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Nachdenkliches

Eifersucht

Eifersucht ? „Bist du eigentlich überhaupt nicht eifersüchtig, wenn dein Mann etwas mit ‘nem anderen hat?“, werde ich gelegentlich gefragt. Und muss meist mit einem überlegten ‘manchmal ja, aber’ antworten.

Ja, das Gefühl der Eifersucht ist auch meinem Mann, auch mir selbst nicht unbekannt. Aber wir haben in den vielen Jahren unserer Beziehung einige Dinge gelernt, über uns, unsere Liebe erfahren. Erfahrungen, die die Eifersucht eine immer kleinere Rolle spielen lassen.

Meist steht vor der Frage nach der Eifersucht ja zunächst die Frage nach der Treue in der Beziehung. ‘Seid ihr euch treu?
Und jedes mal antworte ich beherzt ‘ja!’. Denn ja, selbstverständlich bin ich meinem Mann treu.
Nur, Treue, was ist das? Meinen der Fragende und ich die gleiche Treue?

Meine Treue lässt sich vielleicht unter anderem in die Worte fassen ‘ich weiß, dass ich mit diesem Mann zusammen alt werden möchte’.
Der Fragende meint oftmals etwas völlig anderes. ‘Seid ihr euch sexuell treu’.
Dieser hinter der ‘Treue-Frage’ verborgene implizite Anspruch sexueller Monogamie ist kein Konzept, das für mich (oder auch für meinen Mann) realistisch lebbar wäre. Und auch kein erstrebenswertes Ziel. Wohlgemerkt, für uns beide. Jeder möge da seinen eigenen Weg finden.
Meine Treue heißt nicht, dass ich nicht auch andere Männer sexuell attraktiv finde und das auch lebe, dass ich nicht auch zu anderen Menschen emotionale Beziehungen aufbaue, seltener auch liebevolle Gefühle empfinde, vielleicht gar Hingabe.
Treue ist (zumindest für uns) nicht im Schwanz oder Arsch angesiedelt. Treue ist für uns ein Gefühl des Herzens und eine Einstellung zum Leben, zu uns.

Ja, aber trotzdem … ist denn da dann keine Eifersucht?
Eifersucht, was bedeutet denn dieses Wort?
Eifersucht, sagt ein etymologisches Wörterbuch, habe etwas zu tun mit dem ‘Argwohn gegen einen Nebenbuhler’. Womit wir schon bei einer der entscheidenden Fragen wären. Der ‘Nebenbuhler’. Steht hinter Eifersucht nicht gelegentlich auch ein mehr oder minder versteckter Besitzanspruch am anderen? Steht dahinter nicht gelegentlich das unausgesprochene Gefühl ‘ich will dich aber ganz für mich haben, ich ganz allein, mit dir ganz allein’?
Nur – kann dieser implizite Besitzanspruch funktionieren? Kann ich einen Menschen besitzen? Zumindest in meiner Vorstellung von Beziehung (wie auch anderen Formen des Miteinanders wie Freundschaft) nicht – wir sind freiwllig, jeder aus eigenem freien Entschluss mit einander zusammen.

Nebenbei, fast könnte man dabei auf den Gedanken kommen, das Konzept der Eifersucht berge eine kräftige Prise Heterosexismus in sich. Immerhin könnte sich hinter der Idee des Besitzanspruchs ja gerade auch derjenige Besitzanspruch verbergen, der (in heterosexuellen Beziehungen) die Ehefrau als ‘Eigentum’ des Mannes betrachtet hat. Dass schwule Männer die Chance haben, jederzeit aus freiem Entschluss zusammen zu sein, ohne Zwänge welcher Art auch immer (ob sie nun aus Besitzanspruch, Kindern oder irgendwelchen Papieren resultieren), diese Freiheit zum Miteinander habe ich immer als eine der großen Chancen schwuler Beziehungen empfunden.

Dennoch, Eifersucht findet statt.
Wenn ich Gefühle der Eifersucht habe, oder mein Partner, wie geht es mir oder ihm dann? Fühlt er sich herabgesetzt? Oder gar gedemütigt? Fürchtet er Konkurrenz? Eine Konkurrenz gar, der er sich vielleicht nicht gewachsen wähnt? Hat er Gefühle eigener Unzulänglichkeit (’was hat er, was ich nicht habe’)?
Gefühle von Eifersucht, das habe ich in unseren gemeinsamen Jahren mühsam gelernt, haben auch damit zu tun, welches Gefühl ich zu mir selbst habe. Wie stabil oder instabil gerade mein Selbstvertrauen, mein Selbstwertgefühl ausgeprägt sind. Fühle ich mich stark, selbstbewusst, habe ich auch keine Angst, mein Partner könne mich verlassen, nur weil ein anderer vielleicht auch etwas Anziehendes für ihn hat.

Nun hat wohl niemand nur Phasen, in denen er vor Selbstvertrauen strotzt. Aber es gibt viele Wege, wie ich mir und meinem Mann helfen kann, mit emotionalen Situationen wie Eifersucht umzugehen.
Ich kann ihm z.B. klar machen, ihn fühlen lassen, dass der andere vielleicht zwar einen schönen Arsch (oder etwas anderes für mich Anziehendes) hat, ich ihn aber deswegen noch längst nicht ‘heiraten’ will. Oder ihm die Angst vor dem ‘großen Unbekannten’ nehmen, indem ich dem ‘anderen’ ein Gesicht gebe, meinem Mann z.B. sein Dating-Profil zeige, oder beide sich kennen lernen lasse. Den ‘anderen’ zu kennen kann viele Ängste nehmen.
Wir beide sind Partner, können uns gegenseitig viel helfen Selbstsicherheit zu gewinnen, Ängste und Unsicherheiten abzubauen. Vertrauen und Selbstsicherheit gehen meiner Erfahrung nach oftmals Hand in Hand.

Und Vertrauen und Selbstvertrauen sind Gefühle, die in einer Beziehung mit der Zeit wachsen, zunehmen. Wenn man sich auch auf ’schwierige’ Situationen einlässt, sie miteinander lebt. Probleme zu umgehen mag eine Strategie sein. Doch vermeidet sie nicht letztlich nur Risiken, und damit Erfahrungen, um eigener Ängste willen? Und macht so die Chance auf die Erfahrung größeren Vertrauens unmöglich?
Dieses erfahrungsbasierte, tief gehende Vertrauen in einander setzt eben auch die gemeinsam gemachten Erfahrungen voraus. Ein tiefer werdendes Vertrauen, das Gefühlen von Eifersucht zunehmend weniger Raum lässt.

Also, um auf die Frage „Ja, aber ist denn da keine Eifersucht bei euch?“ zurück zu kommen:
Oftmals nein, oftmals bin ich wirklich nicht eifersüchtig, wenn mein Mann etwas mit einem anderen Mann hat. Und ja, gelegentlich habe ich da ein Gefühl, das mich zwickt. Aber ich fühle die Gewissheit, dass dieses Interesse an einem anderen Mann nicht unsere Beziehung gefährdet, ich bin mir meines Mannes sicher. Ich vertraue, und ich fühle, dass dieses Vertrauen gerechtfertigt ist. Wir sind uns in unserer Liebe treu.

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Berlin

Heinzelmännchen schraubt

Während die einen samstags mit Heinzelmann flatrate-saugen oder sich um ihr Parkplatz-Gedächtnis sorgen, wollen andere sonntags die Karre aus dem Winterschlaf wecken … und müssen stattdessen fleißige Heinzelmännchen rufen.

Der Winterschlaf hat der Batterie wohl arg zugesetzt, zumindest wirkte die Karre mittags etwas sehr kraftlos. Nun wäre es ja zu einfach, Batterie und Sicherungen leicht zugänglich einzubauen, nein, es geht doch auch kompliziert. Der gelbe Engel, der nach mobilem Zuruf binnen Minuten vor Ort war [und auch noch nett, und wie 😉 ], weckte den Motor nach intensivem Zureden dann doch zu brummendem Wohlgefühl …

… so dass außer dem nachösterlichen Sonntags-Avus-Stau einer Tour zu den Schönheiten Berlins und Brandenburgs nichts mehr im Weg stand …

die Karre rastet in Ludwigsfelde
die Karre rastet in Ludwigsfelde

die Karre rastet vor dem Gasometer
die Karre rastet vor dem Gasometer

die Karre rastet am Flughafen Tempelhof
die Karre rastet am Flughafen Tempelhof

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Nachdenkliches

Seelengarten

Einmal noch geb ich nach “unsere Welt” einen Blick frei in mein Innenleben …

Seelengarten

In meinem Seelengarten
gibt es eine sonnige Wiese
dreißig Zentimeter hohes Gras
ich liege darin, rieche das satte Grün, die lächelnden Butterblumen
sehe den Himmel über mir, blau, einzelne Wolken ziehen vorbei

In meinem Seelengarten
gibt es eine Ecke, in der es heftig spukt
düster, neblig, kalt – unangenehm ist’s dort
erschreckende Fratzen aus meiner Vergangenheit grinsen mich an
hagere Gestalten, gebeugt, von Todsünden verzehrt
schreien unvermittelt „Schuld“

In meinem Seelengarten
gibt es einen Strand
mit weiß-gelbem feinem Sand, sanft rauschendem Meer
Ausblick auf Unendlichkeit Freiheit Sorglosigkeit Frieden
mein Mann neben mir, Vögel lachen, die Sonne streichelt uns
Glückseligkeit

In meinem Seelengarten
gibt es widrige Ecken voller Dornen
Sorgen breiten sich wie Unkraut aus
Hinter einem Gestrüpp aus Neonglanz und Glitter
stehen die Schönheiten des Tages, blondiert und muskelbepackt
grinsen feist ‘du siehst alt aus’, ‘du bist nicht schön genug für hier’

In meinem Seelengarten
gibt es eine Ecke, in der ich mich verkriechen kann
und eine Ecke, in der ich innig mit meinem Mann kuschele
eine andere Ecke, die hat ein großes Fenster
ich sitze in der Ecke, sehe hinaus
beobachte das Treiben der Welt

In meinem Seelengarten
gibt es hoch aufschießende Bäume
meiner mutigsten Träume und Ideen
genauso wie niedrig kauernde Kriechgewächse
meiner Ängste und Sorgen

Im Garten meiner Seele
gibt es sonnige Ecken heller Freude
aber auch dunkle Flecken kältesten Trübsinns
nicht in allen bin ich gleich gern
erst alle zusammen machen mein ‘Ich’

[Berlin, 24.8.2006]

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Brasilien: … faca com camisinha

„faca com camisinha – Mach was du willst, aber mach es mit Kondom“ – so lautet das Motto einer neuen Aids-Präventionskampagne in Brasilien.

Brasilien: ... faca com camisinha, (c) Foto: Ministério da Saúde, Brasilien
Brasilien: … faca com camisinha, (c) Foto: Ministério da Saúde, Brasilien

„Mach was du willst, aber mach es mit Kondom“ – mit dieser Kampagne wendet sich das brasilianische Gesundheitsministerium an Männer die Sex mit Männern haben (MSM) sowie an Transvestiten. Insbesondere junge Männer zwischen 13 und 19 Jahren sollen erreicht werden – hier liegen die HIV-Infektionsraten besonders hoch.

Klaus Hart berichtet in seinem Blog ‚Brasilientexte‘ über die neue Präventionskampagne und insbesondere auch über die Situation zwischen boomender Homo-Szene und gleichzeitig grassierender Homophobie.

Bei Morden an Schwulen liegt Brasilien weiterhin an der Spitze“, zitiert Hart einen brasilianischen Schwulenaktivisten, „durchschnittlich jeden zweiten Tag wird einer umgebracht, keine andere Minderheit wird so abgewertet, so diskriminiert. Wir leben noch in einer heterosexistischen Gesellschaft, Änderungen sind nur auf sehr lange Frist vorstellbar.
Jede Veränderung der Situation, jede Aids-Prävention müsse auch eine Bekämpfung der Homosexuellenfeindlichkeit in Brasilien beinhalten, so Toni Reis, Präsident der Brasilianischen Assoziation der Gays, Lesben, Bisexuellen, Transvestiten und Transsexuellen(ABGLT).

Die Aids-Politik Brasiliens gilt international als beispielhaft.
Brasilien geht u.a. seit vielen Jahren auch spannende Wege in der Versorgung der HIV-Infizierten des Landes mit Medikamenten (siehe „Patienten, Patente und Profite“). Eine eigene Generika-Produktion wurde aufgebaut. Generische Versionen wichtiger Aids-Medikamente werden im Land hergestellt. Mit der realen Möglichkeit der Produktion von Generika wurden Pharmakonzerne zu Preis-Zugeständnissen gebracht. Inzwischen konnte ein sehr hoher Versorgungs- und Behandlungsstandard erreicht werden. Mehrere hunderttausend brasilianische HIV-Positive werden erfolgreich antiretroviral behandelt.

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Text 22. Januar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Persönliches

Die Eier müssen raus !

Kaum ist die Saison des Oster-Eis zuende, liest man sowas …

Die Eier müssen raus !
Die Eier müssen raus !

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Nachdenkliches

unsere Welt

Wie wundervoll der René schreiben kann …
Na, dann geb ich mal auch einen ganz kleinen Blick in mein Privatleben frei.
Mag sich jemand anschließen, kleiner Blog-Poetry-Slam? ;-)
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unsere Welt

Ich hab dich gern
so kitschig das klingt
ich hab dich gern

seh’ dich vor mir
wie du lachst
mich anschaust
sagst ’sei nicht so ernst,
lach mal’
ich grinse
ich hab dich gern

in meinem Herz
fühl’ ich dich
mir wird warm
wenn ich an dich denke

wenn ich neben dir liege
in deinem Arm
glücklich und ruhig
denke ich manchmal
wie schön ist doch das Leben
wie glücklich bin ich
mit dir zusammen zu sein

wir sind zusammen
das zu fühlen
macht mich stark

wenn wir miteinander sind
ist die Welt
unsere Welt

zusammen
jeder für sich
ein freier Mensch
und zusammen
die ganze Welt

[Berlin, 14.2.2007]

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Hamburg

Oster-Eis

Oster-Eis – nein, kein verlorener Genitiv …

Oster - Eis 01
Oster – Eis 01

Oster - Eis 02
Oster – Eis 02

… eher Jahreszeit-bedingte Variationen eines Aggregat-Zustands …

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Köln Kulinarisches

Frohe Ostern mit Eichel-Kakao

Frohe Ostern …

Eichel-Kakao
Eichel-Kakao

… mit Eichel-Kakao …

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Frankreich HIV/Aids Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Johan (Philippe Vallois, Frankreich 1976)

Ein bemerkenswerter, nur wenig bekannter Film: “ Johan “, ein schon im Sommer 1975 entstandener Spielfilm im Stil einer Dokumentation (mockumentary). Obwohl er um einige der explizitesten Szenen gekürzt wurde, kam er damals nur zensiert in die Kinos. 1996 wiederentdeckt, kam Johan erst 2008 erstmals in deutsche Kinos (in unzensierter Fassung).

Regisseur Philippe Vallois (geb. 27. August 1948 in Bordeaux) erzählt die Geschichte von Johan, der Hauptfigur des Films. Nur, Johan sitzt im Knast – und bleibt den gesamten Film lang unsichtbar. Stattdessen sucht der Regisseur Ersatz, an allen Orten die das schwule Leben im Paris Mitte der siebziger Jahre zu bieten hatte, in Saunen und Bars, bei Freunden und Feinden von Johan.

Entstanden ungefähr zeitgleich mit ‘La cage aux folles’ (‘Ein Käfig voller Narren’), ist dieser Film doch das ganze Gegenteil – ein Paradebeispiel eines schwulen Lebensstils noch vor der Industrialisierung des Sex, vor geklonten Pseudo-Freiheiten.

Und er zeigt dabei ein Leben weit in Zeiten vor Aids, eine Zeit vor dem ersten CSD (damals noch gay pride) in Europa. Zeit ein Leben, das sich so mancher meiner Freunde und Bekannten, die ihr Coming Out erst später, erst in den Jahren schon mit HIV hatten, kaum vorstellen kann.

Johan – Trailer:

Ein Film voll, so die Besprechung im Berliner schwulen Stadtmagazin ‘Siegessäule’ (Ausgabe März 2008), voll “offen und schuldlos gelebter Sexualität”. Der Rezensent schließt an, dieser Film sei ein Dokument, wohl wahr. Ein Dokument, so der gleiche Rezensent weiter, “aus einer Welt, die keine zehn Jahre später durch Aids unwiederbringlich verloren war, für immer.

Ich stutzte, irgend etwas rebelliert spontan in mir. Noch einmal lesen. Genau.

Ja, diese Welt war nur wenige Jahre später verloren, diese Welt einer unschuldigen, naiven und hemmungslosen Sexualität. In diesem Punkt empfinde ich ähnlich wie der Rezensent.

Aber – warum dieses apodiktische “für immer”?

Warum diese Schere im Kopf? Warum diese freiwillige Kastrierung eigener Hoffnungen?

Ist es nicht vorstellbar, dass es auch wieder eine Zeit ohne HIV, ohne Aids gibt? Oder eine Zeit, in der HIV ‘nur’ irgendeine weitere dieser lästigen, aber letztlich behandelbaren sexuell übertragbaren Infektionen ist? Eine Zeit in der Aids nicht mehr die potenziell tödliche Bedrohung ist?

Warum keine Visionen? Und wenn sie derzeit vielleicht auch als Utopien erscheinen mögen?

Ich will diese Hoffnung nicht aufgeben …
… diese Hoffnung auf eine Heilung
… diese Hoffnung auf eine neue Zeit ohne HIV und Aids

“Wer keinen Mit zu träumen hat, hat keine Kraft zu kämpfen”

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Johan

(weiterer in Frankreich verwendeter Titel: Johan, carnet intime homosexuel, auch Johan – mon été ’75; in Deutschland auch Johann – mein Sommer ’75)
Frankreich 1976, 81 Min.
ausgewählt für das Filmfestival Cannes 1976 (Section parallèle)
Uraufführung in Frankreich 17. Mai 1976 ( Cannes, Pespectives), 2. Juni 1976 (Kinos), 11. April 2007 (Grenoble, Wieder-Aufführung)
Regie: Philippe Vallois
Drehbuch: Philippe Valois, Laurent Olivier
Darsteller: Walter Maney, Georges Barber, Eric Guardagnan, Marie-Christine Weill, Philippe Vallois

Dazu:
Johan – Secrets du tournage (Philippe Vallois, 2006)

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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Die Debatte um die Infektiosität

Die Debatten über das Statement der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen EKAF („Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“) entzünden sich neben der Frage „das darf man doch nicht laut sagen“ vor allem an drei Fragestellungen:
– ist das Transmissionsrisiko wirklich nur 1 : 100.000 ?
– gelten diese Daten nur für Vaginal-, nicht jedoch für Analverkehr?, und
– sexuell übertragbare Infektionen (STDs) erhöhen aber doch das Infektionsrisiko?

Einige Gedanken zu diesen drei Fragen.

die Höhe des Transmissionsrisikos
Die EKAF beziffert in ihrem Statement das Übertragungsrisiko unter den genannten Bedingungen als „deutlich geringer als 1 zu 100.000“ (Text als pdf hier).

Eine Zahl, die auch von Experten nicht bezweifelt wird. Selbst O. Hamouda (Robert-Koch-Institut) bestätigt „Fachlich sehe ich in dem Papier nichts Falsches“ (schon im ‚Tagesspiegel‘ vom 1.2.2008). Prof. Salzberger (in Sachen der Risiko-Einschätzung sicherlich eher den ‚Vorsichtigen“ zuzuordnen) bestätigt in der Podiumsdiskussion am 14.3. (siehe ‚EKAF Statement – mehr Mut, weniger Aufregung‘), die Berechnungen der EKAF halte er für zutreffend, das Risiko 1 : 100.000 sei sicher „eine gute Obergrenze“.

Prof. Vernazza stellt in einem Interview dar, dass schon die Schätzung des Übertragunsgrisikos von 1: 100.000 eine sehr vorsichtige Schätzung ist, die sich eher auf der sicheren Seite bewegt:

„Es ist eine Expertenmeinung, eine Feststellung zum Risiko. Jetzt auch in der Diskussionen in den nachfolgenden Tagen musste ich feststellen, dass wir eigentlich nirgends eine andere Meinung hören, dass an und für sich alle einverstanden sind mit der Aussage, die große Diskussion ist jetzt ‚darf man das sagen‘. … daher kommen wir zu dem Schluss, dass das Risiko einer Übertragung sehr sehr klein sein muss. Es ist vielleicht 1 : 10.000.000, vielleicht 1 : 1.000.000, wir machen das Statement, dass es sicher kleiner ist als 1 : 100.000.“ (Prof. Vernazza im Interview als MP3 auf HIV&more.de)

Nebenbei, gelegentlich gerät in Vergessenheit, dass auch die Verwendung von Kondomen das Risiko einer HIV-Transmission nicht auf ‚Null‘ reduziert.
Der HIV-Report der DAH (Nr. 01/2008, pdf hier) beziffert unter Bezug auf epidemiologische Literatur das Risiko einer HIV-Übertragung bei rezeptivem Analverkehr mit Kondom auf 0,8 Prozent (0,1 bis 3%), bei insertivem Analverkehr auf 0,06% (0,1% entspricht 1 : 1.000).
Und Roger Staub (Bundesamt für Gesundheit Schweiz) bezifferte in seinem Vortrag am 14.3.2008 das „Risiko für ein schwules Paar, ohne Therapie, bei analer Penetration und Präservativgebrauch 1 : 30.000“
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die Übertragbarkeit auf Analverkehr
Viele bewegt die Frage, ob denn die Aussagen der EKAF auch auf Analverkehr (gemeint ist dabei implizit: schwuler Analverkehr) übertragbar seien – was dann im gleichen Atemzug gern unter Verweis auf fehlende Daten verneint wird.

Dabei müsste diese Frage eigentlich überraschen – scheint sie doch beantwortet. Der Text des EKAF-Statements spricht explizit davon, dass eine HIV-positive Person unter den bekannten Bedingungen „das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter“ gibt (Text als pdf hier).

Prof. Vernazza erläutert in einem Interview:
„Analverkehr kommt grundsätzlich häufiger zahlenmäßig bei heterosexuellen Paaren vor (weil es einfach viel mehr Sexualkontakte gibt zwischen heterosexuellen Paaren). Wir gehen davon aus, dass aber auch bei homosexuellen Paaren der Analsex genauso betroffen ist von dieser Feststellung, denn auch im homosexuellen Bereich haben wir keine Transmissionen beobachtet unter den erwähnten Bedingungen.“ (Prof. Vernazza im Interview als MP3 auf HIV&more.de)

Und auch Roger Staub (Bundesamt für Gesundheit der Schweiz) betont:

„Wir sagen, das Risiko ist niedriger 1:100.000 für penetrierenden Verkehr. Wir unterscheiden nicht zwischen Vaginal- und Analverkehr. Diese Unterscheidung treffen nur die Deutschen.“ Auch für Analverkehr gelte die gleiche Einschätzung der drastischen Reduzierung des Transmissionsrisikos. (persönliches Gespräch am 13.3.2008)

Das Transmissionsrisiko ist auch nicht per se unterschiedlich, nur weil der eine Sex in einer Partnerschaft, der andere ‚flüchtig‘ stattfindet. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass anonymer Sex ein höheres Risiko einer Infektion mit sexuell übertragbaren Erkrankungen beinhalten kann – nicht jedoch in der HIV-Transmission.
Dies betont auch die Leitung des nationalen HIV/Aids-Programmes des Bundesamtes für Gesundheit (Schweiz):

„Für HIV-Positive mit funktionierender Therapie empfehlen wir zwar weiterhin Safer Sex für anonyme und Gelegenheitskontakte, weil Safer Sex das Risiko, sich mit einer anderen sexuell übertragbaren Infektion anzustecken, deutlich reduziert. Aber Betroffene müssen nun nicht mehr befürchten, für ihre Sexualpartner eine Gefahr darzustellen.“ (‚Katastrophe für die Prävention?‘, in: Swiss Aids news Nr. 1 Februar 2008)

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Störfaktor sexuell übertragbare Infektionen
Eine der Bedingungen für die Hauptaussage des EKAF-Statements ist das Fehlen anderer sexuell übertragbarer Infektionen (STDs).
Gerade hier setzen Kritiker an, verweisen auf steigende Syphilis-Diagnosezahlen und vermeintlich weit verbreitete STDs bei ‚den Homosexuellen‘. Und benutzen gerne Daten, die zeigen, dass die Transmissionsrisiken bei gleichzeitigem Vorliegen von STDs steigen – Daten, bei denen i.d.R. nicht untersucht wurde, wie eine erfolgreiche HIV-Therapie sich auswirkt.
Pietro Vernazza dazu:

„Die Empfehlung der EKAF hat bewusst Geschlechtskrankheiten als mögliche ‚Störfaktoren‘ ausgeschlossen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Wahrscheinlichkeit einer Transmission unter Therapie mit einer Urethritis [Entzündung der Harnröhre, d.Verf.] oder Syphilis tatsächlich merklich ansteigt. Es ist durchaus denkbar, dass selbst in dieser Situation kein relevantes Transmissionsrisiko vorhanden ist. Doch die vorhandene Datenlage scheint zu spärlich, um diesbezüglich eine definitive Beurteilung zu geben.“ (Prof. Pietro Vernazza, ‚Weshalb veröffentlicht die Eidgenössische Aids-Kommission für Aids-Fragen ein Papier über das vernachlässigbare Risiko einer HIV-Transmission unter HAART?‘, in: HIV&more 1/2008)

Transmissionsrisiko generell, Risiko bei Analverkehr und Risiko bei STDs sind die drei Haupt-Argumentationsstränge in der Diskussion um das Statement der EKAF. Einer Diskussion, in der manchmal Fakten außer Acht geraten – und der ein wenig mehr Ruhe zu wünschen ist.
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Diskutiert wird viel über Transmissions-Risiken. Macht man sich die Zahlen klar, so hat Kondombenutzung (ohne Therapie) ein Einzelfall-Risiko von 1 : 30.000. Bei einem erfolgreich therapierten Positiven liegt es nach einhelliger Einschätzung bei höchstens 1 : 100.000. Da stellt sich zunächst die einfache Frage: warum also diese Aufregung um das Statement der EKAF?

Zur Frage der Transmission bei Analverkehr stellen sich angesichts des Infragestellens des gleichen Übertragungsrisikos von 1 : 100.000 einige Fragen: Fehlen wirklich Daten, oder ist der Analogieschluss der Schweizer zutreffend? Wer führt Studien zu diesem Thema durch? wann ist mit Ergebnissen zu rechen? Und – wer finanziert Studien zu dieser Fragestellung? Hier ist auch der Bund mit Finanzzusagen gefragt, denn dass die Pharmaindustrie zu diesem Thema forscht dürfte doch eher unwahrscheinlich sein …

Die gleichen Fragestellungen ergeben sich auch für die Frage, ob sexuell übertragbare Infektionen tatsächlich das HIV-Transmissionsrisiko bei erfolgreicher HAART erhöhen – oder ob hier zutrifft, was Vernazza für denkbar hält, dass auch dann ‚kein relevantes Transmissionsrisiko vorhanden ist‘. Wer forscht hierzu?

Besonders bedenklich (und wenig bemerkt) erscheinen schwulenfeindliche Nuancen der Debatte. Warum kapriziert sich der Diskurs sehr auf Analverkehr, und dabei vor allem auf schwulen Analverkehr (ganz als gäbe es keinen Analverkehr bei Heteros)? Vor allem, warum gibt es zwar einiges an Daten zur Transmission bei heterosexuellem Verkehr, kaum jedoch bei homosexuellem Verkehr?

Die derzeitigen Debatten zeigen insgesamt eines vor allem recht deutlich: die Auseinandersetzungen gehen weitgehend nicht mehr um die wissenschaftliche Bewertung des EKAF-Statetments und seiner Grundlagen, sondern um die politische Bewertung. Es geht um eine politische Debatte, und als solche sollte sie auch geführt werden.

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Text 25. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs