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HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids

Aids-Politik: zurück zu law and order?

Die Bundesregierung plant, demnächst einen „Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Strategie“ vorzulegen. Im Entwurf findet sich im Detail viel Ärgerliches – und die unterschwellige Tendenz, zukünftig mehr auf ‚law and order‘ zu setzen.

Die Unkorrektheiten beginnen gleich bei den Infektionszahlen, auf deren Basis argumentiert wird.
Da wird munter durcheinander von HIV-Neuinfektionen und HIV-Neudiagnosen gesprochen – als sei beides das gleiche. Und später wird behauptet „Gegenwärtig kommt es unter den MSM zu etwa 2.000 Neuinfektionen pro Jahr“. Hat da jemand etwas verwechselt? Das Robert-Koch-Institut spricht von 1.197 neu diagnostizierten HIV-Infektionen im ersten Halbjahr 2006 und einem Anteil von MSM (= Männer, die Sex mit Männern haben) von 62%. Das ergibt auf’s Jahr gerechnet ca. 1.480 Neudiagnosen (und nicht Neu-Infektionen) bei MSM im Jahr 2006 – nicht 2.000. Ein Versehen? Oder vielleicht Ausdruck eines Wunsches, eine Zahlenbasis für stärker repressive Maßnahmen bei MSM zu haben?

Weiter geht’s mit dem Thema ‚Verharmlosung von HIV‘. Die „Bagatellisierung des Risikos aufgrund eines unkritischen Therapieoptimismus“ betont der Entwurf. Genau, und wer macht die? Die beschönigenden Plakate und Anzeigenkampagnen z.B. mit bergsteigenden Positiven einer sehr marketingaggressiven Pharmaindustrie dürften ja nicht gerade unbeteiligt dabei sein! Was fällt dem Aktionsplan aber dazu ein? Die DAH sei dafür zuständig, brauche eine „verstärkte Aufklärung über die gravierenden Folgen einer HIV-Infektion, um einer in der Öffentlichkeit und Zielgruppen empfundenen Verharmlosung der HIV-Infektion wirksam entgegenzutreten“. Wie wär’s mal der Pharmaindustrie auf die Finger zu klopfen? Aber stattdessen wird der Verband (VfA) nur mal nett gefragt, ob man denn nicht freiwillig … und könnte … und würde …

Wenn jedoch die Pharmaindustrie direkt an die Patienten will [was mit vielen fragwürdigen, teils riskanten Folgen verbunden sein kann, siehe nur die US-Pharmawerbung in Positivenmagazinen, die viel dreister ist als alles, was bisher in den Szeneblättchen in Deutschland zu bestaunen war] ist die Bundesregierung anscheinend sehr kulant und interessiert. Da könne man ja die Selbstkontrolle entsprechend einbeziehen, wird in dem Plan laut gedacht.
Direktwerbung an Patienten jetzt also durch die Hintertür vermeintlicher Präventionsarbeit? [Mal ehrlich, auch wenn’s sarkastisch scheint, die Pharmaindustrie dürfte doch eher Interesse an mehr als an weniger Patienten haben, oder? Erst recht bei den Pillenpreisen …]

Auch beim HIV-Test gibt’s Neues – und einen Richtungswechsel. So findet sich dort die Forderung nach „Verstärkung der Kondomempfehlung und Werbung für HIV- und STD-Testung“ unter der Überschrift „Die DAH muss ihre Präventionsarbeit anpassen“. Und später wird noch deutlicher von „Routine-HIV-Testung“ als „Option zum Schutz vor einer HIV-Infektion“ gesprochen, oder vom HIV-Test mit seiner „neuen Relevanz für die Primärprävention“.

Und was die „kommerziellen Sexanbieter“ angeht (darunter dürften wohl auch Darkroom-Kneipen fallen): „Verbindliche Regelungen bei Betriebsbewilligungen und Kontrollen ihrer Einhaltung“ soll es erst geben, wenn eine Studie einen ’safer Environment Ansatz‘ als erfolgreich belegt (in der Praxis z.B. mit der freiwilligen Präventionsvereinbarung umgesetzt).
Das klingt beruhigend, heißt aber im Klartext doch wohl nichts anderes, als dass demnächst staatlicherseits Ärger droht, wenn Betriebe keine Kondome etc. auslegen. Was ja eine sinnvolle Maßnahme ist – aber mit Zwang? Rückkehr zu einer Law-and-Order-Politik?

Freiheitliche Ansätze hingegen fehlen weitgehend. Wie wäre es z.B. der Verbesserung der Situation von (und Präventionsmöglichkeiten bei) Menschen im Knast? Wie wäre es, etwas zu unternehmen, um Spritzentausch zu ermöglichen und leichte Kondomverfügbarkeit im Knast zu erhöhen? Fehlanzeige! Stattdessen wird larmoyant die unbefriedigende Situation in Haftanstalten beklagt, an die Länder appelliert und ansonsten auf eine Studie verwiesen, die erst 2007 Ergebnisse bringen soll.
Und warum wird unter dem Punkt „Einreise HIV-infizierter Ausländer“ jede Möglichkeit der ‚Prüfung der Gesundheit einreisender Ausländer‘ betont? Einschließlich der Möglichkeit, die Einreise zu verweigern? Nur, um dann doppeldeutig zu betonen, grenzpolizeiliche Zurückweisungen seien ‚allein wegen HIV/Aids weder Praxis noch vorgesehen‘?

Insgesamt vermitteln weite Teile des Papiers unterschwellig die Tendenz, nicht mehr auf freiheitliche Lösungen zu setzen (wie die Handlungskompetenz des Einzelnen zu fördern), sondern zukünftig mehr auf Rechtsstaat und ordnungspolitische Maßnahmen zu setzen – eine verkappte Rückkehr zu ‚law and order‘ in der Aids-Politik? Ein langsamer Richtungswechsel in der deutschen Aids-Politik?

Es steht noch viel mehr Ärgerliches in diesem Entwurf für den Aktionsplan (wie eine „Meldepflicht für HIV-Primärresistenzen“ – allein mir fehlt Lust und Geduld, das alles zu kommentieren …

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Text 21. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Berlin Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Denkmal: was wird realisiert?

Neues im Streit um das Denkmal: der LSVD Berlin-Brandenburg fordert die Realisierung entsprechend dem Entwurf der Künstler.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen - Bauschild 2006
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen – Bauschild 2006

In Berlin wird ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen geplant. Über die konkrete Form der Realisierung hatte es zuletzt heftigen Streit gegeben.

Die Mitgliederversammlung des LSVD Berlin-Brandenburg hat am 28.10.2006 eine Resolution beschlossen. In ihr wird gefordert, das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Sinne des Bundestagsbeschlusses und in Form des preisgekrönten Entwurfs des Künstler-Duos Elmgreen/Dragset zu realisieren.

Unter den Erstunterzeichnern der Resolution finden sich nur Personen männlichen Vornamens. Über eine Berücksichtigung irgendwelcher bei der Diskussion am 29.8. vorgebrachten Argumente oder ebenfalls diskutierter Lösungsmöglichkeiten enthält die Rersolution keine Angaben.

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Text 21. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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ondamaris Texte zu HIV & Aids Politisches

Jaroslaw Kaczynski Antrittsbesuch in Berlin

Heute ist Polens Premierminister (und Parteichef der PiS) Kaczynski in Berlin. Über die Diskriminierung von Schwulen und Lesben in Polen wird vermutlich nicht gesprochen werden.

Jaroslaw Kaczynski ist heute zu seinem offiziellen Antrittsbesuch in Berlin.
Gesprochen wird sicher über: eine Gaspipeline durch die Ostsee, ein ‚Zentrum gegen Vertreibung‘, die EU, vielleicht generell über die gestörten Beziehungen.

Gesprochen wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht darüber, wie immer noch in Polen mit Lesben und Schwulen umgegangen wird.

Das konservative doppelte Lottchen der polnischen Restauration, das nun trotz einer tiefen Regierungskrise doch gemeinsam weiter an der Macht bleibt, kann mit seiner systematischen Diskriminierung und Unterdrückung von Schwulen und Lesben weiter machen.

Als Staatspräsident Lech Kaczynski im März an der Humboldt-Uni eine Rede hielt, kam es noch zu massiven Protesten von Lesben und Schwulen.

Mehr zur Situation von polnischen Lesben und Schwulen und einer polnischen Schwulen- und Lesbengruppe in Frankfurt/Oder auch in diesem Gayweb-Artikel.
Ein weiterer Bericht über die März-Demo gegen Kaczynski findet sich hier.
Einige schöne Zitate aus einem Times-Interview Lech Kaczynskis über Homosexualität finden sich in Argus‘ Blog.

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Text 25. Januar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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ondamaris Texte zu HIV & Aids

Schwule lesen Das Kapital

Schwule lesen. Einen neuen Bildband vielleicht, einen Comic, manchmal auch eine Zeitschrift. Aber Marx, ach nee, das is doch längst passé. Denkste!Über den schwulen Literatursalon erfahre ich Erstaunliches: Schwule lesen Marx.
Nein, das ist kein Versprecher, kein Versehen.

wahr
wahr

Aus dem Programm des ‚Sub‘ in München: „Die Literaturgruppe liest und diskutiert ‚Das Kapital‘. Zehn Abende lang geht es um Karl Marx‘ Analyse und Kritik der kapitalistischen Gesellschaft…“

Schwule lesen Marx.
Es gibt also doch noch Schwule, die an trockener Lektüre interessiert sind. Die politisch diskutieren wollen, sich mit gesellschaftlichen Entwürfen, zumal kontrovers, auseinander setzen wollen.

Irgendwie – hätte dort gestanden, die Schwule Gruppe Siegen oder Marburg veranstaltet eine Marx-Lesung, gut, das kommt hin, hätte ich sofort geglaubt. Innovatives aus den Mittelstädten, gerne. Aber aus einer Großstadt? Hamburg und Frankfurt kämen wohl eh nicht in Frage für Marx-Lesungen (obwohl, mit Kapital haben sie’s ja in beiden Städten…). Und Berlin? Nee, da bekommen die so was nicht gebacken. Nun also München. Überraschung. Noch überraschender wäre wohl nur Köln gewesen …

Wäre ja schön, wenn München mal wieder ein Zeichen setzt, Trendsetter ist
Und wer’s immer noch nicht glauben mag – hier der Link zu den Terminen der Marx-Lese-Reihe.

PS. Schwule Literatursalons gibt es auch in Dresden und Berlin, weitere Informationen hier.

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Artikel 25. Januar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Faröer Homophobie völlig okay ?

Die Regierung der Färöer Inseln lehnt es ab, Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu verurteilen – Schwule und Lesben zu diskriminieren ist entsprechend der Gesetzgebung der Färöer vollkommen in Ordnung …

Gewalt und Diskriminierung von Homosexuellem, die als solche öffentlich auftreten, sind auf den Färöer nicht selten. Hiergegen einzutreten ist auf den Färöer schwierig – viele Bewohner scheinen der Ansicht, wenn es keine Gesetze dagegen gebe, seien Gewalt gegen und Diskriminierung von Schwulen und Lesben völlig okay.

Hiergegen protestiert die Organisation AAH Act Against Homophobia mit einer Unterschriften-Aktion . Die gesammelten Unterschriften sollen der Regierung der Färöer übergeben werden.

Die Färöer sind innerhalb des Königreichs Dänemark gleichberechtigte Nation (ähnlich wie Grönland). Die Färöer sind im Gegensatz zu Dänemark jedoch nicht Mitglied der EU.
In Dänemark ist Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung gesetzlich verboten.

Die Färöer sind allerdings über Dänemark Mitglied in der UNO – erkennen somit die Universelle Deklaration der Menschenrechte an.
Alles nur graue Theorie? Die nicht für Schwule und Lesben gilt?

… und Dank an Sabine für den Hinweis in ihrem Blog!

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Text 21. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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HIV/Aids Kulturelles ondamaris Texte zu HIV & Aids

Felix Gonzalez-Torres (1957 – 1996)

Der US-amerikanische Konzept-Künstler Felix Gonzalez-Torres wurde geboren am 26. November 1957 in Guiamaro auf Kuba. Er starb am 9. Januar 1996 in Miami an den Folgen von Aids.

Die NGBK, die einige seiner Werke schon Ende der 80er Jahre erstmals in Deutschland zeigte (im Rahmen der von Frank Wagner kuratierten Ausstellung „Vollbild Aids“), veranstaltete 2006 eine umfassende Retrospektive.

Felix Gonzalez-Torres Retrospektive – Berlin Hamburger Bahnhof 2006

Felix Gonzalez-Torres Retrospektive - candy pills, Detail
Felix Gonzalez-Torres Retrospektive – candy pills, Detail

Spontan fahre ich zum Hamburger Bahnhof (für die nicht-Berliner Leser: der ehemalige Bahnhof ist seit 10 Jahren Museum für Moderne Kunst). Die Felix Gonzalez-Torres Retrospektive (anläßlich seines 10. Todestages, vom 1.10.2006 bis 9.1.2007, von Frank Wagner kuratiert) hatte ich mir doch eh ansehen wollen, warum nicht jetzt.

Gleich am Eingang: ein riesiges Quadrat goldfarben eingepackter Bonbons. Einige Besucher stehen irritiert davor, andere belustigt. Ein kleiner Junge nervt seine Mutter offensichtlich damit, eines der Bonbons zu wollen. „Halt den Mund, das ist Kunst“, höre ich sie sagen.

Felix Gonzalez-Torres Retrospektive - candy pills
Felix Gonzalez-Torres Retrospektive – candy pills

Eine Vielzahl Arbeiten aus Werk- Gruppen erwarten mich: „candy pills“ neben „stacks“, Stapel von Postern in unlimitierter Auflage. Puzzle-Bilder, Lichterketten, Fotografien und Schrift-Arbeiten auf den Museumswänden.
Häufig: das Nebeneinander des Banalen und des Intensiven, des Alltäglichen und des Außerordentlichen, des Privaten und des Öffentlichen. Blutwerte und Krieg in einem fernen Land. In erschreckender, irritierender Dichte, Aufeinanderfolge.

Die Auseinandersetzung mit Aids ist dabei immer wieder Thema seiner Arbeiten, sei es in den Bonbon-Bergen, Fotografien oder Wort-Arbeiten. Die Geschichte hinter den Kunstwerken wird nicht erzählt, es bleibt Aufgabe des Besuchers sie sich zu erschließen.

Vielen Besuchern allerdings scheint das kaum zu gelingen, habe ich das Gefühl. Sie schlendern durch die Ausstellung, klauben Plakate zusammen und naschen Bonbons (auch der kleine Junge kommt bald doch noch auf seine Kosten) – nutzen jedoch kaum die in einem abgetrennten Bereich (dem „Archiv“) bereitgestellten Hintergrund-Informationen.

Felix Gonzalez-Torres Retrospektive
Felix Gonzalez-Torres Retrospektive

So erfahren sie wahrscheinlich nicht, was hinter den Lichterketten steckt (O-Ton: ‚Das ist aber hübsch, wollen wir das bei uns auch so machen im Treppenhaus?‚). Nichts über die Explosion von Information und gleichzeitige Implosion von Bedeutung. Oder dass eine 60-Watt-Birne genau die gleiche Wärmemenge abstrahlt wie ein menschlicher Körper. Dass einer der Bonbon-Berge („untitled“, (Ross), 1991) zu Ausstellungsbeginn gut 79 Kilogramm wog, was dem Gewicht seines verstorbenen Lovers Ross entspricht.

Was für ein bezaubernder, metaphysisch anmutender Gedanke. Ich nehme ein Bonbon, mit dem Lutschen wird Ross, wird ein Stück von Gonzalez-Torres‘ Kunstwerk Teil von mir. Das Kunstwerk wird so einerseits immer weniger im Verlauf der Ausstellung – doch auch wieder nicht. Den Anweisungen des Künstlers folgend (‚endloser Vorrat‘) ist spätestens mit jeder neuen Ausstellung ein neuer Bonbon-Berg vorhanden.
Verschwinden und Unmöglichkeit des Verschwindens gleichzeitig.
Was für ein Umgang mit Trauer Erinnern Verlust.

Nachspiel: steht ansonsten eher „Bitte nicht berühren“ auf den Schildern im Museum, gern auch mit Ausrufezeichen, finde ich hier einen anderen Hinweis:

Felix Gonzalez-Torres Retrospektive - 'Verzehr eines Bonbons auf eigene Gefahr'
Felix Gonzalez-Torres Retrospektive – ‚Verzehr eines Bonbons auf eigene Gefahr‘

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ondamaris Texte zu HIV & Aids Politisches

Kreationismus – christliche Fundamentalisten in Deutschland

Fundamentalisten – dabei denken Sie sicherlich zuerst an „islamische Fundamentalisten“.
Aber, es gibt sie auch im Christentum. Christliche Fundamentalisten, Menschen die glauben, die Antworten auf alle Fragen (auch des heutigen Lebens) seien in der Bibel zu finden. Und es gibt sie zunehmend auch in Deutschland.

Ganz vorne mit dabei im Reigen christlicher Fundamentalisten: die Kreationisten.
Sie sind gegen die Evolutionstheorie, glauben nicht, dass der Mensch sich aus dem Affen entwickelt habe (nach Darwin, „Die Entstehung der Arten“). Gott habe die Welt erschaffen, nicht nur im religiösen Sinn, sondern ganz real.

Die Kreationisten, eine Bewegung, die in den USA längst breit Fuß gefasst hat, sind in den letzten Jahren zu einer starken Kraft geworden. Lehrpläne von Schulen werden beeinflusst, „Museen“ der Schöpfungsgeschichte entsprechend der Lesart der Kreationisten gebaut. Bis in höchste Regierungskreise hat die Bewegung Unterstützer. In den letzten Jahren werden Kreationisten auch in Europa aktiv.

Zunehmend promoten die Kreationisten dabei eine Variante ihrer Überzeugung, die sie „intelligent design“ nennen. Gott habe die Welt erschaffen, lehren sie. Versuchen, so genannte Mikro-Evolution von so genannter Makro- Evolution zu unterscheiden. Einige, die zentralen Teile der Natur seien keine „zufälligen Ereignisse“ (wie nach Darwin), sondern Teil einer bewussten Schöpfung, eines göttlichen Plans.
Diese Volte hat einen Hintergrund: Kreationismus an Schulen zu unterrichten ist in den USA verboten. Ein „wissenschaftlicher Anstrich“ musste her … oder: Religion (hier: fundamentalistische Religion) wird als „Wissenschaft“ verkauft, um sie besser in der Gesellschaft durchsetzen zu können.
Schöner Nebeneffekt: indem sie sich einen „wissenschaftlichen Anstrich“ geben, beanspruchen sie auch, mit Naturwissenschaften auf einer Ebene zu stehen.

Auch in Deutschland findet dieses Gedankengut zunehmend Ausbreitung, selbst im Schulwesen. „Wort und Wissen“ – diese Organisation ist eine der wichtigsten im Bereich Kreationisten hierzulande.
Die August Hermann Franke Schule in Gießen unterrichtet z.B. im Biologie-Unterricht neben der Evolutionstheorie auch ‚intelligent design‘, verwendet ein (für den Unterricht nicht zugelassenes) Schulbuch von Kreationisten – und das in einer staatlich anerkannten (Privat-) Schule.
Die staatliche Schulaufsicht Hessens fühlt sich für ‚intelligent design‘ nicht zuständig, die Schule sei ja zugelassen. Die Eltern würden sich ja freiwillig für die Schule entscheiden.
Selbst deutsche Politiker wie Anette Schavan begrüßen die von Kreationisten begonnene Debatte – und spannen sich so, bewusst oder unbewusst, vor den Karren einer fundamentalistischen christlichen Bewegung.

Was wollen die Kreationisten?
Die Bibel ist wahr, ist ihre Überzeugung. „Schöpfung ohne Kompromisse“, wie der Titel einer Kreationisten-Konferenz deutlich macht. Wer Darwin zustimme, rufe den Zorn Gottes hervor. Ziel des ‚intelligent design‘ sei eine mit dem Christentum verträgliche Wissenschaft, erklärt einer ihrer Vertreter.
Ein Beispiel, was das nach ihrer Vorstellung heißt: ‚Die Welt ist 6.000 Jahre alt. Stern und Planeten sind dabei etwas jünger als die Erde – denn in der Bibel steht, Gott habe die Erde am ersten, Sterne und Planeten jedoch am vierten Tag erschaffen.‘

Es geht nicht darum, hier Kreationisten durch Berichte aufzuwerten, Aufmerksamkeit zu schaffen, oder sie Darwin in Frage stellen zu lassen. Wohl aber geht es darum, auf die Gefahren aufmerksam zu machen, wenn diese Bewegung auch hier Fuß fasst.

War nicht erst die Trennung von Wissenschaft und Religion eigentlicher Beginn der modernen Naturwissenschaften, der Aufklärung, der modernen Gesellschaften?

Naturwissenschaft erklärt das ‚wie‘, nicht das ‚warum‘. Ist die Suche nach dem ‚warum‘, nach dem Sinn (des Lebens) ein Grund für die Erfolge der Kreationisten und ihres modernen Kindes, des ‚intelligent design‘? (Dabei, selbst die katholische Kirche kann heute Gott und Darwin gut miteinander vereinbaren. Einer ihrer Ansätze: der Körper mag wie von Darwin postuliert entstanden sein, die Seele des Menschen ist göttlicher Natur.)

Darwin ist eine, ist die Grundlage der modernen Naturwissenschaften – hinter den Kreationisten steht damit auch ein Angriff generell auf wissenschaftliche Sichtweisen, auf die moderne Gesellschaft.

Kreationismus – das steht für ein fundamentalistisches Weltbild, das eine Generalabrechnung auch mit Homosexuellen, modernem Frauenbild beinhaltet – mit überhaupt allem, was die moderne Gesellschaft ausmacht.

Die eigentliche Gefahr ist der christliche Fundamentalismus, sind dessen Folgewirkungen für das Demokratieverständnis unserer Gesellschaft.

Die Trennung von Religion und Naturwissenschaft ist das Fundament der modernen aufgeklärten Gesellschaft – ein Fundament, das wir nicht auf’s Spiel setzen sollten.

Oder wollen wir wieder zurück zu mittelalterlichem Denken, zu einer Gesellschaft, in der alles, was nicht mit christlichem Denken verträglich ist, nicht zulässig ist? Eine Gesellschaft, in deren fast logisch anmutender Konsequenz eine Inquisition steht?

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Text am 20. Dezember 2016 von ondamaris auf 2mecs

 

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ondamaris Texte zu HIV & Aids

Jesus Bäckerei

Erstaunliches:

Jesus Bäckerei
Jesus Bäckerei

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25. Januar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Homosexuelle in Polen nicht diskriminiert – sagt Kaczynski

Der polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski war am 30. August 2006 in Brüssel bei der EU zu Besuch. Im Anschluss an ein Gespräch mit EU-Kommissionspräsident Baroso betonte er vor der Presse, Homosexuelle würden in Polen nicht diskriminiert.

Erstaunt reibe ich mir die Augen. Habe ich in den letzten Jahren, besonders während der letzten Monate eine andere Realität mitbekommen als dass doppelte Polit-Lottchen in Polen? Oder hat der Begriff der Diskriminierung inzwischen, von mir unbemerkt, eine neue Bedeutung bekommen?

Wie war das in der Zeit, als sein Bruder Lech, heute Staatspräsident, noch Bürgermeister von Warschau war? Wie war das mit jüngsten Äußerungen aus seiner Regierung gegen Homosexuelle? Wurden Schwulen- und Lesbenclubs nicht gerade erst unter fadenscheinigen Gründen geschlossen? Sprach die Regierungspartei PiS auf einer Pressekonferenz nach dem Warschauer CSD nicht vor kurzem von „westlichen terroristischen Gruppierungen“, die friedliche Bürger angegriffen hätten?

„Homosexuelle“, so betonte Kaczynski in Brüssel, hätten in seinem Land „alle Rechte“. Wäre ja auch noch schöner, wenn’s anders wäre, mit welchem Grund wollte er sie ihnen denn aberkennen?
Und weiter, es gebe „keine Tradition“, Homosexuelle zu verfolgen
Nein, eine Tradition war das in Polen bisher vielleicht nicht. Auch wenn es Polens Lesben und Schwule in den Jahren zumeist nicht leicht hatten. Während der letzten Monate allerdings kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass Polens Regierung mit einem rechtskonservativen Wertewandel auch eine verstärkte antihomosexuelle Stimmung durchzusetzen versucht.

Erfreulich, wenn auch nicht ausreichend, zu wissen dass viele Regierungen, jetzt auch wieder die EU-Kommission, Pole immer wieder an die europäischen Werte, auch an den der ‚Nicht-Diskriminierung‘, erinnern, mahnen.

Allein, Erinnern und Ermahnen reichen nicht. Als Lech Kaczynski in Berlin war, haben Schwule und Lesben aus beiden Ländern gemeinsam gegen seine Rede protestiert. Diese Tradition, diese grenzüberschreitende Solidarität gegen Diskriminierung, für freie Bürgerrechte gilt es fortzusetzen, auszubauen.

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Text 21. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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ondamaris Texte zu HIV & Aids

Homo-Mahnmal: Küssende! Aber welche ?

Können und wollen Lesben sich in einem Mahnmal wiederfinden, in dem zwei sich küssende Männer dargestellt werden? Dies schien die zentrale Frage einer Diskussion über das geplante Denkmal für die in der NS-Zeit verfolgten und unterdrückten Lesben und Schwulen zu sein.

Berlin bekommt ein Homo-Denkmal. – Nein genau das nicht! Aber dazu später mehr.

Auf einem Grundstück im Tiergarten direkt gegenüber dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas soll erinnert werden an in der NS-Zeit verfolgte und unterdrückte Lesben und Schwule. Der Bundestag hat einen entsprechenden Beschluss zur Realisierung bereits gefasst. Der künstlerische Wettbewerb ist abgeschlossen, seit Januar 2006 stehen die Sieger fest: die beiden dänischen bzw. norwegischen Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset. Beide leben und arbeiten in Berlin.

Michael Elmgreen und Ingar Dragset 2006 bei der Diskussion über das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
Michael Elmgreen und Ingar Dragset 2006 bei der Diskussion über das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Auf einer erfreulich gut besuchten Diskussionsveranstaltung (auf Einladung des Lesben- und Schwulenverband LSVD) am 28. August 2006 wurde intensiv über das geplante Projekt www.gedenkort.de diskutiert. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob und wie auch Lesben in dem Denkmal präsent sind.
Im Vorfeld der Diskussion hatte die Zeitschrift Emma mit einer nicht unumstrittenen Unterschriftenaktion protestiert „Mal wieder die Frauen vergessen“ http://www.emma.de/homo_denkmal.html.

Die einer kurzen Runde von Eingangsstatements sich anschließende Diskussion entzündete sich (sehr zum Erstaunen der Künstler) nicht an der äußeren Gestaltung, sondern fast ausschließlich am Inhalt der beinhalteten Videoprojektion – küssen sich da zwei Männer, zwei Frauen oder zwei was?

Ein Kerngedanke der Kritik war, dass das Denkmal in seiner derzeitigen Konzeption ein weiterer Ausdruck der jahrelangen Nichtwahrnehmung lesbischer Frauen sei und einen Rückfall hinter schon Erreichtes darstelle. Zudem sei nicht berücksichtigt, dass Frauen in der NS-Zeit nicht in gleicher Weise verfolgt und unterdrückt wurden.
Elmgreen/Dragset betonten daraufhin, es sei nicht bedeutend, ob sich zwei Männer oder zwei Frauen küssten. Das Fenster sei ein Bild, eine intime Darstellung zweier sich küssender gleichgeschlechtlicher Personen. Wichtig sei diese Intimität, der Kuss, nicht die Küssenden. Es ginge nicht um Repräsentation (die zwei Küssenden können niemals alle, nicht einmal alle Schwulen repräsentieren), sondern darum, ein Bild von Intimität und Zärtlichkeit zu schaffen – deswegen auch der ununterbrochene „ewige Kuss“.

Warum in dem seit 1992 (!) laufenden Prozess der Denkmal-Planung die massive inhaltliche und formale (z.B. Besetzung der Jury) Kritik von Seiten einiger Lesben allerdings erst jetzt, in einer relativ späten Phase eingebracht wird, blieb unklar.

Letztlich stelle ich mir mittenmang etwas frustriert die Frage, wäre die letzte Provokation -auch für uns selbst-, die definitive Irritation des Betrachters nicht eigentlich ein sich küssendes Hetero-Paar?

Leider ließen im Verlauf der überwiegend konstruktiven Diskussion einige der TeilnehmerInnen etwas an Respekt für den künstlerischen Schöpfungsprozeß und die künstlerische Freiheit vermissen. Und die beiden anwesenden Künstler mussten sich ausgiebig in Geduld üben

Trotz einer nicht immer zielführend wirkenden Diskussionsleitung zeichnete sich gegen Ende eine gemeinsame Zielsetzung der Mehrzahl der Diskussions-TeilnehmerInnen ab. Das Denkmal solle durch ein künstlerisch gestaltetes Informationsmedium ergänzt werden, darauf einigten sich alle schnell. Zum Kernproblem formulierte die Kabarettistin Maren Kroymann bereits recht früh die mögliche Kompromiss-Linie: wichtig ist eine Irritation beim Betrachter zu erzeugen, sind da Männer, die sich küssen? Oder Frauen? Oder Transsexuelle? Transgender?
Und, es geht um Lesben und Schwule. Deswegen (siehe oben): Berlin bekommt kein Homosexuellen-Mahnmal, sondern ein Lesben- und Schwulen-Monument.

Ein Kompromiss, dank einiger sehr qualifizierter, kritisch-konstruktiver Statements, und vor allem auch dank der souveränen Dialogbereitschaft und Geduld von Elmgreen/Dragset.

Und nebenbei: auf dem Weg in den ‚Bierhimmel‘ gegenüber denke ich, wie schön wäre es, eines fernen Tages, aus solch einer Diskussionsrunde zu kommen, in der über eine künstlerische Form des Gedenkens an all unsere an Aids Verstorbenen diskutiert wurde. Zukunftsträume. Schäume?

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Text 21. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs