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Frankreich wählt den Hauptwaschgang

Nikolas Sarkozy und Ségolène Royal sind die Kandidaten in der Stichwahl für das Amt des Präsidenten der französischen Republik

Schon bald nach der Schließung der Wahllokale um 20:00 Uhr war klar: die Entscheidung um den/die nächste/n Präsidenti/en Frankreichs wird in einer Stichwahl am 6. Mai fallen. Und in dieser Stichwahl werden Sarkozy und Royal gegeneinander antreten.

Die Wahlbeteiligung lag mit 84,5% extrem hoch – noch bei der Präsidentschaftswahl 2002 (bei der Chirac gegen Le Pen kandidierte) lag sie deutlich niedriger. Der jetzige Wert von fast 85% ist die zweithöchste jemals bei einer ersten Runde der ‘Présidentielles’ gemessene Wahlbeteiligung.
(bisheriger Rekord 1965: 84,75%)

31,1% für Sarkozy, 25,8% für Royal – die beiden stärksten Kandidaten hielten im ersten Wahlgang einen deutlichen Abstand zu den nächstplazierten Kandidaten (Bayrou 18,6%, Le Pen 10,5%). Grüne und linke Kandidaten schnitten überraschend schlecht ab.

Nikolas Sarkozy ist Spitzenkandidat der UMP (der von Chirac, seinem politischen Mentor, gegründeten neogaullistischen Union Pour Un Mouvement Populaire).
Sarkozy erzielte mit über 30% einen deutlichen Abstand zu Royal, und erreichte zudem sein persönliches Wahlziel.
Sarkozy gilt als nationalistisch orientierter Politiker (’Frankreich zuerst’), der der EU mit einer gewissen Skepsis gegenüber steht, hingegen deutlich an einer starken Zusammenarbeit mit den USA interessiert ist.
Sarkozy polarisiert – und wird von vielen Franzosen, weit über die Vorstädte hinaus, mit Befürchtungen gesehen. Sein oftmals rücksichtloses, knallhartes Auftreten, sein Ehrgeiz und seine Scharfmacher-Reden, sein Populismus, seine Tendenz die Gesellschaft zu spalten – sie lassen eine Präsidentschaft Sarkozys in den Augen vieler Franzosen als unkalkulierbares Risiko erscheinen. Während gleichzeitig weite Teile Frankreichs in ihm einen begnadeten und kompetenten Politiker sehen, der dem Land einen Ruck geben, einen Wechsel zum besseren durchsetzen könnte.
Das Konfliktpotenzial, das Sarkozys Tendenz zum Polarisieren mit sich bringt, dürfte allerdings in Widerspruch kommen mit der französischen Neigung zur Harmonie, zum gaullistischen “wir sind doch alle Franzosen”.

Ségolène Royal ist Spitzenkandidatin der PS, der Sozialistischen Partei. Politischer Ziehvater der 53jährigen im Senegal geborenen Sozialistin ist der ehemalige Staatspräsident Francois Mitterand. Derzeit ist Royal Präsidentin der Region Poitou-Charente.
Royal erzielte mit über 25% ein (gerade im Vergleich zu den Wahlen 1995 und 2002) beachtlich gutes Ergebnis – das Debakel von 2002 gilt damit als vergessen.
Royal forderte im Wahlkampf z.B. eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) auf 1.500 Euro monatlich. Zudem kündigte sie im Fall eines Wahlsiegs neue Programme zur Bekämpfung der (in Frankreich mit über 20% sehr hohen) Jugendarbeitslosigkeit an. Sie betonte die besondere Bedeutung des Bildungswesens, um eine tatsächliche Chancengleichheit herzustellen.
Für viele Franzosen blieb Royal während des Wahlkampfs etwas farblos – es war schwer, sie auf ein konkretes Programmprofil festzulegen. Sie vermied oftmals Klarheiten, vielleicht auch um ihre Chancen gegen Sarkozy und zur Mitte hin offener zu halten.

Bis zuletzt hatten Wahlbeobachter nicht ausgeschlossen, dass sich auch der drittstärkste Kandidat, der UDF-Politiker Bayrou, durchsetzen und in die Stichwahl kommen könnte. Wie sich seine Wähler in der zweiten Runde verhalten, wird wesentlichen Einfluss auf die Chancen der Kandidaten haben. Angesichts eines schwachen Le Pen und noch schwächerer ultralinker Kandidaten kommt Bayrou und seinen Wählern geradezu eine Schlüsselfunktion zu.
Da jedoch Bayrou eher dem ländlich-konservativen Frankreich zugeordnet wird, seine Partei UDF zudem traditionell eher mit Konservativen koaliert, ist nicht automatisch damit zu rechnen, dass Royal stark von seinen Wählern wird profitieren können. Es sei denn, Royal kann mit einer Art ‘versteckter Koalitionsangebot’ Bayrou bewegen, seine Wähler zu ihrer Wahl aufzufordern.
Andererseits hat Sarkozy sich im bisherigen Wahlkampf sehr als Rechter und profilierter Populist gezeigt – das könnte ihm nun Schwierigkeiten bereiten, die eher in der Mitte angesiedelten Bayrou-Wähler zu erreichen. Vielleicht deswegen war seine erste Rede nach den Prognosen von Weichspüler gekennzeichnet.

Nebenbei: zu massiven Problemen und Protesten führte auch in Frankreich der Einsatz von Wahlmaschinen. 1,5 der 44,5 Millionen Wahlberechtigten ‘konnten’ mit Wahlcomputern abstimmen. Oftmals lange Schlangen wegen Problemen mit der Bedienung der Computer. Zudem gründeten sich vielerorts Protestbewegungen gegen Wahlcomputer.

Der bisherige Präsidentschafts-Wahlkampf in Frankreich ähnelte für deutsche Verhältnisse oftmals eher einer inhaltsleeren Waschmittel-Werbung. Meist standen Personen, Emotionen und Ängste im Vordergrund, nicht etwa inhaltlich unterschiedliche Konzeptionen.

Die jetzige Zupitzung auf die Alternative ‘Sarkozy oder Royal’ lässt vermuten, dass auch in den kommenden Wochen bis zum 6. Mai eher die ‘keiner wäscht so weiß wie …’ – Slogans im Mittelpunkt stehen werden, nicht die Auseinandersetzung um unterschiedliche politische Konzepte. Zudem wird der in vielen Kreisen verhasste Sarkozy vermutlich zu einer weiteren Zuspitzung des Wahlkampfs, manche befürchten Spaltung des Landes führen.

Am 6. Mai wählt Frankreich in einer Stichwahl den nächsten Präsidenten. ‘Jeanne d’Arc’ und ‘Bonaparte’ im Hauptwaschgang – die Zeit bis dahin könnte heiß werden.

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Frankreich Politisches

Frankreich im Vorwaschgang

In Frankreich findet heute die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Sollte -wie erwartet wird- keine/r der 12 KandidatInnen im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erreichen, werden die beiden KandidatInnen mit den meisten Stimmen am 6. Mai in einer Stichwahl antreten.

Die Umfragen sehen Nikolas Sarkozy (UMP/Neo- Gaullisten, Konservative) als Spitzenreiter, gefolgt von Ségolène Royal (PS / Sozialisten) und Francois Bayrou (UDF / Zentristen), während Le Pen (FN / Ultrarechte) kaum Chancen auf einen Einzug in die Stichwahl eingeräumt werden. Das Dilemma dabei: der französische Wähler erwies sich in seinem Wahlverhalten zuletzt als schwer prognostizierbar, gerade Rechtsextreme erzielten in den vergangenen Jahren oftmals bessere Ergebnisse als prognostiziert.

Frankreich – ein Paradies? Nirgends in Europa geht man früher in Rente, nirgends ist die durchschnittliche Wochen- (und Lebens-) Arbeitszeit niedriger. Und doch – die Franzosen scheinen gequält von Ängsten, vor den Folgen und Notwendigkeiten von Liberalisierung und freiem Welthandel, Wirtschaftskrise, gesellschaftlichen Missständen und Arbeitslosigkeit, einem Niedergang der einst stolzen ‘grande nation’.

Royal, ex-Ministerin (unter Mitterand) und Gattin des PS-Vorsitzenden (und traurigen 2002-Verlierer) Hollande, stammt aus einer ehemaligen Arbeiter- und heutigen Arbeitslosigkeits-Hochburg. Sie streitet für soziale Gerechtigkeit, die 35-Stunden-Woche und gibt ein wenig die Inge Meisel, die Mutter der Nation.
In ihrem Wahlkampf blieb sie gern im Allgemeinen mit ihren Aussagen. Ja nicht festlegen, diese Devise (verbunden mit Kampagnen a la ‘Wähler dag mir was du willst’) verkaufte sie den Franzosen als partizipative Demokratie. Dabei fanden sich mit Themen wie Werte, Respekt, Nation gerade konservative Vorstellungen in ihrem Wahlprogramm. Mit Aussagen wie “ich bitte die Franzosen, das Wagnis zu wählen. Ich stehe für das gesicherte Wagnis” verlor sie sich oft in Gesichtslosigkeit, Sprechblasen und Peinlichkeiten (wie dem Lob der effizienten chinesischen Justiz).
Geschuldet sein mag dies der traumatisierenden Erfahrung von 2002, als Francois Hollande (ihr Mann), damals sozialistischer Kandidat, schon im ersten Wahlgang ausschied, Le Pen in die Stichwahl kam und Chirac zum Präsidenten gewählt wurde. Diese Erfahrung soll auf keinen Fall wiederholt werden.

Bayrou darf wohl als der einzige überzeugte Europäer betrachtet werden. Der katholische Zentrist vermied alle Provokationen, konzentrierte sich auf eine Darstellung als ‘einzige echte Alternative’ – obwohl auch er ein klassischer Vertreter des rechten Spektrums des französischen Politik-Betriebs ist. Dennoch gelang es dem sechsfachen Familienvater und ehemaligen Erziehungsminister erfolgreich, in das ursprüngliche Duell ‘Charme gegen Populismus’ als Dritter einzutreten.

Der machtbewusste und selbstüberzeugte Sarkozy hingegen veranstaltete einen strategisch geplanten Wahlkampf, der teilweise beinahe amerikanisch anmutete. Er, der immer betont, er sei stolz Franzose zu sein, will geradezu provozieren, suchte die Zuspitzung – auch um Wähler im Lager von Le Pen zu fischen, z.B. mit der Forderung nach einem Ministerium für nationale Identität. Le Pen wiederum ist wegen dieser Fischerei am rechten Ufer so sauer auf ihn, dass er Sarkozy (dem Kind ungarischer Einwanderer) absprach, ein ‘echter Franzose’ und möglicher Präsidentschafts-Kandidat zu sein und ihn als “politisches Gesindel” beschimpfte. So fielen auf Sarkozy beinahe wortgleich jene Formulierungen zurück, die er den jungen Protestierern in den grauen Vorstädten entgegen warf.
In dieser Banlieue, den grauen Beton-Vorstädte wie Argenteuil hingegen ist er zur Haßfigur geworden, seitdem er sagte, diese Viertel müsse man ‘kärchern’, als seien die protestierenden Jugendlichen der letzte Dreck. Hier schlägt ihm höchstens eine Reihe nackter Ärsche entgegen (die Geste des ‘mon cul’ entspricht in etwa dem ‘du mich auch’ oder ‘lmaa’). ‘Alles außer Sarko’ ist hier das Motto der Mehrzahl der jungen Menschen, die sich dieses Jahr besonders zahlreich zur Wahl einschrieben.

Le Pen gestaltete seinen Wahlkampf wie zu erwarten mit Parolen wie Frankreich sei das einzige Land, das es sich erlaube seine Einwanderer besser zu behandeln als seine Einwohner – und die Abschottung forderte.
Ansonsten bestach der weitgehend inhaltsarme Wahlkampf durch einige bizarre Äußerungen, wie die eines Kandidaten einer linken Splitterpartei, der ein ‘Grundrecht auf Konsum’ einforderte.

Der Einzug in den Elysée-Palast wird vermutlich erst in einer Stichwahl am 6. Mai entschieden. Dem/r Gewinner/in immerhin droht das am üppigsten ausgestattete Präsidentenamt Europas: mit einem Jahresbudget von derzeit 90 Millionen Euro ausgestattet, erscheint dagegen selbst die Queen mit 54 Mio.€ noch sparsam (Köhler: 36 Mio.€).

Dass Frankreich weiter nach rechts driftet – daran wird das Wahlergebnis, egal wie es ausgeht, kaum etwas ändern. Ein Sieg Sarkozys könnte zu einem Aufschrei in den Vorstädten führen, während der Zug nach rechts mit Bayrou und Royal geräuschloser wäre – aber nur graduell weniger konservativ.

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Politisches

Yahoo und die braunen Profile

Auf dem Yahoo-Portal “360°” tummeln sich wie berichtet auch zahlreiche “tiefbraune Schwule“.
In einem Brief an den Geschäftsführer der deutschen Yahoo-Tochter hatte ich u.a. meine Bestürzung über den laxen Umgang von Yahoo damit ausgedrückt und nach dem Umgang mit rechtsextremen Inhalten gefragt:

“Ich bin erschrocken, dass Yahoo in derart breitem Umfang rechtsradikale Tendenzen toleriert.
Ich frage mich wie ernst Yahoo es nimmt, seinen Verpflichtungen nachzu­kommen. Gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Nazistische Sachverhalte, Darstellungen und Inhalte nicht zu dulden. Oder zumindest die Einhaltung seiner eigenen Geschäftsbedingungen durchzusetzen.
Ein kleiner Knopf, der das Melden als verdächtig empfundener Seiten gestattet (und damit diese Frage an die Nutzer delegiert) erscheint mir eine weit unzureichendes Wahrnehmen Ihrer Verantwortung. Ich bitte Sie mir mitzuteilen wie Yahoo mit der Situation rechtsextremer, rassistischer und antidemokratischer Inhalte auf seinen Seiten umzugehen denkt bzw. welche Geschäftspolitik sie hier verfolgen, und wie sie die Umsetzung garantieren wollen.”

Vorgestern endlich kam doch noch eine Antwort des ‘Legal department’ von Yahoo Deutschland.
Darin verweist das Unternehmen darauf, dass “dritte Personen” die Inhalte einstellen und “rassistische oder extremistische Inhalte nicht erlaubt” seien und “nach Kenntnis umgehend entfernt” würden.

Das Problem dieser an sich positiv klingenden Antwort liegt im “nach Kenntnis”.
Denn wie will Yahoo Kenntnis von solchen (potenziell auch rechtswidrigen) Kenntnissen erlangen, wenn man sich nicht aktiv selbst darum bemüht, rechtsextreme Inhalte zu vermeiden?

Wie schon befürchtet verweist Yahoo dazu auf das ‘Missbrauchsformular’ – und delegiert damit seine Sorgfaltspflicht einfach an die User. Yahoo schreibt selbst dazu

“Selbstverständlich sind wir hier auf die Mitteilung von Nutzern bzw. auch auf Hinweise seitens der Strafverfolgungsbehörden angewiesen.”

Keine Hinweise darauf, dass Yahoo etwa auch von sich aus aktiv werden könnte.
Und im konkreten Fall könne man leider gar nichts unternehmen – ich hätte ihnen die URLs der betreffenden Seiten mitteilen müssen, mit anderen Daten wie den Alias-Namen (die teilweise schon ekelig genug sind) könne man nun leider überhaupt nichts anfangen.

Der Brief endet mit “Wir bedanken uns an dieser Stelle bei Ihnen für Ihre Unterstützung” und hinterlässt mich ratlos bis frustriert.

Zunächst, wofür bitte bedanken die sich? Dass nix passiert, alles bleibt wie es ist, rechtsextreme Profile und Inhalte weiterhin flott für jedermann online stehen?

Erschütternd allerdings finde ich, dass Yahoo zu der Frage, wie mit rechtsextremen Inhalten umzugehen sie, einfach nur der Verweis einfällt, man sei da auf Mitteilungen der User angewiesen.
Geht’s noch simpler? Sieht so gesellschaftliche (geschweige denn unternehmerische) Verantwortung aus? Ist Yahoo nicht fähig, nicht bereit oder nicht willens, anders, aktiver gegen rechtsextreme Inhalte vorzugehen?

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Kulturelles

einfach nett

Einfach nett finde ich es von Arte, dass sie mich erst wochenlang jeden Montag mit dem hervorragenden ReGenesis – Serial unterhalten haben, und dann heute auch noch “Mein Wunderbarer Waschsalon” oben drauf geben …

Wie schön, diesen Film endlich mal wieder zu sehen (und aufnehmen zu können).
Erinnerungen an damals, als er raus kam, Mensch, über zehn mal hab ich ihn vor Begeisterung im Laufe der Zeit im Kino gesehen … und schöne Erinnerung an eine Geburtstags-Party, die in Anlehnung an den Film im Waschsalon Brüsseler Strasse stattfand … lang lang ist’s her, seufz … ;-)

Danke, Arte :-)

PS:
Der “Wunderbare Waschsalon” wird wiederholt auf Arte am 2. Mai (0:55 Uhr) und am 7. Mai (14:55 Uhr).

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ondamaris Texte zu HIV & Aids

Sonderausschuss zu Homophobie in Polen?

Das EU-Parlament könnte schon bald einen Sonderausschuss zur Homophobie in Polen einsetzen.

Der liberale Politiker Watson (Vorsitzender der Fraktion der Liberalen im EU-Parlament) kündigte an, die Fraktionschefs im EU-Parlament würden schon bald darüber beraten, einen Sonderausschuss zu den jüngsten Entwicklungen in Polen einzusetzen. Dieser könnte sich mit Homophobie in Polen befassen.

Die Hetze und Agitation von Teilen der polnischen Regierung, von Regierunsgmitgliedern und Mitgliedern der die Regierung tragenden Parteien ist in den letzten Monaten immer unerträglicher geworden – bis zu bizarren Vorschlägen, auch nur die Erwähnung von Homosexualität im Unterricht in Polen zu verbieten.

Das Europaparlament hatte sich schon mehrfach in Stellungnahmen besorgt über die Zunahme rassistischer und antihomosexueller Gewalt in Polen gezeigt.

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Deutschland

Ein Tag in Lüdenscheid

Haste morgen schon was vor?
Nee, nix Bestimmtes.
Muss morgen nach Lüdenscheid. Will’ste mitkommen?
Oh. Äh. Was? Wo?

Na ja, warum eigentlich nicht. Liegt ja im Sauerland, wird wohl zumindest landschaftlich ganz schön sein.
Also früh morgens auf den Weg gemacht, den Mann begleitend nach Lüdenscheid. Bis Hagen mit dem IC, dort umsteigen. Die Bimmelbahn moderner Bauart schlängelt sich durch das landschaftlich reizvolle Tal der Volme, kämpft sich ab Brügge den Berg hinauf. Rechts und links der Strecke sind die traurig-trostlosen Folgen des weitgehenden Rückzugs der Bahn aus der Fläche zu bestaunen. In Lüdenscheid empfängt uns ein Bahnhof, den ich so höchstens in den Untiefen vorpommerscher Provinznester erwartet hätte.

Lüdenscheid – erste Assoziationen gehen in Richtung Loriot und seines unvergessenen ‘Müller-Lüdenscheid“, in der Wanne streitend mit Herrn Dr. Klöbner, “mit Ihnen teilt meine Ente das Wasser nicht!”.

Loriot: Müller Lüdenscheid
Loriot: Müller Lüdenscheid

Beide habe ich nicht getroffen, wenn auch einige Knollennasen ihnen recht nahe kamen.

Statt dessen: eine Stadt mit recht ansehnlich herausgeputzter Innenstadt, schönem Altstadt-Viertel und zahlreichen Wunden städtebaulicher Exzesse der Siebziger.

Doch Lüdenscheid hat auch Bedeutendes zu bieten. So meint die Stadt, der wohl größte Autohersteller der Welt zu sein. Alles nur eine Frage des Maßstabs. Denn täglich werden an die 45.000 Siku-Modellautos verkauft – und die kommen aus Lüdenscheid.

Und noch etwas, wo wir schon bei Modellbau sind: die Wilesco-Dampfmaschinen wecken Erinnerungen an die Kindheit (und an einen Film, den mit den drei ‘f’) – und diese Modell-Dampfmaschinen kommen ebenfalls aus … Lüdenscheid.

Einige Jahre früher (von Mitte des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts) war Lüdenscheid aber auch Hauptstadt der Knopf-Herstellung – ebenfalls eine Errungenschaft, die man ja nun nicht missen möchte …
Und noch ein kleines Detail – exklusiv nur in Lüdenscheid wird seit seiner Stiftung 1951 das Bundesverdienstkreuz hergestellt.

Das alles erfährt man auch bei einem Besuch im erfreulich großzügigen und gut aufbereiteten Stadtmuseum.
Dort findet sich leider auch ein erstaunlicher Kontrast: einerseits in einem eigenen Raum der Versuch, Geschichte und Situation der Stadt in der NS-Zeit darzustellen und ansatzweise aufzuarbeiten.

zerstörte Thora-Rolle, Stadtmuseum Lüdenscheid
zerstörte Thora-Rolle, Stadtmuseum Lüdenscheid

Und andererseits, nur wenige Schritte entfernt, in einem Saal oppulenter Präsentationen städtischer Ordens-Produktionen eine umfassende Sammlung betitelt “Orden in der NS-Zeit”. Einzig teilweise kommentiert durch die Montage auf ein Foto einer kriegszerstörten Stadt.
Orden, die wohl teilweise eher für Untaten als Gute Taten ‘verliehen’ wurden, ausgestellt in einer zeitlichen Kontinuität, präsentiert mit dem Gestus ‘wir haben die Orden ja nur hergestellt – weswegen die verliehen wurden, das ging (und geht?) uns ja nichts an’.

Museale Unschuld, Naivität, die mich erschüttert.

Dabei ist das kleines Städtchen (ca. 80.000 Einwohner) mal ganz seiner Zeit kulturell voraus gewesen – Kurt Weill hatte seit Ende 1919 hier sein erstes Engagement als Kapellmeister am Stadttheater Lüdenscheid, bevor er anschließend 1921 nach Berlin zurück ging und dort später u.a. in der Zusammenarbeit mit Brecht große Erfolge feierte.

Gedenktafel Kurt Weill in Lüdenscheid
Gedenktafel Kurt Weill in Lüdenscheid

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ondamaris Texte zu HIV & Aids

Das Schuldprinzip in der Krankenversicherung

Am 1. April ist die lange diskutierte Gesundheits-Reform in Kraft getreten. Angesichts all der Berichte über Wahl-Tarife und Beitrags-Rückerstattungen ist ein kleines Detail kaum berichtet worden. Das Schuldprinzip ist in die Krankenversicherung eingeführt worden.

Ab dem 1. April dürfen wir uns nicht nur für Wahltarife entscheiden, mit verschiedenen Prämien, Selbstbehalten, Rückerstatttungen. Sondern die Kassen müssen auch nicht mehr aufkommen für Kosten in Folge von Piercings sowie Kosten nach unnötigen Schönheits- Operationen (das Gesundheitsministerium nennt das „Behandlung von Folgeerkrankungen aufgrund nicht notwendiger medizinischer Eingriffe“).

Wieder einmal ist das Tor weiter aufgemacht worden. Ein Tor, über dem als Überschrift stehen könnte „Das Schuldprinzip“.

Früher einmal war die Krankenversicherung nach dem Solidarprinzip gestaltet, wie beinahe die gesamte Sozialversicherung. Doch inzwischen greift zunehmend die Schuldfrage um sich – „ist der/die doch selbst schuld dran, was soll die Versicherten-Gemeinschaft dafür zahlen?“

Nun mag man/frau ja denken, „stimmt ja auch, was soll’s, hat ja selbst schuld., wer sich ein Piercing machen lässt (oder eine Schönheits-OP), und dann hinterher Probleme auftreten. Was soll ich mit meinen Krankenversicherungs- Beiträge dafür zahlen.“
Und schon ist man/frau in die populistische Falle der Entsolidarisierungs- Politik getappt.

Denn das könnte allerdings etwas kurz gedacht sein.
Vielleicht ist dann der nächste Ski-Unfall, der Sturz mit dem Motorrad demnächst auch nicht mehr versichert? Oder der die kleinen Problemchen, letztens, hingefallen als Sie so ein klein wenig beschwipst waren?
Und irgendwann dann auch die Behandlung der Raucher-Lunge, oder der HIV-Infektion? (schließlich, sie mussten ja nicht rauchen, und das mit dem Virus, das wussten sie doch vorher, dass das riskant ist…)

Das mag absurd erscheinen, nicht vorstellbar sein. Aber – mit Piercings und Schönheits-OPs ist ein Anfang (der ‚Selbst-Haftung‘) gemacht. Und das ‚Schuld-Prinzip‘ wird weiter ausgeweitet werden. Die so genannten ‚Risiko-Sportarten‘ sind bereits (nicht nur bei CDU-Politikern) in der Diskussion, könnten als nächste aus dem Versicherungsschutz der Krankenversicherungen ausgeschlossen werden.

Wollen wir das wirklich? Wollen wir ein derart immer mehr ent-solidarisiertes System?
Ein System, das Risiken wieder privatisiert? Für jeden und alles private Vorsorge-Versicherungen verlangt?
Oder nicht doch eine solidarische Krankenversicherung, die für alle Risiken der Gesundheit einsteht, und von allen für alle getragen wird?

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Text 22. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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ondamaris Texte zu HIV & Aids Politisches

Gedenkstätte Ravensbrück

Nach einem Besuch in Fürstenberg (Havel) / Ravensbrück im Frühjahr 2007 könnte man sich so einige Fragen stellen, z.B.

  • warum ist die Gedenkstelle für das Frauen- Konzentrationslager Ravensbrück immer noch so unscheinbar und schlecht ausgeschildert?
  • was ist los an einem Ort, der an der ehemaligen Lagerstraße, in unmittelbarer Nähe zur Gedenkstätte, einen Supermarkt-Neubau genehmigt, dessen Eröffnung erst durch internationale Proteste gestoppt wird?
  • wie viel (besser gesagt, wie wenig) Geld ist dieses Land bereit für Gedenkstätten zur Verfügung zu stellen?
  • warum wird das Schicksal lesbischer Frauen in der Gedenkstätte kaum erwähnt?

Allein, nach einem Tag in Ravensbrück ist mir nicht nach (öffentlichem) Schreiben zumute. So müssen einige Fotos genügen:

Ravensbrück Mahnmal 'Müttergruppe', Fritz Cremer 1965
Ravensbrück Mahnmal ‚Müttergruppe‘, Fritz Cremer 1965 (Foto 2007; Skulptur nach Sanierung seit 2011 wieder aufgestellt)
Supermarkt an der Lagerstraße?
Supermarkt an der Lagerstraße?

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1984 bis 1986 versuchten Frauen der Ostberliner Gruppe Lesben in der Kirche mehrfach, lesbischer Frauen die von den Nazis verfolgt wurden zu gedenken. Sie wurden von den Behörden daran ge- oder dabei behindert.

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Seit 2013 zeigt die Mahn- und Gedenkstätte die neue Dauerausstellung „Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück – Geschichte und Erinnerung“.

Am 9. Oktober 2018 stimmte der Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte einem Antrag des LSVD zu, mit einer ‚Gedenkkugel‘ der lesbischen Frauen unter den Häftlingen zu gedenken. Die zuständigge Fachkommission allerdings beschloss einen anderen Text.
Stiftungsdirektor Drecoll betonte, angesichts dieser divergierenden Beschlüsse gebe es „zum jetzigen Zeitpunkt keine Möglichkeit, ein solches Gedenkzeichen in der Mahn- und Gedenkstätte zu errichten“.
Die bereits viele Jahre andauernde Debatte hat damit auch 2018 noch keinen Abschluß gefunden. Unter anderem gibt es eine mehrjähriger Kontroverse zwischen der Initiative „Autonome feministische Frauen Lesben aus Deutschland und Österreich“ und dem LSVD um den Text der Inschrift.

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siehe auch Übersicht über die Denkmale für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

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Über das Ausdehnen staatlicher Kontrolle

Sonntag Morgen, Frühstück und Lesen im Bett. Blättere in einem Bändchen über Menschenrechte, herausgegeben schon 1997 von der 2002 verstorbenen Marion Dönhoff. Stoße im Laufe des Lesens auf folgende Aussagen von Dieter Grimm (ehemals Richter am Bundesverfassungsgericht):

  • „Den tieferen Grund für die sinkende Wertschätzung von Freiheitsrechten in unserer Gesellschaft sehe ich darin, daß in einer Zeit dramatischer, kumulierender Veränderungen, wie wir sie im Augenblick erleben, sich auch dramatisch das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung erhöht. Für Sicherheit ist Freiheit in aller Regel ein Risiko. Ich habe den Eindruck, als überträfe das Sicherheitsverlangen mittlerweile zu einem erheblichen Teil den Freiheitswillen. Die säkulare Umorientierung der Staatstätigkeit auf Prävention ist ein Ausdruck dafür. Prävention bedeutet ja nichts anderes als eine Vorverlagerung der staatlichen Tätigkeit in Räume, die ihm bisher verschlossen waren.“

Diese Aussage möchte ich ja zu gerne so manchem Politiker derzeit ins Stammbuch schreiben, ob sie nun Verbots-Exzesse vorschlagen, in Privaträume eindringen oder repressive Mottenkisten austragen. Gesundheit, Innenpolitik, Strafrecht – es gibt genügend Beispiele allein in den letzten Monaten, bei denen der Staat seinen Handlungs- (und Regelungs-) Raum versucht in Gebiete auszudehnen, die ihn bisher nichts angehen.

Diese ständige Ausweitung staatlicher Handlungsrahmen schränkt individuelle Freiheiten ein. Auf EU-Ebene wird in diesem Fall schnell über Regelungswut gestöhnt und geklagt, bald auch der hehre Grundsatz der Subsidiarität gepredigt. Allein, auf staatlicher Ebene sind genau die selben Herren und Damen schnell mit immer neuen Regulierungen und Eingriffen zur Hand.

Und wo bleibt der Aufschrei derer, die Freiheitsrechte verteidigen?

Ich befürchte, Herr Grimm hat (er schrieb obiges Zitat schon 1997!) immer noch Recht – das Verlangen nach Sicherheit scheint bei weitem das Verlangen nach Freiheit zu übertreffen.

Hoffentlich wird auch Grimms Warnung gehört, dass die Tendenz der „in den Raum des legalen Bürgerverhaltens vorverlagerte kontrollierende Staatstätigkeit“ … „ohne einen Freiheitspreis nicht beliebig fortsetzbar ist„.

Wir sollten doch genügend aus unserer eigenen Geschichte gelernt haben, um Freiheit und Freiheitsrechte schätzen und achten zu können. Oder nicht?

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Über Freiheit und Verbote

Immer breiter scheint sich auch in Deutschland eine Tendenz zu mehr Verboten durchzusetzen. Kontrolle, Repression, Machtinstrumente, anstatt auf die Fähigkeiten der Menschen zu vertrauen, Vielfalt zu ermöglichen und auszuhalten. Menschen wo möglich in diesen Fähigkeiten zu unterstützen, ihnen helfen sie auszubauen. Nein, angesagt ist Repression statt Emanzipation.

Was einst die Unantastbarkeit der Privatsphäre war, wird zunehmend ausgehöhlt mit der vordergründigen Erklärungsversuchen, seien sie Förderung der Gesundheit oder auch Bekämpfung von Terrorismus.

Die Maxime der Zeit scheint zu lauten ‚immer weiter gehende Eingriffe in Persönlichkeitsrechte‘. „Mehr Demokratie wagen“, diese Idee scheint längst in der Mottenkiste der Zeit gelandet zu sein. Antidemokratische Ideen hingegen sind groß ‚en vogue‘.

Der Hausfriedensbruch, laut Strafgesetzbuch immer noch eine Straftat, wird wohl bald in Sachen Computer staatlich legalisiert (u.a. Stichwort ‚Bundestrojaner‘, Online- Durchsuchung). Die (vergebliche) Verleihung des schwarz-rot-goldenen trojanischen Pferdes an den Verfassungsschutz NRW durch den Chaos Computer Club hat in hier beinahe schon den Beigeschmack einer verzweifelten kabarettistischen Geste.
Bemühungen, die Gesundheit zu fördern und das Rauchen einzuschränken pervertieren zu Verbotsorgien bis in den Privatbereich (‚Rauchverbot für Eltern‘ etc.). (Ich bin Ex- und jetzt Nichtraucher, seit 14 Jahren, mich stört die Qualmerei auch recht oft. Aber ich will auch keine Hexenjagd…)
Der Pranger wird wohl wieder eingeführt – Sexualstraftäter, selbst wenn sie ihre Strafe verbüßt haben und entlassen sind, sollen in einer weitgehend allgemein einsehbaren Datei („Sexualtäter- Datenbank“) gespeichert werden, fordern ‚christliche‘ Politiker von Petke bis Rüttgers.
Und nicht nur ebenfalls ‚christliche‘ Politiker, sondern auch einige bedauerliche Schwulenaktivisten haben irgendwas mit der Verantwortung missverstanden und möchten am liebsten jegliche Form von unsafem Sex verbieten und den Sozialstaat demontieren (oder schadenfroh sagen können ’selbst schuld, dann zahl jetzt auch selbst …‘). (Vielleicht hilft es, darum nicht viel Fedderlesens zu machen?)
Bleibt nur zu warten, wann aus Gründen des Klimaschutzes der Konsum von Bier und Sekt (Kohlensäure, CO²-Emission!) verboten wird …

Verbote und Kontrollen sind ein billiges Mittel, schnell vermeintliche Entschlossenheit und tatkräftiges Handeln zu demonstrieren.
Im billigsten Fall ist solche Politik nichts mehr als nur plakativer Aktionismus und für Stammtische gedacht. Im schlimmeren Fall ist sie antidemokratisch, gefährdet eine freie Gesellschaft.

Verbote und Kontrollen statt des Förderns als positiv empfundener Verhaltensweisen sind immer auch ein Mittel einer Gesellschaft (und von Menschen), die auf Macht, auf Herrschaft über andere setzt.
Eine Politik der Angst (Angst als gesellschaftlich betriebenes Phänomen und politisches Instrument), womöglich noch verbunden mit politischer Apathie, ist zutiefst antidemokratisch.

Wer Angst hat, kann leichter beherrscht werden. Sehnt sich irgendwann womöglich nach Führung.
Wer sich frei fühlt, benötigt keine Herrschaft, kann selbst eigenverantwortlich (und damit auch ethisch verantwortlich) über sich, sein Leben, sein Verhalten entscheiden.

Emanzipation,Freiheit und eigenverantwortliches Denken und Handeln zu fördern, Autonomie zu stärken wäre meines Erachtens der erstrebenswertere Weg, der Weg zu mehr Demokratie. Und wenn schon regulatorische Eingriffe, dann statt Verboten lieber Gebote.

Freiheit fördern, statt sie immer weiter einzuschränken, Zwänge auszuüben, Verbote auszusprechen.
Freiheit fördern, sich immer neuen Verboten, Einschränkungen, Repressionen, antidemokratischen Tendenzen entgegenstellen.
Verbote und Angst bekämpfen, Freiheit verteidigen und fördern.