Mitten im Innenstadt-Trubel findet sich an etwas versteckter Stelle einer meiner Lieblings-Orte in Köln – der Schwebende .
Die Kölner Schildergasse wirkt ein wenig in die Jahre gekommen, eineständig hektisch-trubelige Einkaufsstraße im ungepflegten Chic der siebziger Jahre. Hier steht zwischen Jeansgeschäften, Parfümerien, Pizzaketten und Telekommunikationsläden die Antoniterkirche. Und in dieser kleinen Kirche befindet sich eine meiner Lieblings-Plastiken, der ‘schwebende Engel‘, auch ‚Der Schwebende ‚, bekannt als ‘Güstrower Ehrenmal‘.
Auf dem Wismarer Markt steht die Wasserkunst aus dem Ende des 16. Jahrhunderts – fast 300 Jahre Zentrum der Trinkwasserversorgung der Hansestadt.
Die zwischen 1600 und 1602 errichtete Wassserkunst war ein städtisches Verteilungs-Bauwerk für Trinkwasser. Die im Stil der holländischen Renaissance erbaute wasserkunst beruht auf Plänen von Philipp Brandin aus Utrecht.
Aus Quellen südlich der Stadt floss Wasser zur Wasserkunst, dort wurde es an mehrere hundert Häuser in der Stadt (überwiegend Brauereien, aber auch Privathäuser) verteilt. Als Wasserleitungen dienten ausgehöhlte Fichten-Stämme.
Die Bürger der Stadt konnten zudem hier direkt frisches Wasser holen. Hierzu waren im Gebäude zwei Wasserspeier angebracht, genannt ‘Nix und Nixe’.
Die Wasser-Kunst wurde 1861/62 umgebaut und vergrößert, dabei wurden Nix und Nixe nach außen versetzt an das Gebäude versetzt.
Im Jahr 1897 allerdings empfand man die beiden Figuren dann nach beinahe 300 Jahren plötzlich als zu „unschicklich“. Sie wurden demontiert, dem Stadtmuseum übergeben und erst bei der Restaurierung der Wasser-Kunst in den 1990er Jahren wieder außen angebracht.
300 Jahre haben Nix und Nixe ihren Dienst verrichtet, ein frühes Trinkwasser-System jedem Bürger zugänglich gemacht – dann machte wilhelminische Prüderie ihnen den Garaus.
Wismar hat auch ein schönes Landesmuseum für Technik – eigentlich.
Eigentlich hatten wir uns auch auf den Weg zu selbigem gemacht, trotz schlechten Wetters und mürrischer Busfahrer (so abweisend, wie Berliner Busfahrer das nie schaffen würden…).
Stutzig hätte mich schon der Internetauftritt des Museums machen müssen – der besteht nämlich derzeit aus einem elektronischen Baustellenschild, schon seit längerem.
Nach einigem nach-dem-richtigen-Bus-Fragen, Suchen, immer wieder Fragen sahen wir es dann in der Ferne:
(die Hallen in der Bildmitte …), und dachten uns – nee, das is jetzt einfach zu weit, gehen wir lieber ins Café.
Deswegen gibt’s nur einen kurzen Bericht zu dem ‘Verpassten’.
Das Technische Landesmuseum hat eine recht bewegte Geschichte. Zu DDR-Zeiten als ‘Polytechnisches Museum’ in einigen Räumen des Schweriner Schlosses untergebracht, musste es nach der Wende 1990 dort ausziehen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern zog sich aus der Trägerschaft für das Museum zurück – clevererweise, ohne vorher eine neue Trägerstruktur zu etablieren.
Kommunen und einige Wirtschaftsbetreieb gründeten schließlich einen Verein, der nun das Museum trägt (wieder eine dieser eigenartigen Formen von Privatisierung). Inzwischen wird das Museum (bzw. der Trägervein) vom Kultusministerium finanziell unterstützt.
Räumlich zog das Museum 1997 um, in den Schweriner Marstall (mit einer provisorischen Ausstellung). Seit August 2003 gibt es eine Außenstelle in Wismar – hier soll im Laufe der Jahre das gesamte Museum neu erstehen, unter neuem, populärwissenschaftlicher orientiertem (Stichwort Erlebniswelt) und damit auch besser ‘vermarktbaren’ Konzept.
Schwerpunkt des Museumsteiles in Wismar ist insbesondere die Verkehrstechnik (in Schwerin auch die Energieerzeugung).
Gesehen haben wir es leider nicht – zu weit, ohne Auto nur mühsam zu erreichen, und (zumindest derzeit noch) auch nur mit ‘Rumpf-Ausstellung’.
Piratengeschichten gibt es viele, eine der bekanntesten Norddeutschlands rankt sich um Klaus Störtebecker.
Und eben jener Klaus Störtebecker soll in Wismar geboren und nach einer Schlägerei, wie das städtische Gerichtsbuch vermeldet, im Jahr 1380 der Stadt verwiesen worden sein. Nicht ohne Stolz vermeldet Wismar, Geburtsort des Klaus Störtebecker zu sein.
Der Name Störtebecker (Störtebecker niederdeutsch etwa “Stürz den Becher”) wird längst als Werbe-Ikone und Tourismus-Werbung missbraucht, von Pensionen bis zu ‘Festspielen’. Sein Leben ist heute ein romantisierender Mythos, in dem Realität und Geschicht(ch)en kaum zu unterscheiden sind.
Nicht allerdings in seiner Geburtstadt Wismar – hier ist er im Stadtbild kaum präsent. Einzig das ‘Schabbelhaus‘, das stadtgeschichtliche Museum Wismars, gedenkt seines ‘prominenten’ Bürgers mit einer Dauerausstellung ‘Störtebeckers Wismar’.
Freibeuter und Pirat, wurde Störtebecker gelegentlich auch als ‘Robin Hood der Meere’ bezeichnet (u.a. weil er bei einigen Küstenbewohnern wegen gezielter Schenkungen beliebt war). Die Waren der gekaperten Schiffe konnten Störtebeckers Piraten u.a. in Wismar auf den Markt bringen (Rostock und Wismar stellten ihnen sog. ‘Kaperbriefe’ aus).
Am 22. April 1401 stellten Hamburger Schiffe unter Leitung von Simon von Utrecht (der später Bürgermeister von Hamburg wurde) Störtebecker in einer Seeschlacht vor Helgoland. Am 20. Oktober 1401 wurde Klaus Störtebecker bei Hamburg enthauptet (andere Quellen legen beide Ereignisse in das Jahr 1400).
Zu seiner Enthauptung gibt es eine hübsche Legende: der Hamburger Bürgermeister soll ihm zugesichert haben, all diejenigen seiner Männer würden verschont, an denen er nach seinem Tod noch vorbeilaufen könne. Es sollen elf gewesen sein (nun gut, medizinisch gesehen ist das wohl zweifelhaft) … und der Bürgermeister brach sein Versprechen dennoch, alle Piraten wurden gehängt.
Das Museum für Hamburgische Geschichte stellt u.a. einen Störtebecker-Schädel aus, allerdings ist dies Zuordnung bisher unklar.
Störtebeckers Piraten übrigens leben irgendwie auch heute noch weiter … z.B. in der ‘Piraten-Flagge’der Fans des 1. FC StPauli … (Allerdings wird sein Name leider auch von Menschen recht brauner Gesinnung mißbraucht, z.B. für ein Internetforum).
Kurt Hiller, revolutionärer Pazifist, schwuler Aktivist und Schriftsteller, wurde 1885 in Berlin geboren. Er ist 1972 in Hamburg gestorben.
Kurt Hiller – ein (auch bei den meisten Schwulen) leider weitgehend in Vergessenheit geratener Vorkämpfer heutiger Freiheiten.
Der am 17. August 1885 in Berlin geborene Hiller gehörte seit 1908 bis zu dessen gewaltsamer Auflösung durch die Nazis dem WhK Wissenschaftlich-humanitären Komitee (ab 24. November 1929 als zweiter Vorsitzender) von Magnus Hirschfeld sowie dessen Institut für Sexualwissenschaft an, stand gleichwohl Hirschfelds Theorie der ‘sexuellen Zwischenstufen‘ skeptisch gegenüber.
Hiller verstand sich als revolutionärer Pazifist und war als streitbarer undogmatischer Schriftsteller (‘Literarischer Aktivismus’) und Denker umstritten, eckte an. Neben Ossietzky und Tucholsky und weiteren Autoren wie Mühsam und Kästner war Hiller seit 1915 einer der wichtigsten Autoren der ‘Weltbühne’. Er arbeitete zudem aktiv an zahlreichen anderen Zeitschriften mit, an deren Gründung er teils selbst beteiligt war (so 1911 ‘Die Aktion‘).
1919 war Hiller Mitbegründer des (1933 von den Nazis zerschlagenen) Bundes der Kriegsdienstgegner sowie 1926 der ‘Gruppe revolutionärer Pazifisten’.
1922 veröffentlichte Hiller im Paul Steegemann Verlag in einer Auflage von 3.000 Exemplaren seine 132-seitige programmatische Schrift „§175: Die Schmach des Jahrhunderts !“
Am 7. März 1933 wurde Hillers Wohnung in Berlin – Friedenau in seiner Abwesenheit durchsucht und verwüstet. Am 2. April 1933 wurde er verhaftet und in ‚Schutzhaft‘ genommen. Am 14. Juli 1933 wurde er erneut verhaftet, wurde in der Folge in den KZs Columbiahaus, Brandenburg und Oranienburg mißhandelt. Erst am 25. April 1934 wurde er aus dem KZ Oranienburg entlassen. Juristisch vertreten wurde er in dieser Zeit von Dr. Fritz Flato (1895 – 1949), seit den 1920er Jahren im WhK engagiert.
1934 gelang Hiller die Flucht nach Prag. 1938 flüchtete er weiter nach London, wo er u.a. 1939 den ‘Freiheitsbund Deutscher Sozialisten’ gründete und den Begriff ‘freiheitlicher Sozialismus’ prägte (den Jahrzehnte später die SPD aufgreift).
Kurt Hiller war neben Klaus Mann einer der wenigen Exil-Deutschen, die auch immer wieder öffentlich auf die Situation der Homosexuellen in Nazi-Deutschland hinwiesen.
Kurt Hiller – Rückkehr nach der NS-Zeit
1955 kehrte Hiller nach Deutschland zurück und lebte bis zu seinem Tod in Hamburg (Wohnung ab April 1956 Grindelhochhäuser / Hallerstr. 5e). Politisch vertrat er in dieser Zeit die Idee eines freiheitlichen Sozialismus, unterstützte SPD-Politiker wie Kurt Schumacher und (noch kurz vor seinem Tod) Willy Brandt.
1949 beteiligte er sich zeitweise an dem Versuch von Hans Giese, ein neues WhK zu gründen, sowie an der von diesem gegründeten ‘Gesellschaft zur Reform des Sexualstrafrechts’. 1962 scheiterte ein erneuter Versuch Hillers, das WhK erneut zu gründen, ebenfalls.
In der Schweizer Zeitschrift ‘Der Kreis‘ (die während und einige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg weltweit die einzige Zeitschrift für schwule Männer war und auch danach zeitweise sehr große Bedeutung hatte) publizierte er in den 1960er Jahren zahlreiche Artikel und Gedichte (oft unter dem Pseudonym Keith Llur).
Am 1. Oktober 1972 starb Kurt Hiller. Hillers Urne wurde im Grab seines engsten Freundes Walter D. Schultz auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg beigesetzt.
Seit dem Tod seines von Hiller selbst eingesetzten Nachlassverwalters Horst H.W. Müller wird der Nachlass von Kurt Hiller verwaltet von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg.
Gedenken an Kurt Hiller in Berlin
Ein Platz in Berlin-Schöneberg erinnert an Hiller: Seit Ende 2000 gibt es nahe der Berliner U-Bahn-Station Kleistpark den ‘Kurt-Hiller-Park’. Ein unscheinbarer Flecken, und doch …
… gedenkt dieser Platz dem (so die Erläuterung) ‘Mitbegründer der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung’, seit 2021 mit einer Erläuterungs- Tafel
(Anmerkung: Warum gerade dieser Flecken in Schöneberg nach Kurt Hiller benannt wurde, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Die Initiative für den Platz ging damals von den Schöneberger Schwusos sowie dem LSVD (damals 1998 noch ohne ‘L’) aus. Soweit ich weiß, gibt es keinen biographischen Bezug zu genau diesem Platz.)
Hillers Geburtsort ist in der Wilhelmstraße 12 in Berlin, gelebt hat er seit 1921 bis zu seiner Flucht aus Deutschland 1934 in Berlin Friedenau der Hähnelstr. 9 (dort mit einer Gedenktafel geehrt).
An seinem Berliner Geburtshaus erinnert eine Plakette an Kurt Hiller:
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Kurt Hiller in Zitaten
Von Hiller sind zahlreiche schöne Aphorismen überliefert, unter anderem dieser:
” Auch Pegasus braucht eine Stute. Er nahm sich eine. Die Stute sah in ihm nur den Hengst. Und als Europa durch Zeus geehrt wurde, hielt diese Kuh ihn für einen Stier.”
Aber auch Denksätze von immer wieder neuer Aktualität:
“Die ‘Jugendbewegung’ war ein Irrtum: weil sie den Geburtsschein wichtig nahm. Kampf der Generationen gegeneinander … das ist eine abgeklungene Musik; Kampf der Zielgleichen quer durch alle Generationen, miteinander für das gemeinsame Ziel, gegen den gemeinsamen Zielgegner quer durch alle Generationen – das ist das geschichtlich Neue (und Uralte!).”
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Kurt Hiller war vielen Zeitgenossen und Weggefährten kein leichter Partner. Beispielhaft Christian Adolf Isermeyer über ihre (letztlich gescheiterte) Zusammenarbeit bei der Petition zur Abschaffung des Paragraphen 175 Ende 1961 / Anfang 1962::
„Ich wußte von Kurt Hillers Engagement vor 1933 und schätzte ihn sehr. Er war schließlich einer der wichtigsten Mitarbeiter von Magnus Hirschfeld gewesen. Zuerst ging die Zusammenarbeit zwischen und auch ganz gut. Aber Hiller war ein ungeheurer Streithammel, sein ganzes Leben. … So kam es zum Zerwürfnis, und wir haben uns getrennt.„
Andreas Sternweiler (Hg.): Liebe, Forschung, Lehre – Der Kunsthistoriker Christian Adolf Isermeyer. Berlin 1998
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Den Andenken Hillers und seines Werkes widmet sich u.a. die ‘Kurt Hiller Gesellschaft‘ (auf deren Internetseiten Hillers schwule Seiten leider recht karg behandelt werden).
Georg Kreisler ist leider seltener zu hören – derzeit bietet sich in Berlin die Gelegenheit. Das jüdische Theater Bimah zeigt seine ‘Lola Blau’.
“Lola Blau ist Jüdin und lebt im Österreich der 30er Jahre. Als der Einmarsch Hitlers ihre Schauspielpläne durchkreuzt, muss sie flüchten … ‘Lola Blau’ ist eine musikalisch umgesetzte Lektion aus Geschichte und Unterhaltung – unsentimental, ernst, heiter und satirisch …” [aus der Programmankündigung]
Georg Kreisler ist vielen vielleicht am ehesten bekannt durch sein Chanson ‘Taubenvergiften im Park”. Sein ‘ein-Frau-Musical’ “Heute Abend: Lola Blau”, uraufgeführt am 17. November 1971, zeigt das Jüdische Theater Bimah in Berlin-Neukölln.
Wer Kreislers bitteren Humor, seine satirische Schärfe mag, wird hier einen unterhaltsamen Abend verbringen können – vielleicht entdecken auch Sie, dass Sie im verkehrten Szenenbild spielen? Oder finden den ein oder anderen Herrn oder Frau Schmidt in oder neben sich?
“Heute Abend: Lola Blau” an zahlreichen Abenden im März und April 2007 im “Jüdischen Theater Deutsch-Jüdisches Theater (Bimah)” Jonasstr. 22, 12053 Berlin
Nachträge: einen schönen Text Kreislers über ‘Judentum leicht gemacht’ gibt’s hier. Und den Text seines netten Lieds ‘Zwei alte Tanten tanzen Tango’ gibt’s (neben anderen Texten) hier.
Mit Matthias und der Blauflügeligen Ödland-Schrecke schöner Frühlings-Spaziergang im ‘Natur-Park Schöneberger Süd-Gelände’ (einem Teil des ehemaligen Reichsbahn-Ausbesserungswerks).
Die ‘Punktierte Zartschrecke’ bleibt uns leider verborgen,
stattdessen viele schöne Einblicke, wie sich die Natur wieder ihren Weg bahnt …
und die ‘Blauflügeligen Ödland-Schrecke’ zeigt sich auch nur auf der Informationstafel, ihr ist’s wohl noch zu früh …
Köln, gerade Hochburg der Feierei, des gestern zu ende gegangenen Straßenkarnevals, feiert Probleme gerne weg. Eine Strategie, die scheinbar eher den Weg abwärts weist …
Köln war einst eine spannende Stadt.
Köln erscheint mir leider heute, wenn ich (regelmäßig) zu Besuch bin, klein und eng.
Eng weniger im räumlichen Sinn, eng eher in Sachen Horizonte. Das Spektrum an neuen, fremden, ungewöhnlichen Ideen, dem man sich in Köln aussetzen, mit dem man sich auseinandersetzen kann, ist seit Jahren immer kleiner geworden.
Vor vielen Jahren konnte Köln tatsächlich Grund haben, stolz auf sich zu sein. Eine innovative, aufregende Kunstszene, eine Schwulen-und Lesbenszene die sich entwickelte, sich zunehmend gut organisierte, eine florierende Galeristenszene, spannende Clubs und Gruppen, boomende Medienunternehmen …
Heute aber scheint die Stadt leider eher von einem antimodernen Lebensgefühl geprägt. Innovationen, neue Ideen, Denkanstöße gehen von der Stadt kaum noch aus. Keine Experimente.
Hier wird inzwischen viel Politik gemacht, die der Zukunft der Stadt eher schadet als nutzt. Kommt dann gar noch Kritik von außen, wird eher abqualifiziert als nachgedacht und analysiert. Einigeln, ignorieren, wegsehen. Lokalpatriotismus und gute Stimmung. Uns geht’s doch gut. „Mir all sin Kölle“ (wir alle sind Köln), das diesjährige Motto des Rosenmontagszugs, brachte diese Art Lokalpatriotismus gut auf den Punkt.
Dabei ist Köln in vielen Kategorien in den letzten Jahren im Vergleich mit anderen Städten (Hamburg, Berlin, München) abgefallen, hat an Substanz und Bedeutung verloren, droht in Provinzialität zu sinken – und tut sich dennoch schwer, das wahrzunehmen, geschweige denn nach möglichen Ursachen zu fahnden, Veränderungen anzugehen.
Ganz treffend hat diese Einstellung auch die Kölner Gruppe „De Höhner“ in ihrem Song zur Handball-WM beschrieben: „Kumm, loss mer fiere, nit lamentiere“ – komm lass uns feiern nicht reden, mit dieser Mentalität kommt man in Köln gut zurecht. Alles schön unter den Teppich kehren, noch ein Kölsch oben drauf (oder zwei oder …). Probleme ignorieren, lieber feiern und die Welt schön trinken, am liebsten in einer größeren Gruppe. Und wenn gerade kein Anlass da ist, erfinden wir uns einen.
Aber auch die Schwulenszene(n) der Stadt scheinen diese Art, die Realität aus einem ganz eigenen Winkel zu sehen, gut verinnerlicht zu haben. Einer der immer noch beliebtesten schwulen Karnevals- und CSD-Hits z.B. ist das Lied vom „geilsten Arsch der Welt“, der natürlich auf den Namen Köln hört. Wenn man diese ‘Nabel der schwulen-Welt’ – Sicht einmal ernst nimmt, und dann außerhalb toller Tage mitten in der Woche schwul ausgehen möchte, kann man/frau sich wundern. Wird oft nicht gerade eine großstädtische Szene antreffen, sich so manches Mal vielleicht eher an eine Provinzstadt erinnert fühlen. Großstadt-Flair? Innovative Ideen? Mutige Experimente? Fehlanzeige.
In diesem Sinne scheint auch die Schwulen- und Lesbenszene ganz Kind der Stadt …
Aber Ursachen, Probleme? Nein, keine Spur. Die Stimmung ist klasse, wir feiern doch.
Und – am (heutigen) Aschermittwoch ist zwar alles vorbei. Aber „das macht doch nix, das merkt doch keiner“. Und irgendwann ist ja spätestens wieder der nächste CSD …
Dass Homosexuelle ein Wirtschaftsfaktor ist, ist nicht gerade eine neue Erkenntnis. Darüber in Hetero-Medien zu schreiben, ist auch nicht sonderlich neu. Eine ganze Titel-Geschichte in der ‘Wirtschaftswoche’ über angeblich konsumfreundliche Homos allerdings ist schon bemerkenswert.
Auf dem Weg zum Sport schreit mich am Kiosk ein rosafarbenes Titelblatt an. Unter einem doppelten mit einander zum Paar verschwenkten Mars-Symbol auf rosa Grund (wie schwul …), dessen Kreise zum ‚Euro‘-Symbol gestaltet wurden, ruft die grelle fett gedruckte Unterschrift „Schwul. Und was was hat das mit Wirtschaft zu tun? Viel. Wie vielö, lesen Sie ab Seite 26“
Das doppelte Marssymbol als Zeichen für Schwule, und dann WiWo-gerecht zum doppelten Euro verfremdet – was lässt das erwarten?
Unter dem Titel ‘Der Schwulen-Faktor’ berichtet die WiWo (erfreulicherweise kann sowohl Mann als auch die im Artikel nicht angesprochene Frau den Artikel online lesen), ‘wie Homosexuelle eine Metropole prägen’ (und meint die Wirtschaft).
Der Artikel plappert von hautengen Kostümen, von reise- und kauffreudiger Klientel, feiert Schwule als ‘Early Adopters’, als ‘Konsum-Vorreiter’, ergötzt sich an der überdurchschnittlich hohen Homo-Präsenz z.B. in Köln, auch als Basis für ein ‘Diversity Management, das Mehrwert schafft’, und feiert die ‘Wegbereiter der homosexuellen Karnevalsbewegung’ (war ‘Bewegung’ nicht mal was anderes?). Ein postulierter ‘souveräner Umgang mit dem Anderssein’ wird dann gleich als ‘Standort-Faktor’ hochgelobt.
Ein Artikel, der meist zwischen Plattitüden und Oberflächlichkeiten daher kommt.
Vor allem aber ein Artikel, der Schwulsein als Standortfaktor und Frühindikator für Stadtteil-Sanierung nimmt. Homos als ‘homo oeconomicus’ im wahrsten Sinne, konsumfreudige Homos eben.
Erfreulich immerhin, dass kurz auch die wenig erfreuliche Situation von Schwulen in autoritären Staaten erwähnt wird (allerdings, um auch hier den Zusammenhang zwischen Homosexualität, Weltoffenheit und ‘Wohlstandsmehrung’ zu predigen).
Bei solchen Artikeln überkommt mich immer das Gefühl, Schwulsein muss wohl wirklich ‘mitten in der Gesellschaft’ angekommen sein. In einer Langeweile, die ich irgendwie nie wollte …
Nicht, dass entstandene Verbesserungen nicht zu würdigen sind. Schwulen- und Lesbengruppen in Betrieben, Betriebsrente für Homo-Paare, alles Errungenschaften. Aber – wird jetzt die ökonomische Relevanz schon zum begründenden Faktor, zur Legitimationsbasis für schwule und lesbische Emanzipation?
Wird ‘Yuppie-Ambiente’ statt ‘Elend der Großstadt’ jetzt Ziel schwulen Seins?
Und -nebenbei- was wird dann mit all denjenigen Schwulen und Lesben (und in dem Artikel ganz vergessenen queeren, transgender und sonstwie anderen Menschen), die diesen ökonomischen Kriterien nicht entsprechen wollen oder können?
Und, wenn Schwulsein schon ein solcher Standort-Faktor sein soll, warum kommt dann solche geistige Monokultur daraus? Oder gibt es etwa einen Zusammenhang zwischen ökonomisierten Wohlfühl-Mainstream und monokultureller Langeweile?
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