Kategorien
ondamaris Texte zu HIV & Aids Politisches

Über Solidarität und Wegsehen

Kann Wegsehen solidarisch sein? Ist ein kritischer Blick in den eigenen Szenen okay? Erwünscht? Nestbeschmutzung?

Gerade nach meinen Posts mit Kritik an Maneo und jüngst zur Finanzierung des Switchboards Mann-O-Meter aus Mitteln der HIV-Prävention wurde ich mehrfach angemaunzt, das sei „unsolidarisch“, ich könne doch nicht „unsere eigenen Projekte“ so angehen.

Die Frage der Solidarität. Keine neue Frage, sondern eine immer wieder gestellte, eine Frage, vor der auch ich selbst immer wieder stehe.

Natürlich empfinde ich Solidarität, mit einzelnen Menschen oder Gruppen, mit Szenen oder Projekten.

Aber wie weit geht Solidarität? Oder, anders herum gefragt, wann wird aus echter Solidarität falsch verstandene Solidarität, die z.B. nur noch aus einem Mäntelchen des Wegsehens, Problemverschweigens und Weiter-Sos besteht?

Wenn (aus Steuergeldern finanzierte) öffentliche Mittel an einer Stelle nicht optimal eingesetzt scheinen, während sie an anderer Stelle händeringend fehlen, ist ein Wegsehen dann solidarisch?
Wenn Projekte sich, z.B. aufgrund technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen wie leichter und breiter Verfügbarkeit von Internet-Zugängen, überlebt haben, der Grund, aus dem heraus sie geschaffen wurden, schlichtweg weggefallen oder zumindest verändert ist, ist dann ein „(dennoch) weiter so“ solidarisch?
Wenn ganze Gruppen von Menschen, die vom gleichen Problem genauso, wenn möglich sogar intensiver, tiefgreifender ‘betroffen’ sind, wenn diese Menschen von geförderten Projekten ignoriert werden, ist es dann solidarisch wegzusehen, zu tun als sei nichts geschehen, als habe man nichts bemerkt?

Ist es nicht viel solidarischer, ab und an selbst (bevor es andere tun) einen kritischen Blick zu riskieren, zu überlegen wo sich Situation, Ziele, Prioritäten verändert haben, und wie wir bzw. „unsere“ Projekte darauf reagieren können?

Und, nebenbei, wenn ich „außerhalb unserer Szenen“ ungerechtfertigte Mittelverwendungen, manchmal -verschwendungen kritisiere, muss ich dann nicht die selben Prinzipien auch „innen“ anwenden? Wäre ein Schweigen aus falsch verstandener Solidarität nicht nur verlogen, scheinheilig, und damit das, was wir anderen (gern ‘Berufspolitikern’, ‘Funktionären’ etc.) gerne vorwerfen?

Ich mein ja nur …

Und an die, die mich fragten, wieso machst du dir überhaupt über so’n Mist Gedanken: in Sabines Blog fand ich gerade heute einen schönen Gedanken, der zu diesem Thema passt: „Democracy is run by those who participate. It’s as easy as that and means that a lot of capable, intelligent, and thoughtful people will never ever show up in anything remotely connected with politics. They may have many reasons for this, and some of them may even be valid on a larger scale – but if this form of governance is to survive it’s just not enough to complain.
Genau darum geht es: Demokratie heißt sich einmischen, kritisch mitdenken, aktiv werden … ein Schritt dabei ist m.E., seine Meinung zu äußern, öffentlich zumachen, zur Diskussion zu stellen …

.

Text am 25.01.2016 von ondamaris auf 2mecs

Kategorien
Köln

Et Jrundjesetz – das ‚Kölner Grundgesetz‘

Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz, wurde am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossen.

In Köln gilt informell – lokaler Beitrag zur Föderalismus-Reform – eine Art ‘Kölner Grundgesetz’, oder, wie de Kölsche sagt, ‘et Jrundjesetz’.

das Kölner Grundgesetz ( jrundjesetz ), Gaststätten-Werbung in Köln
das Kölner Grundgesetz ( jrundjesetz ), Gaststätten-Werbung in Köln

Selbiges gibt es in vielen Versionen, die ersten Paragraphen enthält eigentlich jede Version, danach wird’s bunter – mir gefällt die Version mit 11 Paragraphen:

[für Orts-Unkundige, erstens: die „11“ ist DIE Kölner Zahl, schließlich beginnt z.B. am 11.11. um 11:11 Uhr der Karneval…; und zweitens: nach dem Kölschen folgt ein Übersetzungsversuch]

Et Jrundjesetz – das ‚Kölner Grundgesetz‘

§ 1 Et es, wie et es
[Es ist, wie es ist: Den Tatsachen ins Auge sehen]

§ 2 Et kütt, wie et kütt
[Es kommt, wie es kommt: Ja keine Angst vor der Zukunft haben]

§ 3 Et hätt noch immer jot jejange
[Es ist noch immer gut gegangen]

§ 4 Wat fott es, es fott
[Was weg ist, ist weg: Den Dingen nicht hinterher jammern]

§ 5 Et bliev nix wie et wor
[Nichts bleibt, wie es war: Offen sein für Neuerungen]

§ 6 Kenne mer nit, bruche mer net, fott domet
[Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, weg damit: Kritisch sein, wenn Neuerungen überhand nehmen]

§ 7 Wat wellste maache?
[Was willst Du machen?: Sich Dem Schicksal fügen]

§ 8 Mach et jot ävver nit ze off
[Mach’s gut aber nicht zu oft: Auf die Gesundheit achten]

§ 9 Wat soll dä Quatsch?
[Was soll der Quatsch?: Immer gleich grundsätzlich werden!]

§ 10 Drinkste eine met?
[Trinkst Du einen mit?: Sei gastfreundlich]

§ 11 Do laachste Dich kapott
[Da lachst Du Dich kaputt: den Sinn für Humor bewahren]

.

… Und was das nun mit Kölner Mentalität, Klüngel und Co. Zu tun hat?
Na, worauf basieren wohl die zahlreichen Kölner Klüngel-Geschichten?

.

Kategorien
Köln

Kölner Muscheleien

Eines der Dinge. die ich in Köln besonders mag, sind Muscheln. Miesmuscheln ‘rheinische Art’.

In Berlin bekommt man sie ja eher selten, in Köln hingegen hat nahezu jede bessere Kölsch-Kneipe ein Schild aushängen. Jenes schrill orange-rot leuchtende Plakat im A4-Querformat mit der bestimmt seit 40 Jahren unveränderten stilisierten Miesmuscheln-Abbildung, das ankündigt: hier gibt’s ‘Muscheln rheinische Art’ – mit Wein, Suppengemüse und viel Zwiebeln zubereitet, reichlich Pfeffer, damit’s schön scharf wird. Dazu eine gebutterte Scheibe Schwarzbrot und ein lecker Kölsch – Mhhhmmm!
(Da können selbst holländische Mosselen und französische Moules nicht mithalten, sorry Nachbarn…)

Besonders lecker sind die Muscheln bei uns im Viertel im etwas skurilen ‘Leuchtturm’ – eine Veedels-Kneipe mit wahrscheinlich in Köln einmaliger maritimer Inneneinrichtung, vollkommen un-touristisch, nur von Anwohnern besucht, direkt bei uns “om de Eck” – und mit sehr leckeren Muscheln, jede Saison wieder.

Leuchtturm
Leuchtturm

Ja,. Saison – denn Muscheln ist der Rheinländer (im Gegensatz z.B. zu Niederländern und Franzosen) nicht ganzjährig, sondern nur in den Monaten mit ‘r’ am Ende, sprich von September bis Februar.

Kategorien
Köln

Nikolaus Gülich – Kölsche Klüngel-Geschichten

Köln ist ja auch bekannt als die Stadt des Klüngelns. Das hört sich weit harmloser und niedlicher an, als es de facto ist – wie ein historisches Beispiel blumig zeigt: der Gülich-Aufstand und seine Verewigung als ‘Platz ’ (Nikolaus Gülich ) .

Das, was heute blumig und verniedlichend mit dem hübschen Wort ‘Klüngel’ umschrieben wird, nämlich Vetternwirtschaft, Vorteilsnahme und Korruption, gab es anscheinend auch vor vielen Jahrhunderten schon in Köln:

Nikolaus Gülich - Gülichplatz in Köln
Nikolaus Gülich – Gülichplatz in Köln

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts erreichten Wahlbetrug, Ämterkauf und Veruntreuungen in Köln anscheinend ein Ausmaß, dass zahlreichen Kölner Bürgern ‘der Kragen platzte’. Der Kölner Kaufmann Nikolaus Gülich (geboren 30. Oktober 1644) organisierte daraufhin Proteste gegen Amtsmissbrauch und Korruption. Er begründete dies blumig damit, Köln würde „scheitern wie Jerusalem und Kindeskinder leiden, wenn der Meineid, das Stehlen und Säckeln nicht abgestellt wird.

1680 setzte sich Nikolaus Gülich an die Spitze unzufriedener Kölner Bürger, die das Kölner Rathaus stürmten. Drei Bürgermeister wurden aufgrund Gülichs Klageschrift verurteilt, 1683 Neuwahlen abgehalten. Aus diesen ging Gülich quasi als eine Art Alleinherrscher hervor, errang erste Erfolge im Kampf gegen Korruption und Amtsmissbrauch. Doch bald schon überzog Gülich, griff selbst zu immer drastischeren, schließlich unlauteren Maßnahmen. Viele Anhänger wandten sich von ihm ab.

1685 schritt der Kaiser ein, Gülich sollte sich für sein Verhalten vor ihm rechtfertigen. Dessen Weigerung benutzte der Kaiser (wohl im Einvernehmen mit dem ‘alten’ Kölner Establishment), um ‘die alte Ordnung’ wieder herzustellen. Nikolaus Gülich wurde verurteilt und am 23. Februar 1686 in Mülheim hingerichtet. Sein Haus in der Kölner Innenstadt wurde abgerissen, der Rat der Stadt bestimmte, dass ‘für alle Zeit’ an dieser Stelle kein Haus mehr gebaut werden dürfe – weswegen Köln noch heute an dieser Stelle ein kleines Plätzchen hat.

Ursprünglich wurde auf dem Platz eine ‘Schandsäule’ mit seinem Bronzekopf aufgestellt, zur Abschreckung. Die Säule ist inzwischen verschwunden, der Kopf hingegen im Stadtmuseum aufbewahrt (das ja auch das ‘Kölner Ei‘ vor dem Vergessen bewahrt). Bereits seit vielen vielen Jahren steht auf dem Gülich-Platz stattdessen der ‘Fastnachtsbrunnen’ von Georg Grasegger – Zufall oder stiller Zusammenhang?
Und dass im ‘Haus Neuerburg’ am Platz das Standesamt ansässig ist, was soll es bedeuten?

Hat sich mit Gülich etwas verändert?
Klüngel wäre doch ganz normal, glaubt der Kölner an sich auch heute, ‘eine Hand wäscht die andere’. Man könne die Dinge doch ‘unbürokratisch regeln’ oder ‘mal fünfe gerade sein lassen’ – nette Begriffe für unsaubere Machenschaften zu finden, das hat anscheinend eine lange Tradition (nicht nur) in dieser Stadt.
Und Nikolaus Gülich, ein frühes Beíspiel von Aufbegehren und (anfänglich erfolgreichem) Bürgerprotest, ist auch heute noch, bis auf wenige Bemühungen, überwiegend seitens der Grünen, ein selbst in Köln weitgehend unbekannter ‘Held’.

.

Kategorien
Köln

das Kölner Ei – über Köln und ein Ei

Das Kölner Ei ? Eine der grossen Errungenschaften … der Kölner Technik-Geschichte:

Die Kölner sind ja nun von ihrer Stadt ziemlich begeistert. Sind stolz auf den Rhein im allgemeinen, den Dom im besonderen, ihr regionales Kalt- Getränk (Kölsch) erst recht. Besonders begeistert (von sich selbst und der ‘tollen Szene’) sind viele Schwule der Stadt. Was ein Freund einmal mit ‘die sind doch total besoffen von Köln’ recht treffend beschrieb (und was sich in Sitzungs- und Straßenkarneval z.B. im Absingen von Köln als ‘geilstem Arsch der Welt’ manifestieren wird).

Auf eines aber ist eigentlich eher die Kölner Fachwelt stolz, selbst dem ‘kölschen’ Rest ist es selten bekannt: auf das ‘ Kölner Ei ’.

Diese Art von Ei ist nun keine kulinarische Spezialität der Region wie Flönz, kölsch Kaviar oder halve Hahn. Steht nicht im ‚Kölner Grundgesetz‚. Ist auch kein Schunkel-Beitrag für karnevalistische Bewegungen in verqualmten Kneipen, und erst recht keine besondere Vorliebe der homosexuellen Männer der Stadt.

Das Kölner Ei

Dieses Ei ist vielmehr eine Errungenschaft, die beim ja bekanntermaßen für seine Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und vor allem Kundenfreundlichkeit gefürchteten Kölner Nahverkehr eine bedeutende Rolle spielt:

Kölner Ei
Kölner Ei

Das ‘KölnerEi’ ist eine echte Erfindung der Kölner Verkehrsbetriebe in Zusammenarbeit mit den Clouth Gummiwerken (damals ebenfalls Köln) von Anfang der 1970er Jahre. Eine ei-förmige Gummiplatte, die bei Schienenverkehr der elastischen Lagerung der Gleise auf der Fahrbahn dient. Sie wird als Schienendämpfer eingesetzt bei schotterlosem Oberbau. Hierdurch können Schwingungen und damit Schallentwicklungen wesentlich reduziert werden.

Am 30. Juni 1978 wurde es zum Patent angemeldet. Und ebenfalls 1978 erstmals auf einer Schienenstrecke eingesetzt, auf dem Streckenabschnitt zwischen Ebertplatz und Lohsestrasse. Die deutliche Rduzierung des Körperschalls durch Verwendung des Kölner Eis führte dazu, dass diese Technik auf vielen Kilometern Kölner Nahverkehrsstrecken verbaut wurde.

Heute soll es allein in Köln über 14.000 Mal verbaut sein, das Kölner Ei – und ebenso z.B. in Boston, London, Marseille, Sydney oder Washington.

Es ist ein internationaler Erfolg, das Kölner Ei. Auch wenn’s kaum jemand weiß …

.

Kategorien
HIV/Aids Köln

Aids Stele Köln

Auf dem Lichhof in der Kölner Altstadt (neben St. Maria im Kapitol) wurde am 9. Oktober 1994 eine Gedenksäule enthüllt, die Aids Stele Köln

Aids Stele Köln
Aids-Stele Köln (Foto: November 2006)

Die Stele trägt eine Inschrift (Haiku), einen Satz der Dichterin Gitta Benasseni (Gitta Ströbele-Benasseni; geb. 1936, gest. 8.8.2017 Filderstadt)

Auch das Feuer seht, nicht nur das fallende Laub, wenn der Sommer geht

Gitta Benasseni

Zudem trägt die Stele die erläuternde Inschrift

Dem Gedenken aller, die an den Folgen von Aids gestorben sind.

Kategorien
Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Zivilcourage zeigen

Zivilcourage ist nicht jedermanns Sache. Oft stehen Angst und andere persönliche Gefühle im Weg. Möglichkeiten, mit Gewalt im öffentlichen Raum umzugehen, kann man jedoch lernen – und dann anderen helfen.

Bei dem (vermutlich) antischwulen Gewaltüberfall, dessen Zeuge ich vor einigen Wochen wurde, hat mich eines besonders geärgert: kaum war auch nur der Anflug einer Bedrohung spür- bzw. hörbar, verschwanden alle Mit-Besucher dieses nächtlichen Cruising-Ortes (sämtlich erwachsene Männer über 30 Jahre) schwuppdiwupp flugs in den Büschen und waren nicht mehr auffindbar, auch nicht auf Rufe zu helfen (bis auf einen jungen Mann, der zurück kam und gottseidank ein Handy hatte). Niemand kam auf die Idee, dem Opfer zu Hilfe zu kommen – geschweige denn die Täter zu stellen.

Feigheit? Mangelnde Zivilcourage?

Ich finde dieses Verhalten nach Jahrzehnten schwuler Emanzipation, nach Jahren voller CSDs, Straßenfeste und sonstigem öffentlichem Ringelpietz beschämend. Nein, eigentlich bin ich stinksauer.
Warum kommt niemand auf die Idee, dass das Opfer vielleicht Hilfe braucht? Warum kommt niemand auf die Idee, zumindest den Notruf zu verständigen, damit Hilfe kommen kann? Warum stellt sich niemand als Zeuge zur Verfügung? Warum können die Täter unbehelligt, unerkannt abziehen?

Sicher, auch mir war mulmig, als ich den Überfall bemerkte. Als ich nach meinem ‘Zwischenruf’ “Was soll das?” registrierte, wie einer der beiden Täter mich fixierte. Angst, kommt er jetzt auf dich zu? Das Opfer, auf dem Boden liegend, schreiend “ich kann nichts mehr sehen!” bringt mich schnell dazu, zu ihm zu laufen – gottseidank, die Täter verziehen sich. Leider auch alle anderen ‘Gäste’ …

Zivilcourage, Mut ist nicht jedermanns Sache. Und niemand will (und soll) sich selbst gefährden. Aber ein Opfer einfach so liegen lassen?

Wie man mit Gewaltsituationen konstruktiv umgeht, kann man/frau lernen!

Die Berliner Polizei (und sicher, für die auswärtigen LeserInnen, auch viele andere Polizeien im Land) bietet zahlreiche Maßnahmen zur Kriminalprävention an, insbesondere auch Seminare, in denen man und frau lernen kann, mit Aggression und Gewalt im öffentlichen Raum adäquat umzugehen. Solche Veranstaltungen gibt es (wie andere Unterstützungsmöglichkeiten und Informationen) auch speziell für Schwule und Lesben.
[nb.: Die Polizei war nicht immer unser Freund und Helfer, ich weiß … Aber mit Gewaltsituationen umgehen zu können ist eine Fähigkeit, die Schwulen und Lesben im Alltag gut gebauchen können.]

Auch das von mir ja kritisch gesehene Überfall-Telefon führt gelegentlich (2mal im Jahr) kurze Veranstaltungen zu Umgang mit antischwuler Gewalt durch, so wieder am 20.11.2006 “Umgang mit Aggression und Gewalt im öffentlichen Raum” (Maneo, 19:00).

.

Text am 25.01.2016 von ondamaris auf 2mecs

Kategorien
Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Bareback – Bare? Oder Back? Oder wohin?

Ist safer Sex out in Berlin? Wie weiter mit der HIV-Prävention? Zwei einfache Fragen – deren eingebauter Sprengstoff auf einer Veranstaltung im SchwuZ zu hitzigen Debatten und einem Anflug von Ratlosigkeit führten, sowie zu vielen Rollen rückwärts.

Bareback Diskussion Schwuz Berlin November 2006
Bareback Diskussion Schwuz Berlin November 2006

Schon bei den Begriffen ging und geht es munter durcheinander. „Über welches Bareback redest du eigentlich?“ „Ich unterscheide Bareback lite und heavy Bareback!“ usw. Was einst Ende der 90er Jahre als eine Variante des Sex‘ unter Positiven begann, als „bewusste Entscheidung informierter Positiver“ oder (wie M. Dannecker es nennt) ‚Emanzipation vom Kondom‚, hat sich längst verselbständigt, ist zu einer pseudo-positiv besetzten Worthülse geworden, die jegliche Form von unsafem Sex zu umfassen scheint.

Nicht nur unter Teilnehmern der Diskussion, sondern weit bis in Aids-Hilfen hinein ist eine Art „Roll Back“ in der Präventionspolitik zu beobachten. Eine beunruhigende Entwicklung, bei der über „selbstverschuldete Infektionen“, „Schuld“ und „Drohen“ diskutiert und wild konzipiert wird. Eine Entwicklung, die Stefan Etgeton pointiert hinterfragt mit „wem schadet die Bareback-Debatte in der Prävention eigentlich?“ – und einen differenzierten Umgang mit dem Thema wünscht.
Warum statt Plattitüden à la „wir brauchen wieder mehr Abschreckung“ nicht abwägende, an Vernunft und informiertes persönliches Risiko-Management appellierende Botschaften wie „unter diesen Umständen [wie: 2 als Paar sexuell monogam lebende schwule Männer] ist Bareback okay, und in diesen Kontexten [z.B. der Quickie mal eben nebenbei, unüberlegt ohne Kondom] hast du ein hohes Risiko für …“ ?

Bareback Diskussion Schwuz Berlin November 2006
Bareback Diskussion Schwuz Berlin November 2006

Doch diese Art überlegender Vernunft scheint derzeit auf dem Rückzug zu sein – diesen Eindruck konnte man zumindest zeitweise während der Veranstaltung gewinnen. „Back to the 80s“, das schien einigen Teilnehmern eher vorzuschweben.
Immer wieder kamen aus dem Publikum, vereinzelt unterschwellig auch vom Podium Rufe nach „schockierenden Plakaten“ [als gäbe es nicht längst Daten, dass auch Fotos von Raucherlungen die Anzahl der Raucher oder den Umfang des Tabakkonsums nicht senken], nach „wieder mehr Angst machen“, waren verquere Rufe nach drakonischen Maßnahmen spürbar. Woher diese Sehnsucht nach Repression, nach ‚law and order‘? Ist es die Hoffnung auf ein neues Glücksversprechen risikofreier Zeiten? Oder ein kruder Weg individueller ‚Verarbeitung‘ von Schuld- und Angstgefühlen?

„Angst ist ein schlechter Ratgeber“, riefen die Besonneneren in die Runde, „Horror-Szenarien bringen nichts“. Rolf de Witt betonte, wie wichtig es ist, Respekt für den anderen zu zeigen, nicht auszugrenzen, nicht zu verurteilen. „Tacheles reden ja – aber nicht wild in der Gegend rum provozieren“.
Erwachsene Menschen in ihren Entscheidungen zu akzeptieren, ihnen dafür kompetent Informationen an die Hand zu geben, das scheint – statt mehr Angst, mehr Repression – ein Gebot der Stunde.
Das aber erfordert nicht zuletzt neben guten Ideen aber auch ausreichende finanzielle Mittel. Oder anders herum: wer in den letzten Jahren die Mittel für HIV-Prävention ständig gekürzt hat, wie kann der sich nun über steigende Zahlen bei Neu-Diagnosen wundern? Für Information und Prävention wird zu wenig getan – ja! Aber eben (auch), weil immer weniger finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stehen.
Von „mehr miteinander reden“ über „mehr Achtsamkeit füreinander“ und „neue Räume schaffen“, „verschiedenen Strategien für verschiedene Räume“ bis zu „safer Sex einfacher machen“ [wie es z.B. einige Wirte mit ihrer safety 4 free – Kampagne versuchen] – Ideen sind zahlreich im Raum, warten darauf, aufgegriffen, zu ausgereiften Konzepten weiterentwickelt und umgesetzt zu werden.

Warum dann immer wieder diese Schreie nach „Angst machen“, nach Drohkulissen, oft von auffallend impertinenten Schwestern vorgebracht?

Ich merke, wie diese Sehnsucht nach Repression mich erschreckt, schockiert, diese Sehnsucht nach drakonischen Maßnahmen [gern gemischt mit mangelhaften Wissen oder Inkompetenz (da wird schnell mal von der Aids-Hilfe gefordert, BZgA-Plakate zu ändern) und schnellem Delegieren an Andere („die Positiven müssen doch endlich einmal …“, „da muss die Aids-Hilfe aber doch dringend …“)]. Munter wird da Verantwortung zu-geschoben – den Positiven, der Aids-Hilfen, den Schwulen. Als sei man nicht selbst Teil davon. Als habe man nicht auch selbst Hirn und Hand, selbst aktiv zu werden, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Und mich frustriert, dass erneut Diskussionen geführt werden, die wir schon in den 80ern hatten. Das anscheinend viele nicht auf die Idee kommen, die Politik vergangener Jahre sei vielleicht doch ab und an überlegt gewesen, und die Zeiten heute anders. Ich bin froh, als Matthias das wunderbar auf den Punkt bringt: „das Leben mit Aids, mit HIV ist heute anders als vor 20 Jahren. Es ist schön, dass der Grund zur Angst weniger geworden ist – warum nur wollt ihr immer wieder Angst machen, Angst haben?

Horror-Szenarien bringen nichts. Es gilt zu überlegen, wie wir heute realistisch und ohne Angst Informationen, auch über Risiken (zu denen neben HIV auch sexuell übertragbare Krankheiten, auch Hepatitis C gehören sollten) an den Mann bringen, die eigene Handlungskompetenz in verschiedensten Szenarien stärken können.
Nach vorne blicken, nicht Rollen rückwärts bringen uns weiter.

.

Kategorien
HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Aids-Politik: zurück zu law and order?

Die Bundesregierung plant, demnächst einen „Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Strategie“ vorzulegen. Im Entwurf findet sich im Detail viel Ärgerliches – und die unterschwellige Tendenz, zukünftig mehr auf ‚law and order‘ zu setzen.

Die Unkorrektheiten beginnen gleich bei den Infektionszahlen, auf deren Basis argumentiert wird.
Da wird munter durcheinander von HIV-Neuinfektionen und HIV-Neudiagnosen gesprochen – als sei beides das gleiche. Und später wird behauptet „Gegenwärtig kommt es unter den MSM zu etwa 2.000 Neuinfektionen pro Jahr“. Hat da jemand etwas verwechselt? Das Robert-Koch-Institut spricht von 1.197 neu diagnostizierten HIV-Infektionen im ersten Halbjahr 2006 und einem Anteil von MSM (= Männer, die Sex mit Männern haben) von 62%. Das ergibt auf’s Jahr gerechnet ca. 1.480 Neudiagnosen (und nicht Neu-Infektionen) bei MSM im Jahr 2006 – nicht 2.000. Ein Versehen? Oder vielleicht Ausdruck eines Wunsches, eine Zahlenbasis für stärker repressive Maßnahmen bei MSM zu haben?

Weiter geht’s mit dem Thema ‚Verharmlosung von HIV‘. Die „Bagatellisierung des Risikos aufgrund eines unkritischen Therapieoptimismus“ betont der Entwurf. Genau, und wer macht die? Die beschönigenden Plakate und Anzeigenkampagnen z.B. mit bergsteigenden Positiven einer sehr marketingaggressiven Pharmaindustrie dürften ja nicht gerade unbeteiligt dabei sein! Was fällt dem Aktionsplan aber dazu ein? Die DAH sei dafür zuständig, brauche eine „verstärkte Aufklärung über die gravierenden Folgen einer HIV-Infektion, um einer in der Öffentlichkeit und Zielgruppen empfundenen Verharmlosung der HIV-Infektion wirksam entgegenzutreten“. Wie wär’s mal der Pharmaindustrie auf die Finger zu klopfen? Aber stattdessen wird der Verband (VfA) nur mal nett gefragt, ob man denn nicht freiwillig … und könnte … und würde …

Wenn jedoch die Pharmaindustrie direkt an die Patienten will [was mit vielen fragwürdigen, teils riskanten Folgen verbunden sein kann, siehe nur die US-Pharmawerbung in Positivenmagazinen, die viel dreister ist als alles, was bisher in den Szeneblättchen in Deutschland zu bestaunen war] ist die Bundesregierung anscheinend sehr kulant und interessiert. Da könne man ja die Selbstkontrolle entsprechend einbeziehen, wird in dem Plan laut gedacht.
Direktwerbung an Patienten jetzt also durch die Hintertür vermeintlicher Präventionsarbeit? [Mal ehrlich, auch wenn’s sarkastisch scheint, die Pharmaindustrie dürfte doch eher Interesse an mehr als an weniger Patienten haben, oder? Erst recht bei den Pillenpreisen …]

Auch beim HIV-Test gibt’s Neues – und einen Richtungswechsel. So findet sich dort die Forderung nach „Verstärkung der Kondomempfehlung und Werbung für HIV- und STD-Testung“ unter der Überschrift „Die DAH muss ihre Präventionsarbeit anpassen“. Und später wird noch deutlicher von „Routine-HIV-Testung“ als „Option zum Schutz vor einer HIV-Infektion“ gesprochen, oder vom HIV-Test mit seiner „neuen Relevanz für die Primärprävention“.

Und was die „kommerziellen Sexanbieter“ angeht (darunter dürften wohl auch Darkroom-Kneipen fallen): „Verbindliche Regelungen bei Betriebsbewilligungen und Kontrollen ihrer Einhaltung“ soll es erst geben, wenn eine Studie einen ’safer Environment Ansatz‘ als erfolgreich belegt (in der Praxis z.B. mit der freiwilligen Präventionsvereinbarung umgesetzt).
Das klingt beruhigend, heißt aber im Klartext doch wohl nichts anderes, als dass demnächst staatlicherseits Ärger droht, wenn Betriebe keine Kondome etc. auslegen. Was ja eine sinnvolle Maßnahme ist – aber mit Zwang? Rückkehr zu einer Law-and-Order-Politik?

Freiheitliche Ansätze hingegen fehlen weitgehend. Wie wäre es z.B. der Verbesserung der Situation von (und Präventionsmöglichkeiten bei) Menschen im Knast? Wie wäre es, etwas zu unternehmen, um Spritzentausch zu ermöglichen und leichte Kondomverfügbarkeit im Knast zu erhöhen? Fehlanzeige! Stattdessen wird larmoyant die unbefriedigende Situation in Haftanstalten beklagt, an die Länder appelliert und ansonsten auf eine Studie verwiesen, die erst 2007 Ergebnisse bringen soll.
Und warum wird unter dem Punkt „Einreise HIV-infizierter Ausländer“ jede Möglichkeit der ‚Prüfung der Gesundheit einreisender Ausländer‘ betont? Einschließlich der Möglichkeit, die Einreise zu verweigern? Nur, um dann doppeldeutig zu betonen, grenzpolizeiliche Zurückweisungen seien ‚allein wegen HIV/Aids weder Praxis noch vorgesehen‘?

Insgesamt vermitteln weite Teile des Papiers unterschwellig die Tendenz, nicht mehr auf freiheitliche Lösungen zu setzen (wie die Handlungskompetenz des Einzelnen zu fördern), sondern zukünftig mehr auf Rechtsstaat und ordnungspolitische Maßnahmen zu setzen – eine verkappte Rückkehr zu ‚law and order‘ in der Aids-Politik? Ein langsamer Richtungswechsel in der deutschen Aids-Politik?

Es steht noch viel mehr Ärgerliches in diesem Entwurf für den Aktionsplan (wie eine „Meldepflicht für HIV-Primärresistenzen“ – allein mir fehlt Lust und Geduld, das alles zu kommentieren …

.

Text 21. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

Kategorien
Berlin Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Denkmal: was wird realisiert?

Neues im Streit um das Denkmal: der LSVD Berlin-Brandenburg fordert die Realisierung entsprechend dem Entwurf der Künstler.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen - Bauschild 2006
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen – Bauschild 2006

In Berlin wird ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen geplant. Über die konkrete Form der Realisierung hatte es zuletzt heftigen Streit gegeben.

Die Mitgliederversammlung des LSVD Berlin-Brandenburg hat am 28.10.2006 eine Resolution beschlossen. In ihr wird gefordert, das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Sinne des Bundestagsbeschlusses und in Form des preisgekrönten Entwurfs des Künstler-Duos Elmgreen/Dragset zu realisieren.

Unter den Erstunterzeichnern der Resolution finden sich nur Personen männlichen Vornamens. Über eine Berücksichtigung irgendwelcher bei der Diskussion am 29.8. vorgebrachten Argumente oder ebenfalls diskutierter Lösungsmöglichkeiten enthält die Rersolution keine Angaben.

.

Text 21. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs