und Europa nie ein Kriterium gewesen. Erstmals überhaupt wurde sie im Rahmen des europaweiten Projektes EMIS [2] (European MSM Internet Survey) sowie der im Rahmen von EMIS stattfindenden deutschlandweiten Befragung Schwule Männer und Aids (SMA) thematisiert [1].

“Sind Sie mit Ihrem Sexleben zufrieden?”, wurden die Teilnehmer im deutschen EMIS-Fragebogen gefragt. Im englischen Original heißt es “Are you happy with your sex life?”, die Autoren empfanden für die deutsche Übersetzung “glücklich” als zu pathetische Formulierung und entschieden sich für “zufrieden”. Die Frage konnte von den Teilnehmern mit ‘ja’ und ‘nein’ beantwortet werden, und in einem zweiten Schritt konnten sie begründen, warum sie nicht mit ihrem Sexleben zufrieden sind.

Für die Auswertung standen insgesamt Daten von 180.000 schwulen und Bi-Männern (MSM, Männer die Sex mit Männern haben) aus 38 Ländern in Europa zur Verfügung. Aus Deutschland konnten über 14.000 Fragebögen EMIS und über 40.000 Zusatzfragebögen SMA ausgewertet werden.

[1] “Sexual happiness”. In: Michael Bochow, Stefanie Lenuweit, Todd Sekuler, Axel J. Schmidt: “Schwule Männer und HIV/Aids: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten“. Aids-Forum DAH Nr. 60, Berlin Dezember 2012 [Anmerkung: Die Befragung „Schwule Männer und Aids“ (SMA) findet bereits seit 1987 statt. Aids-Forum DAH Nr. 60 berichtet über die Befragung 2010, die im Rahmen des Projektes EMIS stattfand]
[2] “Sexual Unhappiness” in: “The EMIS Network: The European MSM Internet Survey 2010 -Descriptive report of survey results”, Stockholm, ECDC; 2013 (forthcoming / Veröffentlichung geplant)
[3] Weltgesundheitsorganisation WHO: Sexuelle und reproduktive Gesundheit (Definition)
[4] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA: Definitionen von sexueller und reproduktiver Gesundheit

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Homosexualitäten

Sexual Happiness (1): Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa (akt.)

Mit dem Thema „sexuelle Zufriedenheit“ ( sexual happiness ) bei schwulen und bisexuellen Männern habe ich mich in einer zweiteiligen Artikel-Miniserie für das Internetportal queer.de auseinander gesetzt.
Der erste Teil erschien dort am 18.03.2013: Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa:
Teil 2 “ Sexual Happiness (2): Top oder Flop? Schwuler Sex in Deutschland“ erschien bei queer.de am 22.3.2013.

Sexual Happiness (Teil 1): Französisch? Zypriotisch? Schwuler Sex in Europa

Schwule haben viel Sex und sind ständig bereit, so das Klischee. Aber haben wir auch guten Sex? Unsere Sex-Zufriedenheit im europäischen Vergleich.

Von Ulrich Würdemann

Unzufrieden mit seinem Sexleben zu sein, das ist offenbar ein in ganz Europa weit verbreitetes Phänomen. Das ergibt sich aus den Zahlen des Projekts EMIS, bei dem 2010 in 38 Staaten Männer, die mit Männern Sex haben, zu ihrem Liebesleben Auskunft gaben.

Immerhin 38,6% aller befragten schwulen und bisexuellen Männer der europaweiten EMIS-Befragung (180.000 ausgefüllte Fragebögen!) gaben an, nicht mit ihrem Sexleben zufrieden zu sein! Die Gründe für diese sexuelle Unzufriedenheit sind vielfältig, reichen von Lebensalter über Bildungsniveau über die Wohnortgröße bis zur Frage, wie offen man(n) mit seinem sexuellen Interesse an Männern umgeht.

European Sex-Umfrage: And here are the results…

  • Je jünger, desto zufriedener: im Vergleich zur Altersgruppe 25 bis 39 Jahre (1,0) haben MSM über 40 Jahre ein leicht (1,02) erhöhtes Risiko sexueller Unzufriedenheit, während es bei jungen MSM unter 25 Jahren deutlich (0,92) niedriger ist.
  • MSM mit einem mittleren Bildungs-Niveau haben ein höheres Risiko sexueller Unzufriedenheit als Männer mit niedrigem oder hohem Bildungsniveau.
  • Die Provinz macht (sexuell) eher nicht glücklich: Bei Männern, die in kleinen Städten sowie in Dörfern leben, ist sexuelle Unzufriedenheit häufiger als bei Männern in Städten über 100.000 Einwohner.
  • Männer, die sich noch nie in ihrem Leben auf HIV hatten testen lassen, äußerten deutlich öfter, sexuell unzufrieden zu sein, als HIV-positiv getestete Männer. HIV-negativ getestete Männer hatten wiederum ein deutlich niedrigeres Risiko sexueller Unzufriedenheit.
  • Männer, die sich selbst als bisexuell bezeichneten, waren mit geringerer Wahrscheinlichkeit sexuell unzufrieden als Männer, die sich als homosexuell oder schwul bezeichneten, diese wiederum waren seltener sexuell unzufrieden als diejenigen Männer, die keinen oder einen anderen als die drei bisherigen Begriffe für sich verwenden.
  • Fickt sich’s mit Coming-out zufriedener? Ja. Im Vergleich zu Männern, die mit ihrem Schwulsein offen allen oder nahezu allen Menschen in ihrem Umfeld gegenüber waren, war das Risiko sexueller Unzufriedenheit signifikant höher selbst bei Männern, bei denen über die Hälfte des Umfelds ‚es‘ wusste, und bei denen, die niemandem von ihrem Begehren für Männer erzählten, war das Risiko sexueller Unzufriedenheit mehr als doppelt so hoch.

[Alle Werte berücksichtigen bereits etwaige Unterschiede hinsichtlich Alter, Ausbildung, Wohnortgröße, bisherigen HIV-Tests, sexueller Identität, Offenheit im Umgang mit dem eigenen sexuellen Interesse an Männern und Quelle des Fragebogens (AOR, adjusted odds ratio)]

Es mag eine Vielzahl von Gründen geben, die dazu beitragen, dass jemand mit seinem Sexleben unzufrieden ist. Für die in Europa befragten schwulen und bisexuellen Männer allerdings gab es einen Grund, der klar heraus ragt: in 35 der 38 teilnehmenden Staaten war der meist genannte Grund sexueller Unzufriedenheit: sich eine beständige sexuelle Beziehung mit einem Partner zu wünschen, diese aber nicht zu haben.

Die Sehnsucht nach einer stabilen sexuellen Beziehung wurde selbst häufiger genannt als der Wunsch nach mehr Sex oder nach mehr Sexpartnern – und auch häufiger als der Wunsch nach mehr sexuellem Selbstvertrauen. Typischerweise war ein Viertel der Männer in jedem Land deswegen sexuell unzufrieden, weil sie Single sind.

Französisch macht glücklich? Oder: viel Arbeit für die EU!

Innerhalb Europas schwankt der Anteil der schwulen und bisexuellen Männer, die unzufrieden mit ihrem Sexleben sind, ausgesprochen stark.

Ausgesprochen hoch ist der Grad an sexueller Unzufriedenheit bei schwulen und bisexuellen Männern in Bosnien-Herzegowina (61,3%), Mazedonien (55,4%) und Zypern (53,7%), dicht gefolgt bemerkenswerterweise von Schweden mit 47,8%. MSM in Deutschland sind mit 38,4% annähernd im Durchschnitt aller Befragten (38,6%), während es schwulen wie bisexuellen Männern in Belgien (31,7% unzufrieden), den Niederlanden (30,7%), Spanien (31,9%) und der Schweiz (31,2% unzufrieden) scheinbar sexuell recht gut zu gehen scheint. Und am besten scheint es – wer hätte es vermutet – den Franzosen zu gehen. Nur 27,8% gaben an: „Nein, ich bin nicht zufrieden mit meinem Sexleben.“

Nun mag man gegen diesen Ländervergleich einwenden, nicht aus allen Staaten nahmen Männer im gleichen Alter teil – und sicherlich ist z.B. der Anteil offen schwul lebender MSM in manchen Staaten höher als in anderen. Die Forscher haben dies berücksichtigt: Sie haben diese Unzufriedenheits-Werte zur besseren Vergleichbarkeit justiert (AOR, adjusted odds ratio) nach Alter, Ausbildung, Wohnortgröße, bisherigen HIV-Tests, sexueller Identität, Offenheit im Umgang mit dem eigenen sexuellen Interesse an Männern und auch nach Quelle des Fragebogens (z.B. Internetsite, Magazin etc.). Das Ergebnis veränderte sich hierdurch nicht gravierend. In Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Zypern und Schweden ist sexuelle Unzufriedenheit am weitesten unter MSM verbreitet, MSM in Deutschland geht es mit einem Wert von 0,85 leicht besser als dem Referenz-Mittelwert Großbritannien (1,0), und die geringsten Werte an Unzufriedenheit stammen aus Spanien, Portugal, der Schweiz und Frankreich.

In welchem Staat ein Mann, der sexuell Männer begehrt, in Europa lebt, ist damit der wichtigste Faktor für das Risiko, sexuell unzufrieden zu sein! Das Risiko eines schwulen oder bisexuellen Mannes, unzufrieden mit seinem Sexleben zu sein, ist in Bosnien-Herzegowina über zweieinhalb mal so hoch wie in Frankreich!

Unzufriedenheit weit und breit?

Wir fassen zusammen: Sexuelle Unzufriedenheit ist unter Männern, die Sex mit Männern haben, in Europa weit verbreitet. Für Männer, die nicht offen mit ihrem sexuellen Interesse für andere Männer umgehen, ist das Risiko sexueller Unzufriedenheit deutlich erhöht, ebenso für Männer die sich nicht als homosexuell oder schwul bezeichnen. Wer in Kleinstädten oder Dörfern lebt, hat ein höheres Risiko sexueller Unzufriedenheit, ebenso Männer die sich noch nie auf HIV haben testen lassen.

Unzufriedenheit mit dem eigenen Single-Sein, die Sehnsucht nach einer stabilen sexuellen Beziehung sind für schwule und bisexuelle Männer in allen Staaten Europas ein wichtiges Thema und Quelle sexueller Unzufriedenheit. Werden unsere derzeitigen Szenen, ob Bars und Kneipen, Saunen und Partys, Internetportale und Magazine dieser Sehnsucht gerecht?

Innerhalb Europas sind die Unterschiede sexueller Zufriedenheit bei schwulen und bisexuellen Männern groß. Bis alle schwulen und bisexuellen Männer so zufrieden mit ihrem Sexleben sind wie die Franzosen, ist es offensichtlich noch ein weiter Weg. Eine Europäische Union, die sich zum Ziel setzt, allen Europäern gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen, hat auf dem Gebiet sexueller Zufriedenheit schwuler und bisexueller Männer also noch viel zu tun!

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Weitere Infos zu EMIS / Fußnoten

Die „sexual happiness“, übersetzt als ‚Zufriedenheit mit dem eigenen Sexleben‘, ist bis 2010 in Befragungen in Deutschland und Europa nie ein Kriterium gewesen. Erstmals überhaupt wurde sie im Rahmen des europaweiten Projektes EMIS [2] (European MSM Internet Survey) sowie der im Rahmen von EMIS stattfindenden deutschlandweiten Befragung Schwule Männer und Aids (SMA) thematisiert [1].

„Sind Sie mit Ihrem Sexleben zufrieden?“, wurden die Teilnehmer im deutschen EMIS-Fragebogen gefragt. Im englischen Original heißt es „Are you happy with your sex life?“, die Autoren empfanden für die deutsche Übersetzung „glücklich“ als zu pathetische Formulierung und entschieden sich für „zufrieden“. Die Frage konnte von den Teilnehmern mit ‚ja‘ und ’nein‘ beantwortet werden, und in einem zweiten Schritt konnten sie begründen, warum sie nicht mit ihrem Sexleben zufrieden sind.

Für die Auswertung standen insgesamt Daten von 180.000 schwulen und Bi-Männern (MSM, Männer die Sex mit Männern haben) aus 38 Ländern in Europa zur Verfügung. Aus Deutschland konnten über 14.000 Fragebögen EMIS und über 40.000 Zusatzfragebögen SMA ausgewertet werden.

[1] „Sexual happiness“. In: Michael Bochow, Stefanie Lenuweit, Todd Sekuler, Axel J. Schmidt: „Schwule Männer und HIV/Aids: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten“. Aids-Forum DAH Nr. 60, Berlin Dezember 2012 [Anmerkung: Die Befragung „Schwule Männer und Aids“ (SMA) findet bereits seit 1987 statt. Aids-Forum DAH Nr. 60 berichtet über die Befragung 2010, die im Rahmen des Projektes EMIS stattfand]
[2] „Sexual Unhappiness“ in: „The EMIS Network: The European MSM Internet Survey 2010 -Descriptive report of survey results“, Stockholm, ECDC; 2013 (forthcoming / Veröffentlichung geplant) s.u.
[3] Weltgesundheitsorganisation WHO: Sexuelle und reproduktive Gesundheit (Definition)
[4] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA: Definitionen von sexueller und reproduktiver Gesundheit

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Aktualisierung
27.05.2013: Der 200-seitige EMIS-Schlußbericht (Autor: „The EMIS network“, Herausgeber: „European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC)“) ist inzwischen publiziert und steht als Download zur Verfügung auf http://www.emis-project.eu/. Zudem sind für ausgewählte Staaten EMIS-Länder-Reports verfügbar: Russland, Norwegen, Österreich, Schweiz, Irland (Republik Irland sowie Nord-Irland), Estland, Dänemark, Deutschland, and Lettland. EMIS -Zusammenfassungen sind erschienen für England, Schottland, Wales und Nord-Irland.

6.10.2019: Ergebnisse der Nachfolge-Studie EMIS 2017 zu Sexualverhalten und Gesundheit von rund 128.000 Männern, die Sex mit Männern haben: „EMIS-2017: The European Men-Who-Have-Sex-With-Men Internet Survey“ (PDF, englisch)

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Politisches

AIDS-Forschung in Deutschland – Akte eines (finanziellen) Trauerspiels (2001)

In der AIDS-Forschung spielt Deutschland eine Rolle – eine traurige, nämlich eine weitgehend unbedeutende (gerade wenn man die Aktivitäten hierzulande mit denen z.B. in Frankreich vergleicht). Mit diesem ‚Trauerspiel‘ habe ich mich 2001 in einem Kommentar in den ‚HIV Nachrichten‚ (Ausgabe Nr. 42, März 2001) beschäftigt.
Dass das geringe Engagement der BRD für Aids-Forschung 2013 immer noch Thema ist, wurde erst gestern wieder deutlich: „Gerade der deutsche Beitrag [zur Aids-Forschung] ist viel zu gering. Um HIV zu besiegen braucht es auch politischen Willen!“ (sagt Carsten Schatz, DAH-Vorstand, 04.03.2013)

AIDS-Forschung in Deutschland – Akte eines (finanziellen) Trauerspiels

Weltweit sind circa 36,2 Millionen Menschen HIV-positiv – nahezu doppelt so viele, wie die Weltgesundheitsorganisation 1991 für das Ende des Jahrhunderts voraussagte. In Deutschland leben derzeit nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa 37.000 Positive.
Trotz intensiver Forschung stehen bisher keine Medikamente oder auch nur Ansätze zur Verfügung, die HIV kausal be­kämpfen (einen Positiven also wieder negativ machen) oder eine Infektion wirksam verhindern. Die bisher verfügbaren Medikamente können sich weltweit betrachtet nur wenige Positive leisten – Medizin für reiche Länder. Die Mehrzahl der Positiven lebt (und stirbt) mehr oder weniger ohne Medikamente.
Auch wenn die HIV-Forschung bereits wirksame Medikamente gebracht hat, und hoffnungsvolle Ansätze für Impfstoffe – dieser Fortschritt reicht noch nicht aus, und er kommt bisher zu wenig Positiven zugute. Weitere und intensivere AIDS-Forschung ist eigentlich unabdingbar… In Deutschland stellt sich die Situation der AIDS-Forschung jedoch eher als beschämendes Trau­erspiel dar:

Der erste Akt

Ende der achtziger Jahre ist AIDS im Bewusst­sein der Öffentlichkeit angelangt, und auch im Bewusstsein der Politiker. In den Industriestaaten werden vermehrt öffentliche Gelder für die AIDS-Forschung zur Verfügung gestellt.
Erste Medikamente werden verfügbar – oft genug hervorgegangen aus staatlichen Forschungspro­grammen, vermarktet jedoch von privatwirt­schaftlich orientierten Pharmakonzernen.
In Deutschland werden u.a. einige Bundesmo­dellprogramme eingerichtet, in Forschung, Prä­vention und Selbsthilfe.

Der zweite Akt

Das Interesse an AIDS hat nachgelassen. Große Teile der Öffentlichkeit glauben, eigentlich sei AIDS schon so gut wie behandelbar, und na ja Afrika ist so weit weg…
Ende des Jahrtausends laufen noch genau zwei (2 !) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte AIDS-Verbundvorhaben, ein Verbund zur Pathogenese von HIV, einer zu Pathophysiologie und Pathomorphologie der HIV-Infektion. Die Förderung beider Verbünde läuft jedoch Ende Februar 2001 aus. Das Sti­pendienprogramm (BMBF-gefördert), das junge Wissenschaftler in der Infektionsforschung nach Auslandsaufenthalten unterstützte, läuft Ende 2001 ebenfalls aus.
Während die Projektförderung des BMBF zu di­rekten HIV/AIDS-Vorhaben noch 1999 bei 9,23 Millionen DM lag, wird sie 2001 noch ganze 2,32 Mio. DM erreichen (nach 7,23 Mio. DM 2000)
Das Bundesgesundheitsministerium stellt zu­sätzlich im Jahr 2000 3 Mio. DM für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Verfügung – ein Großteil für das Robert-Koch-Institut (Überwa­chungsstudien, HIV-Impfstoff-Entwicklung).

Der dritte Akt

Ein internationaler Vergleich: im Jahr 2000 hat die Bundesregierung 17,45 Millionen DM für die HIV/AIDS-Forschung ausgegeben (Summe BMBF, BMG, DFG). Im gleichen Zeitraum wendete die briti­sche Regierung für den selben Zweck umge­rechnet 67 Mio. DM auf, und die US-amerikani­sche 4.413,2 Mio. DM.
Na die sind ja auch viel größer, mag man/frau einwenden. Also vergleichen wir die Aufwendun­gen pro Kopf: wie viel gibt die jeweilige Regie­rung für die HIV/AIDS-Forschung umgerechnet pro Einwohner aus? Die USA 15,98 DM, die bri­tische Regierung immerhin noch 1,14 DM, und die deutsche? 0,21 DM – gerade noch einund­zwanzig Pfennige pro Kopf für die AIDS-For­schung in Deutschland, Tendenz (siehe oben) weiter sinkend.
Die USA geben also absolut betrachtet (in Beträ­gen) das 253fache des Betrages für die AIDS-Forschung aus, den die Bundesregierung zur Verfügung stellt. Pro Kopf der Bevölkerung be­trachtet, immer noch das 76fache.
Und selbst Großbritannien, das ungefähr die gleiche Zahl Positiver hat wie die BRD, wendet absolut noch das 3,8fache und pro Kopf den 5,4fachen Betrag für die AIDS-Forschung auf.

Der vierte Akt

Dennoch, es gibt Wissenschaftler, die aus eige­nem Antrieb, trotz oft fehlender Mittel, AIDS-For­schung auf internationalem Niveau auch in Deutschland durchführen wollen. In be­grenztem Umfang können sie auf Mittel privater Stiftungen zurückgreifen, aber auch die sind lange nicht so groß wie die US-amerikanischen AIDS-Stiftun­gen. Vereinzelt, z.B. in Bayern, stellen Bundes­länder (wenige) Extra-Mittel be­reit.
Und – nicht alle Forscher in Deutschland sind sich grün. Da scheitern Anträge auf Finanzierung unter anderem daran, dass sich verschiedene Fraktionen bekämpfen. Eitelkeiten, Graben­kämpfe, vergangenheitsbezogene Konflikte statt nach vorn gewandtem gemeinsamem Engage­ment. Abstimmungen mit Communities? Ein Fremdwort für viele Forscher, oder höchstens hinterher, wenn alles entscheiden ist. So stellt auch die Forscher-Szene sich selbst ein Bein…
Was bleibt? Die Pharmaindustrie. Die meisten klinischen Studien, die in der BRD durchgeführt werden, finden mit finanzieller Unterstützung oder sogar Vollfinanzierung durch die Pharmain­dustrie statt. Im Bereich der klinischen For­schung (sicher gerade für Positive einer der inte­ressantesten) findet nach Angaben der Deut­schen AIDS-Gesellschaft (DAIG) derzeit keine relevante Förderung durch die öffentliche Hand statt.
Diese Abhängigkeit von privater Finanzierung der Forschung ist problematisch, und sie ist erst recht problematisch, wenn Hersteller die Studien mit ihren eigenen Medikamenten finanzieren und gleichzeitig eine öffentlich finanzierte klinische Forschung nicht mehr stattfindet. Mittelfristig muss dies zwangsläufig dazu führen, dass AIDS-Forschung sich zunehmend an den Interessen und Zielen der Sponsoren, eben der herstellen­den Industrie, ausrichtet.
[Wohlgemerkt – es geht hier nicht um die Gelder, die der Bund für Präventionsmaßnahmen bereit­stellt (und aus denen u.a. auch die Arbeit von BzgA und AIDS-Hilfen unterstützt wird – mit ebenfalls sinkender Tendenz).]
Was wir brauchen, ist interessenneutrale For­schung, aus einer Vielzahl von Gründen. An be­stimmten Themen ist die pharmazeutische In­dustrie einfach nicht oder nur am Rande interes­siert – z.B. wenn keine patentgeschützte Investi­tion dahinter steht (siehe die fehlenden Studien zu „alternativen“ Therapieansätzen) oder „der Markt fehlt“. Auch tendieren einige Hersteller dazu, zunächst sich selbst eine komplette Pro­duktpalette zusammen­zustellen, auch wenn ver­gleichbare Medika­mente bereits am Markt ver­fügbar sind. Dies führt dazu, dass reine „Mee-Toos“ entwickelt werden, ohne erkennbaren the­rapeutischen Fort­schritt – während wir neue, in­novative Therapieansätze benötigen.
Ein Interesse von Herstellern wird es zudem oft­mals sein, eine Substanz – wenn sie denn in der klinischen Prüfung die ersten Sicherheitsprüfun­gen bestan­den und Wirksamkeit gezeigt hat – so schnell wie möglich zugelassen zu bekommen. Die Erforschung von Nebenwirkungen, optimaler Dosierung oder zusätzlichen Wirkungen drohen so an den Rand gedrängt zu werden.
Und immer wieder wird auch die Befürchtung geäußert, die Pharmaindustrie hätte kein Inte­resse daran, an einer Heilung für die HIV-Infek­tion zu forschen – mit einer chronischen Infek­tion, einer lebenslangen Therapie ließe sich ein­fach mehr Geld verdienen.
Alles Argumente, die zeigen, wir benötigen auch pharma-unabhängige AIDS-Forschung, auch für Positive ist dies dringend erforderlich. Und Wis­senschaftler, die alte Streits endlich begraben und an einem Strang ziehen. Patientengruppen und Communities mit einbinden.
Das Gegenteil passiert – AIDS-Forschung wird in Deutschland bald öffentlich nahezu gar nicht mehr unterstützt, wird nur noch durch private Fi­nanzierung möglich sein. Forscher klagen – und streiten sich munter weiter. Und Communities schmollen, oder sind ganz und gar desinteressiert. Ein Trauerspiel.

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HIV/Aids

HIV Generika – same same but different?

Generika? Das sind doch diese Pillen, bei denen Oma sich jedes mal in der Apotheke fragt, ob sie wirklich die gleichen Medikamente wie letztes Mal bekommt? Das hat doch nichts mit mir als HIV-Positivem zu tun. Oder? Oh doch, hat es – 2013 werden auch wir „Kontakt aufnehmen“, um es mit dem Titel eines Science-Fiction-Films zu sagen. Mit HIV-Generika nämlich, wirkstoffgleichen Kopien von HIV-Markenmedikamenten.

Arzneimittel haben nach ihrer Zulassung für eine bestimmte Zeit einen Schutz. Nur der  Inhaber des Patentrechts darf die Substanz herstellen und vermarkten – eine Art ‚Monopol‘, mit dem der ‚Erfinder‘ geschützt werden soll. Nach Ablauf des Patentschutzes (Marktexklusivität in der EU bei Medikamenten i.d.R. 15 Jahre nach Erstzulassung) darf der Wirkstoff auch von anderen Unternehmen hergestellt werden.

Generika spielen bisher in der HIV-Therapie bei uns keine große Rolle. Zwar ist schon bei einigen Substanzen der Patentschutz auch in Europa ausgelaufen, so bei Zidovudine (AZT) im Jahr 2006, Didanosin (ddI) 2006, Saquinavir sowie Lamivudine (3TC) 2011 und Stavudin (d4T) 2011. Kaum ein HIV-Positiver allerdings nimmt diese Medikamente heute noch im Rahmen seiner Kombinationstherapie ein.

Erste Hersteller sollen schon in den Startlöchern stehen

Im Juni 2013 jedoch verliert Nevirapin den Patentschutz, ein häufig verordnetes HIV-Medikament, das gemäß den Europäischen Therapieleitlinien auch für den Therapiebeginn empfohlen wird. Dann können auch andere Unternehmen die Substanz, die bisher exklusiv vom Pharmakonzern Boehringer Ingelheim unter dem Handelsnamen Viramune® vermarktet wird, herstellen und auf den Markt bringen.

Erste Hersteller, so ist zu hören, stehen bereits in den Startlöchern, um den für sie interessanten Markt zu bedienen. Das dürfte zu einem sinkenden Preis führen, vermutlich auch beim Original-Präparat Viramune®.

Und Nevirapin ist erst der Anfang. Bereits im November 2013 folgt Efavirenz. Bisher wird die Substanz unter dem Handelsnamen Sustiva® (in manchen Staaten auch unter dem Handelsnamen Stocrin®) vermarktet. Enthalten ist sie auch im Kombinationspräparat Atripla®. Auch hier gilt: ab November 2013 können generische Versionen von Efavirenz in Europa vermarktet werden. Und ein israelischer Generika-Hersteller soll bereit stehen, ab dem Tag des Patent-Endes auch tatsächlich Efavirenz-Generika liefern zu können.

Ritonavir (Handelsname Norvir®) verliert ebenfalls Ende 2013 den Patentschutz (allerdings nur in der Kapsel-Formulierung, die hitzestabile Pille ist weiterhin patentiert). Und in den kommenden Jahren folgen weitere Substanzen: Abacavir (Handelsname Ziagen®) Anfang 2016, Lopinavir (Kaletra®) Ende 2016. Und 2017 dann Tenofovir (Viread®, auch in Truvada®, Atripla® und Eviplera®).

Wir werden uns nicht nur an neue Namen gewöhnen müssen

Nun könnten Tom Positiv und Vera Positiva denken: Was geht mich das mit den Patenten und dem Generika an.

Nun, das geht ihn, sie, uns vermutlich recht bald ‚was an‘.

Schon bald werden Handelsnamen, die uns lange begleiteten, vielleicht seltener auftauchen. Wir werden uns stattdessen an andere Namen gewöhnen müssen, an die INN, die International Nonpropietory Names, die bei der Welt-Gesundheits-Organisation WHO registriert sind und weltweit und Hersteller-unabhängig gelten (wie ‚Nevirapin‘ für den Wirkstoff des Präparats, das bisher unter dem Namen Viramune® patentgeschützt war).

Doch die Veränderungen, die sich durch die Verfügbarkeit von Aids-Generika ergeben, werden weitreichender sein als reines ‚Name-Dropping‘:

Bisher interessiert sich kaum ein HIV-Positiver für die Kosten seiner Kombi und Therapie. Das dürfte sich ändern, Diskussionen dürften aufkommen, denn Generika kosten oftmals nur einen Bruchteil des Preises patentgeschützter Medikamente.

Krankenkassen werden sich vermutlich bald die Frage stellen, warum sie teure patentgeschützte Aids-Medikamente zahlen sollen, wenn es doch vielleicht auch Generika tun würden?

Ist die Therapie-Freiheit in Gefahr?

Das könnte auch Ärzte unter Druck setzen, wenn sie weiterhin teure Patent-Medikamente verordnen? Ist der Vorteil der Therapie mit den „Originalmedikamenten“ wirklich so gravierend, dass er die Mehrkosten wert ist? Die bisherige Therapie-Freiheit könnte angesichts der Kosten-Diskussion in Gefahr geraten. Kein rein abstrakter Gedanke, wie ein Beispiel zeigt:

Kein rein abstrakter Gedanken, wie ein Beispiel zeigt:
Nehmen wir an, Tom Positiv nimmt heute Atripla®. Bei Atripla® kostet eine Monats-Ration (30 Tage) derzeit 1.239,86 Euro.
Atripla® ist eine Kombi-Pille aus den Substanzen Emtricitabine, Tenofovir und Efavirenz. Efavirenz verliert im kommenden November seinen Patentschutz, und Emtricitabine (das weiterhin Patentschutz hat) ließe sich leicht durch das äußerst ähnliche Lamivudine (Patentschutz abgelaufen) ersetzen. Tom Positiv könnte also vielleicht anstelle von Atripla® auch generisches Efavirenz, generisches Lamivudin sowie (weiterhin patentgeschütztes) Tenofovir einnehmen. Kostensenkungen von über 50% seien auf diese Weise möglich, kalkulieren Forscher, bei nahezu gleicher Wirkung … wenn der Patient statt einer nun zwei oder drei Pillen nimmt.

Das Kostensenkungs-Potential scheint beträchtlich: Forscher haben in den USA bereits genauer ausgerechnet [1], welchen Betrag das US-Gesundheitssystem sparen könnte, wenn statt Atripla® zukünftig generische Versionen von Lamivudin sowie Efavirenz plus (weiterhin patentgeschützes) Tenofovir verordnet werden würden. Ihr Ergebnis: 920 Millionen US-Dollar – jährlich. Dimensionen, bei denen auch das Gesundheitssystem in Deutschland sich Fragen stellen wird …

Generische Versionen von Aids-Medikamenten werden vermutlich bald auch bei uns Teil der Lebensrealität HIV-Positiver werden. Und sie könnten zu weitreichende Konsequenzen führen. Die Kosten einer Therapie werden mehr zum Thema werden. Die Gefahr besteht, dass Therapie-Entscheidungen nicht mehr nur aus medizinischen Gründen getroffen werden, sondern zunehmend auch wirtschaftliche Aspekte einfließen. Und mittelfristig die Therapiefreiheit in Bedrängnis geraten könnte.

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[1] R.P. Walensky et al.: The clinical and economic impact of a generic first-line antiretroviral regimen in the U.S.. XIX International Aids Conference, Washington 2012, abstract

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Text für das Blog der Deutschen Aids-Hilfe, dort veröffentlicht am 08.01.2013

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Nachtrag
26.02.2013
: Substanzen, die es lange am Markt geht, kann es auch anders ergehen: Zulassung erloschen statt Generika. So der Fall bei dem Proteasehemmer Nelfinavir (vom Pharmakonzern Roche unter dem Handelsnamen Viracept® vermarktet). Für Nelfinavir erlosch die Zulassung für die Europäische Union zum 23. Januar 2013, die EMA (European medicines Agency) vermeldet zu der Substanz trocken „This medicine is now withdrawn from use in the European Union“.
28.03.2013: „Erstes HIV-Generikum auf dem deutschen Markt„, berichtet die DAH am 28.3.2013.

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Homosexualitäten

Sumpffieber (1978)

Bereits 1978 erschien erstmals „Sumpffieber – Medizin für schwule Männer„ im Verlag Rosa Winkel, ein Ratgeber zu schwuler Gesundheit, der schnell sehr beliebt wurde und in den folgenden Jahren mehrere Auflagen erlebte. Herausgeber: die „Autorengruppe schwule Medizinstudenten“,später „Die schwulen Medizinmänner„.

Sumpffieber, mehrere Generationen
Sumpffieber, mehrere Generationen

Bereits ab der zweiten Auflage 1979 empfahlen die „schwulen Medizinmänner“ ein regelmäßiges Checkup der schwulen Gesundheit:

„jedem schwulen Mann, sofern er nicht sexuell enthaltsam lebt, einmal im Quartal, also alle 3 Monate, die ‚Leberwerte‘ und einem Syphilis-Test  machen zu lassen. „

Doch nicht nur das – auch der Arsch, die anale Gesundheit, stand schon damals mit im Fokus unserer schwulen Gesundheit:

„Wer sich öfter bumsen lässt und nun beim Hautarzt zur ‚Vorsorgeuntersuchung‘ ist, sollte auch gleich den Arzt bitten, einen Analabstrich auf Tripper zu untersuchen.“

Wie diese anale Untersuchung im besten Fall erfolgen solle (Proktoskop), wurde gleich in Wort und Bild erläutert – damit der schwule Mann „einen gewissenhaften und sorgfältigen Arzt … erkennen“ konnte.

Schwule Männer achteten auch in Zeiten vor Aids auf ihre Gesundheit – vielleicht mehr noch als heute. Ein „schwuler Gesundheits-Check gehörte damals für viele von uns zur Normalität.

Und bereits im Januar 1984 (!) erschien der „AIDS – Nachtrag zu Sumpffieber“.

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Homosexualitäten

Gar nicht obszön: der schwule Gesundheits-Check

Gar nicht obszön: der schwule Gesundheits-Check

Gesundheit!
Wenn es dabei nicht um das gerade häufige Erkältungswetter geht, um Schnupfen Husten Heiserkeit, dann bedeutet das Thema Gesundheit für die meisten schwule Männer heute: HIV-Test. In Vergessenheit geraten dabei oft andere mögliche Begleiterscheinungen (nicht nur) schwulen Sexes: sexuell übertragbare Krankheiten. Abhilfe schafft: der schwule Gesundheits-Check – der so neu nicht ist, wie es manchen scheint.

Mindestens  genauso wie heute (vielleicht mehr, so scheint mir in der Erinnerung, die aber altersbedingt verklärend sein mag) war schwuler Sex Ende der 1970er Anfang der 1980er Jahre, als ich mein schwules Leben entdeckte, mein Coming Out hatte, leicht und mit Lust auch: die schnelle anonyme Nummer, auf der Klappe, im Park, in der Sauna. Und das „Herumstromern im schwulen Sumpf“ hieß in der Folge manchmal auch (und sicher nicht seltener als heute), dass es gelegentlich hinterher juckte, kratzte, biss. Tripper, Filzläuse, Krätze, Syphilis – sie waren auch damals keine ‚Unbekannten‘ bei sexuell aktiven schwulen Männern.

Auch damals, in Zeiten vor Aids, achteten schwule Männer auf ihre Gesundheit – manchmal scheint mir: mehr als heute. Bei vielen von uns war der gelegentliche oder regelmäßige ’schwule Gesundheits-Check‘ selbstverständlicher Standard. Ein Standard, der nicht von ungefähr kam.

Bereits 1978 erschien „Sumpffieber – Medizin für schwule Männer„, ein Ratgeber zu schwuler Gesundheit, der schnell sehr beliebt wurde und in den folgenden Jahren mehrere Auflagen erlebte. Herausgeber: die „Autorengruppe schwule Medizinstudenten“,später „Die schwulen Medizinmänner„.

Sumpffieber, mehrere Generationen
Sumpffieber, mehrere Generationen

Bereits ab der zweiten Auflage 1979 empfahlen die „schwulen Medizinmänner“ ein regelmäßiges Checkup der schwulen Gesundheit:

„jedem schwulen Mann, sofern er nicht sexuell enthaltsam lebt, einmal im Quartal, also alle 3 Monate, die ‚Leberwerte‘ und einem Syphilis-Test  machen zu lassen. „

Doch nicht nur das – auch der Arsch, die anale Gesundheit, stand schon damals mit im Fokus unserer schwulen Gesundheit:

„Wer sich öfter bumsen lässt und nun beim Hautarzt zur ‚Vorsorgeuntersuchung‘ ist, sollte auch gleich den Arzt bitten, einen Analabstrich auf Tripper zu untersuchen.“

Wie diese anale Untersuchung im besten Fall erfolgen solle (Proktoskop), wurde gleich in Wort und Bild erläutert – damit der schwule Mann „einen gewissenhaften und sorgfältigen Arzt … erkennen“ konnte.

Schwule Männer achteten auch in Zeiten vor Aids auf ihre Gesundheit – vielleicht mehr noch als heute. Ein „schwuler Gesundheits-Check gehörte damals für viele von uns zur Normalität.

Ein schwuler Gesundheits-Check ist so neu also nicht – warum ist er seit Jahren seltener geworden? Warum ist diese Normalität einer regelmäßigen „schwulen Gesundheits-Vorsorge“ weitgehend in Vergessenheit geriet? Lag es an Aids, an der Aids-Krise, die Schwule bald dermaßen beschäftigte, beschäftigen musste, dass kaum noch Luft und Raum für andere Themen blieb?  (Die „Schwulen Medizinmänner“ jedenfalls griffen auch dieses Thema früh und für den Laien verständlich auf: bereits im Januar 1984 erschien der „AIDS – Nachtrag zu Sumpffieber“)

Haben wir uns zu sehr auf HIV und Aids konzentriert, andere sexuell übertragbare Krankheiten dabei (vielleicht nicht ganz ungern) aus dem Blick verloren?

HIV-Positive haben i.d.R. ihren regelmäßigen Check – im Rahmen der vierteljährlichen Routine-Laboruntersuchungen wird ein guter Arzt regelmäßig auch auf Syphilis oder Hepatitis C untersuchen lassen, wenn er sehr gut ist auch an Untersuchungen wie einen analen Abstrich denken.

Schwule Männer aber, die HIV-negativ  sind, oder ungestestet – wie häufig gehen die zum Arzt, um sich um ihre Gesundheit, auch ihre ’schwule Gesundheit‘ zu kümmern? Ist es Desinteresse? Desinteresse an der eigenen Gesundheit wäre bemerkenswert, so wichtig wie Körper und Schönheit für vielen Schwule sind. Ist es Scheu, Angst, sich möglicherweise unangenehmen Gesprächen, Fragen, Untersuchungen aussetzen zu müssen? Oder ist es die Befürchtung, beim Besuch in einer Arzt-Praxis von anderen Patienten möglicherweise für HIV-positiv gehalten zu werden? Denkt der ein oder andere Tom Normalschwul vielleicht, wer nicht HIV hat, wird schon auch nichts ‚anderes‘ haben? Ist es womöglich gar die Scheu, dem Arzt vom eigenen Schwulsein, womöglich von sexuellen Praktiken berichten zu müssen?

In Zeiten vor Aids übrigens ging es Schwulen auch darum, um einen emanzipatorischen Anspruch:

„Die sexuelle Tabuisierung des Arsches ist aber sicher für viele eine Hemmung [sich in Behandlung zu geben]. … Jeder, der es schafft, bei einem beliebigen Arzt zu sagen „ich glaube, ich habe einen Analtripper!“ zeigt, daß er sich und seine Sexualpraktiken nicht als schmutzig und obszön ansieht, und er sich ihrer auch nicht schämt.“ („Sumpffieber“)

Es wäre an der Zeit, den ‚Schwulen Gesundheits-Check‘ wieder zu entdecken, ihn wieder zum Standard werden zu lassen – sich wieder aktiv um seine Gesundheit als schwuler Mann zu kümmern.

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[Artikel verfasst für und zuerst (ohne Foto) erschienen in Siegessäule 12/2012]

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Hamburg

Strike – Stroke – short fuse

Sonntag Morgen, kurz nach sieben. Zwei müde Gestalten warten mit mir auf den Metrobus. Die Sommerstimmung der letzten Tage ist wie weggeweht. Es ist kalt, Nieselregen, ich bin zu dünn angezogen, aufgewühlt.

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Stroke Unit. Geballte Kompetenz, schnelle Reaktion, bestmögliche Diagnose und Erstbehandlung. Ein Begriff suggeriert Sicherheit.

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Samstag Nacht, gegen elf Uhr. Ich hatte gedacht, es sei möglich, auch nachts von Berlin nach Hamburg zu kommen. Nein, der letzte ICE verlässt heute um 22:58 Uhr den Berliner Hauptbahnhof, danach folgt nur ein Nachtzug – dreißig Minuten später ab Ostbahnhof. Beides schaffe ich nicht mehr. Dann nichts an Zugverkehr Berlin -> Hamburg bis kurz nach sieben Uhr morgens.

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Samstag, am späten Abend, viertel vor elf. Erschöpft nach einer Nacht mit wenig Schlaf und einem langen Tag einer (bis auf einen fulminanten Schluss) erfolgreichen Klausurtagung sitze ich vor dem PC, bereite einige ondamaris-Texte für die kommenden Tage vor. Die Glotze plärrt im Hintergrund. Das Telefon klingelt. Er wolle kurz noch einmal bei seiner Mutter vorbei, erzählt Frank. Die Wohnanlage habe angerufen, sie habe plötzlich sehr hohen Blutdruck. Alarmglocken schrillen still in mir. Recherchiere einige seriöse Seiten im Internet, die bestätigen – lieber schnell und umfassend reagieren, nicht abwarten. Als ich Frank erreiche, ist er schon auf dem Weg zu ihr, der Notarzt unterwegs. Kurz darauf meldet er sich von dort. Einen Arm könne sie nicht bewegen, sei blass, ansonsten okay. Der Notarzt hat bereits den Transport in die nächstgelegene Klinik mit stroke unit veranlasst.

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In der Klinik sofort professionelles und vorbereitetes Krisenmanagement. Nach Mitternacht, nach einigen weiteren Telefonaten und Berichten, gehe ich erschöpft ins Bett. Der Koffer ist gepackt, morgen in der Frühe auf nach Hamburg. Kurz nach 2 Uhr noch ein Telefonat, Frank ist endlich auch zuhause.

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Sonntag, stroke unit. Ja, sie suggeriert nicht nur, sie vermittelt tatsächlich ein Gefühl von Sicherheit. Wesentliche Untersuchungen sind bereits in der Nacht, direkt nach Einlieferung durchgeführt, weitere werden gerade vorgenommen. Noch keine Klarheit (doch beidseitige Lähmungen sprechen gegen Schlaganfall), Klarheit soll das morgige MRT bringen.

stroke unit
stroke unit

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