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Erinnerungen Oldenburg

Oldenburg möchte 2012 ‚Heimat für Homosexuelle‘ sein

Als Mittel- und Bezugspunkt einer großen ländlichen Region hat Oldenburg den Anspruch und die Aufgabe, eine Heimat für Homosexuelle zu sein„,

sagt – der Oberbürgermeister von Oldenburg.

Nun, „Heimat für Homosexuelle„, die Formulierung klingt für mich befremdlich. Möchte ich das?

Allein, hinter der mir befremdlich klingenden Formulierung steckt für die Provinz immer noch Bemerkenswertes.

Prof.Dr. Gerd Schwandner, der Oberbürgermeister Oldenburgs, begründet:

Zu einer aufgeklärten Gesellschaft gehört ein Toleranzbegriff, der Vielfalt als Normalität begreift. Und wir können nicht genug dafür tun, diesen Gedanken weiterzutragen und mit Leben zu füllen.

Und ergänzt

Der hohe Anteil von Lesben und Schwulen an unserer Bevölkerung verdeutlicht das; wir verstehen ihn als Kompliment. Und zwar als eins, das immer wieder neu verdient sein will.

Ob in Oldenburg Homosexuelle nun besser leben?

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Eine Aussage, die man sich von so manchen Bürgermeister auch größerer Städte wünschen würde.

Schon in Deutschland, umso mehr in einigen Nachbar-Staaten (erinnert sie nur daran, dass andere gerade glauben den CSD für 100 Jahre verbieten zu können).

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Alles außer gewöhnlich.“
Ein schönes Motto für einen CSD – wo sich viele doch gerade danach recken, so gewöhnlich und angepasst wie möglich sein zu ‚dürfen‘.

Wir müssen nicht der Norm entsprechen, um ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein„,

sagt 2012 das Programmheft für den CSD Nordwest. Sein Motto: „Alles außer gewöhnlich!“

Mögen einige über diesen Satz nachdenken . . . und das Potential, das in ihm steckt …

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Ich erinnere mich.
1980 / 81 begann mein schwules Leben – in Oldenburg, in eben jenen Oldenburg.
Gerade frisch zuhause ausgezogen, entdeckte ich hier erstmals, was so alles möglich war.
Dass manch untergründig schlummernde Sehnsucht durchaus erfüllbar war.
Hatte einen ersten Lover. Raphael.
Ein guter, liebevoller Start in’s schwule Leben, an den ich mich noch heute gern erinnere.

Und Erinnerung an eine Zeit, in der (in meinen Freundes- und Bekanntenkreisen) Maxime nicht war „wir wollen sein wie die“ [Heteros], sondern primäre Idee war, die Chancen und Möglichkeiten des Anderssseins kreativ für den eigenen Lebensweg zu nutzen. Wir wollten nicht der Norm entsprechen …

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NWZ online 13.06.2012: Oldenburg möchte Homosexuellen gute Heimat sein
CSD Nordwest, dort Link zum Programmheft (als pdf) mit dem Grußwort des Oberbürgermeisters

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Donna Summer homophob ? Brief an ACT UP: ich war nie gegen Schwule

War Donna Summer homophob ? Die 2012 verstorbene und 2018 in einem Musical portraitierte Disco-Ikone bestritt 1989 in einem erst 2012 komplett bekannt gewordenen Brief an die Aids-Aktionsgruppe ACT UP, dass sie Aids als Strafe Gottes bezeichnet habe.

Hat sie – oder hat sie nicht? Hat Donna Summer, einst Star der Schwulen-Szenen, 1983 Aids als Strafe Gottes für die Schwulen bezeichnet? Nein, sagte Donna Summer einige Jahre später in einem Brief an ACT UP, der 2012 erstmals vollständig bekannt wurde.

Donna Summer soll damals Presseberichten zufolge u.a. geäußert haben, die Schöpfung beginne mit Adam und Eva, nicht Adam und Steve:

“It was Adam and Eve, not Adam and Steve.”

Sie werde für die Schwulen beten. Aids sei eine Strafe Gottes.

“I’ve seen the evil homosexuality come out of you people… AIDS is your sin … Now don’t get me wrong; God loves you. But not the way you are now.”

Donna Summer 1977 (Publicity photo of singer Donna Summer in the recording studio in 1977. gemeinfrei)
Donna Summer 1977 (Publicity photo of singer Donna Summer in the recording studio in 1977. gemeinfrei)

Publicity photo of singer Donna Summer in the recording studio in 1977.Public Domain

Donna Summer homophob ? – ACT UP Proteste und Summers Brief

ACT UP hatte damals Aktionen gegen Summer gestartet und war mit Protesten auf bzw. vor Donna Summer Konzerten präsent. Auch bei einem Auftritt Summers beim Boston Gay Pride 1989 kam es zu Protesten.

Auf die ihr zugeschriebenen Äußerungen und die Proteste ACT UPs bezieht sich Summer in dem Brief, den Peter Staley 2012 auf seinem Blog erstmals vollständig bekannt macht. Staley war ACT UP Aktivist und ist Gründer der Treatment Action Group TAG. In ihrem Brief vom 26. Juli 1989 bezeichnet Donna Summer die Kritik an ihr und Proteste gegen sie als “unjust and unfair

“I did not say God is punishing gays with aids, I did not sit with ill intentions in judgement over your lives. I haven’t stopped talking to my friends who are gay, nor have I ever chosen my friends by their sexual preferences.”

Sie habe sich nie von den Schwulen abgewandt – im Gegenteil, diese hätten ihr den Rücken gekehrt:

“I never denied you or turned away, but in fact you turned away from me.”

War Donna Summer homophob ? Peter Staley selbst meint sich zu erinnern, dass ACT UP damals etwaige Proteste gegen Donna Summer nicht wegen dieses “strange letter” beendet habe – sondern weil die Arbeit von ACT UP andere Prioritäten gehabt habe.

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Donna Summer, geboren am 31. Dezember 1948 in Boston, Massachusetts als LaDonna Adrian Gaines, starb am 17. Mai 2012 in Naples, Florida an Lungenkrebs. Anders als bei Disco-Star Sylvester, dessen Musik posthum Aids-Organisationen unterstützt, ist von Donna Summer ähnliches nicht bekannt.

2018: Donna Summer Musical

2018 hatte in New York am Broadway ein Musical über Donna Summer Premiere. Aus der Perspektive ihres letzten Konzerts wird Summers Leben in zwanzig Liedern erzählt. Choreographie hat Sergio Trujillo, Donna wird gespielt von Ariana DeBose, LaChanze und Storm Lever. Regie führt Des Mc Anuff.

Am 28. März 2018 starteten die Previews für das Musical „Summer: The Donna Summer Musical “ unter der Regie von Des McAnuff. Premiere war am 23. April 2018 am Lunt-Fontanne-Theatre auf dem Broadway. Weltpremiere einer vorläufigen Entwicklungs-Version war bereits Ende 2017 am La Jolla Playhouse. Im Juli 2018 wurden die Musical-Tracks digital veröffentlicht.

Nach der Premiere zeigte sich die New York Times enttäuscht, ein ‚Reinfall‘, „Hot stuff turns cold“. In jedem sorgfältigen Nachruf könne man mehr über die Disco-Sängerin erfahren. Und Variety kommentierte das ‚anämische‚ Musical trocken „a narrow-minded jukebox musical that views its heroine in a vacuum„.

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weitere Informationen:
Peter Staley 12.06.2012: Donna Summer’s Letter to ACT UP
Donna-Tribute: The Advocate (mid 80s): Summer and Smoke, by Adam Block
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Hamburg Italien

etruskischer Analverkehr

Analverkehr im Museum?
Sag mal, siehst du auch, was ich sehe?
Grinsend steht Frank vor einem Tuffstein-Relief im Hamburger ‚Museum für Kunst und Gewerbe‘.
Nun, die Darstellung bietet nicht so arg viele Möglichkeiten der Interpretation,
auch wenn bemerkenswerterweise gerade hier der museale Erläuterungstext fehlt …

Etruskischer Analverkehr ?
Etruskischer Analverkehr ?

Etruskischer Analverkehr ?
Etruskischer Analverkehr ?

(wir haben leider versäumt, im Bestands-Katalog des Museums nähere Angaben nachzuschlagen …)

男同

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Kulturelles

Die Schniedelschnepfe

Die Schniedelschnepfe (Scolopax vermiculis) ist ein erst jüngst in das Licht der Öffentlichkeit getretener Vertreter aus der Gattung der ordinären Schnepfenvögel. Etwa haustaubengroß, gedrungener Körper, zweckmäßige Organe – die Schniedelschnepfe scheint ihrer Umgebung gut angepasst. Dennoch lebte sie lange im Verborgenen, erst eine TV-Sendung machte ihre Existenz jüngst einem größeren Publikum bekannt.

Die Schniedelschnepfe liebt Feuchtgebiete, ist hingegen nur selten im Freiland anzutreffen. Die Schniedelschnepfe ist ihrem Lebensraum hervorragend angepasst. Sie weist einen langen Schnabel auf, kurze Beine und unauffälliges Gefieder.

Die Schniedelschnepfe ist ein Zivilisations-Folger; sie siedelt sich gerne in Gebieten an, die gut vom Menschen erschlossen sind. In der Folge ist sie besonders in dicht besiedelten Arealen Europas und Amerikas anzutreffen, jedoch auf allen Kontinenten nicht fremd.

Neben der häufig vorzufindenden ‚gemeinen Schniedelschnepfe‘  Scolopax vermiculis vulgaris ist auch die Unterart Scolopax vermiculis viridiphiloae beschrieben worden, sie scheint gehäuft im Umfeld von männlichen Homosexuellen aufzutreten. Ihr Verhalten Fremden gegenüber erscheint oft ein wenig ungewohnt, so dass Experten der Materie sie gelegentlich als ‚zickig‘ beschrieben – ohne dass bisher eine Verwandtschaft mit der Zimtzicke belegt werden konnte.
Über die Größe des Bestandes dieser Unterart ist bisher ebenso wenig bekannt wie über ihre Paarungs-Gewohnheiten. Allerdings wurden mehrfach Sichtungen auch in elektronischen Regionen, besonders in blauen Gefilden (der so genannten ‚terra fervidus caeruleus‘, umgangssprachlich auch ‚gayromeo‘ genannt), berichtet, so dass ihr Bestand nicht gefährdet scheint.

Erstmals genannt wurde die Schniedelschnepfe erst jüngst, in einem bekannten TV-Ratespiel, Sonderausgabe für Prominente. Aus diesem Grund wurde bereits mehrfach die Vermutung geäußert, es könne neben den beiden als halbwegs sicher geltenden Erscheinungsformen Scolopax vermiculis vulgaris und Scolopax vermiculis viridiphiloae auch noch eine weitere Unterart geben, die Scolopax vermiculis jauchensis millionariae. Auf die Existenz dieser Unterart ist bisher allerdings erst ein einziger Hinweis bekannt, sie kann bisher nicht als gesichert nachgewiesen gelten.

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Die Schiedelschnepfe ist ein sehr scheues Wesen – entsprechend ist noch nur wenig über sie bekannt.
Photographien sind der Reaktion bisher nicht zur Verfügung gestellt worden, nicht einmal zeichnerische Abbildungen. Auch über ihre Ernährungs- und Lebensgewohnheiten bestehen noch viele Informations-Lücken.
Die Redaktion bittet entsprechend um sachdienliche Hinweise und Ergänzungen zu diesem possierlichen Tierchen, das sicher mehr als bisher unsere Aufmerksamkeit verdient hätte.

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Berlin

transgenialer CSD 2012 Berlin – glitzernd die Normalität verändern

Transgenialer CSD 2012 Berlin „Lasst es glitzern! Antifaschistisch – queerfeministisch – antirassistisch – solidarisch“ – unter diesem Motto findet am 23. Juni 2012 in Berlin der ‚Transgeniale CSD‘ statt.

Transgenialer CSD 2012 Berlin

Er ist „die kleine Schwester“ des ‚großen‘ Berliner CSDs, die beiden haben ein nicht eben geschichts- und spannungsarmes Verhältnis (das sich derzeit gelassen desinteressiert gibt, „wir haben uns bisher gar nicht damit beschäftigt“). Und er hat bereits eine jahrelange Geschichte: der erste ‚Transgeniale CSD‘ fand bereits 1998 statt.

Braucht Berlin zwei CSDs?
Warum braucht es überhaupt einen ‚Transgenialen CSD‘, wo es doch in Berlin schon den ’normalen‘ CSD gibt?

Diese Frage haben die Organisatoren des Transgenialen CSD klar beantwortet:

„Und wir haben ja auch einen ganz anderen Ansatz: Der große CSD will sich anpassen und in der Normalität ankommen dürfen – der Transgeniale CSD will den Normalzustand an sich verändern!“
(„Die Normalität verändern“, in: Siegessäule 06/2012, S. 34)

Der Transgeniale CSD sieht sich bewusst in der Tradition der Stonewall-Aufstände:

„Die Kämpfe um das Stonewall Inn in der Christopher Street in New York im Juni 1969 waren ein Aufstand gegen Repression und homophobe, rassisitische und transphobe Ausgrenzung und der Ursprung der CSD-Bewegung. Der Transgeniale CSD sieht sich in dieser Tradition. Anpassung, Kommerzialisierung, (Homo)nationalismus und Pathologisierung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen sind für uns nach wie vor ein Grund für Widerstand und den Versuch, solidarisch Gegenmacht zu entfalten angesichts institutioneller und alltäglicher Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt hier und weltweit.“

Transgenialer CSD 2012 - 'Lasst es glitzern ...' (Quelle: TCSD)
Transgenialer CSD 2012 – ‚Lasst es glitzern …‘ (Quelle: TCSD)

Transgenialer CSD 2012 – sehen wir uns?

Treffpunkt 13 Uhr, Elsenstr./Am Treptower Park (vorm Treptower Park Center)
18 Uhr: Abschlusskundgebung am Heinrichplatz: Bühne mit Redebeiträgen, Performances, Musik und Infoständen

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braucht Berlin zwei CSDs ? – wie der transgeniale CSD entstand

Die Entstehungsgeschichte des transgenialen CSD reicht zurück in das Jahr 1997. In der Grundsatzdebatte über den Berliner Haushalt 2017 hält der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende und populistischer Scharfmacher der Partei Klaus Landowsky eine Rede, die einen Eklat auslöst. Er polemisiert gegen die Grünen sowie die damalige PDS

„Wo Müll ist, sind Ratten, und wo Verwahrlosung herrscht, ist Gesindel.“
 

Die Rede geht als ‚Rattenrede‘ in die Geschichte ein.

Der Berliner CSD stößt zu dieser Zeit zunmehmend auch auf Kritik aus den Szenen. Entpolitisierung und zunehmende Kommerzialisierung sind die wichtigsten Vorwürfe. Hierauf reagierend und das Thema der ‚Rattenrede‘ aufgreifend, wollen sich Aktive mit einem ‚Rattenwagen‚ am CSD 1997 beteiligen. Doch die Organisationsleitung des CSD lehnt dies ab, verbannt den Wagen.

Als Reaktion findet im Folgejahr 1998 erstmals ein eigener CSD in Berlin Kreuzberg statt, der transgeniale CSD (tCSD). Er hat den Anspruch, politischer zu sein, auch soziale, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenhänge zu thematisieren.

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Nachdenkliches

Mein Unwort des Jahres 2012: “Menschenrechtist”

Unwort des Jahres 2012 – mein Kandidat: ‚Menschenrechtist‘.
Der Eurovision Song Contest 2012 ist vorbei. Langsam kehrt wieder Ruhe ein – oder? Wächst jetzt Gras über jede Peinlichkeit der letzten Tage, über jeden Lapsus,  das Gras des Vergessens, eilt die Aufmerksamkeit zum nächsten Hype weiter? Oder erinnern wir uns an sprachliche Entgleisungen der besonderen Art? Eine der in meinen Augen bemerkenswertesten sprachlichen Entgleisungen: Feddersens Wortschöpfung „Menschenrechtist“.

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Feddersen berichtet und kommentiert für taz und NDR aus Baku. In seiner taz-Kolumne „Bitches in Baku #6: Indezent und dabei gut aussehen“ prägt er den Begriff „Menschenrechtist“:

„Sogar das westliche Gerücht, dass in Aserbaidschan Schwule – von Lesben ist nie die Rede – drakonisch unterdrückt werden, darf als Gräuelpropaganda von, nennen wir sie: Menschenrechtisten genommen werden.“

Schwulen- und Lesbenverfolgung und -unterdrückung in Aserbaidschan – einzig ein „Gerücht“? „Gräuelpropaganda“? Zahlreiche Publikationen (nicht nur in schwulen Medien) haben bereits heraus gearbeitet, dass die Unterdrückung Homosexueller in Aserbaidschan weit mehr ist als „ein Gerücht“.
Mir geht es hier um eine andere Formulierung.
„Menschenrechtist“.
Ein Wort, das man sich auf der Zunge zergehen lassen kann.
Wonach schmeckt es?
Welchen Beigeschmack hat es?
Was will es bewirken?

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„Menschenrechtist“ – das erinnert (und soll es wohl auch) an Extremist, Fundamentalist …

„Menschenrechtist“ – ein solcher Mensch wäre wohl ‚Vertreter des Menschenrechtismus‘.
‚-ismus‘-Formulierungen werden auch „verwendet, um sich mental von etwas zu distanzieren“, weiß wikipedia. „Außerdem wird das Suffix verwendet, um jemanden zu charakterisieren oder zu klassifizieren.“

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Gibt es einen Grund, einen neuen Begriff zu prägen?
Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen, nennt man gemeinhin ‚Menschenrechts-Aktivisten‘.
Ein Grund einen neuen Begriff einzuführen für sie ist mir nicht ersichtlich.
Es sei denn, man wolle ihrer Arbeit eine negative Konnotation anhängen, sie diffamieren, verächtlich machen.

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„Menschenrechtisten“ – ist Feddersen einfach, wie der Titel seiner Kolumne suggeriert, bitchy?

Bitchy – das meint etwa: gemein, gehässig, zickig.
Ist es nur einfach bitchy, Menschenrechts-Aktivisten als „Menschenrechtisten“ zu diffamieren? Ist die Entgleisung des Herrn Feddersen damit zu erklären, gar zu entschuldigen?

Stefan Niggemeier betont (in der taz vom 24.5.2012, „ESC-Berichterstattung -Zwischen Heuchelei und Anteilnahme“)

„Jan Feddersen hat die Menschen, die darüber berichten, in vielfacher Weise verunglimpft. Er hat den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung eine „Spaßbremse“ genannt und Kritiker als „Menschenrechtisten“ verspottet.“

Konnte man eigentlich beruhigt nach Baku fahren, über den ESC berichten, trotz der Situation hinsichtlich der Menschenrechte im Land?

Ist doch alles nicht so schlimm. Die Menschenrechtisten übertreiben maßlos„, meint Herr Feddersen.

Auch ansonsten findet Herr Feddersen deutliche Worte für (oder sollte man sagen gegen?) das Engagement für Menschenrechte. So zitiert Stefan Niggemeier Feddersens Antwort auf die Frage einer Springer-Zeitung „Was sagen die Sänger zur politischen Lage?“

„Für Polit-Sperenzchen haben die meisten Künstler gerade keinen Sinn“

Engagement, Äußerungen zur politischen Lage in Aserbaidschan – das sind für Herrn Feddersen nur ‚Polit-Sperenzchen‚?

Und wenn der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Menschenrechtsskandale in Aserbaidschan angreift – ist er dann mit Feddersen „eine Spaßbremse sondergleichen„?

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Der von Feddersen geprägte Begriff „Menschenrechtist“ ist ein übler Missgriff. Er ist weit mehr als „nur“ übliche Ironie oder Spott.

Geht es Feddersen (mit dieser Wort-Schöpfung) darum, Raum für differenzierte Debatten zu eröffnen? Zwischentöne zuzulassen? Neue, andere Blicke auf die Menschenrechts-Situation in Aserbaidschan zu ermöglichen?

Nein – mir scheint nicht. Ein Begriff wie „Menschenrechtist“ macht verächtlich, deklassiert, wertet ab. Diffamiert Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen.

Auch wenn Feddersens Begriffs-‚Schöpfung‘ im Kontext seiner Äußerungen über den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung sowie im Kontext seiner Antwort auf die Frage nach Künstler-Äußerungen zur Menschenrechts-Frage gelesen wird, wird greifbar, was er mit diesen Formulierungen intendieren mag: die Verächtlichmachung des Einsatzes für Menschenrechte.

Zeigt der Autor hier – wenig verborgen – gar seinen Ekel vor diesen Aktivisten, diesem Engagement – das ihm seinen (ESC-) Spaß verdirbt?

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Ginge es allein im sprachliche Missgriffe, könnte man Feddersens Fehltritt(e) als ‚hedonistische Markussiade‚ abtun („Ich will Spaß! Ich will Spaß!“). Aber es geht nicht um irgendwelchen Spaß, es geht um Menschenrechte, und um Menschen, die sich – oftmals unter Eingehen erheblicher Risiken – für deren Einhaltung einsetzen.

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Feddersen arbeitet unter anderem als Journalist für taz und NDR.
Laut ihrem Redaktionsstatut tritt die taz ein „für die Verteidigung und Entwicklung der Menschenrechte und artikuliert insbesondere die Stimmen, die gegenüber den Mächtigen kein Gehör finden.“ (§2(3))
Zu den Programmgrundsätzen des NDR gehört „die Würde des Menschen zu achten und die Verständigung der Menschen untereinander in allen Bereichen des Lebens zu fördern“.
Wie sich Feddersens Äußerungen mit dem Redaktionsstatut der taz oder den Programmgrundsätzen des NDR vertragen – dies wird mir immer schleierhaft bleiben.

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„Die Aktion »Unwort des Jahres« möchte auf öffentliche Sprachgebrauchsweisen aufmerksam machen und dadurch das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern. Sie lenkt den Blick auf sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen, um damit zu sprachkritischer Reflexion aufzufordern.“
Die Kriterien für das „Unwort des Jahres“ lauten

„weil sie gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen,
weil sie gegen Prinzipien der Demokratie verstoßen,
weil sie einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren,
weil sie euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend sind.“

Herrn Feddersen ‚Wortschöpfung‘ „Menschenrechtist“ käme wohl als Kandidat infrage …

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Und sonst?

Der Ex- taz-Kolumnist und Satiriker Wiglaf Droste spricht (in der ‚Jungen Welt‘ vom 26.5.2012) vom „Menschenfedder“ und stellt fest

„Auch politisch ist das Alt-mao-am Feddersen vollrohr im Niente­capirismus angekommen.“

Christian Scheuß bittet auf queer.de (am 24.5.2012, „ESC in Baku – Jan Feddersen, zero points!„) Jan Feddersen trocken

„Das Mindeste, das du jetzt tun könntest, aus Solidarität zu denjenigen, die ein anderes Verhältnis zu den Realitäten haben: Konzentriere dich auf die schönen Trick-Kleider und den tollen Promo-Tand, schau dir so lang du willst die händchenhaltenden Männer mit den „hautengen T-Shirts“ und den „eingebauten Gemächtbeulen“ an, aber halt in Sachen Menschenrechte doch einfach die Klappe. Danke schön…“

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Deutsche Post: Briefmarke '50 Jahre Erklärung der Menschenrechte' (1998)

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Deutsche Post: Briefmarke ’50 Jahre Erklärung der Menschenrechte‘ (1998)

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Anmerkung:
14.12.2012 Titel geändert von „Unwort: „Menschenrechtist““ in „Mein Unwort des Jahres 2012: “Menschenrechtist”“
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siehe auch
Steven Milverton 31.05.2012: ESC-Nachlese
Elmar Kraushaar „Der homosexuelle Mann …“, in: Männer (online), 04.06.2012
Stefan Niggemeier 04.06.2012: Der homosexuelle Mann… und die Grenze der Toleranz bei der »taz«
queer.de 04.06.2012: Der homosexuelle Mann in Aserbaidschan
aufrechtgehn.de 04.06.2012: Jan Feddersen: der Expertist
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vorwärts 13.06.2012: Der Eurovisions-Frieden in Baku ist vorbei – Blogger Mehman Huseynov verhaftet
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Erinnerungen

Schwule Aktion Bremerhaven SAB – 1981 / 82

Schwule Aktion Bremerhaven  – wie kam es dazu? Das schwule Leben in Bremerhaven Anfang der 1980er Jahre war … nun ja, überschaubar, sehr beengt (um nicht zu sagen verklemmt), kurz gesagt für einen jungen Mann, der sein Schwulsein gerade entdeckt und zu akzeptieren gelernt hat, schwul leben will: deprimierend.

Seit 1979 lebte ich in Bremerhaven. Es gab dort drei Kneipen, besucht überwiegend von älteren Herren. Zwei Klappen am Deich. Sonst (an ‚Infrastruktur‘ für männerliebende Männer) nichts, außer – wegfahren, nach Bremen, Oldenburg und in das (bald mein ’schwules Paradies‘ werdende) Hamburg. Und dann: ein Pornokino, zwar überwiegend hetero, aber auch mit schwulen Filmen.

‚Wenn dir was nicht gefällt – versuche es zu ändern‘, hab ich schon früh gelernt. Der Zettel im Pornokino, auf den ich Mitte Oktober 1981 aufmerksam wurde, stieß also sofort auf mein Interesse. „Wir [zwei Namen folgten] sind unzufrieden mit unserer Situation als Schwule in Bremerhaven. Du auch? Wir wollen eine Schwulengruppe hier in Bremerhaven gründen. Interesse? Ruf uns an!„, stand dort (soweit mich meine Erinnerung nicht täuscht) ungefähr zu lesen. Und ich meldete mich, schon am gleichen Tag.

Vorher hatte ich schon selbst (nach einer Notiz im Info der HIB Bremen) versucht, eine Gruppe ins Leben zu rufen, einige Treffen initiiert, Bekannte versucht zum Mitmachen zu bewegen – mit mäßigem Erfolg

Am 27. Oktober 1981 trafen sich die beiden Jungs vom ‚Zettel‘ , ein weiterer Interessent und ich – die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‚ war geboren. Als erste Aktion wurde ein Büchertisch geplant. Wir machten die Gruppe bekannt, mit Aushängen in Buchläden, Kneipen, an der Hochschule, mit Anzeigen in alternativen Stadtmagazinen und Zeitungen. Es folgten eine Lesung mit ‚Schwul – na und?‘ – Autor Thomas Grossmann (dem ich 1986 ein Interview gab für sein Folge-Buch ‚Beziehunsgweise andersrum‘) und ein Stand auf dem ‚Friedensfest 1981‘ (mit vorherigem Rosa Winkel backen …).

Die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‘ SAB hatten bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens einiges an Aktivitäten: Lesungen, Bücherstände, Radio-Interview, Zeitungs-Interviews. Für die Schwule Aktion Bremerhaven verfasste ich auch mein erstes Flugblatt
Die Gruppe wuchs, zaghaft aber kontinuierlich wurden wir mehr Mitstreiter – auch wenn bei weitem nicht alle gleichgeschlechtlich  veranlagten Herren Bremerhavens von unseren Aktivitäten begeistert waren (im Gegenteil, bissige Bemerkungen, selbst Anfeindungen waren nicht eben selten).

Einen der Wirte der drei Bremerhavener Schwulenkneipen schätzte ich sehr. Karl vom ‚Minerva‚ konnte als Wirt abweisend sein, manchmal recht schroff, gelegentlich verletzend scharf. Als Mensch war er ‚ein feiner Kerl‘, mit dem es sehr nahe Momente gab, dessen Rat und Meinung mir viel bedeuteten. Karl fragte mich damals oft, ob denn ‚das sein müsse‘. „Ich weiß, wie es früher war. Und heute ist es doch gar nicht so schlimm, wie ihr immer tut. Lasst es doch gut sein, man kann doch heute als Schwuler ganz gut leben.
So sehr ich Karl verstand [ja? tat ich das damals? oder bemühte ich mich jedenfalls?], mit seinem schwierigen (und leidvollen) Lebensweg, ich konnte damals nicht ‚gut leben‘ mit der Situation der Schwulen, mit meiner Situation als Schwuler in Bremerhaven. Ich wollte anderes. Wir wollten anderes, gemeinsam. So ging die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‘ ihren Weg.

Im ‚Rosa Flieder‘ (Ausgabe 26, Mai 1982) stellten Fred und ich unsere Gruppe folgendermaßen vor:

„Schwule in der Provinz, und dann noch im kühlen Norden, wo gibts denn sowas? Tja, seit August 1981 in Bremerhaven. Da haben sich hier fünf Schwule zusammengetan – inzwischen sind wir 11 geworden – und versuchen, diese ‚Seestadt‘ etwas wärmer zu machen. Häufigste Frage ist bisher die nach dem Sinn dieser Gruppe. Also, was wollen wir?

Zunächst zweierlei: Einerseits anderen Schwulen etwas mehr aus ihrem Ghetto heraushelfen und das bei Heteros (und Schwulen) bestehende Informationsdefizit etwas verringern, andererseits hier auftauchende Repressionen gegen Schwule (Klappenbespitzelung, örtliche ROSA LISTE?) nachgehen. Bisher haben wir einmal nen Bücherstand (aufm Friedensfest) gemacht, einen acht-Minuten-Spot bei Radio Bremen gehabt und eine Lesung mit Thomas Grossmann veranstaltet. Die Resonanz war insgesamt für den Anfang schon ganz erfreulich, um hier aber etwas mehr bewirken zu können, brauchen wir noch mehr Unterstützung und Mitstreiter. Also, wer jetzt Lust hat, bei uns mitzumachen, der schreibe uns doch mal oder rufe kurz an:“ (es folgten sowohl Freds als auch meine Adressen und Telefonnummern)

Die ‚Schwule Aktion Bremerhaven‘ war damals wohl Selbsthilfe in ihrer ureigensten Bedeutung – ohne dass der Begriff ‚Selbsthilfe‘ mir damals bereits etwas sagte. Wir waren unzufrieden mit dem, was war. Wir wollten anderes. Wir taten uns zusammen. Um gemeinsam zu versuchen, Dinge anders zu machen, andere Wege zu gehen, unsere kleine Welt ein Stück weit zu verändern.

Die „Schwule Aktion Bremerhaven“ existierte noch viele Jahre (unterzeichnete z.B. 1988 einen Aufruf gegen die britische ‚Clause 28‘, nachzulesen bei Jörg Hutter). Ich erinnere mich, einige Jahre nach meinem Wegzug aus Bremerhaven (1982) war ich 1984 noch einmal auf einem Treffen der Gruppe im (inzwischen ebenfalls nicht mehr existierenden) Kulturzentrum ‚Roter Sand‚ gewesen zu sein. Irgendwann hab ich leider zu allen damaligen Mitstreitern den Kontakt verloren …

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Kulturelles

Das Leben des Rainer Werner Fassbinder als Film – Marco Kreuzpaintner Fassbinder

Das Leben von Rainer Werner Fassbinder soll verfilmt werden. Regie der französisch-luxemburgisch-deutschen Koproduktion will Marco Kreuzpaintner führen, der zusammen mit Gerrit Hermanns auch das Drehbuch verfasst.  Die Dreharbeiten zu „Rainer“ sollten im April 2013 beginnen. das Projekt kämpft jedoch mit Finanzierungsproblemen.

Rainer Werner Fassbinder starb vor bald 30 Jahren am 10. Juni 1982 im Alter von 37 Jahren – kurz vor der Uraufführung seines Meisterwerks ‚Querelle‚.

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31. Mai 2014: Aktuell verlautet, Kreuzpaintners Film „Rainer“ befinde sich in Produktion, ein Termin für einen Kinostart stehe noch nicht fest.

20. Januar 2016: Im Interview mit der taz (17. Januar 2016) berichtet Kreuzpaintner, er versuche seit Jahren einen Film über Fassbinder zu realisieren. 60% der Kosten könne er über Zusagen aus Frankreich finanzieren, bekomme jedoch keine Unterstützung aus Deutschland.

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Lesezeichen:
Dietmar Dath Vortrag über Fassbinders Welt am Draht

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Freu 🙂
‚Querelle‘ (1982) war damals fast eine Erleuchtung für mich … und ‚Angst essen Seele auf‘ (1973) wird mir ebenso unvergessen bleiben, wie der visionäre Fernsehilm (und ‚Matrix‘-Vorläufer) ‚Welt am Draht‘ (1973).
Zahlreiche Filme von Rainer Werner Fassbinder befinden sich auf der Hitliste meines persönlichen Olymps sehr weit oben …

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Hamburg Homosexualitäten

schwule Sauna Club Uhlenhorst 1969 – 1987

Eine der Legenden des schwulen Lebens in Hamburg ist das „CU„, die schwule Sauna Club Uhlenhorst .

Der ‚Club Uhlenhorst‚, liebevoll abgekürzt ‚CU‚ , befand sich mitten in Wohlstands-Hamburg an der Adolfstrasse 25 (inzwischen umbenannt, seit Februar 1986: Herbert-Weichmann-Strasse), Ecke Auguststr., eher unauffällig gelegen in einem Viertel sehr nahe der Alster. Großzügige Häuser, eingezäunte Gärten, nichts ließ den nicht Eingeweihten hier auf einen der einst ‚heißesten Orte Hamburgs‘ schließen. Ein schmaler Gang führte zum Eingang im Souterrain. Nicht wesentlich mehr als eine unauffällige Tür – und dahinter ein schwules Eldorado.

Das CU war eine schwule Sauna, und weit mehr als das. Es war zu Zeiten seiner Eröffnung die größte schwule Sauna Europas. Großzügige Schwimmhalle mit großem Schwimmbecken (mit den Pool säumenden griechischen Statuen), ausgedehnte Ruhebereiche, Gartenterrasse, Kabinen mit Cruising-Labyrinth, Solarien, Bar mit Imbiss-Möglichkeit. Zudem bot das CU eine Übernachtungsmöglichkeit (für ein geringes Aufgeld konnte man Ruhekabinen mieten), praktischerweise direkt mit Möglichkeit zum zwischenzeitigen Verlassen der Sauna.

Die Sauna selbst warb in Anzeigen mit ihrer umfangreiche Ausstattung

„Täglich 24 Stunden geöffnet. Finnische Sauna, russisches Dampfbad, Schwimmhalle, Jetstream Massage, Hot Whirl-Pool Jacuzzi, Gartenterrasse, Liegewiese, Tischtennis, großes Sonnenstudio, TV … Alles im Eintrittspreis inbegriffen … Außerdem über 50 Einzel- Privat-Kabinen (Übernachtungsmöglichkeit), Erfrischungs- und Snack-Bar, Frühstück ab 4 Uhr“

Werbeanzeige Club Uhlenhorst

Wolfgang Voigt schreibt 1981 in ‚Hamburg Ahoi!‚ über das ‚CU‘, „das goldene Ghetto in der Adolfstraße, dem sich keiner von uns so leicht entzieht“:

„Als stilbildendes Vorbild für viele Betriebe im Land könnte man die Uhlenhorst-Sauna ansehen, die sofort nach der Reform [von 1969; d.Verf.] eröffnet wurde – eine geniale Verknüpfung von Bar, klassischem Dampfbad, Klappe und Stundenhotel.“

Wolfgang Voigt über das CU

Arno Zedler berichtet (ebenfalls in ‚Hamburg Ahoi!‘) auf bemerkenswerte Weise über seine „Erinnerungen an den ‚Club Uhlenhorst'“.

Betrieben wurde der ‚Club Uhlenhorst‘ von Harald Tangermann (7.12.1932 Hamburg – 27.3.1998 Hamburg) und Peter Daun (19.6.1941 – 15.12.1987; ehemaliger Polizist und Seemann, den Tangermann 1968 in Berlin kennengelernt hatte). Erste Planungen begannen bereits 1968, 1969 fand die Eröffnung statt.

Gelegen war die Sauna in ihrem damaligen Wohnhaus in Uhlenhorst nahe der Außenalster.

Das Wandgemälde in der großen Schwimmhalle hatte extra für diesen Ort Tom of Finland entworfen und realisieren lassen (den beide 1968 auf Vermittlung von Gerhard Pohl kennengelernt hatten).

das Tom of Finland Wandbild im ehemaligen Club Uhlenhorst (Foto © Rinaldo Hopf 2020)

Aufgrund ihres großen Erfolgs warb das CU in Anzeigen bald mit dem Motto „Der internationale Treffpunkt mit Weltruf – Sauna, Freizeitclub und Bar – täglich 24 Stunden geöffnet“

Tangermann und Daun gründeten, inspiriert durch den Erfolg des CU, im Oktober 1974 in Hamburg auch eine Leder-Bar, den legendären nach Tom of Finland benannten ‚Tom’s Saloon‚ (den sie bis zum Verkauf 1977 gemeinsam betrieben).

Der ‚Club Uhlenhorst‘ schloss nach 18 Jahre 1987 für immer seine Pforten. Als Gründe wurden offiziell Probleme mit dem Ordnungsamt sowie mit den Nachbarn (Lärm) angegeben.

Das Haus wurde später umgebaut, das ehemalige riesige Wandgemälde von Tom of Finland exisitiert leider nicht mehr.

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Harald Tangermann starb 1998, Peter Daun bereits 1987. Ihre gemeinsame Grabstätte befindet sich in Hamburg auf dem Hauptfriedhof Ohlsdorf.

Grab von Harald Tangermann und Peter Daun Club Uhlenhorst Toms Saloon Pit
Grab von Harald Tangermann und Peter Daun (Foto April 2019)

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Allein die Eröffnung des CU bereits 1969 und dessen Planung schon 1968 sind bemerkenswert.

Die Zeit des ‚Nachseptember‘ – gerade erst war am 1. September 1969 die Liberalisierung des Paragraphen 175 in Kraft getreten. Am 1. Oktober erschien erstmals das Homosexuellen-Maganzin ‚Du & Ich‘. Und in Hamburg eröffnet aus dem Nichts die größte Sauna für Homosexuelle in Europa.

Respektabilität nach außen bewahren und gleichzeitig im Innern Freiräume schaffen – dieser Gedanke der Homophilen-Bewegung der 1960er Jahre mag sich auch in Nachklängen noch im CU gespiegelt haben.

Und zugleich war die Eröffnung, auch nur kurz nach dem Höhepunkt der Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg der frühen 1960er Jahre, ein Schritt vorher unbekannten Ausmaßes für schwules Leben in Hamburg.

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1981 – ich lebte in Bremerhaven, war mitten im Studium – verzeichnete mein Kalender erstmals den Adress-Eintrag „Club Uhlenhorst, Adolfstr. 25, HH, Tel. 040 / 225954″.

Die schwule Sauna Club Uhlenhorst, kurz ‚das CU‘ – ein Angebot, dass ich als junger Student und direkt nach dem Studium damals viel und gern nutzte. Ähnlich wie die ebenfalls legendäre schwule Sauna Continental Opera in Paris

Bei meinen zahlreichen Wochenend-Visiten in Hamburg Anfang der 1980er Jahre konnte ich so das Angenehme mit dem Zweckmäßigen verbinden. Ein oder mehrere Sauna-Besuche, Freunde treffen, in Bars und Discos gehen, Party machen. Und Sex Sex Sex. Und vielleicht einige Stunden schlafen, im CU ging das unkompliziert, zumal es sonntags morgens auch noch leckeres Frühstück gab.

Für mich war es einst eine wichtige Station, das CU …

Später, mit aufkommendem New Wave, wurde die ‚griechelnde‘ Optik des CU ‚unmodern‘ – ‚coolere‘ Orte wie das (ebenfalls längst legendäre, 1983 eröffnete) Front oder die im Herbst 1982 eröffnete Pool Sauna waren nun ‚in‘ …

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Erinnerungen HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Alles hat seine Geschichte. Auch Aids.

Alles hat seine Geschichte. Auch Aids.

Alles begann 1981. Forscher beobachten eine seltsame Häufung von Pilzinfektionen und seltenen Lungenentzündungen bei Schwulen in Los Angeles, später auch in San Francisco und New York. Im Juni 1981 erscheint ein erster Bericht über das, was später ‚Aids‘ genannt wird, in der Fachpresse (dem ‚MMWR‘). Schon wenig später berichtet mit der New York Times auch die erste Publikums-Zeitung, im März 1982 schließlich berichtet in Deutschland erstmals der ‚Spiegel‘, unter dem Titel “Schreck von drüben”.

So beginnt ‚die Geschichte von Aids‘ (bzw. von der Wahrnehmung von Aids, denn die Anfänge von HIV liegen weit früher).

So beginnt Anfang der 180er Jahre die Geschichte einer Epidemie, die bald das Leben (nicht nur) der Schwulen dramatisch verändert. Die Geschichte einer Infektion, die sich – zunächst schlei­chend, bald jedoch mit massiver Wucht – in die Leben vieler Menschen drängt, auch in meines.

2012, gut dreißig Jahre später. Zahlreiche Feiern haben stattgefunden in den vergangenen Jahren, Jubiläen unzähliger Organisationen, die sich im Kampf gegen Aids engagiert haben. Was gab es zu feiern? 3 Jahre. Erinnern. Geschichte.

Geschichten.
Geschichten wie HIV sich mal schleichend langsam , mal überschlagend schnell in unsere, auch in mein Leben drängte, es aufzusaugen drohte.

Wie wichtig ist HIV in meinem Leben?
Ein weiter Bogen ließe sich spannen, von Ignoranz bis Dominanz, von Verharm­losen bis Hoff­nungslosigkeit, von Liebestrunkenheit bis zu tiefstem Absturz.
Fast wäre es wohl möglich, eine Art ‚Typologie der HIV-Relevanz‘ in meinem Leben zu erstellen – von Null auf Hundert, mit allerlei Achterbahn mittendrin.
Geht es auch wieder zurück? Hört das irgendwann einmal auf?

Anfang der 1980er

An die ersten Berichte über diese „neue Schwulen-Seuche“, wie sie damals tituliert wurde, kann ich mich gut erinnern, und auch an meine Reaktionen. „Haben die jetzt wieder etwas Neues gefunden, um uns weiter zu unterdrücken?“ Die Schwulen der Generation vor mir hatten mühsam gekämpft, um die Freiheiten, auch die sexuellen Freiheiten, zu erreichen, die ich nun gerade in vollen Zügen genoss. Wollten die uns das alles wieder weg nehmen? War da überhaupt etwas dran? Oder übertrei­ben die wieder mal?

Mit HIV (das diesen Namen erst später erhielt) wollte ich damals zunächst nichts zu tun haben. Okay, an das mit den Kondomen, da musste ich mich wohl gewöhnen. Ein kleiner, hauchdünner Schritt war es, mit dem HIV in mein Leben drang.

In Urlauben, gern an Frankreichs schwulen Stränden, erleben wir – anders als in den Homoszenen zuhause – weiterhin ‚das pralle Leben‘. Sex, als sei Aids ein fernes Gespenst, safer Sex etwas für neurotische Großstädter (die genau hier ihren Urlaub machen). Es ist Urlaub, die Sorgen sind fern, Kondome bei Franzosen anscheinend noch un­beliebter als bei uns. Weitgehend sorgenfrei scheint das schwule Standleben hier weiter zu toben.

Mitte der 1980er

Irgendwann begann Aids, mehr Raum in meinem Leben einzunehmen. Ob ich wollte oder nicht (nein, ich wollte nicht), HIV drängte sich mehr in mein Leben. Nicht schleichend, sondern ganz ra­sant. Wegschauen war vorbei. Zunehmend mehr Freunde und Bekannte erkrankten. Die ersten ster­ben.

Ende der 1980er

Und es wurde nicht besser. Monatelang, jahrelang nicht. Im Gegenteil.

Kein Zeichen von Hoffnung.
Kein Lichtstreif am Horizont.
Immer mehr Freunde und Bekannte kamen an, sagten dieses traurige „du, ich hab’s auch“.
Hoffnungslosigkeit schwang bei jedem Test, jeder Diagnose sofort mit.
Zahle ich jetzt den Preis für mein liederliches Lotterleben, wie sie es uns einzureden versuchen? Hat ‚es auch mich erwischt‘? Und wenn ja – wie lange habe ich noch?

Immer mehr Lover, Weggefährten, Mitstreiter starben.
Die Zahl der Trauerkarten und Einladungen zu Begräbnissen in unserem Briefkarten nahm irgend­wann ein Maß an, für das mir nur ein Wort in Erinnerung bleibt: ‚unerträglich‘

Um HIV kam ich nicht mehr herum. Aids war längst tief drin in meinem Leben.

Anfang der 1990er

Im Sommer 1989 lernte ich in Paris einen jungen Mann kennen. Eine ‚große Liebe‘ meines Lebens.Wir verbrachten traumhaft schöne Momente mit einander, positive Momente. Irgendwann in den 1980ern hatte ich selbst die Diagnose ‚HIV-positiv‘ bekommen. Auch er war positiv. Seelenver­wandte waren wir, Gefährten. (Ich habe über die Zeit mit ihm auf unserem privaten Blog 2mecs ge­schrieben „Einige Tage mit dir“.)

HIV hatte sich wieder weiter voran in mein Leben gedrängt, wieder eine Stufe mehr auf der Leiter der Aids-Eskala­tion, eine unerträgliche. Nicht nur waren große Teile meines persönlichen Umfelds HIV-positiv, nicht nur hatte ich selbst längst mein Testergebnis in der Tasche. Nein, nun war auch einer der Menschen, die mir am nächsten sind, einer den ich liebe, positiv – und erkrankte, erkrankte schwer.

Ich erlebte mit ihm, mit uns nicht nur ’sein‘ HIV, sei fortschreitendes Erkranken. Mir war nur zu bewusst: du er­lebst hier auch dein HIV. Du erlebst auch dich selbst – in irgend einer nicht allzu fernen Zukunft. So wie ihm wird es bald auch dir ergehen.

Im Herbst 1990 starb Jean-Philippe.

Selten habe ich mein Leben elendiger empfunden.
Und lange hinterher stand immer wieder eine Frage im imaginären Raum meiner stillen Gedanken: Warum er? Warum ich nicht? Eine Frage, die heute nur schwer verständlich erscheinen mag. Eine Frage, auf die es keine ‚vernünftige‘ Antwort gibt. Keine Antwort die erträglich ist.

Mitte der 1990er

Irgendwann konnte ich auch meiner eigenen HIV-Infektion nicht mehr so locker umgehen wie zu­vor viele Jahre lang. Ich ging regelmäßig zum Arzt, ließ Werte kontrol­lieren, versuchte halbwegs auf eine gesunde Lebensführung zu achten. Nahm erste Medikamente gegen HIV, als sie verfügbar wurden. Bemühte mich aber, mein ich, mein Sein nicht von HIV bestimmen zu lassen.

Doch das funktionierte irgendwann nicht mehr. HIV drängte sich noch weiter vor in mein Leben, nahm nun eine zunehmend wichtigere Rolle ein. Ich erkrankte oft, vielfach an ‚harmlosen‘ Dingen, doch zu­nehmend häufiger, schwerer.

Bis mein Körper irgendwann ’nein‘ sagte, nicht mehr wollte. Ich wachte eines Morgens auf, im Krankenhaus, unter Sauerstoff. PcP – eine der Erkrankun­gen, die damals Horror-Gefühle bei jedem Positiven auslösten. Eines der untrüglichen Zeichen: nun ist es soweit.

HIV begann, mein Leben zu dominieren.

1996

„Wir können nichts mehr für Sie tun.“ Die Worte des Arztes waren eindeutig. Und sie überraschten meinen Mann und nicht, nicht mehr. Zu viel war passiert in den vergangenen Wochen und Monaten.
Mein eigener Horizont war immer enger geworden. Reichte nur mit großer Mühe noch über mich, mein kleines beschissenes Leben, das pure Über-Leben bis zum nächsten Morgen hinaus

Die maximale Eskalationsstufe schien erreicht. HIV hatte sich so massiv in mein Leben gedrängt, das kaum noch Raum für anderes war. HIV hatte mein Leben okkupiert. Zu einhundert Prozent. Es fraß mich auf.

Immer noch 1996

„Es gibt da ein neues Medikament. Noch nicht in Europa zugelassen, aber gute Studiendaten.“ We­nige Wochen später. Der Arzt kann mir zaghaft Hoffnung machen.
Einige Wochen, einige Probleme mit der Krankenkasse, einen Arztwechsel später: plötzlich macht es ‚peng‘. Plötzlich, einige Wochen nachdem ich mit der neuen ‚Kombi‘ begonnen hatte. Eines Tages merkte ich ‚da ist ja doch noch Leben in dir‘. Wachte auf, fühl­te mich. Fühlte mich – ein klein wenig kräftiger. Ein Wort, ein Gedanke, der mir sehr lange nicht mehr gekommen war.

Es war ein kleiner Hoffnungsschimmer – aber er sagte: viel­leicht kannst du doch die Hoheit über dein Leben zurück gewinnen, zumindest für einige Wochen, einige schöne Tage noch.

In den 2000ern

Ein Auf und Ab folgte. Wirken die Pillen? Und wie lange? Wann versagen sie wieder? Trotz aller neuen Hoffnungen, HIV war immer da, ganz vorne im Bewusstsein. Die Drohung des Sterbens war immer präsent.

Mein Leben mit HIV, mit den Pillen ist zu dieser Zeit nicht immer einfach. Die eine Kombi macht so massive Neben­wirkungen, dass ich mich kaum ohne Unterhose zum Wechseln aus dem Haus traue. Die andere führt zu Taubheit an den Füßen, Neuropathien. Irgendwann werden die Arme und Beine immer dün­ner, Löcher schleichen sich ins Gesicht – Lipodystrophie.

Und doch: ich lebe. Und ich lebe zunehmend besser. Lerne mit Neben- und Wechselwirkungen um­zugehen. Therapiewechsel. Irgendwann auch Kombi-Therapien, die ich ruhigen Gewissens als ‚ver­träglich‘ empfinde.

HIV ist noch da, nimmt zuerst weiter einen sehr großen Raum in meinem Leben ein. Aber der Raum wird kleine. Schleichend reduziert sich der Einfluss, den HIV auf mein Leben hat, dem ich ihm gewähren muss.

Und doch – HIV und Aids haben Wunden hinterlassen in mir, die nur sehr langsam heilen (tun sie das?). Schmerzen, die immer wieder aufbrechen. Schaue ich (was ich vermeide) in alte Adressbücher, schreit mich eine Einsamkeit des Zurückgelassenen an. Erinnere ich mich an früher, an Menschen, die ich liebe, mit denen ich mich engagierte, die mich durch mein, durch unsere Leben begleiteten – ist da eine unendliche Traurigkeit. Leere.

2012

Inzwischen, und schon seit einigen Jahren, kann und soll Aids wieder weit weniger Raum in mei­nem Le­ben einnehmen, deutlich weniger. Ja, es gibt noch die täglichen Pillen, die dreimonatigen Arztbesu­che. Gelegentliche Positiventreffen. Meine Site ondamaris.

In meinem Fühlen, in dem was mich persönlich beschäftigt, nimmt Aids hingegen seit Jahren weni­ger Raum ein. HIV okkupiert nicht mehr mein Leben. Ich versuche, ihm ständig weniger Raum zu­zugestehen. Eine kleine, ganz private ‚Normalisierung‘.
Das Leben ist längst zurück gekehrt, mit all seinen Freuden, Banalitäten und Alltagssorgen.

HIV – ist noch da, und wird es wohl, so keine Wunder geschehen, auch mein Leben lang bleiben.
Aber HIV dominiert nicht mehr mein Leben. Ist ein Teil davon, ein kleiner. Bestimmt es nicht mehr.

Im Gegenteil, in den letzten Jahren verliert es an Bedeutung, für mich, in meinem Leben, wird HIV zunehmend – unwichtiger.

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Was ich mir für die Zukunft wünsche?
Dass HIV und Aids wieder dorthin verschwinden, wo sie hingehören: in die Bedeutungslosigkeit.
Hier, und überall auf der Welt, unabhängig von Industrialisierung oder ‚Wohlstand‘.
Und dass der Weg, die Menschen die diesen Weg gegangen sind, die diesen Weg nicht überlebt ha­ben, erinnert werden.

Alles hat seine Geschichte. Auch Aids.
Geschichten haben für gewöhnlich ein Ende.
Auch die Geschichte von Aids.

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Diesen Text habe ich als Gast-Beitrag für den ‚Teilzeitblogger‚ verfasst, der ihn am 14. Mai 2012 veröffentlicht hat.
Übernommen hat den Text auch thinkoutsideyourbox.

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Text 21. April 2017 von ondamaris auf 2mecs