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Politisches

Erich-Mühsam-Preis für Gunter Demnig

Der Künstler Gunter Demnig wurde am 26. April 2009 in Lübeck mit dem Erich-Mühsam-Preis ausgezeichnet, verliehen für das Projekt Stolpersteine.

Der in Lübeck aufgewachsene Publizist, Schriftsteller und politische Aktivist Erich Mühsam wurde am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg nahe Berlin von Nationalsozialisten ermordet. Die 1989 in Lübeck gegründete Erich-Mühsam-Gesellschaft verleiht seit 1993 den Erich-Mühsam-Preis.

Die Erich-Mühsam-Gesellschaft schreibt dazu:

“Alle zwei Jahre wird auf der Tagung der Erich-Mühsam-Preis verliehen. Ein gewähltes Gremium schlägt Personen und Gruppen zur Auszeichnung vor, die sich mit Zivilcourage und Idealismus für soziale Gerechtigkeit und verfolgte Minderheiten einsetzen.”

Der Erich-Mühsam-Preis wird am 26. April 2006 dem Künstler Gunter Demnig (geb. 27. Oktober 1947) verliehen, Schöpfer des Projekts Stolpersteine. Am Vortag hat Demnig in Lübeck erneut Stolpersteine verlegt.

Stolperstein zum Gedenken an Erich Mühsam vor dem Buddenbrookhaus
Stolperstein zum Gedenken an Erich Mühsam vor dem Buddenbrookhaus

Projekt Stolpersteine begann 1993 mit Konzepten, 1995 wurden erste Stolpersteine (damals noch ungenehmigt) probeweise in Köln und 1997 in Berlin-Kreuzberg verlegt. Zuvor waren bereits 1994 250 Stolpersteine in der Kölner Antoniterkirche ausgestellt worden. Voran gegangen war dem Projekt eine Aktion 1990, mit der an die Deportation von Sinti und Roma aus Köln erinnert wurde.

Gunter Demnig beschreibt die Stolpersteine als

“ein Projekt, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus wach hält.”

Stolperstein für Hans Hirschberg
Stolperstein für Hans Hirschberg

Stolperstein für Hans Hirschberg, Hamburg

Die Stolpersteine verlegt Demnig jeweils bündig in den Bürgersteig, vor dem letzten freiwillig gewählten Wohnort des jeweiligen Opfers. Bis Ende 2008 sind gut 17.000 Stolpersteine gesetzt worden.

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Nachdenkliches

Die Schuld des Überlebens

Ein seltsames Gefühl. Ein Gefühl, das oftmals auf Unverständnis trifft. Ein Gefühl, das vielleicht nur nachvollziehen kann, wer “die schlechten Jahre” erlebt, überlebt hat.

Das Gefühl der Schuld des Überlebens.

Es ist schwer zu beschreiben, dieses Gefühl. Ich versuche es.

Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre. Aids hieß zu dieser Zeit: man kann nichts machen. Irgendwann, eher schneller als später, wird die Diagnose HIV bedeuten Aids, und kurze Zeit später bedeuten krank, schwer krank, tot.

So bestürzend dies heute klingen mag – damals war es eine (unfreiwillige, unerträgliche) Normalität in manchen schwulen Szenen, auch in meinem Leben. Eine Woche ohne schwarz umrandeten Briefumschlag im Postkasten gab es auf dem Höhepunkt der Krise beinahe nie, gelegentlich Wochen mit mehreren. Es starben Bekannte, Fick-Bekanntschaften, Kneipen-Bekanntschaften, politische und sexuelle Weggefährten, Lover, Geliebte, Freunde.

Es starben auch Menschen, die mir so nahe waren wie kaum jemand außer meinem Mann. Die ich liebte, liebe.

Ich werd auch bald dran sein”, war damals naheliegend scheinende Reaktion.

Und bald kamen Zeiten, in denen auch mir klar wurde, nun wird es ernst. Es kamen Zeiten der ersten Lungenentzündungen, der PcP, eines versagendes Immunsystems. Die Worte “ich kann nun nichts mehr tun für Sie”. Worte die eigentlich nicht mehr gesagt werden mussten, die Situation war auch ohne sie eindeutig.

Doch – ich überlebte, auch durch glückliche Umstände.

Aber ich habe mich immer wieder gefragt, warum? Vor allem: warum ich? Warum er nicht? Warum kamen die entscheidenden Pillen für mich gerade noch rechtzeitig genug, und für ihn nicht? Warum musste er sterben? Warum darf ich leben?

Dieses Gefühl meint zunächst ein beinahe kindliches “das ist gemein”.
Ein störrisches Aufstampfen, ein “so will ich das nicht”.
Aber bald auch ein Entsetzen.
Entsetzen ob der Leere, des Verlustes, des Gefühls von Verlassen-Sein.
Ein Gefühl tiefster Ungerechtigkeit – “das ist gemein” weit mehr als nur als Ausdruck kindlich naiver Enttäuschung gemeint, mehr als “niederträchtig”, “boshaft”.
Eine Verzweiflung angesichts des zu Ergebnislosigkeit verdammten Versuches, eine Sinn darin zu erkennen.

Es gibt keinen Sinn.
Tod hat keinen Sinn.
Aber es gibt diese Verzweiflung, diese Verzweiflung, die auch bleibt, wenn die Trauer nachlässt.

Das Wort “Schuld” ist hier nicht angebracht, insofern mag der Titel ein wenig irreführend scheinen. Scheinen. Denn – immer wieder stand da – nur in mir – die Frage im Raum, warm musste er sterben? Warum durfte, darf ich überleben? Gibt es einen Sinn darin, einen innewohnenden Appell?

Zu überleben, ohne all die Männer, die ich kannte, mit denen ich mehr oder minder bekannt, nah war, die ich begehrte, mit denen ich schwulen- oder aidspolitisch unterwegs war, die ich liebte, zu überleben ohne sie – warum? Was hebt mich so hervor, dass ich überleben darf? Nichts. Kann Schicksal, können Zeitläufte so brutal sein? Oder: so banal? Warum sie tot, ich lebend? Es gibt keinen Sinn. Außer dem, den ich meinem Weiterleben, meinem Leben gebe.

(Und – bevor Sie sich jetzt Sorgen machen, es geht mir gut. Gelegentliche Erinnerungen an ‘damals’ und heutige Nachdenklichkeiten schaden m.E. nicht dem Gemüt, fördern heutiges Leben.

Und – der Mann weist mich berechtigt darauf hin- , ich versuche mir bewußt zu halten, dies ist selbstverständlich kein singuläres Ereignis. “Es gibt ähnliche Texte vom ersten Weltkrieg und auch anderen Katastrophen.”)

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Andreas Salmen (1962 – 1992)

Der Politologe, Schwulen- und Aids-Aktivist Andreas Salmen wurde 1962 in Göttingen geboren. Er starb am 13. Februar 1992 in Berlin an den Folgen von Aids.

Andreas Salmen wurde am 26. Mai 1962 in Göttingen geboren. Seit seiner Jugend war er politisch engagiert; so recherchierte er Wikipedia zufolge undercover in der Berliner Neonazi-Szene und engagierte sich gegen die Volkszählung 1983.

Andreas Salmen © Florian Wüst, 1990
Andreas Salmen 1990 bei einer ACT UP Aktion auf dem Deutschen Aids-Kongres Hamburg (Foto © Florian Wüst, 1990 )

Andreas gehörte 1981 zu den Mitbesetzern und Mitbegründern des Tuntenhauses in der Berliner Bülowstr. 55 (1981–1983). Es war ds ersten in einer Reihe weiterer Häuser in Berlin (Mainzer Straße und Kastanienallee) sowie auch in einigen anderen Städten (zum Beispiel Bremen, Bern und Genf, wo es „Tantenhaus“ hieß).
Ende 1983 wurde das Haus geräumt und (teilweise) abgerissen (Zeitzeugenbericht von Andreas Salmen, 1986, nicht mehr online). Auf die Zeit im Tuntenhaus schaute Andreas auch später gelegentlich begeistert zurück:

„Alles im allem aber war das Haus ein tolles Erlebnis: wer wohnt schon mal mit zwanzig schwulen Burschen, Tunten, Spontis, Studies … zusammen? Sicher gab es auch schwule Besetzer in Bielefeld, Amsterdam, London und Paris, mit denen wir auch teilweise Kontakt hatten, aber nirgends wurde das Konzept eines schwulen besetzten Hauses so klar durchgezogen und nirgends sonst hielt es sich fast drei Jahre. Und nach drei Jahren des Wohnens allein oder zu zweit bekomme ich trotz all dem Nerv, dem Schmutz und Stress beim sehnsüchtigen Zurückblicken wieder Lust auf Ähnliches: denn da waren auch viele tolle Augenblicke.“

Andreas Salmen 1986

Nach seiner Zeit im Tuntenhaus begann Andreas 1984 mit dem Studium der Politikwissenschaft an der FU Berlin. Parallel war er im Frühjahr 1984 einer der Gründer des noch heute existierenden Berliner Monatsmagazins „Siegessäule“, das sich damals nur an Schwule richtete. In der „Siegessäule“ sowie im Schwulen-Magazin „Magnus“ (es erschien vom Juni 1989 bis 1996) und ab 1988 häufig für die „taz“ schrieb Andreas besonders über Themen aus der Schwulenbewegung (z. B. „Kein Asyl für schwule Pakistani“, 4.2.1989), zu HIV/Aids (z. B. „Das HIV-Modell als Mogelpackung?“, 31.10.1988, oder „Ministerin Lehr blockiert Safer-Sex-Projekt“, 26.5.1989) und von seinen USA-Aufenthalten über dortige Proteste (z. B. „AIDS in New York City“, 7.10.1988, und „Aidsaktionsgruppen belagern das Marriot-Hotel“, 21.6.1990).
Früh engagierte sich Andreas nicht nur in der Schwulenbewegung, sondern auch im Kampf gegen Aids – wiederum auf seine ihm eigene Weise. Mit drastischen Formulierungen, manchmal im Stil von Larry Kramer (wie „Wir befinden uns im Krieg!“, siehe oben) eckte er an. Und er erwies sich immer wieder als unbequemer Denker und Aktivist, der auch vor Kritik an den eigenen Reihen nicht zurückscheute:

„Die Geschichte des Verhältnisses der Schwulenbewegung zu Aids ist die Geschichte von Verdrängung und einer Kette von Versäumnissen.“

(Haunss 2004, S. 232)

Mit deutlichen Worten kritisierte Salmen 1989 in der „Siegessäule“ das (aids-)politische Desinteresse vieler Schwuler:

Schwule Emanzipationsbemühungen können sich nicht mehr an Aids vorbeidrücken, sie sind nur noch in einem Gang mitten durch Aids denkbar.“
(Salmen 1989, zitiert nach Hutter 1993)

Am Wissenschaftszentrum Berlin arbeitete Andreas in der Präventionsforschung; gemeinsam mit Rolf Rosenbrock gab er das Buch „Aids-Prävention“ (1990) heraus. Parallel versuchte er in Berlin ein „Stop-Aids-Projekt“ nach US-Vorbild zu initiieren (das Stop Aids Project war 1984 in San Francisco gegründet worden und bemühte sich um eine communitynahe und Sexualität bejahende Aidsprävention für schwule, bisexuelle und Trans*-Männer), was nicht nur begrüßt, sondern zum Teil auch massiv kritisiert wurde, unter anderem mit dem Argument, man habe dafür doch schon Aidshilfen. Zudem war Andreas zeitweise Redakteur der Positiven-Zeitung „Virulent“, die ab 1991 mit einer Startauflage von 25.000 Exemplaren drei- bis viermal pro Jahr erschien. Sie wurde von einem Redaktionsteam gemacht wurde, in dem u.a. der Germanist Michael Fischer (Lebenspartner von Andreas), und später auch ich selbst mitarbeiteten.

Andreas Salmen brachte, frisch zurück von einem einjährigen USA-Aufenthalt, politischen Aids-Aktivismus in Form von ACT UP mit nach Deutschland.

Andreas Salmen war außerdem Herausgeber des meines Wissens einzigen Buches über ACT UP, das damals aus ACT-UP-Zusammenhängen heraus in Deutschland veröffentlicht wurde: „ACT UP Feuer unterm Arsch – Die AIDS Aktionsgruppen in Deutschland und den USA“. In diesem im Herbst 1991 erschienenen Band, den Salmen seinem langjährigen Lebenspartner widmete, wurden einige Grundlagentexte aus US-amerikanischen ACT-UP-Kontexten erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Obwohl er zwei Jahre nach Gründung der ersten ACT-UP-Gruppe in Deutschland erschien, enthält der Band aber bemerkenswerterweise neben einer Liste der deutschen ACT-UP-Gruppen nur einen einzigen Text zur Situation in Deutschland, nämlich einen Beitrag zu Mängeln in der medizinischen Versorgung. Andererseits ist mit der „AIDS Treatment Agenda“ von ACT UP New York bereits ein Beitrag enthalten, der sich genau auf der Bruchlinie von Aids- und Therapieaktivismus bewegt, die später zum Ende des „klassischen“ ACT-UP-Aktivismus beitrug.

Ohne Andreas wäre ACT UP in Deutschland vermutlich kaum denkbar gewesen. Nachdem er am 13. Februar 1992 an den Folgen von Aids gestorben war, erfuhren seine Aktivisten-Kolleg_innen auf einem Koordinierungstreffen deutscher ACT-UP-Gruppen im Waldschlösschen davon – an eben jenem Ort, an dem er im Dezember 1988 zur Gründung von ACT-UP-Gruppen in Deutschland aufgerufen hatte.

Manfred Kriener beschrieb Andreas’ Haltung in einem Nachruf in der „taz“ 1992 wie folgt:

„Mit ‚Act Up‘ und dem von ihm vorangetriebenen Berliner ‚Stop-Aids-Projekt‘ wollte Andreas die Passivität der Betroffenen in der Aidskrise durchbrechen, er wollte Gegenwehr mobilisieren statt stummer Erduldung.“

Manfred Kriener, Nachruf auf Andreas Salmen, taz 1992

In einem Nachruf der deutschen ACT-UP-Gruppen, der als Anzeige in der „taz“ sowie in einigen Schwulen-Blättern wie zum Beispiel „First“ erschien, hieß es:

„Die Königin hat ihr Königreich selbst geboren. … Andreas war derjenige, der die US-amerikanische ACT-UP-Idee aufgegriffen und auf unsere Verhältnisse übertragen hat. … Andreas war sicherlich ein schwieriger Mensch; es fiel uns nicht immer leicht, mit seiner kompromisslosen und fordernden Art umzugehen. Er war voller Ideen und Konzepte für neue Aktionen, mit denen er den Kampf gegen die Aidskrise aufgenommen hatte. Die ungeheure Energie, die er dabei entfaltete, war nicht zuletzt auch Ausdruck seiner eigenen Betroffenheit. Dabei verstand er die Aids-Epidemie nicht als isoliertes medizinisches, sondern vor allem auch als politisches Problem. Seine Arbeit war geprägt von seiner Fähigkeit, analytisch zu denken und gleichzeitig leidenschaftlich zu denken. Er hat uns vorgelebt, was SILENCE = DEATH / ACTION = LIFE bedeuten kann.“

Die Trauerfeier für Andreas fand am 21. Februar 1992 im Krematorium Ruhleben statt. Am 30. März 1992 starb Andreas’ Lebensgefährte Michael Fischer. Eine Erinnerungsfeier für Andreas und Michael fand am 25. Mai 1992 im Rathaus Berlin-Charlottenburg statt.

Der Nachlass von Andreas Salmen wird im Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung (Sondersammlung „Protest, Widerstand und Utopie in der Bundesrepublik Deutschland“) bewahrt.

Traueranzeige der ACT UP Gruppen in Deutschland für Andreas Salmen

Andreas Salmen - Traueranzeige der ACT UP Gruppen in Deutschland
Andreas Salmen – Traueranzeige der ACT UP Gruppen in Deutschland
Andreas Salmen - Traueranzeige der ACT UP Gruppen in Deutschland
Andreas Salmen – Traueranzeige der ACT UP Gruppen in Deutschland

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Bücher und Veröffentlichungen (nach Homowiki):

  • Salmen, A.: AIDS. Solidarität als Alternative. 1988. In: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Jahrbuch 1987. Sensbachtal/Odenwald
  • Salmen, A.: “Wir werden die Krise überleben.” Stop-AIDS-Projekte. 1988. In: Siegesäule 5 (6), 1988
  • Salmen, A.: “Schwulenbewegung und AIDS – Endlich aus der Opferrolle herauskommen!” 1989. In: Siegessäule 6 (1), 1989
  • Salmen, A.; Eckert, A. (Hrsg.): 20 Jahre bundesdeutsche Schwulenbewegung. 1969-1989 Bundesverband Homosexualität, Köln 1989
  • Salmen, A.: “Ein Scharlatan findet seine Jünger. Eine Auseinandersetzung mit den Thesen Duesbergs.” 1989. In: Siegessäule 6 (7), 1989
  • Salmen, A.; Rosenbrock, R.: (Hg.) AIDS-Prävention. 1990. Berlin Edition Sigma Bohn
  • Salmen, A.: (Hg.) “ACT UP Feuer unterm Arsch – Die AIDS-Aktionsgruppen in Deutschland und den USA” 1991. AIDS-Forum DAH Sonderband, Berlin, 1991

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Zur Geschichte von ACT UP in Deutschland siehe auch das Buch „Schweigen = Tod, Aktion = Leben – ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993“

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Friedrich Enchelmayer (1908 – 1940) – homosexuellen NS-Opfern wieder ein Gesicht geben

Homosexuelle zählen zu den ‘vergessenen und verdrängten Opfern des Nationalsozialismus’. Oft ist nur wenig über ihre Geschichte bekannt. Wie über Friedrich Enchelmayer. In Stuttgart versuchen nun engagierter Bürger und Angehörige, schwulen NS-Opfern wieder ein Gesicht, eine Geschichte zu geben.

Immer noch ist nicht viel bekannt über das Schicksal der meisten Männer, die von den Nazis als Homosexuelle verfolgt wurden. Nur in wenigen Ausnahmen gibt es detailliertere Zeitzeugen-Berichte, verfassten schwule Männer, die von den Nazis verfolgt und verhaftet wurden, später Bücher, Artikel oder andere Berichte.

Das Schicksal der meisten von den Nazis verfolgten, verhafteten und oftmals ermordeten Homosexuellen bleibt bisher im Dunkel. Homosexuelle – vergessene Opfer des Nationalsozialismus, die auch nach 1945 weiterhin zu Opfern gemacht wurden.
Nicht nur gab es vom Staat keine Unterstützung, gar Anerkennung, dem Staat, der ihnen lange Anerkennung als NS-Opfer, Rehabilitierung und Entschädigung verweigerte. Vielmehr schwiegen viele Betroffene auch nach 1945 aus Scham – oder auch aus Angst vor den Reaktionen ihre Umfelds, ihrer Verwandten, ihrer Nachbarn.

Erst langsam kommt Licht in das Dunkel der Geschichte vieler in der NS-Zeit verfolgter Homosexueller.
Oft ist dabei Anlass oder ‘Unterstützer’ das im Mai 2008 eingeweihte Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, durch das auch Rudolf Brazda als vermutlich einer der letzten noch lebenden in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen sich zu Wort meldete.

Oder auch mutige und aufgeschlossene Nachfahren. Wie jetzt in der Stadt Eßlingen am Neckar.

Friedrich Enchelmayer landete wegen „widernatürlicher Unzucht mit Männern“ im KZ – Großnichte sucht Detail” titelt die “Eßlinger Zeitung”. Und berichtet von eben diesem Friedrich Enchelmayer, einem der zahlreichen bisher namen- und geschichtlosen homosexuellen Opfer der NS-Homosexuellenverfolgung.

Der 1908 geborene Enchelmayer erlebte, erlitt früh die verschiedene Stufen der NS-Homosexuellen-Verfolgung. “Von 29. Mai 1934 bis 19. April 1935 verbüßte er eine Strafe wegen ‘widernatürlicher Unzucht mit Männern’, wie das Urteil im damaligen Chargon hieß. Danach begab er sich wegen seiner Homosexualität in ärztliche Behandlung und führte auch zwei Jahre eine Beziehung mit einer Frau, mit der er sich verlobte.

Seine Großnichte Suse berichtet über sein weiteres Schicksal: „Am 8. Dezember 1937 wurde mein Großonkel erneut wegen eines Vergehens gegen Paragraf 175 zu zwei Jahren und einem Monat Zuchthaus verurteilt. Er kam am 1. Juni 1940 ins KZ Dachau und wurde am 3. September 1940 als befristeter Vorbeugehäftling nach Sachsenhausen überstellt.

Kurze Zeit nach Dachau wurde er nach Neuengamme überstellt, wo er am 9. November 1940 im Alter von 32 Jahren starb – an ‘Herzversagen’, wie die KZ-Akten lakonisch und vermutlich verfälschend vermerken.

Seine Großnichte versucht nun, noch mehr Licht in das bisherige Dunkel um das Schicksal ihres Großonkels zu bringen – und in das weiterer homosexueller NS-Opfer aus der Region Stuttgart. Sie engagiert sich im ‘Arbeitskreis Rosa Winkel‘, der “es sich zur Aufgabe gemacht [hat], diese Verbrechen des Faschismus in geeigneten Formen sichtbar zu machen”.

“Friedrich Enchelmayer landete wegen ‘widernatürlicher Unzucht mit Männern’ im KZ – Großnichte sucht Detail”
Eßlinger Zeitung online vom 08.01.2009

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Nachdenkliches

Lars ist tot

Vor gut zwanzig Jahren schneite er in unser Leben. Lars wurde Auszubildender in der Firma, in der mein Mann damals arbeitete. Wobei, “hereinschneien” trifft es nicht ganz – Lars hatte eine direkte Form von Anwesenheit, eine Präsenz, die Schnee wohl nur selten erreicht.

Lars wollte Dekorateur werden. Obwohl, er war es doch eigentlich längst.
Wenn Lars etwas anstreichen sollte, eine Nische, eine Laden-Rückwand oder ähnliches – dann war zwar die Wand hinterher wohl ansatzweise auch weiß (oder schwarz oder gelb …), vor allem aber waren es Lars’ Haare. Und man konnte sicher sein, als Reaktion darauf kam Lars am nächsten Tag mit knallrot gefärbten Haaren zur Arbeit.

Wir freundeten uns an, verbrachten zu viert so einige lustige, bizarre, gruftige, erstaunlich Abende und Nächte mit einander.
Kamen uns irgendwann (sehr zum Erstaunen meines Mannes) auch sehr nahe. Und verloren uns später wieder aus den Augen.

Jahre später begegneten wir uns wieder, zunächst elektronisch, kurz darauf persönlich. Nach einem Schlaganfall kurze Zeit zuvor war Lars ruhiger geworden, wenn auch nicht weniger präsent als früher. Wir sahen uns gelegentlich, chatteten ab und an in blauen Universen, angesichts seiner Arbeitszeiten vorzugsweise in den frühesten Morgenstunden.

Kurz vor Weihnachten feierten wir in Köln seinen 40. Geburtstag mit einander – eine Geburtstagsparty ‘typisch Lars’. Gingen auseinander mit dem festen Vorsatz, uns Anfang des neuen Jahres zu viert wieder zu treffen, ‘mal mehr in Ruhe’.

Dazu kommt es nun nicht mehr. Gestern abend, zurück aus weihnachtlichen Gefilden, erreichte uns per Email die Nachricht, dass Lars am Tag vor Heiligabend frühmorgens auf der Arbeit gestorben ist.

Mach es gut, Lars, wo immer du nun sein magst. Du fehlst.

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Kulturelles Paris

Susan Sontag (1933 – 2004)

Susan Sontag wurde am 16. Januar 1933 als Susan Rosenblatt in New York geboren. Bekannt wurde sie als Essayistin, Schriftstellerin und Publizistin. Susan Sontag starb am 28. Dezember 2004 in New York.

Nachdenkliche, kritische Gedanken zu äußern, auch wenn sie unbequem waren, unerwünscht – dieser Mut, diese aufrechte Haltung zeichneten Susan Sontag aus, die ‘grande dame’ der us-amerikanischen Publizistik. Welche Zuschreibungen mit Krankheit verbunden sind, persönlicher wie auch psychologischer oder letztlich politischer Natur, damit hat sich Susan Sontag immer wieder beschäftigt – und sich gegen sie gewehrt.

Die am 16. Januar 1933 in New York geborene Susan Sontag wurde für ihre schriftstellerischen, publizistischen und gesellschaftskritischen Arbeiten vielfach mit Preisen ausgezeichnet (u.a. Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2003).

Theaterplatz Susan Sontag
Theaterplatz Susa Sontag, Hamburg, Kampnagel

Aids und seine Metaphern” (1989; m.W. erste Rezension: NYT Books 16.1.1989) war bei seinem Erscheinen ein ‘Muss’ der kulturellen Auseinandersetzung mit Aids, und ist auch heute noch unbedingt lesenswert, ebenso wie sein ‘Vorgänger’ “Krankheit als Metapher” (1978). Beide basieren auch auf ihren eigenen Erfahrungen als Krebs-Patientin. Beide thematisieren Krankheit als ‘Werkzeug’ der Stigmatisierung. Beide sind, wie ein Kritiker bemerkte, “an exemplary demonstration of the power of the intellect in the face of the lethal metaphors of fear” (Michael Ignatieff, The New Republic).

Was einen umbrachte, waren nach meiner Überzeugung die Ammenmärchen und Metaphern rund um den Krebs. Die Menschen sollten Krebs einfach als Krankheit begreifen lernen – eine ernste Krankheit, aber eben eine Krankheit, weder Fluch noch Strafe, noch Peinlichkeit … Und nicht zwangsläufig eine Krankheit zum Tode.

Susan Sontag, “Aids und seine Metaphern”, 1988

Sontag kritisiert ein bestimmtes Konzept von Krankheit, das sie als ‘plague’ (in der deutschen Ausgabe als ‘Plage’ übersetzt, möglich wäre auch ‘Seuche’ oder ‘Pest’) bezeichnet. Krankheiten, die entstellten oder sexuell übertragbar seien, würden vorzugsweise so bezeichnet – und seien oft mit Bestrafungs-Phantasien konnotiert.

Diese Übung hat Tradition bei sexuell übertragenen Leiden: Sie werden als Bestrafung nicht eines einzelnen, sondern einer ganzen Gruppe
verstanden.

S. Sontag, “Aids und seine Metaphern”, 1988

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Sontag, zunächst verheiratet mit einem Soziologen, bezeichnete sich selbst ab ihrem 25. Lebensjahr als bisexuell. Sie lebte viele Jahren in Beziehung mit der Photografin Annie Leibovitz.

Sie starb am 28. Dezember 2004 im Alter von 71 Jahren in New York an Leukämie. Sontag wurde beigesetzt auf dem Friedhof Montparnasse in Paris.

Literature was the passport to a larger life, that is, the zone of freedom.

Susan Sontag

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Susan Sontag über “die Exklusivität der Liebe”

Die Ehe ist eine Art stillschweigendes Jagen in Paaren. Die ganze Welt in Paare gefasst, jedes Paar in seinem eigenen kleinen Haus, wo es seine eigenen kleinen Interessen wahrt + in seiner eigenen kleinen Zweisamkeit schmort – etwas Abstoßenderes gibt es nicht. Die Exklusivität der Liebe in der Ehe gehört abgeschafft.

Susan Sonntag, 15. Februar 1958 (in: „Wiedergeboren – Tagebücher 1947 – 1963“

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Susan Sontag über Altern

Die Angst vor dem Altwerden gründet auf der Erkenntnis, dass man das Leben, das man sich wünscht, nicht jetzt lebt. Das ist fast, als würde man die Gegenwart missbrauchen.

Susan Sontag am 9. Dezember 1961 in ihrem Tagebuch

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Kulturelles ondamaris Texte zu HIV & Aids

Yves Saint Laurent (1936 – 2008)

Der Modeschöpfer Yves Saint Laurent, geboren am 1. August 1936 in Oran (Algerien), starb am 1. Juni 2008 in Paris. Sein Lebenspartner Pierre Bergé heiratete 9 Jahre nach Saint Laurents Tod 2017 den amerikanischen Landschafts-Architekten Madison Cox.

“Mein Leben ist leer seit dem Tod von Yves. Als er mich verließ, habe ich alles verloren, was wichtig war.”

Yves Saint Laurent Gedenksäule im Jardin Majorelle in Marakesch (Foto: Arnaud25, Lizenz cc-by-sa 3.0)
Yves Saint Laurent Gedenksäule im Jardin Majorelle in Marakesch 2013 (Foto: Arnaud25, Lizenz cc-by-sa 3.0)

Mémorial Yves Saint Laurent du Jardin Majorelle de Marrakech au MarocArnaud 25CC BY-SA 3.0

Yves Saint Laurent starb am 1. Juni 2008 an den Folgen eines Glioblastoms.

“Man ist homosexuell, so wie man Linkshänder ist, basta.
Ich glaubte immer an die Menschenrechte, an den Code Napoléon, wo Sexualität nicht gemaßregelt wird, wie das in Deutschland noch lange der Fall war. …
Nie haben wir unsere Liebe verleugnet. Viele junge Franzosen, vor allem aus der Provinz, schicken mir täglich Briefe, um mir dafür zu danken.”

Beide Zitate: Pierre Bergé, langjähriger Lebensgefährte von Yves Saint Laurent, in einem lesenswerten Gespräch mit der FAZ “Mein Leben ist leer seit dem Tod von Yves.

Bergé und Saint Laurent haben zahlreiche Projekte und Initiativen für Schwule und Lesben sowie Aids-Projekte unterstützt. Bergé ist Mitgründer und derzeit Präsident der Aids-Organisation ‘sidaction’. Die französische Schwulen-Zeitschrift “Tetu” wurde von Berger mit initiiert und bis 2013 finanziell unterstützt.

2017: Pierre Bergé heiratet

Am 31. März 2017 heiratete Pierre Bergé im Alter von 86 Jahren erneut, den amerikanischen Landschafts-Architekten Madison Cox (58 Jahre). Bergé, der immer für die Homoehe eintrat, betonte nochmals die Leistung von Staatspräsident Hollande, die Homoehe eingeführt zu haben. Zu seiner Heirat sagte er

„Ich hatte zwei große Lieben in meinem Leben, mit Bernard Buffet zehn Jahre, und dann mit Yves Saint-Laurent 50 Jahre. Die Homoehe gab es damals noch nicht. Heute gibt es sie, und ich schließe sie mit Madison Cox.“

Er kenne Madison Cox seit 40 Jahren. Cox sei Vize-Präsident der Fondation Pierre Bergé, er habe ihn als seinen Nachfolger bestimmt. Cox leitet zudem die Saint Laurent Museen in Paris und Marrakesch.

Am 8. September 2017 starb Pierre Bergé in Paris im Alter von 86 Jahren.

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Musée Yves Saint Laurent

2017 wurde ein langjähriges Projekt von Pierre Bergé Realität: gleich zwei Yves Saint Laurent Museen wurden eröffnet, eines in Paris am 3. Oktober 2017, eines in einem Neubau in Marrakesch am 19. Oktober 2017.

Das Musée Yves Saint Laurent in Paris befindet sich in einem großzügigen Bürgerhaus im 19. Arrondissement – an genau dem Ort, an dem bis zur Schließung im Jahr 2002 das Modehaus Yves Saint Laurent befand. Anschließend hatte hier die Stiftung Pierre-Bergé-Yves-Saint Laurent ihren Sitz.

Das Pariser MuséeYves Saint Laurent ist ausschließlich der Haute Couture gewidmet. Es zeigt auf 450 m² Fläche Objekte der Sammlung, die insgesamt 35.000 Objekte umfasst, darunter über 7.000 Mode-Kreationen.

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Text am 22.01.2016 von ondamaris auf 2mecs, zuletzt aktualisiert 15. Januar 2018

siehe auch „Yves Saint Laurent und Pierre Bergé – eine leidenschaftliche Liebe

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Jesse Helms (1921 – 2008)

Jesse Helms war ein US-Politiker (Republikaner) und langjähriges Mitglied des US Senats. Er galt als ausgesprochen homosexuellenfeindlich und betrieb eine Aids-Politik der Ausgrenzung.

Jesse Alexander Helms wurde am 18. Oktober 1921 in Monroe, North Carolina (USA) geboren. Vom 3. Januar 1973 bis 3. Januar 2003 war Helms Senator für den Bundesstaat North Carolina.

Helms war einer der aggressivsten Kämpfer gegen Rechte von Schwulen und Lesben in den USA. Er betrieb eine offen antihomosexuelle Politik, ebenso trat er gegen Gleichberechtigung von Afroamerikanern ein. Vielen nicht nur in den USA galt er als Inkarnation des Begriffs ‘Homophobie’. Und wenig überraschend war Helms auch ein Vertreter einer ganz und gar nicht liberalen Aids-Politik.

„Nothing positive happened to Sodom and Gomorrah and nothing positive is likely to happen to America if our people succumb to the drumbeats of support for the homosexual lifestyle.“
(Nichts Positives ist in Sodom und Gomorrha geschehen, und Amerika wird wahrscheinlich nichts Positives geschehen wenn unser Volk den Trommeln für die Unterstützung eines homosexuellen Lebensstils erliegt. [Übers. UW])

Jesse Helms, zitiert in New York Times 5. Juli 2008
Jesse Helms (Foto: United States Senate)
Jesse Helms (Foto: United States Senate)- Public Domain

Jesse Helms starb am 4. Juli 2008 im Alter von 86 Jahren in Raleigh (North Carolina).

Jesse Helms und das US-Einreiseverbot für Positive

Jesse Helms sprach sich u.a. lange gegen eine staatliche Förderung der Aids-Forschung aus. Und eine der bekanntesten “Erfolge” von Helms war das Einreiseverbot für Menschen mit HIV und Aids in die USA.

Das sogenante “Helms Amendment” (benannt nach seinem Initiator, Amendment vom 31. Mai 1987) wurde im Juli 1987 eingeführt. Durch das Helms-Amendment wurde HIV in die Ausschluß-Liste der Einreiseregelungen des US Public Health Service aufgenommen. 1993 wurde diese Regelung vom US-Kongress sogar in Gesetzesrang erhoben.

Das durch Helms begründete HIV-Einreiseverbot bestand trotz zahlreicher nationaler und internationaler Proteste bis 2010. Es endete nach 22 Jahren erst am 4. Januar 2010 unter US-Präsident Obama.

ACT UP protestiert gegen Jesse Helms

Aufgrund seiner aggressiv gegen die Interessen von Menschen mit HIV und Aids gerichteten Politik wurde Helms auch zur Zielscheibe von Aktionen von ACT UP.

Viele Schwule, auch viele Positive, waren viel und gerne in die USA gereist. So sie HIV-positiv waren, durften sie dies nicht mehr. Der Politiker, der für dieses Verbot gesorgt hatte, wurde intensiv von einem Zigaretten-Hersteller finanziell unterstützt. Der ‚Marlboro Boykott‘ (ab 1990) fand dementsprechnd große Unterstützung und wurde zu einer der großen internatonalen Aktionen von ACT UP

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Auch politische Widersacher als Menschen zu respektieren halte ich für mich persönlich für eine Grundlage politischer Arbeit. Jesse Helms allerdings hat so viel Hass gesät, so unendlich viel Schaden angerichtet, agitiert und gekämpft gegen Lesben und Schwule, gegen Menschen mit HIV und Aids – es wäre wirklich geheuchelt, würde ich jetzt Trauer zeigen angesichts seines Todes.

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

27. Mai 2008: Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wurde von Kulturstaatsminister Neumann und dem regierenden Bürgermeister von Berlin Wowereit am 27. Mai 2008 um 13:00 Uhr eingeweiht.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Einweihung am 27. Mai 2008
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Einweihung am 27. Mai 2008

27. Mai 2008 – Einweihung Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

12. Dezember 2003. Der Deutsche Bundestag fasst den Beschluss, ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zu errichten.

27. Mai 2008. Das ‚Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen‘ wird im Berliner Tiergarten durch Kulturstaatsminister Bernd Neumann der Öffentlichkeit übergeben.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Einweihung am 27. Mai 2008
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Einweihung am 27. Mai 2008

3,50 Meter hoch, 1,90 Meter breit und 5 Meter lang – seit dem 27. Mai 2008 wird mit einer Stele mit eingelassenem Video der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen gedacht.

Bis es zur Realisierung des Denkmals kam, hat es auch nach dem Bundestagsbeschluss noch viele Diskussionen um das Denkmal gegeben („Küssende! – aber welche?“), es wurde gestritten „was wird realisiert?„, die Konzeption weiter entwickelt (alle 2 Jahre ein neuer Film), dann wurde endlich gebaut, und seit Jahresanfang steht das Denkmal fertiggestellt aber verbrettert und wartet auf seine feierliche Übergabe an die Öffentlichkeit.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen - initiales Video: Kuss
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen – initiales Video: Kuss

Anlässlich der Enthüllung am 27.5.2008 -die mit über 1.500 Teilnehmern und zahlreichen Medienvertretern auf sehr großes Interesse stieß- betonte der LSVD: „Viele Jahrzehnte waren die homosexuellen NS-Opfer in Deutschland aus der offiziellen Gedenkkultur ausgeschlossen. Sie wurden von Entschädigungszahlungen ausgegrenzt. § 175 StGB, der sexuelle Begegnungen unter Männern unter Strafe stellte, blieb in der Bundesrepublik in seiner Nazi-Fassung aus dem Jahr 1935 bis 1969 unverändert in Kraft. In vielen Ländern dieser Welt sind Schwule und Lesben heute noch schwerer Verfolgung ausgesetzt. Aus seiner Geschichte heraus hat Deutschland eine besondere Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen gegenüber Lesben und Schwulen entschieden entgegenzutreten.“

Die Übergabe stieß auf großes Interesse – bereits vorab hatten sich 450 geladene Gäste angemeldet.

Ingar Dragset bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Ingar Dragset bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Klaus Wowereit und Rosa von Praunheim bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Klaus Wowereit und Rosa von Praunheim bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Bernd Neumann bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Bernd Neumann bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

An der feierlichen Übergabe an die Öffentlichkeit (siehe ‚Worte und Küsse‚) nahmen teil Bernd Neumann, (Kulturstaatsminister), Klaus Wowereit (Regierender Bürgermeister von Berlin), Günter Dworek (LSVD), Albert Eckert (Initiative ‚Der homosexuellen NS-Opfer gedenken‘) und Linda Freimane (ILGA Europe). Die beiden Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset waren bei der Übergabe anwesend.

Auf der Erläuterungs-Tafel am Denkmal heißt es: „Im nationalsozialistischen Deutschland fand eine Homosexuellen-Verfolgung ohne gleichen in der Geschichte statt. 1935 ordneten die Nationalsozialisten die umfassende Kriminalisierung männlicher Homosexualität an. Dazu wurden die im § 175 des Strafgesetzbuches vorgesehenen Bestimmungen gegen homosexuelles Verhalten erheblich verschärft und ausgeweitet. Bereits ein Kuss unter Männern konnte nun zu Verfolgung führen. § 175 bedeutete Gefängnis oder Zuchthaus. Es gab über 50.000 Verurteilungen. Teilweise konnten die NS-Behörden die Kastration Verurteilter erzwingen. Mehrere tausend Schwule wurden wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt. Ein großer Teil von ihnen überlebte die Lager nicht. Sie starben aufgrund von Hunger, Krankheiten und Misshandlungen oder wurden Opfer gezielter Mordaktionen.

Erläuterungstafel am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Erläuterungstafel am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Die Nationalsozialisten haben die Lebenswelten von Schwulen und Lesben zerschlagen. Weibliche Homosexualität wurde – außer im annektierten Österreich – nicht strafrechtlich verfolgt. Sie galt den Nationalsozialisten als weniger bedrohlich. Gerieten lesbische Frauen dennoch in Konflikt mit dem Regime, waren auch sie Repressionen ausgesetzt. Schwule und Lesben lebten in der NS-Zeit eingeschüchtert und unter stetem Zwang zur Tarnung.
Lange Zeit blieben die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus aus der Gedenkkultur ausgeschlossen – in der Bundesrepublik wie in der DDR. Hier wie dort wurden Schwule lange Zeit weiter strafrechtlich verfolgt. In der Bundesrepublik Deutschland galt der § 175 unverändert bis 1969 fort.
Aus seiner Geschichte heraus hat Deutschland eine besondere Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schwulen und Lesben entschieden entgegenzutreten. In vielen Teilen dieser Welt werden Menschen wegen ihrer sexuellen Identität heute noch verfolgt, ist homosexuelle Liebe strafbar und kann ein Kuss Gefahr bedeuten.

Mit diesem Denkmal will die Bundesrepublik Deutschland
– die verfolgten und ermordeten Opfer ehren,
– die Erinnerung an das Unrecht wach halten und
– ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.“ (Quelle: stiftung-denkmal.de)

Ein breites Presseecho fand das Denkmal schon vorab, von „Ecce homo“ über (nicht ganz zutreffend) „Endlos küssende Männer“ und „Ein dynamisches Denkmal“ bis „gleichgestellt“ und „Memorial to gay holocaust victims“. Besonders lesenswert: Elmgreen und Dragset im Interview über den Streit um das Denkmal [Text leider nicht mehr online].

Vereinzelt wurde auch Kritik am Denkmal geäußert.
Dass mit Bernd Neumann ausgerechnet ein Vertreter derjenigen Partei das Denkmal einweiht, die auch für das Fortbestehen der NS-Fassung der Paragraphen 175 und 175a bis 1969 verantwortlich war, hat für manchen nachdenklichen Besucher einen bitteren Beigeschmack – der jedoch nur leise, am Rande geäußert wurde.
Deutlicher wird das das whk in seiner Kritik. Es spricht von einer „Verhöhnung der Opfer des nationalsozialistischen Terrors“, verweist auf einen von Manfred Herzer postulierten Rosa-Winkel-Mythos (dass die große Mehrheit der Homosexuellen „genau wie die anderen deutschen Männer und Frauen zu den willigsten Untertanen und Nutznießern des Nazistaates gehörte“ ) und meint nun werde man „am Rande des südöstlichen Großen Tiergartens auch so prominenten Opfern die Ehre erweisen wie dem bis 1945 an exponierter Stelle tätigen Theaterintendanten Hanns Niedecken-Gebhard, der 1936 die Festspiele zur Olympiade und 1937 Berlins 700-Jahrfeier inszenierte. Oder dem Weltrekordläufer Otto Peltzer. Bevor er 1938 wegen §175 nach Plötzensee und später Mauthausen kam, hatte er die Reichswacht redigiert, um ‚die Jugend auf die Bedeutung der Rassenhygiene hinzuweisen‘, in seiner Dissertation für ‚die zwangsmäßige Unfruchtbarmachung geistig Minderwertiger und somit Entarteter‘ sowie deren ‚Absonderung in Arbeitskolonien‘ plädiert und als NSDAP- und SS-Mitglied Reden für das SS-Siedlungsamt gehalten.“

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Am 3. Juni 2018, zum 10. Jahrestag der Einweihung des Denkmals, hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine viel beachtete Rede: Gedenken an die verfolgten Homosexuellen in der NS-Zeit

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Das Denkmal befindet sich an der Ebert-Straße Ecke Hannah-Arendt-Straße.
Weitere Informationen auch auf www.gedenkort.de

siehe auch: Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Fotos Einweihung 2008

siehe auch Übersicht über die Denkmale für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Neusustrum – vergessenes Lager der Homosexuellen
Værnets Experimente in Buchenwald
KZ Buchenwald Gedenkstein Homosexuelle NS-Opfer

PS. Die Verfolgung der Homosexuellen endete nicht mit 1945, und auch nicht 1969. Ein Beispiel (unter vielen denkbaren) in dem sehr lesenswerte Beitrag „Aversionstherapie 1973“ (leider inzwischen nicht mehr online).

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Gedenken an verfolgte Homosexuelle: Homo-Mahnmal Tel Aviv

Israel hat seit 2013 sein erstes Mahnmal für die im Holocaust vernichteten Homosexuellen – das Homo-Mahnmal Tel  Aviv. 2008 vom Bürgermeister von Tel Aviv angekündigt, wurde es 2013 eingeweiht.

Seit 2013 gibt es das Homomonument in Tel Aviv – das Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle.

Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle / Homomonument in Tel Aviv / Israel (Foto: Christian Till, Lizenz cc-by-sa 4.0)
Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle in Tel Aviv / Israel (Foto: Christian Till, Lizenz cc-by-sa 4.0)

Das Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle wurde am 10. Januar 2014 in Tel Aviv, Israel eingeweiht.Christian TillCC-BY-SA 4.0

Am 2. Mai ist in Israel Holocaust Remembrance Day (Yom Hashoah). Ein Feiertag, ein besonderer Tag jedes Jahr, sich bewusst zu machen, dass der Holocaust mehr ist als ‘nur’ Teil der Geschichte. Sich zu erinnern an diejenigen die litten, diejenigen die kämpften, diejenigen die starben. An sechs Millionen ermordete Juden.

Der Holocaust – in den KZs der Nazis, an den Folgen der Terrorherrschaft litten und starben über sechs Millionen Juden, sowie auch Angehörige zahlreicher anderer Gruppen, z.B. Kommunisten und Sozialdemokraten, Roma und Sinti, aus religiösen Gründen Verfolgte. Und tausende homosexueller Männer und Frauen, die schwulen Männer meist gekennzeichnet mit dem ‘Rosa Winkel’.

Dieser homosexuelle Holocaust-Opfer wird nun auch in Israel mit einem eigenen Monument gedacht werden, dem Homo-Mahnmal Tel Aviv . Der auch 2018 wiedergewählte Langzeit- Bürgermeister von Tel Aviv, Ron Huldai, kündigte am 1. Mai 2008 an, ein Mahnmal zur Erinnerung an die homosexuellen Männer und Frauen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt und im Holocaust vernichtet wurden, solle in Meir Garden in Tel Aviv errichtet werden.

Zum Gedenken an homosexuellen NS-Opfer existieren bisher weltweit nur wenige Mahnmale, z.B. in Amsterdam (Homomonument, 1987), Frankfurt am Main (Engel von Rosemarie von Trockel, 1994), Köln, Kopenhagen, San Francisco (Rosa Winkel Park, 2000/1), Sydney ( Gay and Lesbian Holocaust Memorial, 2001), Uruguay / Montevideo (‘Park of Sexual Diversity’, Rosa Winkel Monolith, 2005), in Berlin das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen sowie bereits seit 1989 die Gedenktafel Rosa Winkel am U-Bahnhof Nollendorfplatz, sowie Lübeck. In Frankreich erinnert inzwischen die ‚rue Pierre Seel’ in Toulouse an den wegen Homosexualität Verfolgten.

Am 10. Dezember 2013 weihte Bürgermeister Ron Huldai das von der Stadt Tel Aviv beauftragte und finanzierte Denkmal für homosexuelle NS-Opfer ein. Das in Form von Rosa Winkeln gestaltete Homo-Mahnmal Tel Aviv (Entwurf: Professorin Yael Moriah) befindet sich vor dem städtischen Sozialzentrum im Meir-Park.

Das Denkmal trägt (in hebräischer, englischer und deutscher Sprache, auf jedem der Winkel) die Inschrift

„Im Gedenken an jene, die vom Nazi-Regime aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Gender-Identität verfolgt wurden.“

Erinnert wird im Text u.a. an Magnus Hirschfeld, Gad Beck und Walther Gutman.

Ende Oktober 2018 wurde das Homo-Mahnmal Tel Aviv homophob beschmiert – Unbekannte hatten den Schriftzug ‚Death to LGBT‘ aufgesprüht. Die Polizei ermittelt.

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siehe auch Übersicht über die Denkmale für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

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