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ondamaris Texte zu HIV & Aids Politisches

Gedenkstätte Ravensbrück

Nach einem Besuch in Fürstenberg (Havel) / Ravensbrück im Frühjahr 2007 könnte man sich so einige Fragen stellen, z.B.

  • warum ist die Gedenkstelle für das Frauen- Konzentrationslager Ravensbrück immer noch so unscheinbar und schlecht ausgeschildert?
  • was ist los an einem Ort, der an der ehemaligen Lagerstraße, in unmittelbarer Nähe zur Gedenkstätte, einen Supermarkt-Neubau genehmigt, dessen Eröffnung erst durch internationale Proteste gestoppt wird?
  • wie viel (besser gesagt, wie wenig) Geld ist dieses Land bereit für Gedenkstätten zur Verfügung zu stellen?
  • warum wird das Schicksal lesbischer Frauen in der Gedenkstätte kaum erwähnt?

Allein, nach einem Tag in Ravensbrück ist mir nicht nach (öffentlichem) Schreiben zumute. So müssen einige Fotos genügen:

Ravensbrück Mahnmal 'Müttergruppe', Fritz Cremer 1965
Ravensbrück Mahnmal ‚Müttergruppe‘, Fritz Cremer 1965 (Foto 2007; Skulptur nach Sanierung seit 2011 wieder aufgestellt)
Supermarkt an der Lagerstraße?
Supermarkt an der Lagerstraße?

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1984 bis 1986 versuchten Frauen der Ostberliner Gruppe Lesben in der Kirche mehrfach, lesbischer Frauen die von den Nazis verfolgt wurden zu gedenken. Sie wurden von den Behörden daran ge- oder dabei behindert.

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Seit 2013 zeigt die Mahn- und Gedenkstätte die neue Dauerausstellung „Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück – Geschichte und Erinnerung“.

Am 9. Oktober 2018 stimmte der Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte einem Antrag des LSVD zu, mit einer ‚Gedenkkugel‘ der lesbischen Frauen unter den Häftlingen zu gedenken. Die zuständigge Fachkommission allerdings beschloss einen anderen Text.
Stiftungsdirektor Drecoll betonte, angesichts dieser divergierenden Beschlüsse gebe es „zum jetzigen Zeitpunkt keine Möglichkeit, ein solches Gedenkzeichen in der Mahn- und Gedenkstätte zu errichten“.
Die bereits viele Jahre andauernde Debatte hat damit auch 2018 noch keinen Abschluß gefunden. Unter anderem gibt es eine mehrjähriger Kontroverse zwischen der Initiative „Autonome feministische Frauen Lesben aus Deutschland und Österreich“ und dem LSVD um den Text der Inschrift.

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siehe auch Übersicht über die Denkmale für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

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Politisches

Über das Ausdehnen staatlicher Kontrolle

Sonntag Morgen, Frühstück und Lesen im Bett. Blättere in einem Bändchen über Menschenrechte, herausgegeben schon 1997 von der 2002 verstorbenen Marion Dönhoff. Stoße im Laufe des Lesens auf folgende Aussagen von Dieter Grimm (ehemals Richter am Bundesverfassungsgericht):

  • „Den tieferen Grund für die sinkende Wertschätzung von Freiheitsrechten in unserer Gesellschaft sehe ich darin, daß in einer Zeit dramatischer, kumulierender Veränderungen, wie wir sie im Augenblick erleben, sich auch dramatisch das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung erhöht. Für Sicherheit ist Freiheit in aller Regel ein Risiko. Ich habe den Eindruck, als überträfe das Sicherheitsverlangen mittlerweile zu einem erheblichen Teil den Freiheitswillen. Die säkulare Umorientierung der Staatstätigkeit auf Prävention ist ein Ausdruck dafür. Prävention bedeutet ja nichts anderes als eine Vorverlagerung der staatlichen Tätigkeit in Räume, die ihm bisher verschlossen waren.“

Diese Aussage möchte ich ja zu gerne so manchem Politiker derzeit ins Stammbuch schreiben, ob sie nun Verbots-Exzesse vorschlagen, in Privaträume eindringen oder repressive Mottenkisten austragen. Gesundheit, Innenpolitik, Strafrecht – es gibt genügend Beispiele allein in den letzten Monaten, bei denen der Staat seinen Handlungs- (und Regelungs-) Raum versucht in Gebiete auszudehnen, die ihn bisher nichts angehen.

Diese ständige Ausweitung staatlicher Handlungsrahmen schränkt individuelle Freiheiten ein. Auf EU-Ebene wird in diesem Fall schnell über Regelungswut gestöhnt und geklagt, bald auch der hehre Grundsatz der Subsidiarität gepredigt. Allein, auf staatlicher Ebene sind genau die selben Herren und Damen schnell mit immer neuen Regulierungen und Eingriffen zur Hand.

Und wo bleibt der Aufschrei derer, die Freiheitsrechte verteidigen?

Ich befürchte, Herr Grimm hat (er schrieb obiges Zitat schon 1997!) immer noch Recht – das Verlangen nach Sicherheit scheint bei weitem das Verlangen nach Freiheit zu übertreffen.

Hoffentlich wird auch Grimms Warnung gehört, dass die Tendenz der „in den Raum des legalen Bürgerverhaltens vorverlagerte kontrollierende Staatstätigkeit“ … „ohne einen Freiheitspreis nicht beliebig fortsetzbar ist„.

Wir sollten doch genügend aus unserer eigenen Geschichte gelernt haben, um Freiheit und Freiheitsrechte schätzen und achten zu können. Oder nicht?

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Politisches

Über Freiheit und Verbote

Immer breiter scheint sich auch in Deutschland eine Tendenz zu mehr Verboten durchzusetzen. Kontrolle, Repression, Machtinstrumente, anstatt auf die Fähigkeiten der Menschen zu vertrauen, Vielfalt zu ermöglichen und auszuhalten. Menschen wo möglich in diesen Fähigkeiten zu unterstützen, ihnen helfen sie auszubauen. Nein, angesagt ist Repression statt Emanzipation.

Was einst die Unantastbarkeit der Privatsphäre war, wird zunehmend ausgehöhlt mit der vordergründigen Erklärungsversuchen, seien sie Förderung der Gesundheit oder auch Bekämpfung von Terrorismus.

Die Maxime der Zeit scheint zu lauten ‚immer weiter gehende Eingriffe in Persönlichkeitsrechte‘. „Mehr Demokratie wagen“, diese Idee scheint längst in der Mottenkiste der Zeit gelandet zu sein. Antidemokratische Ideen hingegen sind groß ‚en vogue‘.

Der Hausfriedensbruch, laut Strafgesetzbuch immer noch eine Straftat, wird wohl bald in Sachen Computer staatlich legalisiert (u.a. Stichwort ‚Bundestrojaner‘, Online- Durchsuchung). Die (vergebliche) Verleihung des schwarz-rot-goldenen trojanischen Pferdes an den Verfassungsschutz NRW durch den Chaos Computer Club hat in hier beinahe schon den Beigeschmack einer verzweifelten kabarettistischen Geste.
Bemühungen, die Gesundheit zu fördern und das Rauchen einzuschränken pervertieren zu Verbotsorgien bis in den Privatbereich (‚Rauchverbot für Eltern‘ etc.). (Ich bin Ex- und jetzt Nichtraucher, seit 14 Jahren, mich stört die Qualmerei auch recht oft. Aber ich will auch keine Hexenjagd…)
Der Pranger wird wohl wieder eingeführt – Sexualstraftäter, selbst wenn sie ihre Strafe verbüßt haben und entlassen sind, sollen in einer weitgehend allgemein einsehbaren Datei („Sexualtäter- Datenbank“) gespeichert werden, fordern ‚christliche‘ Politiker von Petke bis Rüttgers.
Und nicht nur ebenfalls ‚christliche‘ Politiker, sondern auch einige bedauerliche Schwulenaktivisten haben irgendwas mit der Verantwortung missverstanden und möchten am liebsten jegliche Form von unsafem Sex verbieten und den Sozialstaat demontieren (oder schadenfroh sagen können ’selbst schuld, dann zahl jetzt auch selbst …‘). (Vielleicht hilft es, darum nicht viel Fedderlesens zu machen?)
Bleibt nur zu warten, wann aus Gründen des Klimaschutzes der Konsum von Bier und Sekt (Kohlensäure, CO²-Emission!) verboten wird …

Verbote und Kontrollen sind ein billiges Mittel, schnell vermeintliche Entschlossenheit und tatkräftiges Handeln zu demonstrieren.
Im billigsten Fall ist solche Politik nichts mehr als nur plakativer Aktionismus und für Stammtische gedacht. Im schlimmeren Fall ist sie antidemokratisch, gefährdet eine freie Gesellschaft.

Verbote und Kontrollen statt des Förderns als positiv empfundener Verhaltensweisen sind immer auch ein Mittel einer Gesellschaft (und von Menschen), die auf Macht, auf Herrschaft über andere setzt.
Eine Politik der Angst (Angst als gesellschaftlich betriebenes Phänomen und politisches Instrument), womöglich noch verbunden mit politischer Apathie, ist zutiefst antidemokratisch.

Wer Angst hat, kann leichter beherrscht werden. Sehnt sich irgendwann womöglich nach Führung.
Wer sich frei fühlt, benötigt keine Herrschaft, kann selbst eigenverantwortlich (und damit auch ethisch verantwortlich) über sich, sein Leben, sein Verhalten entscheiden.

Emanzipation,Freiheit und eigenverantwortliches Denken und Handeln zu fördern, Autonomie zu stärken wäre meines Erachtens der erstrebenswertere Weg, der Weg zu mehr Demokratie. Und wenn schon regulatorische Eingriffe, dann statt Verboten lieber Gebote.

Freiheit fördern, statt sie immer weiter einzuschränken, Zwänge auszuüben, Verbote auszusprechen.
Freiheit fördern, sich immer neuen Verboten, Einschränkungen, Repressionen, antidemokratischen Tendenzen entgegenstellen.
Verbote und Angst bekämpfen, Freiheit verteidigen und fördern.

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Politisches

tief braune Schwule

Gelegentlich wird ja darüber geklagt, dass sich auf schwulen Portalen wie den ‘blauen Seiten‘ auch homosexuelle Herren äußerst rechter Gesinnung herumtreiben braune Schwule.

Allerdings kann man beim Stöbern in den weiten Welten des Internets auf weit schlimmere Auswüchse stoßen.

So zum Beispiel auf “Yahoo 360°”. Dieses Portal, noch als ‘Beta-Stadium’ gekennzeichnet, soll wohl ein MySpace – Clone à la Yahoo werden. Bilder, Blog, persönliche Seite, Vorlieben zu Büchern Filmen und Musik, Freunde – halt ein weiterer Versuch, eine “Web 2.0 Community” auf die Beine zu stellen. “Finden Sie neue Freunde und bleiben Sie in Kontakt mit alten Bekannten”, wirbt Yahoo für den Dienst.

Wie in vielen Online-Communities, so treiben sich auch auf Yahoo 360° viele Schwule herum. Allerdings – auch erstaunlich viele Schwule tiefbrauner Gesinnung, und erstaunlich offen und freizügig zudem.

Da wird munter mit Gesten gegrüßt, die eindeutig die Gesinnung zeigen. Mit Waffen posiert, oder vor einschlägigen Flaggen. Über ‘Widerstandsaktionen’ berichtet. In Blogs für Demonstrationen für die “Opfer des alliierten Bombenterrors” geworben. Mit Ziffern-Codes auf NS-Inhalte Bezug genommen oder aus der ‘RHS’ gegrüßt. Oder unter Musik-Vorlieben auf besonders nationale Gruppen und Sänger Bezug genommen. Untereinander in eindeutigen Buchstaben- oder Ziffern-Kombinationen gegrüßt.
Und gern wird bei allen sich bietenden Gelegenheiten der Buchstabe ‘S’ in doppelter, groß geschriebener Ausführung verwendet.

Das ganze wird auch so gemacht, dass man unter den verwendeten Codes (die teilweise eindeutig verfassungswidrig sein dürften) auch noch durch direktes Anklicken suchen kann nach ‘Gleichgesinnten’.

Und, um einem Vorurteil zu begegnen, die Herren, die sich unter diesen Symbolen und Begriffen tummeln, leben nach ihren Angaben keineswegs nur in den neuen Bundesländern, sondern genauso im Harz, in Lübeck, Köln oder München.
Allerdings – sie scheinen gut vernetzt zu sein, immer wieder sind die gleichen Personen als ‘Freunde’ gespeichert, tauchen auch als ‘Freunde’ auf in Profilen, die an sich keine rechtslastigen Hinweise tragen.

Man scheint sich sicher zu fühlen. Selbst auf den deutschen Yahoo-Seiten (auch wenn die User mit den derbsten Auswüchsen wohlweislich nicht auf der deutschen 360°-Seite liegen). So sicher, dass einige User mit vollem Profilbild online sind, und manche zudem sogar auch direkt auf ihre Profile bei anderen Anbietern (u.a. bei Gayromeo oder Barebackcity) verlinken.
Zahlreiche Schwule, die aufgrund ihres eigenen Profils eher nicht der rechten, sondern irgendwelchen Fetisch-Szenen zuzurechnen wären, scheinen auch gar nichts dabei zu finden, zahlreiche mit NS-Symbolen geschmückte Profile als ihre Freunde zu verlinken, und selbst dort verlinkt zu sein.
Und einige Hetero-User mit eindeutigen braunen Symbolen auf ihrer Seite scheinen es für nötig zu halten in ihrem Profil anzugeben, dass sie “keine gay Interessen” hätten – das werden sie wohl nicht ohne Grund schreiben …

Dass für Sites, die nicht in Deutschland liegen, nicht die deutschen Gesetze (sondern z.B. die in Sachen ‘Freedom of Speech’ nahezu grenzenlos freizügigen US-Gesetze) gelten, ist mir klar.

Erstaunlich ist allerdings schon, dass einige der Seiten mit NS-Inhalten auf dem deutsche Yahoo-360° -Angebot liegen (mit der ‘de’- Subdomain -Kennzeichnung).

Ich nenne hier keine User-Namen. Es geht nicht darum, Einzelne zu denunzieren.
Mich erschüttert, wie normal es anscheinend auch in Teilen schwuler Szenen schon wieder ist, sich mit Nazi-Symbolen und Devotionalien schmücken zu können, und dies in aller Öffentlichkeit zu zeigen. Egal ob es sich “nur” um eine Art “Fetisch” handelt (wie bei einigen Profilen vermutet werden kann, schon dabei wird mir übel), oder ob es um “Ideologie” geht (was m.E. keines weiteren Kommentars bedarf).
Und es erschüttert immer wieder zu bemerken, wie desinteressiert großen Teile schwuler Szenen hierauf immer wieder reagieren. Desinteresse? Stille Zustimmung? Oder einfach Dummheit?

Und es geht sehr wohl darum, was Yahoo, und wohl auch Yahoo Deutschland, da alles ‘im Angebot’ hat. Wie ernst Yahoo es nimmt, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Nazistische Sachverhalte nicht zu dulden. Oder zumindest die Einhaltung seiner eigenen Geschäftsbedingungen durchzusetzen.

Ist Yahoo, bzw. seine deutsche Dependance, nicht in der Lage hier einzuschreiten? Oder sind Symbole und Codes, die Neonazis verwenden, bei Yahoo Deutschland nicht bekannt? Ist es technisch etwa nicht möglich, derartige Profile, Codes und Begriffe zu sperren?

Der Hinweis tief in den Hilfeseiten versteckt, bei Beschwerden gegen Inhalte könne man sich an Yahoo wenden, und es gebe ja einen Knopf ‘Missbrauch melden’ ist da vielleicht doch ein bisschen wenig, oder? Und der Hinweis auf das Beta-Stadium wohl auch …

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Schwule und Lesben gibt es in Polen nicht … ?

Man mag die Meldung kaum glauben.

Das polnische Bildungsministerium plant ein Gesetz. Ein ganz besonderes. Lehrern soll es zukünftig unter Androhung von Strafe verboten werden, im Unterricht auch nur zu erwähnen, dass es auch Schwule und Lesben gibt.

Bildungsminister (und Vize-Premierminister) Giertych möchte so die Jugend des Landes vor ‚homosexueller Propaganda‘ beschützen.
Selbst Aufklärungsmaterial (z.B. gegen Aids) wäre dann strafbar, wenn an Schulen verwendet.

Der polnische Ministerpräsident Kaczynski hält die Mehrheit im Parlament für diesen Gesetzentwurf für sicher.

Mehr bei der ARD, deren Warschauer Hörfunk-Korrespondent dazu geschrieben hat.

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Text 22. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Homosexualitäten Köln

Jean Claude Letist (1946 – 1990)

Jean Claude Letist (1946 – 1990) war einer der bedeutendsten schwulen Aktivisten in Köln in den 1970er und 80er Jahren. Ein Platz erinnert an ihn. (english summary at bottom of page / Résumé en français à la fin de la page)

Jean Claude Letist, am 13. Februar 1946 in Brüssel geboren, zog 1968 nach Köln. Er arbeitete zunächst als Pilot, später als Übersetzer und Dolmetscher im Rundfunk.

In den 1970er und 80er Jahren hat Jean-Claude maßgeblich zum Aufbau einer Schwulen- und Lesbenbewegung (nicht nur) in Köln beigetragen, viele Organisationen und Gruppen mit aufgebaut oder geprägt.

Jean Claude Letist war u.a.

  • erster Generalsekretär der ILGA (damals noch IGA) seit 1986
  • Vorstandsmitglied der gay liberation front Köln (glf) seit 1983
  • Gründungsmitglied des Bundesverband Homosexualität (BVH)
  • Vorstandsmitglied der Aids-Hilfe Köln seit ihrer Gründung
  • 1982 Mitgründer und Mitinhaber des schwulen Buchladens ‘Lavendelschwert’
  • Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied von Emanzipation e.V. (Trägerverin des SCHULZ)
  • Mitglied im Beirat der Deutschen Aids-Hilfe DAH
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung in Köln am 16. März 1985, Schlüsselübergabe, rechts Jean Claude Letist

Am 28. Februar 1990 starb Jean-Claude im Alter von 44 Jahren an den Folgen von Aids. (Und, ganz Aktivist, noch nach seinem Tod führte er indirekt zu einer “Aggsion”, als die ach so liberale Dumont-Presse in Köln erst nach massiven Protesten trauernder Freunde und Weggefährten sich überwand und das Wörtchen ‘schwul’ in einer Traueranzeige akzeptierte). Am Nachmittag des 12. März 1990 fand in Köln die Trauerfeier statt.

Stein für Jean Claude Letist, Namen und Steine - Mémoire nomade, Köln
Stein für Letist, Namen und Steine – Mémoire nomade, Köln

Erinnerungen an Jean Claude Letist

In Erinnerung ist mir spontan immer sein bis zum Schluss grauenhaftes Deutsch – ich höre ihn immer noch sagen „dann machen wir eine Aggsion“, und muss grinsen …

Letist, der und unter Freunden und Bekannten den Spitznamen ‘Gutemine‘ hatte, bemühte sich immer politisch und privat integer zu sein. Eine Anekdote beschreibt das vielleicht ganz gut:
Irgendwann während einer Konferenz, die in Köln stattfand (und deren Mitveranstalter er, wie konnte es anders sein, war), traf ich Jean-Claude nachts am Aachener Weiher, dem stadtbekannten abend- und nächtlichen Cruising-Gebiet. Wir plauderten ein wenig über die Konferenz, während wir die vorbei promenierenden Männer beobachteten.
Plötzlich kommt ein uns beiden zunächst unbekannter junger Mann etwa unseren Alters auf ihn zu. „Jean-Claude, du hier? Das hätte ich ja nicht erwartet …“, kommt er nach kurzer Begrüßung bald schon auf den Punkt. Jean-Claude, offensichtlich zutiefst entrüstet, stemmt plötzlich die Hände in die Hüften, blickt den jungen Mann eindringlich an. Dann höre ich seine brummige Stimme knurren, in einer dem Parkgeschehen so gar nicht angemessenen Lautstärke „Ja glaubst du ich habe keinen Sex? Denkst du ich diskutiere nur? Ich will doch auch f***en! Schwulsein ist doch nicht nur politisch!
Pikiert wendet sich der junge Mann ab, versucht schnell diese ihm unangenehm werdende Szenerie zu verlassen, aus der plötzlichen Aufmerksamkeit heraus zu kommen. Jean-Claude hingegen beginnt laut zu lachen, ein ‘diese Klemmschwestern’ rutscht ihm noch kommentierend raus.
(Und am nächsten Morgen, vor Fortsetzung der Konferenz, sehe ich ihn den jungen Mann herzlich in den Arm nehmen…)

Jean Claude Letist Platz in Köln

Ein kleiner Platz nahe der Kölner Innenstadt. Ein unauffälliges Schild, das den Namen des Platzes nennt, kaum beachtet. Darunter ein kleines Schild zur Erläuterung.

Jean-Claude-Letist-Platz, Klöln (Strassenschild)
Jean-Claude-Letist-Platz, Köln (Strassenschild)

In Erinnerung an Jean Claude wurde am 18. Mai 2000 von der Bezirksvertretung Innenstadt auf Antrag von Grünen, SPD und Regenbogenliste beschlossen, einen bisher namenlosen Platz in “Jean-Claude-Letist-Platz” umzubenennen.

Jean-Claude-Letist-Platz Köln (2007)
Jean-Claude-Letist-Platz Köln (2007)

(Und, so trübe der Platz im ausgehenden Winter 2007 aussieht, im Sommer sitzt es sich hier unter Bäumen, an vielen Tischen eines Cafés, sehr nett)

Jean-Claude-Letist-Preis

Seit 2015 verleiht die Aidshilfe Köln in unregelmäßigen Abständen den Jean-Claude-Letist-Preis.

2017 wurde die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) ausgezeichnet.

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Memo:
In den ‚Michael Weltmann papers‘ (Michael Weltmann, geb. 28.2.1949, verstarb am 27. Januar 1992 an den Folgen von Aids) befindet sich ein ‚Memorial booklet for Jean Claude Letist‘.

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Jean Claude Letist, major gay rights activist in germany and international, was born feb. 13 in Brussles, Belgium. 1968 he moved to Cologne, where he became involved in several gay rights organisations like glf (local) or BVH (federal level). Since 1986 he was the first secretary general of the former IGA International Gay Association, now ILGA. Letist died of Aids 1990. Since 2000, he is honored in Cologne with a square that bears his name.

Jean Claude Letist, grand militant des droits des homosexuels en Allemagne et internationale, est né février 13 Brussles, Belgique. 1968, il s’installe à Cologne, où il est devenu impliqué dans plusieurs organisations de défense des droits des homosexuels comme GLF (local) ou BVH (niveau fédéral). Depuis 1986, il a été le premier secrétaire général de l’ex International Gay Association IGA, maintenant ILGA. Jean Claude mort du sida 1990. Depuis 2000, il est honoré à Cologne avec une place qui porte son nom.

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Kulturelles

Ein Engel in Köln – Ernst Barlach Der Schwebende

Mitten im Innenstadt-Trubel findet sich an etwas versteckter Stelle einer meiner Lieblings-Orte in Köln – der Schwebende .

Ernst Barlach Der Schwebende
Ernst Barlach Der Schwebende (2012)

Die Kölner Schildergasse wirkt ein wenig in die Jahre gekommen, eineständig hektisch-trubelige Einkaufsstraße im ungepflegten Chic der siebziger Jahre. Hier steht zwischen Jeansgeschäften, Parfümerien, Pizzaketten und Telekommunikationsläden die Antoniterkirche. Und in dieser kleinen Kirche befindet sich eine meiner Lieblings-Plastiken, der ‘schwebende Engel‘, auch ‚Der Schwebende ‚, bekannt als ‘Güstrower Ehrenmal‘.

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Deutschland

Wismar : Wasserkunst und Prüderie

Auf dem Wismarer Markt steht die Wasserkunst aus dem Ende des 16. Jahrhunderts – fast 300 Jahre Zentrum der Trinkwasserversorgung der Hansestadt.

Wismar Wasserkunst
Wismar Wasserkunst

Die zwischen 1600 und 1602 errichtete Wassserkunst war ein städtisches Verteilungs-Bauwerk für Trinkwasser. Die im Stil der holländischen Renaissance erbaute wasserkunst beruht auf Plänen von Philipp Brandin aus Utrecht.

Aus Quellen südlich der Stadt floss Wasser zur Wasserkunst, dort wurde es an mehrere hundert Häuser in der Stadt (überwiegend Brauereien, aber auch Privathäuser) verteilt. Als Wasserleitungen dienten ausgehöhlte Fichten-Stämme.

Die Bürger der Stadt konnten zudem hier direkt frisches Wasser holen. Hierzu waren im Gebäude zwei Wasserspeier angebracht, genannt ‘Nix und Nixe’.

Wismar Nix und Nixe
Wismar Nix und Nixe

Die Wasser-Kunst wurde 1861/62 umgebaut und vergrößert, dabei wurden Nix und Nixe nach außen versetzt an das Gebäude versetzt.

Im Jahr 1897 allerdings empfand man die beiden Figuren dann nach beinahe 300 Jahren plötzlich als zu „unschicklich“. Sie wurden demontiert, dem Stadtmuseum übergeben und erst bei der Restaurierung der Wasser-Kunst in den 1990er Jahren wieder außen angebracht.

Wismar Nix
Wismar Nix

300 Jahre haben Nix und Nixe ihren Dienst verrichtet, ein frühes Trinkwasser-System jedem Bürger zugänglich gemacht – dann machte wilhelminische Prüderie ihnen den Garaus.

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Deutschland

Technik in Wismar

Wismar hat auch ein schönes Landesmuseum für Technik – eigentlich.
Eigentlich hatten wir uns auch auf den Weg zu selbigem gemacht, trotz schlechten Wetters und mürrischer Busfahrer (so abweisend, wie Berliner Busfahrer das nie schaffen würden…).

Stutzig hätte mich schon der Internetauftritt des Museums machen müssen – der besteht nämlich derzeit aus einem elektronischen Baustellenschild, schon seit längerem.
Nach einigem nach-dem-richtigen-Bus-Fragen, Suchen, immer wieder Fragen sahen wir es dann in der Ferne:

Wismar Technik-Museum
Wismar Technik-Museum

(die Hallen in der Bildmitte …), und dachten uns – nee, das is jetzt einfach zu weit, gehen wir lieber ins Café.

Deswegen gibt’s nur einen kurzen Bericht zu dem ‘Verpassten’.

Das Technische Landesmuseum hat eine recht bewegte Geschichte. Zu DDR-Zeiten als ‘Polytechnisches Museum’ in einigen Räumen des Schweriner Schlosses untergebracht, musste es nach der Wende 1990 dort ausziehen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern zog sich aus der Trägerschaft für das Museum zurück – clevererweise, ohne vorher eine neue Trägerstruktur zu etablieren.

Kommunen und einige Wirtschaftsbetreieb gründeten schließlich einen Verein, der nun das Museum trägt (wieder eine dieser eigenartigen Formen von Privatisierung). Inzwischen wird das Museum (bzw. der Trägervein) vom Kultusministerium finanziell unterstützt.
Räumlich zog das Museum 1997 um, in den Schweriner Marstall (mit einer provisorischen Ausstellung). Seit August 2003 gibt es eine Außenstelle in Wismar – hier soll im Laufe der Jahre das gesamte Museum neu erstehen, unter neuem, populärwissenschaftlicher orientiertem (Stichwort Erlebniswelt) und damit auch besser ‘vermarktbaren’ Konzept.

Schwerpunkt des Museumsteiles in Wismar ist insbesondere die Verkehrstechnik (in Schwerin auch die Energieerzeugung).

Gesehen haben wir es leider nicht – zu weit, ohne Auto nur mühsam zu erreichen, und (zumindest derzeit noch) auch nur mit ‘Rumpf-Ausstellung’.

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Deutschland

Piratengeschichten – Störtebecker in Wismar

Piratengeschichten gibt es viele, eine der bekanntesten Norddeutschlands rankt sich um Klaus Störtebecker.

angebliches Portrait Klaus Störtebeckers, Reproduktion nach einer Radierung von 1515, Stadtmuseum Wismar
angebliches Portrait Klaus Störtebeckers, Reproduktion nach einer Radierung von 1515, Stadtmuseum Wismar

Und eben jener Klaus Störtebecker soll in Wismar geboren und nach einer Schlägerei, wie das städtische Gerichtsbuch vermeldet, im Jahr 1380 der Stadt verwiesen worden sein. Nicht ohne Stolz vermeldet Wismar, Geburtsort des Klaus Störtebecker zu sein.

Verfestungsbuch Wismar mit der Erwähnung Störtebeckers (links, zeile 6), Stadtmuseum Wismar
Verfestungsbuch Wismar mit der Erwähnung Störtebeckers (links, Zeile 6), Stadtmuseum Wismar

Der Name Störtebecker (Störtebecker niederdeutsch etwa “Stürz den Becher”) wird längst als Werbe-Ikone und Tourismus-Werbung missbraucht, von Pensionen bis zu ‘Festspielen’. Sein Leben ist heute ein romantisierender Mythos, in dem Realität und Geschicht(ch)en kaum zu unterscheiden sind.
Nicht allerdings in seiner Geburtstadt Wismar – hier ist er im Stadtbild kaum präsent. Einzig das ‘Schabbelhaus‘, das stadtgeschichtliche Museum Wismars, gedenkt seines ‘prominenten’ Bürgers mit einer Dauerausstellung ‘Störtebeckers Wismar’.

Freibeuter und Pirat, wurde Störtebecker gelegentlich auch als ‘Robin Hood der Meere’ bezeichnet (u.a. weil er bei einigen Küstenbewohnern wegen gezielter Schenkungen beliebt war). Die Waren der gekaperten Schiffe konnten Störtebeckers Piraten u.a. in Wismar auf den Markt bringen (Rostock und Wismar stellten ihnen sog. ‘Kaperbriefe’ aus).

Schiffsleben, mittelalterliche Wandzeichnung, Rathaus Wismar / Kellergewölbe
Schiffsleben, mittelalterliche Wandzeichnung, Rathaus Wismar / Kellergewölbe

Am 22. April 1401 stellten Hamburger Schiffe unter Leitung von Simon von Utrecht (der später Bürgermeister von Hamburg wurde) Störtebecker in einer Seeschlacht vor Helgoland. Am 20. Oktober 1401 wurde Klaus Störtebecker bei Hamburg enthauptet (andere Quellen legen beide Ereignisse in das Jahr 1400).

Denkmal Klaus Störtebecker Hamburg, Hafencity
Denkmal Klaus Störtebecker Hamburg, Hafencity im März 2016

Zu seiner Enthauptung gibt es eine hübsche Legende: der Hamburger Bürgermeister soll ihm zugesichert haben, all diejenigen seiner Männer würden verschont, an denen er nach seinem Tod noch vorbeilaufen könne. Es sollen elf gewesen sein (nun gut, medizinisch gesehen ist das wohl zweifelhaft) … und der Bürgermeister brach sein Versprechen dennoch, alle Piraten wurden gehängt.
Das Museum für Hamburgische Geschichte stellt u.a. einen Störtebecker-Schädel aus, allerdings ist dies Zuordnung bisher unklar.

Störtebeckers Piraten übrigens leben irgendwie auch heute noch weiter … z.B. in der ‘Piraten-Flagge’der Fans des 1. FC StPauli … (Allerdings wird sein Name leider auch von Menschen recht brauner Gesinnung mißbraucht, z.B. für ein Internetforum).

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