Kategorien
Nachdenkliches

Ich lehne Gewissheiten ab?!

Erkennen, dass man sowieso nicht so relevant ist” – “Es gibt dieses Gefälle zwischen dem Sich-übertrieben- wichtig-Nehmen und der Gelassenheit, sich zu relativieren.

Ernst Tugendhat im Interview in der taz. Über sein wirklich letztes Buch.

Ein Abschied. Bewegende, mir sehr nahe Gedanken.

Der Wunsch, auf gesichertem Boden zu stehen, ist das Überbleibsel eines autoritären Bewusstseins.

Den Text des Vortrags und Buchs von Ernst Tugendhat “Moralbegründung und Gerechtigkeit” gibt’s als pdf hier (101 S.)

.

Kategorien
Erinnerungen

Schwul altern

Alt zu werden ist ja doch ein Thema, an das wohl jeder schwule Mann irgendwann einmal sorgenvoll denkt. Ich bin froh, schon in jungen Jahren eine Bekanntschaft gemacht zu haben, die mir auch die Freuden des Alters vorlebte.

Älter werden. Jeder versucht auf seine Weise damit umzugehen. Wir rennen in die Muckibude, achten auf unsere Kleidung, laufend Trends hinterher, versuchen alles mögliche, um attraktiv zu bleiben.
Sicher, mit der Generation der BabyBoomer wird bald ein Berg an älteren Schwulen in den Szenen unterwegs sein (oder sich ins Private zurückziehen). Das Thema Jugend, (körperliche) Attraktivität wird dennoch weiter präsent bleiben, sowohl darin, wie wir wahrgenommen werden, als auch in den eigenen Präferenzen, im eigenen Selbstbild.

Bernd zeigte mir, dass im Alter auch als schwuler Mann sehr viel Wertvolles, Schätzenswertes liegen kann:

In meiner Studentenzeit lernte ich über einen Freund jemanden kennen, nennen wir ihn Bernd. Bernd war emeritierter Professor für Architektur, hatte sich in einem Bremer Vorort ein Haus gebaut, in dem er etwas zurückgezogen lebte. Ein Haus ganz Bauhaus, weitgehend im Bauhaus-Stil eingerichtet, ‘alles echt, nicht diese Nachbauten’, wie er gern betonte. Als ich ihn kennen lernte, war Bernd bereits Anfang siebzig. Wir mochten uns, bald kam ich öfter. Half ihm bei Gartenarbeiten, begegnete ihm in immer tiefer werdenden Gesprächen intensiver.

Durch Bernd lernte ich bald, dass es durchaus möglich ist, als schwuler Mann respektvoll (vor allem auch mit Respekt vor und für sich selbst) zu altern.
Durch Bernd lernte ich damals, wie schön es sein muss, alt zu sein, reif zu sein: zu wissen, wer man ist, nicht mehr durch alles und jeden verunsichert werden können, sich seiner selbst gewiss zu sein. Mit sich, seinem Leben weitgehend im Reinen zu sein. Ruhigen Herzens zu wissen, dass das eigene Leben irgendwann, irgendwann recht absehbar, zuende sein wird [was mir, als junger Mensch, damals einfach unvorstellbar schien]. Bernd war alt, manchmal mit etwas Wehmut, aber immer: selbstbewusst alt.

Durch Bernd lernte ich noch einmal mehr (wie schon früher durch Onkel Brenner, der in Kindheitsjahren fast mein zweiter Vater war), wie schön ein Gesicht eines alten Menschen sein kann. Augen, lebendig bei jeder Erinnerung, bei jeder Freude funkelnd. Mit Tränensäcken, bei denen ich mich oft fragte, für wen und wie viele Tränen diese Augen wohl vergossen haben mögen. Falten, die auch ohne Worte viele Geschichten eines bewegten, nicht immer leichten Lebens erzählten.

Bernd bezeichnete sich immer als „homoerotisch veranlagt“, nie als „schwul“ oder „homosexuell“. Nein, dieses „schw-Wort“, das sei doch so ordinär, das sei er nicht.
Natürlich ging er nur aus ‘kulturellem Interesse’ ins Theater, besonders gern ins Ballett, erste Reihe, ‘damit ich auch alles sehe’. Wir grinsten dann immer, gingen aber doch gerne mit – zumal zu Reinhild-Hoffmann – Ballettabenden. Grinsten auch, wenn er dem jungen Kellner im vegetarischen Restaurant, in dem er zweimal die Woche essen ging, mit einem warmen Lächeln ein besonders gutes Trinkgeld gab.

Sicher, es gab auch Tabu-Themen. Ganz gewiss das mit dem Sex. ‘Hat man in deinem Alter noch Sex’, hätte ich Bernd immer gerne fragen wollen. Sex war damals ein furchtbar wichtiges Thema für mich. ‘Und wenn ja, wie ist das? Wie und wo organisiert man sich den? Gibt’s den als alter Mnan nur noch für Geld?’
Doch all diese Fragen eines unwissenden lebenshungrigen jungen schwulen Mannes Anfang zwanzig blieben ungestellt, unbeantwortet. Auch wenn wir gut befreundet waren, diese Fragen hätte Bernd als einen viel zu offensiven Eingriff in seine Privat-Sphäre empfunden.

Kein Tabu-Thema hingegen war das Altern, sein Alter. Gern erzählte er von ‘damals’, auch von ‘den schlimmen Jahren’. Oft mit einem ‘ja ihr habt es ja besser heute, freut euch darüber’, manchmal sogar wehmütig. Nie aber bitter, verbittert. Er war froh, alt zu sein, litt höchstens daran, keinen Partner, keinen Freund mehr zu haben. Was er vielleicht durch einen kleinen Kreis junger Menschen, die er um sich scharte, auszugleichen versuchte.

Als ich Jahre später wieder einmal in Bremen war, stand ein anderer Name an der Türklingel. Eine Nachbarin, die ich fragte, erzählte, der Herr Bernd sei im Herbst letzten Jahres gestorben. Wo er begraben liege, nein das wisse sie leider nicht.

In meine Herzen lebt er irgendwie immer noch, in einer kleinen Ecke tief hinten. Und mit ihm lebt in mir die Erinnerung, ja, alt zu werden, alt zu sein, muss etwas sehr Schönes sein können. Er hat es mir damals vorgelebt.

Kategorien
Kulturelles

Jeanne Moreau über kontrollierte Menschen

„Sind sie nicht furchtbar? Die kontrollierten Menschen? Mit ihren sensationellen Schutzhaut? Nein, ich kann nicht im Namen dieser Menschen sprechen, verstehen Sie? Sie interessieren mich nicht. Dies sind Menschen, die nicht wirklich lieben können. Ich habe deshalb immer einen großen Bogen um die Kontrollierten gemacht! Mein Gott!“

Jeanne Moreau über den Film ‚Die Zeit, die bleibt‘ (Regie Francois Ozon), SZ 15./16./17. April 2008
Kategorien
Kulturelles

Jeanne Moreau über Leben und Tod

„In ‚Die Zeit, die bleibt‘ geht es um den Tod. Und darum dass Leute immer sterben können – oft nicht erst, wenn sie alt sind. Die junge Leute heute sterben z.b an Aids, nachdem sie lange krank waren. Wunderbare Freunde von mir sind an Aids gestorben. Andererseits können wir sehr alt werden und dann sterben, ohne vorher krank gewesen zu sein. Der junge Mann in dem Film verzichtet auf eine Chemotherapie und lebt in der Zeit, die ihm bleibt, sagen wir wie ein Gesunder. Er beschäftigt sich weniger mit seinem naheden Tod – sondern zum ersten Mal wahrhaftig mit seinem Leben.“

Jeanne Moreau über den Film ‚Die Zeit, die bleibt‘ (Regie Francois Ozon), SZ 15./16./17. April 2008