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Nachdenkliches

Nineeleven – mein 11. September, oder: „lass mal, das interessiert mich nicht mehr“

Nineeleven, 11. September 2001, ein Synonym für die Erschütterung unerschütterlich geglaubter Gewissheiten.
11. September – ein Tag wie jeder andere, ein banaler Geburtstag.

Am 11. September feierte meine Mutter auch 2001 ihren Geburtstag, wie in jedem Jahr zuvor. Und doch – es war und wurde ein besonderer Tag. Auch ohne World Trade Center, Terroristen und …

Monate zuvor. Ich bin gemeinsam mit Frank für einige Frühlingstage in Barcelona. Wir sitzen auf einem kleinen Platz, frühstücken, als das Handy klingelt. Mein Vater ist dran, berichtet in einigen kurzen Minuten, meine Mutter habe eine Untersuchung wegen ihrer Magenprobleme gehabt. Der Arzt wisse nun, woran es liege, es sei nichts wirklich Ernsthaftes, er wollte nur kurz Bescheid gesagt haben.
Er nannte noch kurz die Diagnose, einen lateinischen Fachbegriff, der ihm nichts sagte. Mir schon, sofort dieses flaue Gefühl im Magen. Ein befreundeter Arzt bestätigte mir, nach Bitte um ehrliche Worte, es handele sich um einen Krebs in unheilbarem Stadium. Wenige Monate blieben nur, „geh von drei oder vier aus“, sagte er.

Klare Worte waren mir schon immer lieber als langes Drumherumreden ohne genaues Wissen (auch die Jahre im Rheinland haben dies nicht verändert). Ich wusste nun, was die Situation war. Konnte mich nach erstem Schock und Gefühlen informieren. Nein, es gab tatsächlich keine therapeutischen Möglichkeiten, nur einige palliative Maßnahmen. Ja, gegen Ende könne es „sehr unschön“ werden.

Meine Eltern waren in dieser Zeit – wie schon so oft zuvor – keine Freunde klarer Worte. Redeten die Situation schöner als sie war. Klammerten sich, beide je auf ihre Art, an jeden erreichbaren, aus Freundeskreisen oder obskuren Zeitungen herbei getragenen Hoffnungsschimmer. Jedem Hoffnungsfunken folgte eine kleine Enttäuschung. Wieder und wieder wurde eine neue ‚Methode‘ gefunden. Gößer wurde nur die Enttäuschung in die jeder Versuch mündete.

Irgendwann Ende des Sommers waren alle Hoffnungsschimmer verflogen. Alles ‚Kopf in den Sand Stecken‘ konnte das Sichtbarwerden der unvermeidbaren Wahrheit nicht verhindern.

In diese Zeit fiel der 11. September, der Geburtstag meiner Mutter. Wir hatten den Tag leise vorbereitet. Meine Mutter wollte unbedingt noch einmal viele ihrer Freundinnen und Freunde, Kegelschwestern und Sport-Kolleginnen, einige Verwandte, Nachbarn und Nachbarinnen sehen. Ihre Kräfte waren bereits sehr begrenzt. Vorsorgende Vorbereitung, eine umsichtige und sich auf angenehme Art zurück haltende Pflegerin, viel Hilfe im Hintergrund, eine gewisse Besuchs-Planung und sanftes Steuern halfen, ihr den Tag so angenehm wie möglich und so wenig kräftezehrend wie machbar zu gestalten.

Mein Handy klingelte, als ich gerade irgend einem Besuch Kaffee servierte. K. war dran, in den ich damals ziemlich verliebt war. „Mach schnell die Glotze an, is was Unglaubliches passiert.“ Eindringlich wiederholte er, trotz meiner Hinwiese, ich sei auf dem Geburtstag meiner Mutter (von deren Situation er, Medizinstudent und damals auch wichtiger Ratgeber zum Umgang mit der Situation, wusste). Frank übernahm den Besuch, ich ging nach oben, um kurz und ohne Mutter und Besuch zu stören den Nachrichtensender einzuschalten. Sah erste Bilder, ein Flugzeug, das scheinbar, warum nur, in einen der Türme des World Trade Center geflogen war. Nineeleven. Hörte den Kommentar eines Sprechers, der selbst kaum wusste was geschah, geschweige denn erklären konnte.

Ich ging wieder nach unten, zu Frank, Mutter, Familie und Besuch. Ging in der folgenden Zeit einige Male wenn die Situation es erlaubte kurz nach oben, an den Fernseher, sehen was es Neues gab. Erzählte schließlich, in einer Pause zwischen zwei Geburtstags-Besuchern, meiner Mutter von dem Unfassbaren. Nineeleven. Ein Terroranschlag, ein Flugzeug, einer der Türme des World Trade Centers eingestürzt, das sie selbst noch vor einigen Jahren auf ihrer USA-Reise gesehen hatte, so beeindruckt war. Meine Mutter, die wohl wusste, wie sehr ich Nachrichten-Junkie und Politik-interessiert war und bin, entgegnete mit leerem Blick „lass man, Ulrich, das interessiert mich jetzt nicht mehr.“

Ich schämte mich, dass ich nicht sensibler war, mich nicht mehr auf ihre Situation, ihre Interessen und Bedürfnisse eingestellt hatte. Kümmerte mich wieder, zusammen mit Frank, Vater, Bruder und dessen Freundin, um sie und ihren Geburtstag (nicht ohne seltene kurze Ausflüge an den Fernseher, wenn meine Mutter ein Nickerchen brauchte).

Ihren Geburtstag noch zu erleben, ein allerletztes mal noch, einige ihr liebe Menschen noch einmal zu sehen – darauf hatte meine Mutter all die ihr noch verbleibende Kraft konzentriert. In den folgenden Tagen ging es ihr zunehmend schlechter.

Eine Woche später, eine Woche nach ihrem letzten Geburtstag, eine Woche nach Nineeleven, am 18. September 2001, starb meine Mutter.

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Den 11. September 2001 erinnere ich als Tag des letzten Geburtstags meiner Mutter. Nach vielen Jahren großer Distanz Momente voller Offenheit, Ehrlichkeit und zugleich warmer Nähe. Und ein Abschied.
Zugleich erinnere ich den 21.9.2001 als Tag des Terroranschlags auf das World Trade Center.

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Was ist von Bedeutung?
Was ist wirklich wichtig?
Selten (siehe auch, auf andere Art, „„20 Jahre Mauerfall“) habe ich eine Situation so gespalten erlebt wie am 11. September 2001.

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Berlin Homosexualitäten

Friedrich Drake , der Schöpfer der Goldelse

Friedrich Drake? Nur noch wenige kennen heute seinen Namen, auch nur noch wenige Berliner. Sein bekanntestes Werk hingegen kennen viele … die so genannte Goldelse .

Der Bildhauer Friedrich Drake wurde  am 23. Juni 1805 in Bad Pyrmont geboren. Er starb am 6. April 1882 in Berlin. Drake war Schüler von Christian Daniel Rauch.

Bekanntestes Werk von Friedrich Drake ist die ‚Viktoria‚ – die bronzene Skulptur der (römischen) Siegesgöttin Viktoria (angeblich nach dem Vorbild seiner Tochter Margarethe gestaltet) auf der 1873 eingeweihten und 2010/11 aufwendig sanierten und neu vergoldeten Siegessäule.

1938 / 1939 wurde die Siegessäule vom früheren Standort, dem heutigen Platz der Republik an den heutigen Standort am Großen Stern versetzt.

Friedrich Drake konnte 1873 wohl noch nicht ahnen, dass die Siegessäule und seine Viktoria später an neuem Platz zu dem Symbol des bekanntesten schwulen Cruising-Gebiets im Tiergarten werden sollte, mit seiner Siegesgöttin Viktoria verballbornt als ‚Goldelse‘.

Oder doch? Sein Grab jedenfalls befindet sich auf dem Alten St. Matthäus Kirchhof – der sich seit vielen Jahren bei schwulen Verstorbenen und ihren Angehörigen großer Beliebtheit erfreut …

Grab Friedrich Drake, Schöpfer der Goldelse – Foto

Grab Friedrich Drake, Schöpfer der Goldelse / Alter St. Matthäus Kirchhof Berlin
Grab Friedrich Drake, Schöpfer der Goldelse, Grab auf dem Alten St. Matthäus Kirchhof Berlin
Friedrich Drake Grab 2018
Friedrich Drake Grab 2018
Grabstätte Friedrich Drake im April 2023

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HIV/Aids Kulturelles ondamaris Texte zu HIV & Aids

Elizabeth Taylor (1932 – 2011)

Die us-amerikanisch – britische Filmschauspielerin Elizabeth Taylor starb am 23. März 2011 in Los Angeles. Taylor engagierte sich umfassend auch gesellschaftlich und politisch, besonders bekannt wurde ihr Aids-Engagement.

Nach langer Krankheit ist die in London am 27. Februar 1932 geborene Schauspielerin Elizabeth Taylor am 23. März 2011 im Alter von 79 Jahren in Los Angeles gestorben. Aufgrund eines Herzfehlers hatte sie sich bereits seit mehreren Wochen in einem Krankenhaus aufgehalten. Taylor wurde am 24. März entsprechend traditionellen jüdischen Zeremonien auf dem Forest Lawn Memorial Park in Glendale (Kalifornien) beigesetzt worden. Sie war 1959 zum jüdischen Glauben übergetreten.

Taylor spielte in nahezu 50 Filmen und erhielt drei Oscars, zwei für ihre Filme „Telefon Butterfield 8“ (1961) und „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (1967) sowie einen Ehren-Oscar 1993 für ihre humanitären Verdienste, insbesondere auch ihr Engagement für die Aids-Hilfe.

Elizabeth Taylor am 16. März 1971 (Foto: Anefo / Mieremet, R. / Dutch National Archive; Lizenz cc-by-sa 3.0)
Elizabeth Taylor am 16. März 1971 (Foto: Anefo / Mieremet, R. / Dutch National Archive; Lizenz cc-by-sa 3.0)

Elizabeth Taylor after landing at SchipholAnefo / Mieremet, R.[1] Dutch National Archives, The Hague, Fotocollectie Algemeen Nederlands Persbureau (ANEFO), 1945-1989, Nummer toegang 2.24.01.05 Bestanddeelnummer 924-3581CC BY-SA 3.0 nl

Anfang der 1980er Jahre, ganz zu Beginn der Aids-Epidemie, war Elizabeth Taylor die erste Prominente, die ihren Status dazu  nutzte, um auf die Situation der an Aids Erkrankten aufmerksam zu machen. Taylor war Vorsitzende einer der ersten großen Aids-Benefiz-Veranstaltungen der USA, des „Commitment of Life“ 1985.

Elizabeth Taylor war ebenfalls 1985 – nach dem Tod ihres Schauspiel-Kollegen und Freundes Rock Hudson an den Folgen von Aids – gemeinsam mit Dr. Mathilde Krim und einigen wenigen weiteren Ärzten und Wissenschaftlern beteiligt an der Gründung der „American Foundation for AIDS Research“ (AmfAR), die sie immer wieder unterstützte. Zudem gründete sie 1991 die „Elizabeth Taylor AIDS Foundation“ (ETAF).

Schätzungen zufolge soll Elizabeth Taylor Spenden in Höhe von über 100 Millionen US-$ für den Kampf gegen Aids eingeworben haben (1).

Christophe Martet erinnert sich in einem Nachruf auf Elizabeth Taylor an ihr Auftreten bei der Welt-Aids-Konferenz in Vancouver 1996:

„Die Dreier-Kombinationstherapie wurde gerade eingeführt. Die kanadische Regierung weigerte sich damals, diese bereit zu stellen. Taylor kommentierte dies, in der Intonation der ‚Katze auf dem heißen Blechdach‘, unter dem Applaus des Publikums mit den Worten „Ehrlich gesagt hatte ich besseres erwartet von einem reichen Industriestaat“.

Michel Sidibé, Generaldirektor von UNAIDS, bezeichnete Elizabeth Taylor in einer Presseerklärung anläßlich ihres Todes als „erste Aids-Aktivistin“:

„Elizabeth Taylor was one of the first AIDS activists and one of the first celebrities to use her influence and public persona to help educate people about HIV and remove the fear and stigma surrounding the disease.“

Elizabeth Taylor selbst begründete ihr Engagement gegen Aids früh – in Zeiten einer ignoranten Haltung gegenüber Aids durch die US-Politik unter Ronald Reagan – mit folgenden Worten:

„I have to show up because it galvanizes people. [They] know . . . I’m not there to sell or gain anything. I’m there for the same reason they are: to get something done.“

The industry knew homosexuals were being hit hard, but instead of extending a loving hand and saying, ‘You helped me get to where I am today, without you I wouldn’t have made it,’ they turned their backs. … I remember complaining, ‘Why isn’t anybody doing anything? Why isn’t anyone raising money?’ … And it struck me like lightning: ‘Wait a second, I’m not doing anything.’”

Dann wurde sie aktiv.

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POZ November 1997: Elizabeth Taylor Tells the Truth
DAH-Blog 24.03.2011: Saint Elizabeth
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(1) Von 50 Millionen US-Dollar sprechen die englischsprachigen Wikipedia sowie Websters online Dictionary. Die New York Times nennt in ihrem Nachruf vom 23.3.2011 die Summe von über 100 Millionen Dollar.

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Text 25.02.2016 von ondamaris auf 2mecs

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Frankreich Homosexualitäten

Natzweiler Struthof Gedenken homosexuelle NS-Opfer

Am 25. September 2010 wurde im ehemaligen Straf- und Arbeitslager Struthof eine Plakette eingeweiht, die an die wegen ihrer Homosexualität verfolgten Insassen des Lagers erinnert.

Im Elsass, etwas über 50 Kilometer südwestlich von Strasbourg befand sich von 1941 bis 1945 das Straf- und Arbeitslager Natzweiler-Struthof. Insgesamt fast 52.000 Personen aus ca. 30 verschiedenen Nationen wurden nach Natzweiler oder eines seiner Nebenlager deportiert, unter ihnen auch Homosexuelle.

Seit 1960 gibt es in Struthof ein Mahnmal, das „Mémorial de la Déportation“ – das jedoch Homosexuelle als NS-Opfer nicht erwähnt.

Namentlich sind nach Angaben der Fondation pour la Mémoire de la Déportation 215 Insassen des Lagers Struthof bekannt, die aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt wurden, darunter 15 Franzosen.

Gedenkplakette an homosexuelle Opfer im Lager Natzweiler Struthof

Am 25. September 2010 wurde eine Plakette enthüllt, die an die aufgrund ihrer Homosexualität verfolgten Insassen des Lagers Struthof erinnert.

Struthof Gedenken homosexuelle NS-Opfer(Foto: Claude Truong-Ngoc)
Struthof Gedenk-Plakette Deportation Homosexuelle (Foto: Claude Truong-Ngoc; Lizenz cc by-sa 3.0)

Camp de concentration de Natzwiller-Struthof. Plaques mémorielles. – Claude TRUONG-NGOCCC BY-SA 3.0

Die Plakette, die an der Mauer des Erinnerns angebracht wurde, trägt die Inschrift

À la mémoire des victimes de la barbarie nazie, déportées pour motif d’homosexualité
(In Erinnerung an die Opfer der Nazi-Barbarei, die aufgrund ihrer Homosexualität deportiert wurden).

Man habe sich seit vier Jahren um diese Plakette bemüht, zeigte sich der Präsident des Vereins “Les «Oublie(e)s» de la Mémoire” gegenüber Tetu erfreut. Erstmals werde nun auch deportierten Homosexuellen gedacht.

Etwa 500 Menschen wurden in Frankreich wegen ihrer Homosexualität in der NS-Zeit deportiert, darunter ca. zehn Ausländer.

Homosexuelle im KZ Natzweiler – Zeitzeugenbericht

Hans-Georg Stümke und Rudi Finkler zitieren in ihrem 1981 erschienenen Buch ‚Rosa Winkel, Rosa Listen‚ einen Zeitzeugen, der über das KZ Natzweiler u.a. berichtet

„Ich sah wohl manchen Rosa Winkel. Wie er in den Tod befördert wurde, weiß ich nicht. Ich war nicht dabei. Eines Tages war er verschwunden. … kann ich jederzeit unter Eid bezeugen dass ich gleich bei meiner Einlieferung in Natzweiler wegen meines rosa Winkels von den anderen Häftlingen separiert wurde, um vom SS-Unterscharführer und dem Blockältesten (einem Häftling) gemeinsam in der brutalsten Weise … mißhandelt zu werden …“

W. Harthauser 1967: Der Massenmord an Homosexuellen im Dritten Reich, in: W.S.Schlegel: Das große Tabu. Zeugnisse und Dokumente zum problem der Homosexualität. zitiert nach Stümke/Winkler: Rosa Winkel, Rosa Listen, Reinbek 1981

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Vom 1. Mai 1941 bis 23. November 1944 befand sich nahe Natzweiler ein Straf- und Arbeitslager, das KZ Natzweiler-Struthof.  Es wurde am 23.11.1944 durch die Alliierten befreit. Einige Außenlager bestanden weiterhin, die Hauptverwaltung war zudem vor der Befreiung in das Neckartal verlagert worden.

Seit 2005 erinnert das “Europäische Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers” an die Geschichte dieses und anderer Konzentrationslager.

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Der im benachbarten KZ Schirmck inhaftierte Pierre Seel berichtet in seinen Erinnerungen Moi, Pierre Seel (2010), er habe im Rahmen seiner Zwangs-Arbeitseinsätze bei der Errichtung des Lagers Struthof mitarbeiten müssen.

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siehe auch Übersicht über die Denkmale für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

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Frankreich Homosexualitäten

Paris: wird Jean Le Bitoux Nachlass zum Anlass für schwul-lesbisches Archiv?

Der jüngst verstorbene französische Schwulen-Aktivist Jean Le Bitoux hat seinen Nachlass der Stadt Paris vermacht – könnte der Jean le Bitoux Nachlass das Projekt eines LGBT-Archivs neu beleben.

Jean Le Bitoux, französischer Aktivist für die Rechte von Schwulen und Lesben und Gründer der französischen Schwulenzeitschrift Gai Pied, verstarb am 20. April im Alter von 62 Jahren in Paris. Le Bitoux war eine der zentralen Persönlichkeiten der französischen Schwulenbewegung und auch im Kampf gegen Aids engagiert. Le Bitoux hinterließ u.a. ein über 40 Kartons umfassendes persönliches Archiv.

In einem Brief teilte der Bürgermeister der französischen Hauptstadt mit, Jean Le Bitoux habe sein umfangreiches Archiv der Stadt Paris vermacht:

“Jean Le Bitoux, dans son testament, lègue son vaste fonds d’archives à la Ville (de Paris), dans l’attente de l’ouverture effective de ce Centre aujourd’hui piloté par le chercheur et militant Louis-Georges Tin.

Das “LGBT Archiv Paris” ist ein Projekt, das bereits in der ersten Amtszeit des Bürgermeisters Delanoe und mit Beteiligung von Le Bitoux gestartet wurde. Für eine Vorstudie zur Machbarkeit wurden im September 2002 bereits 100.000 Euro von der Stadt Paris bereit gestellt. Nach einer positiven Bewertung des Projekts durch die Direktion der französischen Archive hat inzwischen Louis-George Tin die Leitung des Projekts übernommen.

Seit vier Jahren herrschte allerdings Ruhe um das Projekt. Der Jean Le Bitoux Nachlass dürfte  nun dazu führen, dass neuer Schwung in das Projekt “LGBT Archiv Paris” und seine Realisierung kommt.

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Nachtrag 17.12.2015: Ende 2015 sind (endlich) erste konkrete Schritte für die Initiierung eines LGBT-Archivs in Paris unternommen.

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weitere Informationen:
Tetu 25.06.2010: Le testament de Jean Le Bitoux fera-t-il renaître les archives homo de Paris?
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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Magnus Hirschfeld (1868 – 1935)

Am 14. Mai 1935 starb Magnus Hirschfeld in Nizza. Am 10. Mai 2010 wird Hirschfeld in Berlin mit einer Gedenkveranstaltung in Anwesenheit von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit sowie Bundesjustizministerin a.D. Brigitte Zypries gedacht.

Magnus Hirschfeld, am 14. Mai 1868 in Kolberg / Kołobrzeg geboren, studierte von 1888 bis 1892 in Straßburg, München, Heidelberg und Berlin Philosophie, Philologie und Medizin. Danach eröffnete er in Magdeburg eine naturheilkundliche Arztpraxis; zwei Jahre später zog er nach Berlin.

1897 gründete Magnus Hirschfeld gemeinsam mit dem Verleger Max Spohr, dem Juristen Eduard Oberg und dem Schriftsteller Max von Bülow das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK), zu dessen Vorsitzendem er gewählt wurde. Das WhK setzte sich u.a. zum Ziel, homosexuelle Handlungen zwischen Männern zu entkriminalisieren. Eine Petition zur Abschaffung des §175 fand große Unterstützung, scheiterte jedoch letztlich.

Magnus Hirschfeld gründete 1918 gemeinsam mit dem Dermatologen Friedrich Wertheim und dem Psychotherapeuten Arthur Kronfeld in Berlin das ‘Institut für Sexualwissenschaften‘ mit dem Ziel der “Förderung wissenschaftlicher Forschung des gesamten Sexuallebens und Aufklärung auf diesem Gebiete”.

Magnus Hirschfeld
Magnus Hirschfeld

Das Institut wurde 1933 durch die Nationalsozialisten geschlossen, die umfangreiche Institutsbibliothek bei der Bücherverbrennung auf dem Opernplatz (heute Bebelplatz) vernichtet.

Hirschfeld selbst war schon 1932 nach einer Auslandsreise direkt ins Exil gegangen, zunächst in die Schweiz (Ascona), dann nach Frankreich (Paris, dann Nizza). In Nizza starb Hirschfeld am 14. Mai 1935, seinem 67. Geburtstag. Er wurde auf dem Cimetière de Caucade von Nizza beigesetzt.

An Magnus Hirschfeld erinnert in Berlin seit Mai 2008 das Magnus-Hirschfeld-Ufer. Schon seit 1994 erinnert zudem eine Stele an das frühere Institut für Sexualwissenschaften. Zum 145. Geburtstag von Magnus Hirschfeld (geboren 14. Mai 1868 in Kolberg) soll am Magnus-Hirschfeld-Ufer ein Denkmal für Hirschfeld eingeweiht werden.

Am 10. Mai 2010 wird Hirschfeld mit einer Gedenkveranstaltung auf dem Bebelplatz in Berlin gedacht (15:30Uhr, am Mahnmal für die Bücherverbrennung). Ein Grußwort spricht Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin; die Gedenkrede hält Brigitte Zypries MdB, Bundesministerin der Justiz a.D..

Vom 11. Mai bis bis 10. Juni 2010 findet im Foyer der Humboldt-Universität (“Kommode”) am August-Bebel-Platz die Ausstellung “Das erste Institut für Sexualwissenschaft 1919-1933″ statt. Anhand von Fotos und Dokumenten gibt die Ausstellung einen Überblick über die Arbeit des Instituts ab 1919. Sie stellt die wichtigsten Mitarbeiter, namhafte Besucher und Gäste vor. Exemplarisch werden das Engagement der Mitarbeiter illustriert, ihre Aktivitäten in der Sexualreformbewegung, in der Gerichtsmedizin, in Beratung, Aufklärung und Sexualerziehung.

Nachtrag 16.05.2010:
Am 14. Mai 2010 fand eine Gedenkveranstaltung auch am Grab von Magnus Hirschfeld in Nizza (Cimetière de Caucade) statt. Bericht und Foto auf tetu: Magnus Hirschfeld, vedette posthume 
du festival «Espoirs de mai» à Nice

weitere Informationen:
Magnus Hirschfeld Gesellschaft e.V., Stiftung Topographie des Terrors, Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, hannchen mehrzweck stiftung: Pressemitteilung Gedenken zum 75. Todestag von Magnus Hirschfeld (pdf)
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Text 18.02.2016 von ondamaris auf 2mecs

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Deutschland

Johannes ter Morsche – schwierige Wege des Gedenkens

Eine Stele erinnert in Zinnowitz an Johannes ter Morsche. Eine Straße, die einst nach ihm benannt war, trägt hingegen wieder ihren alten Namen Waldstraße. Über die Geschichte eines Widerstandskämpfers und schwierige Wege des Gedenkens.

Zahlreiche Techniker und Ingenieure, die tagsüber in Peenemünde arbeiteten, lebten und wohnten in Zinnowitz. Nur wenige reflektierten kritisch ihre Arbeit, den Beitrag zu Krieg und Vernichtung, den sie leisteten – und leisteten Widerstand. Ebenso nur wenige Zinnowitzer Bürger. Einer der wenigen, die Widerstand leisten: Johannes ter Morsche.

Johannes ter Morsche (1894 - 1944)
Johannes ter Morsche (1894 – 1944)

Der am 8. Dezember 1894 in Almelo / Niederlande  geborene Johannes ter Morsche heiratete am 22. August 1929 Margarete Böttcher, ein Zimmermädchen aus Zinnowitz auf Usedom, mit der er zwei Kinder hatte. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande siedelte der Kommunist ter Morsche mit seiner Familie als Zwangsverpflichteter nach Zinnowitz über.

Gemeinsam mit seiner Zinnowitzer Frau gehörte er zu einer Gruppe Oppositioneller im damaligen Sperrgebiet Peenemünde, die sich um katholische Zwangsarbeiter aus den Niederlanden und Polen kümmerte. Die Widerstandskämpfer trafen sich im Haus der Familie ter Morsche (die zwischen 1941 und 1945 in der heutigen Waldstraße 12 lebte).

Im Februar 1943 wurde die Gruppe aufgrund von Berichten eines eingeschleusten Spitzels verhaftet. Johannes ter Morsche, inzwischen in Berlin Plötzensee inhaftiert, wurde am 1. Oktober 1943 vom Volksgerichtshof  in Halle zum Tod verurteilt, seine Frau zu Zuchthaus. Ter Morsche wurde in das Zuchthaus Brandenburg verlegt. Am 24. Januar 1944 wurde Johannes ter Morsche im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet.

Gedenken an Johannes ter Morsche

Es folgt, inzwischen 65 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, eine schwierige Geschichte des Versuchs, Erinnerung zu gestalten:

  • 1968 – Die Gemeinde Zinnowitz benennt die Waldstraße am 6. Juli feierlich um in Johannes-ter-Morsche-Straße.
  • 1994 – Die Gemeinde Zinnowitz beschließt am 8. November die Umbenennung der Johannes-ter-Morche-Straße zurück in Waldstraße.
  • 1999 – Am 14. November 1999 wird am Haus Waldstraße 12 eine Gedenktafel mit den Namen von 5 Widerstandskämpfern angebracht. Bei Bauarbeiten wird sie 2004 wieder demontiert.
  • 2006 – Am Volkstrauertag 2006 wird in Zinnowitz eine Gedenksäule eingeweiht. Die Waldstraße, einst Johannes-ter-Morsche-Straße, heißt weiterhin Waldstraße.
Johannes ter Morsche Straße, ehemaliges Strassenschild, Heimatmuseum Zinnowitz (Foto: Januar 2013)
Johannes ter Morsche Straße, ehemaliges Strassenschild, Heimatmuseum Zinnowitz (Foto: Januar 2013)
hieß einst Johannes ter Morsche Straße - die Waldstraße in Zinnowitz
hieß einst (1969 – 1994) Johannes ter Morsche Straße – die Waldstraße in Zinnowitz

Auch ein anderer war zu jener Zeit in Peenemünde, als dort Waffen entwickelt und konstruiert wurden, die Wunder bewirken sollten und Vernichtung brachten – und er hatte in den Jahren nach 1945 weniger Probleme. Nach ihm wurden Straßen und Plätze benannt, auch auf Usedom – und nicht wieder zurück benannt. Sein Name: Heinrich Lübke. Der spätere Bundespräsident war u.a. ‘Bauleiter Peenemünde’ in der ‘Baugruppe Schlempp’ unter Albert Speer.

Die “Zeit” schreibt in einem langen Artikel über Lübkes Peenemünder Zeit unter anderem

“Zweifelsfrei nachweisen lässt sich aber, dass die Gruppe trotz aller anderslautenden Nachkriegsbehauptungen Schlempps und Lübkes in Peenemünde mindestens ein KZ-Häftlings-Kommando in Eigenregie beschäftigt hat.”

und zitiert u.a. aus Akten aus dem Freiburger Militärarchiv

“Herr Lübke” hoffe, “500 Holländer Anfang August zu erhalten”. (20. Juli 1942, Bauchronik des Peenemünder Raketen-Montagewerkes)

Die ‘Zeit’ berichtet weiter (inzwischen 1944)

“Damit befand sich Lübke nun in einem Machtzentrum des NS-Staates. Eines der Hauptthemen, das dort regelmäßig besprochen wurde, war die Forderung nach Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, um sie in die Stollenprojekte »hineinzupumpen«, wie SS-Bauchef Hans Kammler im Mai 1944 in einer Jägerstabsrunde die Deportation dieser Menschen, darunter Zehntausender ungarischer Juden, auf die Untertagebaustellen nannte.”

Resümee der ‘Zeit’:

“Lübke war sicherlich kein Kriegsverbrecher. Vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit in Peenemünde und im Jägerstab erscheint der spätere Bundespräsident aber als einer der vielen vermeintlich technokratischen Ingenieure und Verwaltungsfachleute, die ihre Kenntnisse in den Dienst des Systems gestellt und dabei die dehnbare Trennlinie zwischen Mitwisser- und Mittäterschaft überschritten haben.”

Heinrich Lübke trat nach 1945 in die CDU ein und machte politische Karriere, zunächst als Landwirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, ab 1953 als Bundeslandwirtschaftsminister. Am 1. Juli 1959 wurde Lübke zum zweiten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt.

Johannes ter Morsche hingegen geriet lange in Vergessenheit; nur der beharrlichen Arbeit u.a. seiner Tochter Marie ist es zu verdanken, dass inzwischen in Zinnowitz und Peenemünde (dort im Historisch-technischen Zentrum Peenemünde) wieder an ihn erinnert wird.

Gedenksäule in Zinnowitz
Gedenksäule in Zinnowitz

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weitere Informationen:
Historische Gesellschaft Zinnowitz: Historische Zeittafel für das Ostseebad Zinnowitz
insel-usedom.net: Zinnowitz gedenkt Nazigegnern
Studienkreis Widerstand: Widerstand in Zinnowitz und Peenemünde
Zeit 19.07.2007: Der Fall Lübke

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HIV/Aids Homosexualitäten Paris

Jean Le Bitoux (16.8.1948 – 20.4.2010)

Jean Le Bitoux , aus Bordeaux stammender französischer Aktivist für die Rechte von Schwulen und Lesben und Gründer der französischen Schwulenzeitschrift Gai Pied, ist am 20. April 2010 im Alter von 62 Jahren verstorben.

Jean Le Bitoux

Am 16. August 1948 in Bordeaux geboren, war Jean Le Bitoux eine zentrale Person der französischen Schwulenbewegung. Während der Studentenunruhen im Mai 1968 nahm er an der Sorbonne an Debattten zur ‚Homosexuellenfrage‘ teil, schloss sich bald einer Schwulengruppe in Paris an (nachdem er in maoistisch orientierten Gruppen eine „ausgeprägte Homophobie“ festgestellt hatte).

Zu Beginn der 1970er Jahre gründete er in Nizza eine Regionalgruppe der ‚Front homosexuel d’action révolutionnaire‘ (FHAR; damals bedeutendste Schwulengruppe Frankreichs, Sitz in Paris). Bei den Wahlen 1978 traten mit Le Bitoux sowie Guy Hocquenghem erstmals überhaupt in Frankreich zwei offen schwule Kandidaten an, beide stellten ihre Forderung nach Abschaffung des noch aus der Vichy-Zeit stammenden Sonderstrafrechts für Homosexuelle in den Mittelpunkt. Kurze Zeit später gründet er die ‚Groupe de libération homosexuelle-politique et quotidien‘ (GLH-PQ), die bald Gruppen in mehreren Städten Frankreichs hat.

1979 gründete Jean Le Bitoux zusammen mit Gérard Vappereau und weiteren Freunden das erste offen am Kiosk erhältliche französische Schwulenmagazin Gai Pied (der Name wird in der Küche seines Appartments vom Philosophen Michel Foucault ‚erfunden‘). 1983 scheidet er, nach ökonomischen wie auch editorischen Differenzen in eine Minderheitsposition geraten, wieder aus. Der Gai Pied entwickelt sich anschließend in eine eher kommerzielle Richtung. Später erklärte er dazu

„Der Gai Pied ist in die Falle des Konsumismus getappt, der Desinformation, des Parisertums. Das einzige wöchentliche Schwulenmagazin der Welt in den 19890er und 1990er Jahren ging unter, weil es auf sein soziales Projekt verzichtet hat.“

Yves Navarre und Jean Le Bitoux in Paris bei der Demonstration für Lesben- und Schwulen-Rechte, 4. April 1981 (Foto: © ClaudeTruong-Ngoc)
Yves Navarre und Jean Le Bitoux in Paris bei der Demonstration für Lesben- und Schwulen-Rechte, 4. April 1981 (Foto: ClaudeTruong-Ngoc, Lizenz cc by-sa 3.0)

Yves Navarre et Jean Le Bitoux à la manifestation pour les droits gays et lesbiens, Paris 4 avril 1981.Claude TRUONG-NGOC (User:Ctruongngoc) – CC BY-SA 3.0

Jean Le Bitoux weiß selbst seit 1986 von seiner Infektion mit HIV; in einer TV-Sendung auf TF1 (François de Closets) macht er am 2. Mai 1988 sein Positiv-Sein erstmals öffentlich. Ab 1985 engagierte Le Bitoux sich im Kampf gegen Aids. Er arbeitet bei der nach dem Tod von Foucault von drei Freunden (Daniel Defert, Frédéric Edelamnn, Jean-Florian Mettetal) 1984 gegründeten französischen Aidshilfe-Organisation Aides mit. Bereits im Juli 1982 hatte er im Gai Pied das erste Gespräch mit einem Aids-Kranken veröffentlicht, das in Frankreich publiziert wurde.

Zudem arbeitet er auch für internationale Presse wie das Journal of Homosexuality (New York), Tels Quels (Brüssel) oder den legendären Rosa Flieder (Nürnberg).

Besonders setzte Le Bitoux sich für das Gedenken an von den Nazis verschleppte Homosexuelle ein. Er war Gründer und Präsident der ‘Fondation du mémorial de la déportation homosexuelle‘, die sich für ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Frankreich einsetzt. Le Bitoux, ausgebildeter Journalist, war u.a. Ko-Autor des Buches “Moi, Pierre Seel, déporté homosexuel”(zusammen mit dem von den Nazis wegen Homosexualität in das Lager Schirmeck deportierten, 2005 verstorbenen Pierre Seel).

Jean Le Bitoux starb am 20. April 2010 spätabends  nach langer Krankheit. Nach Einäscherung auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise wurde seine Asche seinem Wunsch folgend zu Füßen eines Baobab-Baumes im Dorf Pesseribougou (Mali) beigesetzt (aus diesem Dorf stammt sein letzter Partner Ladri Diarra).

In Gedenken an Jean Le Bitoux wurde die Bibliothek des ‚Centre LGBT Paris-Île-de-France‘ nach dem Aktivisten benannnt. Seit 15. März 2014 trägt ein Platz in Montreuil-sous-bois seinen Namen.

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Sylvester: offen schwule Disco-Pop Ikone unterstützt Aids- Organisationen

Bekannt wurde Sylvester James mit Hits wie “Do You Wanna Funk” oder “You Make Me Feel (Mighty Real)”. Nach seinem Tod kommen Einnahmen aus seiner Musik Aids-Organisationen zugute.

Sylvester James, US-amerikanischer Soul– und Disco-Musiker und ‚Queen of Disco‘, wurde bekannt unter seinem Vornamen “Sylvester” – und durch seine spektakulären Drag-Auftritte. Songs wie “Do You Wanna Funk” (1982) oder “You Make Me Feel” (1978) wurden große Hits in der Disco-Ära der späten 1970er und frühen 80er Jahre. Sylvester wurde zu einer der schwulen Ikonen der Disco.

Immer noch sind seine Songs gelegentliche Party-Hits – oder kommen als Remakes wieder auf den Markt, wie “You Make Me Feel” 1990 von Jimmy Somerville. Eine Single seines letzten Albums “Mutual Attraction”, der Song “Someone Like You”, wurde 1986 mit Cover Art von Keith Haring veröffentlicht.

Sylvester – vom Gospel zum Disco Pop

Sylvester James wurde am 6. September 1947 in Los Angeles geboren. Seine Gesangs-Karriere begann früh, bereits im Alter von sieben Jahren sang er in einem Gospel-Chor. Und begann sich anders als andere Jungs zu kleiden. In einer TV-Sendung 1986 [Video] erinnerte er sich

„When I was little, I used to dress up, right? And my mother said, ‚You can’t dress up, you gotta wear these pants and these shoes. And you have to, like, drink beer and play football.‘ And I said, ‚No I don’t!‘ And she said, ‚You’re very strange.‘ And I said, ‚That’s OK!‘ „

Mit 16 gehörte er zu den Disquotays, einer Gruppe farbiger Crossdresser. Nach seinem Umzug nach San Francisco begann er bei  den Cockettes, einer Off-Theatergruppe („die einzigen mir bekannten drag queens, die Lenin lasen„, John Waters).

Bald jedoch suchte er ’sein eigenes Ding‘, und startete Sylvester and the Hot Band. Er nahm einige Alben auf, wechselte schließlich zu dem ehemaligen Motown-Produzenten Harvey Fuqua. Etwa 1978 entschied er sich, sich zu einer Disco Queen zu verwandeln. Später erklärte er

„Here were all those people putting out disco, making lots of money and becoming famous and everything. So we thought ‚why not?‘ We’ll put it out and nobody will like it and we certainly won’t like it, but we’ll do it.“

1978 trat Sylvester beim Geburtstag von Harvey Milk auf, dem ersten offen schwule Stadtrat in San Francisco. Ein Durchbruch wurde You make me Feel (Mighty Real) – nachdem Disco-Techniker und Synthesizer-Spieler Patrick Cowley ihn von einem Gospel-orientierten Song hin zu einem Dancefloor-Hit veränderte.

Sylvsters nächste LP Step II wurde vergoldt, brachte ihm mehrere Preise und zahlreiche große Auftritte. San Franciscos Bürgermeisterin Dianne Feinstein erklärte den 11. März 1979 zum Sylvester Day [viel später, 2015, wird erneut ein Sylvester Day erklärt, dieses Mal am 13. Februar 2015  anläßlich der Premiere des Mighty Real: A Fabulous Sylvester Musical].

Seine Hits stürmen die Charts, er macht Tourneen in Amerika und Europa. Er selbst, ebenso wie sein Label, versuchten aus dem Disco-Label auszubrechen, andere Musik zu machen – doch er blieb mit Disco, mit hi-NRG assoziiert.

Sylvester ist der einzige Musiker, dem auf dem Rainbow Honor Walk im Castro District gedacht wird. 2004 widmet sich eine wissenschaftliche Konferenz seinem Wirken und seiner Musik. 2014 erzählte das Off-Broadway-Musical Mighty Real! sein Leben.

Sylvester und HIV / Aids

Sylvester lebte offen schwul. Er unterstützte Aids-Organisationen mit Benefiz-Konzerten, ließ an seine Konzert-Besucher Aids-Informationen verteilen.

Sylvesters Partner Rick Cranmer erfuhr 1985 von seiner HIV-Infektion, an der er selbst im September 1987 starb. Sylvester erkrankte Ende 1987 schwer; noch vom Krankenbett gab er Interviews in denen er von seiner Aids-Erkrankung berichtete. 1988 nahm er, bereits schwer erkrankt, in einem Rollstuihl sitzend an der Gay Pride Parade in San Francisco teil.

Er starb am 16. Dezember 1988 im Alter von 41 Jahren in Oakland, Kalifornien an den Folgen von Aids. Er wurde auf dem Inglewood Park Cemetry beigesetzt.

Über 21 Jahre nach seinem Tod kamen erstmals Einnahmen aus seiner Musik zwei lokalen Aids-Organisationen in Kalifornien zugute. ‘AIDS Emergency Fund’ und ‘Project Open Hand’ erhielten aus dem Nachlass einen Scheck über zusammen 140.000 US-$.

Sylvester selbst hatte bereits im Mai 1988 testamentarisch die Rechte an „You Make Me Feel (Mighty Real)“ dem AEF und dem Nahrungsprogramm für HIV-Positive am San Francisco General Hospital vermacht.

Doch Sylvester hinterließ bei seinem Tod Schulden in Höhe von 350.000$, so dass Nachlassverwalter (und Freund) Tim McKenna den beiden Organisationen kein Geld auszahlen konnte. Nach seinem Tod übernahmen Tony Elite und seine Frau die Nachlass-Verwaltung. Ende der 1990er Jahre waren Sylvesters Schulden abgetragen – und Überschüsse wurden erwirtschaftet.

2010 erhielten AEF und Project Open Hand 75% bzw. 25% der Nachlass-Einnahmen – und können zukünftig mit weiteren Mitteln rechnen, aus Rechten an Sylvesters Song.

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Homosexualitäten

Ovo Maltine (1966 – 2005)

Ovo Maltine wurde geboren am 16. April 1966. Sie starb am 8. Februar 2005 in Berlin.

“Ovo (das Ei) legte sich ins Nest der Berliner Tuntenbewegung und brütete an verschiedenen politischen Projekten: Schwules Überfalltelefon, Act up, AIDS Benefize, Marihuana Legalisierung, Anerkennung von Prostitution als Beruf, Anerkennung der Gehörlosensprache, Transgender Visibility, …
Ovo Maltine war die erste Berliner Kabaretttunte, die sich 1998 zur Direktwahl zum deutschen Bundestag gestellt hat. Sie bekam 534 Stimmen, das waren mehr Menschen, als in ihrem Heimatdorf leben. Dort hätte sie Bürgermeister/in werden können.”

(spreedosen)

Ovo Maltine („das Ovo“) wurde am 16. April 1966 als Christoph Josten in Rech an der Ahr geboren. Am 8. Februar 2005 starb Ovo im Alter von 38 Jahren im AVK in Berlin an den Folgen von Aids.

Das Grab befindet sich auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin Schölneberg. Die historische Grabstätte hatte Ovo bereits 2003 in Pflege übernommen und zur Patenschaft registriert.

Ovo Maltine Grab
Ovo Maltines Grab

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Es kommt nicht darauf an, wie sich eine Tunte bewegt, sondern was sie bewegt.
O. Maltine

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