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Robert Badinter – oder die Würde der Menschen

„Es gibt kein ‚aber‘!“ – Mit diesen Worten steht Robert Badinter immer wieder ein für die Unbedingtheit des Verbots der Todesstrafe. 1981 hat Frankreich weitgehend ihm, damals Justizminister unter Mitterrand, die Abschaffung diskriminierender Gesetze gegen Homosexuelle zu verdanken.

Erst jüngst jährte sich in Deutschland ein beinahe schon vergessenes Jubiläum: am 11. Juni 1994 trat die Abschaffung des §175 in Kraft. Auch Frankreich hatte seine gegen Homosexuelle gerichteten Gesetze. Und einen Mann, der bei der Abschaffung dieser (und anderer) Gesetze eine besondere Rolle hatte: der weit über Frankreich hinaus für seinen Kampf für die Abschaffung der Todesstrafe bekannt gewordene Robert Badinter.

Zur Würdigung von Robert Badinter heute ein Gastbeitrag aus Frankreich von Manfred:

Robert Badinter – oder die Würde der Menschen.

Es gibt Momente, Eindrücke, die sich ein für allemal ins Gedächtnis eingraben: die außerordentliche Ansprache des französischen Justizministers Robert Badinter am 17. September 1981 vor der Nationalversammlung in Paris, in der er für die Abschaffung der Todesstrafe plädierte, gehört zu ihnen. Dass diese Rede „außerordentlich“ war, basierte nicht nur auf der ein für allemal einmaligen Persönlichkeit des Redners, sondern auch an dem Thema und der Heftigkeit der Debatten, von der wir uns heute nur schwer ein Bild machen können. *)

Dass ich dieser Persönlichkeit vor wenigen Wochen bei einem Spaziergang im Luxemburggarten in einer Wegbiegung geradezu in die Arme lief, war Anstoß, sich anderer seiner Engagements zur Verteidigung der Würde des Menschen, gleich in welcher Form, zu erinnern:

Robert Badinter im Jardin du Luxembourg, Paris, Juni 2010 (Foto: Manfred)
Robert Badinter im Jardin du Luxembourg, Paris, Juni 2010 (Foto: Manfred)

Vor drei Jahren wurde der 25. Jahresstag gefeiert, an dem die von Präsident Mitterrand versprochene und von Robert Badinter eingeleiteten Wahl zur Abschaffung des unter dem Vichy-Regime herausgegebenen Gesetzes von der Nationalversammlung stattfand, das homosexuelle Verbindungen unter 21 Jahren mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu drei Jahren und einer Geldstrafe von 6 bis 20.000 Franken bestrafte, während solche von Heterosexuellen nur unter 15 Jahren verboten waren.

Zwei Fakten nur, die den lebenslangen, er wurde 1928 geboren, nie nachlassenden Kampf eines Mannes -in anderem Zusammenhang würde man von einem „Gerechten – d’un juste“ sprechen- zur Erhaltung und zugunsten der Unantastbarkeit der Menschenwürde verdeutlichen.

In den darauf folgenden Jahren, in denen er u.a. auch von 1986 bis 1995 Präsident des Verfassungsrates war, und bis heute hat er nicht nachgelassen sich um Gesellschaftsfragen zu sorgen, aufmerksam zu verfolgen, welchen Lauf unsere Gesellschaft nimmt – oder welchen Entgleisungen sie ausgesetzt ist.

Er hat die von Frankreich offizielle Unterbreitung einer Erklärung vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen für die „Allgemeine Straffreiheit bei Homosexualität“ – „Pour une dépénalisation universelle de l’homosexualité » mitgetragen. Überhaupt: Fragen welche die „Sitten“ betreffen („les moeurs“ würde man in hier Frankreich sagen) finden bei ihm immer ein offenes Ohr.  So ist es nicht selten, ihn von Zeit zu Zeit in einem Fernsehinterview zu sehen, oder ihm in einer Gesprächsrunde im Radio zu begegnen, in der er vor Tagen von einem Journalisten als „le sage des sages“ –der Weise unter den Weisen- vorgestellt wurde. Bei Grundsatzfragen wie z.B. die Erhaltung der Menschenrechte, die Unantastbarkeit der Menschenwürde scheint für ihn keine Diskussion möglich zu sein. Und das ist gut so. In einem kürzlichen Fernsehgespräch über die Abschaffung der Todesstrafe wagte eine seiner Gesprächspartnerinnen ein: „Natürlich, sie haben Recht. Aber …“ Wie ein Peitschenhieb kam seine Unterbrechung: „Non, Madame, il n’y a pas de mais!“ – Nein, Madame, es gibt kein Aber !“ Ende der Diskussion.

Hier ein kurzer Auszug aus der Rede von Robert Badinter – und welch ein Redner! – am 20. Dezember 1981 anlässlich der Abstimmung über die Straffreiheit bei Homosexualität:

« Diese Versammlung kennt die Art von Gesellschaft, die immer von Willkür, von Eigenmächtigkeit, Intoleranz gekennzeichnet war. Der Fanatismus oder der Rassismus haben ständig Jagd auf die Homosexualität gemacht. Eine solche Diskriminierung, diese Unterdrückung sind unvereinbar mit den Prinzipien eines großen Landes der Freiheit wie das unsere. Es ist endlich an der Zeit sich bewusst zu werden, was Frankreich den Homosexuellen schuldet, wie allen anderen Bürgern in vielen Bereichen.

Monsieur – oserais-je un cher Monsieur? car vous êtes cher à mon coeur – Merci.

Manfred

*) Seine Bemühungen, sein regelrechter Kampf um die Abschaffung der Todesstrafe hat eigentlich schon 1972 (siehe: Wikipedia) begonnen.

** Unter seinen vielen Veröffentlichen befindet sich auch ein Buch über „Oscar Wilde – oder die Ungerechtigkeit“

Merci – vielen Dank an Manfred für diese Würdigung Robert Badinters‘ !

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Text am 9. Januar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Politisches

“Ich habe meine Chance genutzt” – Ärzte in der NS-Zeit

2010 jährt sich zum 65. Mal die Befreiung vom Faschismus. Ein weniger bekanntes Kapitel im System der NS-Herrschaft und des Terrors ist die Beteiligung von Medizinern an Verfolgung und Vernichtung. Ihre zumindest ansatzweise juristische Aufarbeitung führte zu einem der wesentlichen Grundlagen des Schutzes von Patienteninteressen, dem Nürnberger Codex.

Ärzte spielten eine bedeutende Rolle im Verfolgungs- und Vernichtungs-Apparat der NS-Diktatur, so auch bei der Vernichtung von Juden, Roma und Sinti, psychisch Kranken oder der Verfolgung und Unterdrückung von Homosexuellen.
Die Bedeutung von Ärzten in der NS-Rasse- und Vernichtungspolitik wird durch Zitate wie dieses deutlich:

Ratten, Wanzen und Flöhe sind auch Naturerscheinungen, ebenso wie die Zigeuner und Juden. Sie sind daher gleichfalls gottgewollte Wesen, aber man kann sie ebensowenig durch rücksichtsvolle Behandlung bessern oder beim zusammenleben von uns fernhalten wie entartete Asoziale und unnormal ichsüchtige, kriminell-hemmungslose Menschen. Alles Leben ist Kampf. Wir müssen deshalb alle diese Schädlinge biologisch allmählich ausmerzen.

Dr. Kurt Hannemann, in “Ziel und Weg” Nr. 9 / 1939, Organ des Nationalsozialistischen Ärztebundes; zitiert nach Bastian / Homosexuelle im Dritten Reich

Zwei der bedeutendsten Ärzte bei der Verfolgung Homosexueller:
Dr. med. Carl-Heinz Rodenberg (Reichsicherheitshauptamt Amt III b 3 sowie ‘sexualpsychologischer Berater’ der Abteilung V; u.a. Gutachter bei der ‘Mordaktion T4‘ sowie ab 1943 ‘wissenschaftlicher Leiter’ der ‘Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung‘)

Carl Heinz Rodenberg
Carl Heinz Rodenberg

sowie der dänische Mediziner Dr. Carl Vaernet (bekannt und gefürchtet für seine Experimente an Homosexuellen in Buchenwald).(In der Gedenkstätte Buchenwald erinnert seit 2006 ein Gedenkstein an die homosexuellen NS-Opfer).

Carl Vaernet
Carl Vaernet

Eines der wichtigsten Zentren der NS-Ideologie im Medizin-Betrieb: die am 1. Juni 1935 eingeweihte “NS-Ärzteschule” (“Führerschule der deutschen Ärzteschaft”) in Alt Rehse, heute zur Stadt Penzlin in Mecklenburg-Vorpommern gehörend. Etwa 40.000 Ärzte und medizinisches Personal wurden hier in einem ehemaligen Rittergut von 1935 bis 1943 (ab 1941 überwiegend Reserve-Lazarett) entsprechend der NS-Ideologie medizinisch ‘weitergebildet’. Darunter auch Ärzte, die später in Konzentrationslager Menschenversuche vornahmen, Ärzte die in Behörden über “lebensunwertes Leben” urteilten, Ärzte die Menschen in die Vernichtung schickten.

Auf dem Gelände und in Gebäuden der ehemaligen “NS-Ärzteschule” befindet sich nach langem Leerstand seit 2006 der “Tollense Lebenspark”. Im Gutshaus Alt-Rehse erinnert die Ausstellung “Alt Rehse und der gebrochene Eid des Hippokrates” des ‘Vereins für die Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse e. V.’ an die Geschichte des Orts.

Dorfplatz in Penzlin-Alt Rehse September 2008 (Foto: wikimedia / GNU Lizenz)
Dorfplatz in Penzlin-Alt Rehse September 2008 (Foto: Bear62 / Lizenz cc by 2.0)

Village-Place Alt RehseBear62CC BY 3.0

Nach 1945 hatten viele Mediziner eine einfache Begründung für ihr kritikloses, teils bedingungs- und gnadenloses Engagement im und für das NS-System. Klar zum Ausdruck brachte dies zum Beispiel Karl Gebhardt, Oberster SS-Arzt, 1946 im Nürnberger Ärzte-Prozess [vgl. Memorium Nürnberger Prozesse] :

So hat mir… das Dritte Reich … auf ärztlichem Gebiet eine große Chance gegeben. Ich habe sie genutzt.

Gebhardt wurde in dem Prozess zum Tod verurteilt und hingerichtet. Viele Ärzte hingegen, die in KZs, Kliniken und Heilanstalten arbeiteten und gegen das Gebot der Menschlichkeit verstießen, an Verfolgung, Unterdrückung, Vernichtung beteiligt waren, wurden juristisch nicht belangt. Die meisten arbeiteten nach 1945 unbehelligt weiter, so auch Carl-Heinz Rodenberg und Carl Vaernet.

Der Nürnberger Ärzteprozess, in dem zwischen dem 9. Dezember 1946 und dem 20. August 1947 zumindest 20 KZ-Ärzte vor Gericht standen,  brachte einen bedeutenden Fortschritt, nicht nur juristisch, sondern auch für Patient/innenrechte: Dem Urteil des Nürnberger Ärzte-Prozesses voran gestellt war der “Nürnberger Codex” (“Stellungnahme des I. Amerikanischen Militärgerichtshofes über “zulässige medizinische Versuche”), der u.a. zu medizinischen Versuchen an Menschen festlegt:

„Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich. Das heißt, dass die betreffende Person im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben; dass sie in der Lage sein muss, unbeeinflusst durch Gewalt, Betrug, List, Druck, Vortäuschung oder irgendeine andere Form der Überredung oder des Zwanges, von ihrem Urteilsvermögen Gebrauch zu machen; dass sie das betreffende Gebiet in seinen Einzelheiten hinreichend kennen und verstehen muss, um eine verständige und informierte Entscheidung treffen zu können.“.

Der Nürnberger Kodex gehört seitdem zu den ethischen Grundlagen der Ausbildung von Medizinern – und ist eine der wesentlichen Grundlagen des Schutzes von Patienten.

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Der Tollense Lebenspark musste 2015 das Gelände nach einem Gerichturteil verlassen. Erneut müssen Investoren gesucht werden.

2017 hieß es, auf dem 2016 erworbenen Gelände sei ein Hotel mit Meditationszentrum in Planung. 2021 war von der Schaffung eines Luxushotels die Rede.

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weitere Informationen:
wikipedia: Liste von NS-Ärzten und Beteiligten an NS-Medizin
IPPNW Nürnberg – Erlangen Fürth: Nünberger Kodex 1997
Evelyn Hauenstein: Ärzte im Dritten Reich – Weiße Kittel mit braunen Kragen
Tollense Lebenspark: Die Geschichte des Tollense Lebensparks
ns-eugenik.de (dort -> Die Führerschule in Alt Rehse)
Politische Memoriale Mecklenburg-Vorpommern e.V.: Alt Rehse/ Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse

Peter Tatchell 05.05.2015: The Nazi doctor who experimented on gay people – and Britain helped to escape justice
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Politisches

Erich-Mühsam-Preis für Gunter Demnig

Der Künstler Gunter Demnig wurde am 26. April 2009 in Lübeck mit dem Erich-Mühsam-Preis ausgezeichnet, verliehen für das Projekt Stolpersteine.

Der in Lübeck aufgewachsene Publizist, Schriftsteller und politische Aktivist Erich Mühsam wurde am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg nahe Berlin von Nationalsozialisten ermordet. Die 1989 in Lübeck gegründete Erich-Mühsam-Gesellschaft verleiht seit 1993 den Erich-Mühsam-Preis.

Die Erich-Mühsam-Gesellschaft schreibt dazu:

“Alle zwei Jahre wird auf der Tagung der Erich-Mühsam-Preis verliehen. Ein gewähltes Gremium schlägt Personen und Gruppen zur Auszeichnung vor, die sich mit Zivilcourage und Idealismus für soziale Gerechtigkeit und verfolgte Minderheiten einsetzen.”

Der Erich-Mühsam-Preis wird am 26. April 2006 dem Künstler Gunter Demnig (geb. 27. Oktober 1947) verliehen, Schöpfer des Projekts Stolpersteine. Am Vortag hat Demnig in Lübeck erneut Stolpersteine verlegt.

Stolperstein zum Gedenken an Erich Mühsam vor dem Buddenbrookhaus
Stolperstein zum Gedenken an Erich Mühsam vor dem Buddenbrookhaus

Projekt Stolpersteine begann 1993 mit Konzepten, 1995 wurden erste Stolpersteine (damals noch ungenehmigt) probeweise in Köln und 1997 in Berlin-Kreuzberg verlegt. Zuvor waren bereits 1994 250 Stolpersteine in der Kölner Antoniterkirche ausgestellt worden. Voran gegangen war dem Projekt eine Aktion 1990, mit der an die Deportation von Sinti und Roma aus Köln erinnert wurde.

Gunter Demnig beschreibt die Stolpersteine als

“ein Projekt, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus wach hält.”

Stolperstein für Hans Hirschberg
Stolperstein für Hans Hirschberg

Stolperstein für Hans Hirschberg, Hamburg

Die Stolpersteine verlegt Demnig jeweils bündig in den Bürgersteig, vor dem letzten freiwillig gewählten Wohnort des jeweiligen Opfers. Bis Ende 2008 sind gut 17.000 Stolpersteine gesetzt worden.

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Politisches

Diversität, Gene und Selbstverständnis – “Es ist normal, verschieden zu sein.“

“Genomforschung und das Selbstverständnis des Menschen” lautet der Titel eines Vortrags, in dem Wolfram Henn (Universität des Saarlands) sich am 15. Juli im Medizinhistorischen Museum der Charité Berlin (in dem noch bis 14.9.2008 die Ausstellung “Sex brennt” über Magnus Hirschfeld stattfindet) mit Diversität auseinander setzte.

Henn: "Genforschung und Selbstverständnis des Menschen"
Henn: „Genforschung und Selbstverständnis des Menschen“

Der Vortrag war Teil des Öffentlichkeits-Programms des Welt-Genetik-Kongresses, der vom 12. bis 17. Juli 2008 in Berlin stattfand.

Das Genom – biochemischer Bauplan, der unveränderlich unsere Leben bestimmt. Klar – oder?
Bisher galt es als selbstverständlich, dass das Genom unveränderlich ist, einen Menschen sein ganzes Leben lang typisch kennzeichnet. Doch – inzwischen streiten sich die Forscher ob der Frage “was ist ein Gen”. Das was als grundlegender Baustein des Lebens betrachtet wird, entzieht sich derzeit scheinbar einer einhelligen Definition. Ein Streit mit potenziell gravierenden Auswirkungen.

Das Genom stellt sich derzeit eher dar als ein komplexes Wechselspiel zwischen Körper und Seele, Krankheit, Umwelt, Entwicklung, Alter – das starre Bild vom immer gleich bleibenden Genom ist passé, das Genom ist kein ewig gleicher Code. Zwar ist der Mensch ein Produkt seiner Gene – aber auch das Genom unterliegt viel mehr als bisher gedacht einer ‘Schwankungsbreite’. Das Genom ist nicht der ‘Quellcode’ des Lebens; eine lebenslange genetische Identität, wie noch vor kurzem gedacht, scheint ein Irrglaube – vielmehr stellt sich das Genom als ein ständig verändernder Pool im Wechselspiel befindlicher Gene (Polymorphismus; genetische Variation).

Prof. Wolfram Henn
Prof. Wolfram Henn

Vor diesem Hintergrund aktueller Diskussionen in der Humangenetik fand der Vortrag von Prof. Dr. med. Wolfram Henn statt.
Henn ist Professor für Humangenetik und Ethik an der Universität des Saarlands. Zudem ist er Leiter der Genetischen Beratungsstelle sowie u.a. Mitglied der Zentralen Ethikkommission der Bundes-Ärztekammer. Seit 2016 ist er Mitglied des Deutschen Ethikrats.
Im März 2007 wurde Prof. Henn als erster Humangenetiker mit dem ‘Moritz’ ausgezeichnet für sein besonderes Engagement für Patienten mit Down-Syndrom.
Henn ist u.a. Autor des Buches “Warum Frauen nicht schwach, Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm sind – Der Mythos von den guten Genen“ (2004).

Henn illustrierte im Verlauf seines Vortrags recht plastisch einige gängige (Vor-)Urteile:

Wie steht es zum Beispiel mit der überlegenen Position des Menschen, der “Krone der Schöpfung“?
Vergleicht man die Chromosomenzahl, so steht der Mensch gut da: hat eine Taufliege 8 Chromosomen, der Hund 38 und der Rhesusaffe 42, so kommt der Mensch auf 46. Leider – der Schimpanse hat schon 48 Chromosomen, ein Rind 60 und ein Karpfen gar 104.
Aber auch bei der Zahl der Basenpaare der Gesamt-DNA ein widersprüchliches Ergebnis: einfache Viren weisen ca. 5.000 Basenpaare auf, Bakterien 1.000.000. Eine Reispflanze ca. 400.000.000, und der Mensch 3.300.000.000. Nur – schon ein simpler Grashüpfer kommt auf 18.000.000.000 Basenpaare, und ein Nacktfarn gar auf 250.000.000.000.
Schwierig also, aus nackten Daten der Genetik eine Überlegenheit des Menschen abzuleiten …

Abr immerhin – die ‘Krone der Schöpfung’ hat doch ein recht großes Gehirn?
Ja, stimmt. Aber was sagt das? Bismarcks Gehirn wog 1.807 Gramm, das von Ludwig II. 1.330, das von Marilyn Monroe 1.440, und das von Albert Einstein 1.230 Gramm. Aussage?
Nebenbei, ‘Flipper’ kommt auf 1.700 Gramm …

Und, wenn wir schon bei Überlegenheit sind, manche halten ja Menschen kaukasischer Abstammung (Caucasians, vulgo “Weiße”) für eine überlegene Ethnie (vulgo ‘Rasse’).
Die Erbinformation des Menschen zeigt, woher wir abstammen. Seit viele ‘Vorläufer’ des heutigen Menschen gefunden und untersucht sind, lässt sich recht leicht ein ‘evolutionärer Stammbaum’ des Menschen erstellen. Müsste sich hier dann nicht auch die genetische vermutete ‘Überlegenheit der weißen Rasse’ zeigen?
Vor ca. 38.500 Jahren trennte sich entwicklungsgeschichtlich der Weg der afrikanischen Menschen von denen sämtlicher nicht-afrikanischer Menschen (denn aus Afrika stammen alle ältesten Funde von Menschen, Afrika ist die Wiege der Gattung ‘homo sapiens’). Nun, leider zeigt dieser ‘molekulare Stammbaum’ des heutigen Menschen nicht etwa, dass die ‘kaukasische’ Ethnie eine überlegene genetische Vielfalt aufweist. Vielmehr – 90 Prozent der genetischen Vielfalt der Menschheit finden sich in Afrika, ein Kikuyu unterscheidet sich genetisch viel stärker von seinen Nachbarn Ibo oder San, als jeder weißhäutige Deutsche von Chinesen, Russen oder auch nur Franzosen. Nur ganze 10% der genetischen Vielfalt der Menschheit finden sich außerhalb Afrikas.

Prof. Wolfram Henn
Prof. Wolfram Henn

Wie steht es mit ‘genetischen Defekten‘? Schließlich, Gen-Tests beginnen immer mehr in die Praxis zu dringen, sei es zur Früherkennung, oder zum Risikoausschluss (medizinisch, aber leider auch z.B. bei Versicherungen).

Henn erwähnte als Beispiel den Umgang mit Trisomie 21 (‘Down-Syndrom’).
Im Rahmen der Schwangerschafts-Diagnostik können Frauen untersuchen lassen, ob der Fötus eine genetische Veränderung aufweist, die auf Trisonomie21 hinweist. Wird diese festgestellt, lassen die Frauen in 90% der Fälle einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Aber unter 20% der Frauen nutzen vor oder wenigstens nach der Diagnose die Möglichkeit einer genetischen Beratung.

Von denjenigen Frauen, die trotz des Untersuchungsergebnisses ‘Trisonomie 21′ ihr Kind zur Welt gebracht haben, berichten 40%, ihnen sei bereits vorgeworfen (!) worden, dass die Geburt des Kindes hätte verhindert werden können (im Vergleich zu 25% der Mütter, bei denen die Diagnose vor Geburt nicht bekannt war). Eine rein gesellschaftliche Bewertung … Zudem, Studien zeigen, dass die psychische Belastung der Mütter von Kindern mit ‘normalen’ Kindern oder von Kindern mit Down-Syndrom nahezu identisch ist (bis auf das Gefühl, mehr Alltagsprobleme zu haben).

Henn stellte ein weiteres Beispiel eines vermeintlichen ‘Gen-Defekts’ vor.
Ein bei einigen Menschen vorhandener Defekt auf dem CFTR-Gen führte dazu, dass Typhus diese nicht infizieren konnte. Während der großen Typhus-Epidemien erwies sich dieser ‘Defekt’ als bedeutender Überlebens-Vorteil. Heute allerdings wird festgestellt, dass Menschen mit genau diesem CFTR-Gendefekt ein erhöhtes Risiko für Mukoviszidose haben – ein Defekt, der einst ein Vorteil war, kann sich nun als nachteilhaft erweisen.
Am Rande erwähnte Henn einen ähnlich gelagerten Fall, ein Defekt am Gen für CCR5, der heute einen Überlebensvorteil hinsichtlich HIV darstellt (eine Infektion mit HIV ist mit einem CCR5-Defekt nur schwer möglich).

Gen-Defekte treten häufig auf, betonte Henn. Wichtig sei, sich des Unterschieds zwischen ihrem Auftreten und ihrer gesellschaftlichen Bewertung bewusst zu sein.
Am Wissen um Gen-Defekte könnten neben den Betroffenen (z.B. aus gesundheitlichen Gründen) auch ganz andere Kreise potenziell Interesse haben. Krankenversicherer könnten an Daten zu Gen-Defekten (sei es z.B. CCR5-Defekt oder Trisonomie 21) hohes Interesse hinsichtlich veränderter Krankenversicherungs-Beiträge haben. Rentenversicherer dürften sicher überlegen, ob auch Menschen mit einem sog. ‘Langlebigkeits-Gen’ die gleichen Rentenversicherungs-Beiträge wie ‘Normal-Sterbliche’ zahlen sollten.
Diese wenigen Beispiele zeigten schon deutlich, dass es dringend ein Gen-Diagnostik-Gesetz brauche, um Missbrauch zu vermeiden (ein entsprechender Referenten-Entwurf ‘Gendiagnostikgesetz’ befindet sich derzeit in Diskussion).

Henn zog zum Schluss seines Vortrags (der umfangreicher als hier dargestellt war) folgendes Fazit:

“1. Der Mensch ist wie alle Lebewesen den Gesetzen der Natur unterworfen.
2. Der Mensch schadet sich durch Missachtung anderer Lebewesen selbst.
3. Die Menschenwürde ist unabhängig von genetischen Eigenschaften.
4. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind biologisch sinnvoll.
5. Jeder Mensch trägt genetische Defektanlagen.
6. Jeder Mensch muss damit rechnen, genetisch kranke Nachkommen zu haben.
7. ‘Gute’ oder ‘schlechte’ Gene gibt es nicht.
8. Eugenik kann keine ‘Erbgesundheit’ erzeugen.
9. Nur mit einer möglichst großen genetischen Vielfalt kann die Menschheit bestehen.
10. Unsterblichkeit ist weder erreichbar noch wünschenswert.”

Henns Schlusswort: ein Zitat von Richard von Weizsäcker (1993):

Es ist normal, verschieden zu sein.

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zusammen gegen Homophobie und Rassismus

zusammen gegen Homophobie und Rassismus
zusammen gegen Homophobie und Rassismus

„Am Sonntag, den 8.6.2008 wurden am Heinrichsplatz in Berlin sieben queer lebende Menschen Opfer eines trans- und homophoben Angriffs. Da dieser Angriff im Rahmen des Dragfestivals stattfand, ist zu vermuten, dass es sich um eine gezielte Aktion gehandelt hat. Am Montag, den 9.6.2008 zogen in einer beispiellosen Spontandemo fast 3000 Transgender, Lesben, Schwule und queer lebende Menschen durch Berlin Kreuzberg um gegen den trans- und homophoben Gewalt zu demonstrieren“ (aus der Pressemitteilung von TransInterQueer, als pdf hier; weitere Informationen auch in dem Artikel „gelebte Solidarität in Berlin-Kreuzberg“ auf berlin.gay-web.de).

Anlässlich des Tansgenialen CSD (siehe Ibne Kreuzberg) zeigten viele Geschäftsleute entlang der Kreuzberger oranienstrasse (auf der das Abschlussfest des Transgenialen CSDs stattfand) Solidarität. Sie schmückten ihre Geschäfte mit Fahnen, die in türkischer und deutscher Sprache informierten „Du bist nicht allein – zusammen gegen Homophobie – gegen Rassismus – gegen Sexismus – gegen Faschos // Yalniz degilsin- hep beraber – homofobiye karsi – irkciliga karsi – cinsiyetcilige karsi – fasistlere karsi„.

Anmerkung: ich weiss, dass der Slogan in türkisch nicht völlig korrekt geschrieben ist – allein, ich find in wp nicht die entsprechenden Sonderzeichen … 🙁

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Text 6. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Du bist nicht allein …

du bist nicht allein
du bist nicht allein

yalniz degilsin

demnächst mehr …(in “zusammen gegen Homophobie und Rassismus)”

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Berlin

ein-Frau-Musical mit Lola

Georg Kreisler ist leider seltener zu hören – derzeit bietet sich in Berlin die Gelegenheit. Das jüdische Theater Bimah zeigt seine ‘Lola Blau’.

Theater Bimah
Theater Bimah

“Lola Blau ist Jüdin und lebt im Österreich der 30er Jahre. Als der Einmarsch Hitlers ihre Schauspielpläne durchkreuzt, muss sie flüchten … ‘Lola Blau’ ist eine musikalisch umgesetzte Lektion aus Geschichte und Unterhaltung – unsentimental, ernst, heiter und satirisch …” [aus der Programmankündigung]

Georg Kreisler ist vielen vielleicht am ehesten bekannt durch sein Chanson ‘Taubenvergiften im Park”. Sein ‘ein-Frau-Musical’ “Heute Abend: Lola Blau”, uraufgeführt am 17. November 1971, zeigt das Jüdische Theater Bimah in Berlin-Neukölln.

Wer Kreislers bitteren Humor, seine satirische Schärfe mag, wird hier einen unterhaltsamen Abend verbringen können – vielleicht entdecken auch Sie, dass Sie im verkehrten Szenenbild spielen? Oder finden den ein oder anderen Herrn oder Frau Schmidt in oder neben sich?

Theater Bimah
Theater Bimah

“Heute Abend: Lola Blau”
an zahlreichen Abenden im März und April 2007 im “Jüdischen Theater Deutsch-Jüdisches Theater (Bimah)
Jonasstr. 22, 12053 Berlin

Nachträge: einen schönen Text Kreislers über ‘Judentum leicht gemacht’ gibt’s hier. Und den Text seines netten Lieds ‘Zwei alte Tanten tanzen Tango’ gibt’s (neben anderen Texten) hier.