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Frankreich HIV/Aids Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Johan (Philippe Vallois, Frankreich 1976)

Ein bemerkenswerter, nur wenig bekannter Film: “ Johan “, ein schon im Sommer 1975 entstandener Spielfilm im Stil einer Dokumentation (mockumentary). Obwohl er um einige der explizitesten Szenen gekürzt wurde, kam er damals nur zensiert in die Kinos. 1996 wiederentdeckt, kam Johan erst 2008 erstmals in deutsche Kinos (in unzensierter Fassung).

Regisseur Philippe Vallois (geb. 27. August 1948 in Bordeaux) erzählt die Geschichte von Johan, der Hauptfigur des Films. Nur, Johan sitzt im Knast – und bleibt den gesamten Film lang unsichtbar. Stattdessen sucht der Regisseur Ersatz, an allen Orten die das schwule Leben im Paris Mitte der siebziger Jahre zu bieten hatte, in Saunen und Bars, bei Freunden und Feinden von Johan.

Entstanden ungefähr zeitgleich mit ‘La cage aux folles’ (‘Ein Käfig voller Narren’), ist dieser Film doch das ganze Gegenteil – ein Paradebeispiel eines schwulen Lebensstils noch vor der Industrialisierung des Sex, vor geklonten Pseudo-Freiheiten.

Und er zeigt dabei ein Leben weit in Zeiten vor Aids, eine Zeit vor dem ersten CSD (damals noch gay pride) in Europa. Zeit ein Leben, das sich so mancher meiner Freunde und Bekannten, die ihr Coming Out erst später, erst in den Jahren schon mit HIV hatten, kaum vorstellen kann.

Johan – Trailer:

Ein Film voll, so die Besprechung im Berliner schwulen Stadtmagazin ‘Siegessäule’ (Ausgabe März 2008), voll “offen und schuldlos gelebter Sexualität”. Der Rezensent schließt an, dieser Film sei ein Dokument, wohl wahr. Ein Dokument, so der gleiche Rezensent weiter, “aus einer Welt, die keine zehn Jahre später durch Aids unwiederbringlich verloren war, für immer.

Ich stutzte, irgend etwas rebelliert spontan in mir. Noch einmal lesen. Genau.

Ja, diese Welt war nur wenige Jahre später verloren, diese Welt einer unschuldigen, naiven und hemmungslosen Sexualität. In diesem Punkt empfinde ich ähnlich wie der Rezensent.

Aber – warum dieses apodiktische “für immer”?

Warum diese Schere im Kopf? Warum diese freiwillige Kastrierung eigener Hoffnungen?

Ist es nicht vorstellbar, dass es auch wieder eine Zeit ohne HIV, ohne Aids gibt? Oder eine Zeit, in der HIV ‘nur’ irgendeine weitere dieser lästigen, aber letztlich behandelbaren sexuell übertragbaren Infektionen ist? Eine Zeit in der Aids nicht mehr die potenziell tödliche Bedrohung ist?

Warum keine Visionen? Und wenn sie derzeit vielleicht auch als Utopien erscheinen mögen?

Ich will diese Hoffnung nicht aufgeben …
… diese Hoffnung auf eine Heilung
… diese Hoffnung auf eine neue Zeit ohne HIV und Aids

“Wer keinen Mit zu träumen hat, hat keine Kraft zu kämpfen”

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Johan

(weiterer in Frankreich verwendeter Titel: Johan, carnet intime homosexuel, auch Johan – mon été ’75; in Deutschland auch Johann – mein Sommer ’75)
Frankreich 1976, 81 Min.
ausgewählt für das Filmfestival Cannes 1976 (Section parallèle)
Uraufführung in Frankreich 17. Mai 1976 ( Cannes, Pespectives), 2. Juni 1976 (Kinos), 11. April 2007 (Grenoble, Wieder-Aufführung)
Regie: Philippe Vallois
Drehbuch: Philippe Valois, Laurent Olivier
Darsteller: Walter Maney, Georges Barber, Eric Guardagnan, Marie-Christine Weill, Philippe Vallois

Dazu:
Johan – Secrets du tournage (Philippe Vallois, 2006)

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Berlin Homosexualitäten

6. Mai 1933 Zerstörung Institut für Sexualwissenschaft

Am 6. Mai 1933 wurde das Institut für Sexualwissenschaft geplündert und zerstört.

Am 15. Mai 1897 gründete der Mediziner Dr. Magnus Hirschfeld gemeinsam mit dem Juristen Eduard Oberg, dem Verleger Max Spohr und dem Schriftsteller Franz Josef von Bülow das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (WhK).

Am 6. Juli 1919 eröffnete Dr. Magnus Hirschfeld (1868 – 1935) in Berlin das ‘ Institut für Sexualwissenschaft ’. Ein Institut, in dem auch Kurt Hiller sich intensiv engagierte und u.a. Arthur Kronfeld, Karl Giese oder Richard Linsert arbeiteten.

Das Institut war die erste Einrichtung für Sexualforschung weltweit und lange Zeit das einzige seiner Art. Es war zugleich wissenschaftliche Forschungsstätte, Beratungs- und Behandlungseinrichtung, Fortbildungsstätte und Archiv. Eng mit dem Institut verbunden war das bereits 1897 von Hirschfeld und anderen gegründete ‘Wissenschaftlich-humanitäre Komitee’ (WhK). Aus ihm sowie aus dem Institut für Sexualwissenschaft heraus entstanden viele politische Aktionen (wie zur Abschaffung des §175).

Das Institut befand sich in einer dreistöckigen Villa im Berliner Bezirk Tiergarten. Auch Hirschfelds Privatwohnung befand sich in dem Gebäude.

Stele zur Erinnerung an das 1933 zerstörte Institut für Sexualwissenschaft
Stele zur Erinnerung an das 1933 zerstörte Institut für Sexualwissenschaft
Stele zur Erinnerung an das 1933 zerstörte Institut für Sexualwissenschaft
Stele zur Erinnerung an das 1933 zerstörte Institut für Sexualwissenschaft
Stele zur Erinnerung an das 1933 zerstörte Institut für Sexualwissenschaft
Stele zur Erinnerung an das 1933 zerstörte Institut für Sexualwissenschaft

Am 6. Mai 1933 wurde das Institut für Sexualwissenschaft geplündert und zerstört. Die Bibliothek des Instituts wurde zusammen zehntausenden Werken anderer Autoren bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz vernichtet. Am 14.6.1933 wurde es auf Anordnung von Polizeipräsident von Levetzow offiziell geschlossen.

Als Erinnerung an das Institut für Sexualwissenschaft wurde am 75. Gründungstag des Instituts, am 6. Juli 1994 eine (heute kaum noch wahrgenommene) Gedenksäule (nach Entwurf von Georg Seibert) in der Nähe des ehemaligen Standorts des Instituts am Bettina-von-Arnim-Ufer eingeweiht, das ‘ Denkmal für das Institut für Sexualwissenschaft ’.

75 Jahre nach der Zerstörung von Hirschfelds ‘Institut für Sexual- wissenschaften’ durch die Nazis wurde das seinem Institut gegenüber liegende Ufer der Spree am 6. Mai 2008 in ‘Magnus- Hirschfeld-Ufer‘ benannt.

Am 7. September 2017 wird auf einem Stück des Magnus-Hirschfeld-Ufers das Magnus-Hirschfeld-Denkmal – sechs Calla-Lilien in Regenbogenfarben.

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Feigwarzen – tabuisierte sexuell übertragbare Erkrankung

Vorbemerkung: Feigwarzen – das ist einer der am meisten genutzten Suchbegriffe, über die Leser via Suchmaschinen kommen. Und dabei meist mit der Suche nach Bildern. Die gibt es heute hier …

Feigwarzen gehören zu den am häufigsten sexuell übertragenen Erkrankungen – und zu den gerade auch bei schwulen Männern gefürchtetsten und vielfach tabuisierten. Gleichzeitig werden sie oftmals lange Zeit nicht bemerkt. Sie sind lange Zeit beschwerdefrei, zudem oft an nicht leicht einsehbaren Körperstellen.

Sie sind eine der gefürchtetsten Erkrankungen (u.a.) bei schwulen Männern. Feigwarzen (medizinisch: Kondylome, Condylome, condylomata accumintata) sind Hautwucherungen und werden verursacht von Viren – von bestimmten Typen der Humanen Papilloma-Viren (HPV). HPV sind sehr leicht übertragbar; vor allem werden sie auch sexuell übertragen (auch z.B. durch gemeinsamen Gebrauch von Dildos u.ä.).

Anale Feigwarzen (c) Photo Prof. Henning Rohde †
Anale Feigwarzen (c) Photo Prof. Henning Rohde †
Anale Kondylome (c) Photo Prof. Rohde †
Anale Feig-Warzen (c) Photo Prof. Rohde †

(c) Photos Prof. Henning Rohde †
Dank an Prof. Henning Rohde (1937 – 2017), der mir diese Photos 2002 (bereits für eine frühere Site) zur Verfügung gestellt hat.

Wer vermutet, bei sich Feigwarzen festgestellt zu haben, sollte einen Facharzt aufsuchen (z.B. Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten oder Proktologe). Wer sie hat, kann seine Partnerin / seinen Partner durch Benutzung von Kondomen schützen.

Insbesondere auch Menschen mit HIV sollten sich gelegentlich mit dem Thema Kondylome beschäftigen. Menschen mit geschwächtem Immunsystem entwickeln sie tendenziell leichter. Einige HPV-Typen sind mit der Entstehung von Krebsarten assoziiert (Zervix-Karzinom, Analkarzinom) – wer bereits einmal Feigwarzen hatte sollte sich hierauf regelmäßig kontrollieren lassen.

Impfung?

Bei jungen Frauen werden seit Monaten Impfungen zur Vermeidung von Infektionen mit den wichtigsten HP-Viren eingesetzt. Viele schwule Männer fragen sich nun, impfen gegen Feigwarzen, auch für schwule Männer? Und ist ein Impfen nach Infektion möglich? Andererseits häufen sich Verdachtsfälle auf Komplikationen nach HPV-Impfungen, bis hin zu Todesfällen.

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Zum Thema ‚Feigwarzen‘ sind zwei Ausgabe des ‚Med-Info‘ erschienen. Sie informieren in sehr leicht verständlicher Sprache über Ursachen, Symptome, Übertragungswege sowie Vor- und Nachteile verschiedener Behandlungsmethoden und gehen auch auf Besonderheiten bei HIV-Positiven ein.

Informationen:
Deutsche Aidshilfe: Feigwarzen & HPV
Med-Info Nr. 62 – Feigwarzen – html, dort Link zum pdf-Download (Stand 2007, nicht weiter aktualisiert)
Med-Info Nr. 05 – med.info 05 – HPV-Infektion, Feigwarzen und Krebs – html, dort Link zum pdf-Download (Stand 2017)

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Homomahnmal fertiggestellt

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen ist 2008 endlich fertiggestellt.

Lange drehte sich der Streit um die Frage „Küssende – aber welche?“ Dann geschah lange Zeit zumindest sichtbar – nichts. Und dann lange Zeit der Status „nun wird aber gebaut“ … und gebaut … und gebaut … und nun ist’s fertig.

Derzeit ist das Denkmal noch ‚verbrettert‘ (siehe Fotos). Die Einweihung ist für das Frühjahr geplant.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen fertiggestellt
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen fertiggestellt

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Berlin Homosexualitäten

Klingelhöfer Brache – verschwindende Abenteuer-Spielplätze

Einst war Berlin Mauer- und Wende-bedingt beinahe ein Paradies an ‘Homo-Brachen’ fürs Cruising. Trümmergrundstücke, aufgelassene Fabriken, Abrisshäuser, verlassene Kasernen – eine Vielzahl unterschiedlichster, oftmals sehr innenstädtisch gelegener oder gut erreichbarer Brachen. Viele entwickelten sich zwischendurch zu den unterschiedlichsten schwulen ‘Abenteuer-Spielplätzen’, Refugien nicht offen lebender Männerliebender, Treffpunkten bizarrer Gelüste, nicht- kommerziellen Freiräumen.

Doch diese Zeiten gehen definitiv ihrem Ende entgegen.

Klingelhöfer Brache Januar 2008

Derzeit verschwindet wieder eine dieser ‘Homo-Brachen’ – zugunsten weiterer Büros und Wohnungen in zentraler Lage…

Klingelhöfer Brache
Klingelhöfer Brache

(Berlin, ‚ Klingelhöfer Brache ‚)

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Männlich? Weiblich? Spielt keine Rolle – genderneutraler Ausweis in SF

Innovative Wege bei Ausweis-Papieren geht San Francisco. Der Stadtrat hat beschlossen, eigene städtische Ausweispapiere auszugeben, die keinen Hinweis auf das Geschlecht enthalten – der genderneutrale Ausweis.

Das San Francisco Board of Supervisors beschloss am 20. November 2007, eigene ID-Cards auszugeben. Dies ist bereits in vielen Städten der USA in Überlegung. Einer der Vorteile städtischer ID-Cards: sie können ggf. unabhängig vom legalen Status der Person ausgegeben werden (und sind damit auch Bestandteil der Debatten um illegale Immigration in die USA).

Auch in San Francisco lagen die Beweggründe für städtische ID-Cards anfangs überwiegend in aufenthaltsrechtlichen Fragen. Zudem war Anlass, dass Bemühungen um eine Reform der Einwanderungs-Gesetzgebung vorher gescheitert waren. Die Stadt wollte Einwohnern, die nicht in der Lage sind, legale staatliche Papiere zu erhalten, zumindest eine städtische Ausweis-Möglichkeit bieten.

Dann allerdings traten Transgender-Organisationen auf den Plan. Ihr Anliegen: auch die Situation transsexueller Menschen mit in Betracht zu ziehen. Eine Personenstands- Änderung ist in den USA zwar möglich, aber Zeit- und besonders Kosten-aufwändig.

Das Ergebnis der Debatten: ab 2008 wird San Francisco ein eigenes Ausweis-Papier einführen, das neben einem Foto der Person ausschließlich den Namen und das Geburtsdatum erwähnt, nicht jedoch das Geschlecht – ein genderneutraler Ausweis

Trans-Männer und Trans-Frauen, Transgender- / Transsexuellen-Aktivisten feiern die neue Karte als Erfolg; endlich sei eine genderneutrale Ausweis-Möglichkeit vorhanden.

Das Gesetz über den geschlechtsneutralen städtischen Ausweis muss noch vom Bürgermeister der Stadt, Gavin Newsom, unterzeichnet werden.

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Das California Senate Bill No. 179 (SB 179; auch Gender Recognition Act; Gesetzestext) wurde am 15. Oktober 2017 verabschiedet. Damit haben alle Bürger Kaliforniens die Möglichkeit, nicht-binäre Ausweisdokumente zu erhalten.

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Pflege deinen Schwanz

„Pflege deinen Schwanz“ – was wie ein Wellness-Angebot aus dem Rotlicht-Bezirk klingt, erweist sich bald als umfassende Informationsquelle rund um ‚Männer-Gesundheit‘. Bis zu einer Länge von 30 Zentimetern …

Neben vielen bemerkenswerten und zahlreichen bunten und schrillen Aktionen (von Friseusen gegen Aids bis Spenden-Tunten im Flugzeug) bringt der Welt-Aids-Tag immer wieder auch spannende oder interessante Kampagnen an den Tag.

Eine spannende Kampagne kommt derzeit aus Dresden. Ja, die Stadt, die teuer eine zerstörte Kirche wieder aufbaut, und dann ihrem neu gewonnenen Panorama mit einer umstrittenen Brücke wieder Probleme macht.

Die Site „Pflege deinen Schwanz“ fällt schon durch ihren offensiven Titel auf. „Wir laden Sie ein über Themen männlicher Sexualität nachzudenken“ stellt sich das gemeinsame Projekt von Aids-Hilfe Dresden und Gesundheitsamt Dresden vor.

In vier Szenen wird der User eingeladen, über sich und seine Sexualität nachzudenken. Dabei wird (in Form von Text oder MP3) zu den Themen ‚Sex &Geschäft‘, ‚Sex & nur Sex‘, ‚Sex & Leidenschaft‘ sowie ‚Sex & Neugier‘ jeweils eine Art angeleiteter Gedankenreise vorgeschlagen. Per Click kann der User dabei frei wählen,wie „sein bestes Stück“ im Text angesprochen werden soll, z.B. ob eher als ‚Gemächte‘ oder banal ‚Schwanz‘.

Neben diesen situativen Erfahrungen bietet die Site auch eine Vielzahl Informationen, gegliedert in die vier Rubriken ‚Körper & Gesundheit‘, Schwanz & Liebe‘, ‚Beziehung & Verschiedenheit‘ und ‚Sexualität & Träume‘.
Von Hormonen über Beschneidung und Romantik bis Fremdgehen wird hier in Form kurzen Artikel auf jeweils ein Thema eingegangen, dazu werden meistens weiterführende Informationen per Link angeboten (die leider teilweise auf ‚Informationsangebote‘ der Pharmaindustrie führen).

Doch auch ungewöhnliche bis bizarre Informationen bietet die Website. So soll es immerhin 5.000 Männer geben deren Penis in erigiertem Zustand eine Länge von mehr als 30cm erreicht …

Pflege deinen Schwanz“ … bei dem, was für viele Männer vermutlich „ihr wichtigstes Teil“ ist anzusetzen, könnte sich als clevere Idee der Informationsvermittlung erweisen – ‚Wellness im Schritt‘ sozusagen …

Pflege deinen Schwanz scheint eine erfrischende Form neuer Ansprache zu sein, die Informationen vermittelt, gleichzeitig aber auch (über die situative Herangehensweise) ermöglicht, das eigene Verhalten zu überdenken.
Bedauerlich jedoch , dass auch Links zur Pharmaindustrie oder pharmanahen Angeboten führen (zudem unkommentiert, ohne diesbezüglichen Hinweis) – von einem Angebot aus dem Umfeld der Aids-Hilfe darf hier mehr Problembewußtsein (über Informationsbedarf der Pharmaindustrie) und kritische Distanz erwartet werden. Auch dass einer der Autoren gleichzeitig Vorstand der ‚Gesellschaft für Mann und Gesundheit‘ ist, wäre eine Erwähnung wert gewesen.
So bleibt leider auch der bittere Bei-Geschmack der Frage, wie weit sich hier Aids-Hilfe auch für die Öffentlichkeits-Arbeit anderer Interessengruppen instrumentieren lässt.

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Text 24. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Homosexualitäten

Gegen das Vergessen homosexueller NS-Verfolgter – Gedenken an Pierre Seel (1923 – 2005)

Pierre Seel wurde wegen seiner Homosexualität verfolgt, im KZ inhaftiert und gequält. Seit 2008 erinnert die rue Pierre Seel in Toulouse an ihn. In Toulouse gedenkt seit 2010 eine Plakette.

Pierre Seel in Berlin 2000 (Foto James Steakley, Lizenz cc by-sa 4.0)
Pierre Seel in Berlin 2000 (Foto James Steakley, Lizenz cc by-sa 4.0)

Pierre Seel 1923 – 2005

Am 16. August 1923 wurde Pierre Seel in Hagenau geboren. Als 17jähriger 1940 in Mulhouse von der Gestapo unter dem Vorwurf der Homosexualität verhaftet. Er wurde im KZ Schirmeck interniert, gefoltert und missbraucht. Er wurde gezwungen, die Ermordung seines Freundes mit anzusehen.

Nach seiner Entlassung im November 1941 wurde Seel als Soldat eingezogen und an die Ostfront in die Ukraine geschickt. Dort geriet er in Kriegsgefangenschaft.

Nach seiner Rückkehr nach Frankreich heiratete er – auch in Frankreich war nach dem Zweiten Weltkrieg kaum an ein offenes Leben als Homosexueller zu denken. So betand das unter dem Kollaborations-Regime von Pétain 1942 neu eingeführte Sonderstrafrecht gegen Homosexuelle in Frankreich auch nach 1945 weiterhin.

Erst spät, ab 1982, konnte Seel offen über seine Erlebnisse sprechen. Aus seinen Erzählungen und Berichten entstand in Zusammenarbeit mit dem im April 2010 verstorbenen Jean LeBitoux, Gründer des legendären ‚Gai Pied‚, das Buch “Ich, Pierre Seel, deportiert und vergessen”.

„Je me souviens d’un garçon, condamné à mort pour je ne sais quelle raison, que l’on fit se dévêtir. Nu. il se retrouvra au milieu du camp, un seau métallique sur la tête. Les SS lâchèrent sur lui en excitant les chiens de garde, qui le dévorèrent vivant. La nuit, jèntends encore ses cris dans lesd cauchemars …“ (Pierre Seel im Gai Pied 1983)
(‚Ich erinnere mich an einen Jungen, ich weiß nicht mehr warum zum Tod verurteilt, den man zwang sich auszuziehen. Nackt, einen Metalleimer auf dem Kopf, stand er in der Mitte des Lagers. Die SS-Leute hetzten die Wachhunde auf ihn, die ihn bei lebendigem Leib verschlangen. Nachts höre ich in meinen Albträumen immer noch seine Schreie. (Übers. UW))

Sel berichtet in dem Buch u.a. auch, bei seinen Zwangsarbeitseinsätzen an der Errichtung des benachbarten KZ Struthof mitgearbeitet zu haben.

Seel ist der erste und der einzige wegen Homosexualität Deportierte in Frankreich, der je offen über seine Erlebnisse gesprochen hat. Seel war in den 1990er Jahren auch des öfteren in Deutschland -für ihn auch das Land der Täter- zu Vorträgen und Veranstaltungen.
Bewegend auch Seel im Gespräch mit Hervé Joseph Lebrun, Ausschnitt als html (französisch) hier.

Pierre Seel starb am 25. November 2005 in Toulouse.

Pierre Seel – Gedenken

Bereits kurz nach dem Tod von Pierre Seel am 25. November 2005 forderte eine Initative aus Anlass seines Todes erneut in Frankreich ein Monument zur Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Homosexuellen.
Schon früher hatte die Initiative MDH unter Leitung von Jean Le Bitoux die Errichtung eines ‘Memorial de la Déportation Homosexuel’ gefordert. Nachdem es vergleichbare Monumente bereits in Italien, Deutschland und den Niederlanden gebe, sei es an der Zeit, ein ähnliches Monument z.B. in Strasbourg zu errichten.
Bis 2007 gab es in Frankreich keinerlei Homomonument oder ähnliches Mahnmal, das dezidiert an die homosexuellen Opfer des NS-Terrors erinnert. [Aufstellung der Denkmale für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen]

Das KZ Schirmeck ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Auf dem Gelände des früheren Lagers ist heute eine ‘idyllische’ Siedlung (Bericht eines Besuchs auf sintiundroma.de).

Pierre Seel – Gedenklen in Toulouse

Die Initiative forderte zudem von den Bürgermeistern der Städte Mulhouse und Toulouse, jeweils einen Platz oder eine Straße nach Pierre Seel zu benennen. In Toulouse böte sich der Square Steinbach an, in den 1930er Jahren ein Ort schwulen Cruisings. Pierre Seels Diebstahlmeldung einer hier verlorenen Uhr brachte ihm 1939 die behördliche Registrierung als Homosexueller, der die Deportation 1940 folgte.

Am 21. Dezemberr 2007 beschloss der Stadtrat von Toulouse, zukünftig im Quartier Saint Sauveur eine Straße in Toulouse nach Pierre Seel zu benennen. In Gegenwart von Bürgermeister Jean-Luc Moudenc (UMP) und nahezu 200 Gästen wurde das Straßenschild am Samstag, 23. Februar 2008 eingeweiht.
Französische Medien wiesen darauf hin, dass weder Seels langjähriger Partner noch seine Söhne oder Seels langjährige Biograph (Jean le Bitoux) zur Zeremonie eingeladen wurden.

rue Pierre Seel in Toulouse (Foto: Namaacha)
rue Pierre Seel in Toulouse (Foto: Namaacha)

This file depicts the name plate of a street in the French city of Toulouse that was named after Pierre Seel, who suffered deportation under the Nazis on the basis of homosexuality.NamaachaCC BY-SA 3.0

Pierre Seel – Gedenken in Mulhouse

Am Samstag, 15. Mai 2010 wurde in Mulhouse (am Théâtre de la Sinne, avenue Auguste Wicky) eine Plakette eingeweiht, die an Piere Seel erinnert. Sie ist die erste Gedenk-Plakette Frankreichs, die an homosexuelle NS-Opfer erinnert. Die Plakette trägt den Text

Zur Erinnerung an Pierre Seel 1923 – 2005 und andere unbekannte Mulhouser, die wegen des Vorwurfs der Homosexualität festgenommen und deportiert wurden”.

Gedenk-Plakette für Pierre Seel in mulhouse (Foto Ji-Elle; Lizenz cc by-sa 3.0)
Gedenk-Plakette für Pierre Seel in mulhouse (Foto Ji-Elle; Lizenz cc by-sa 3.0)

Mulhouse : plaque à la mémoire de Pierre Seel sur l’une des façades du théâtre côté parcJi-Elle – CC BY-SA 3.0

Pierre Seel Gedenken in Paris

Seit dem 19. Juni 2019 erinnert eine Strasse zwischen der Rue de Rivoli und der Rue du Roi de Sicile an Pierre Seel – die rue Pierre Seel.

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Der Bürgermeister der Castro Street

„The Mayor of Castro Street“ – unter diesem Titel wird das Leben des US-Politikers und schwulen Bürgerrechtlers Harvey Milk verfilmt. Im Januar soll mit den Dreharbeiten begonnen werden.

Harvey Milk war der erste offen schwule Stadtrat in San Francisco. Vermutlich war er der erste offen schwul lebende Politiker überhaupt in den USA.
Er wurde 1977 in den San Francisco Board of Supervisors gewählt. Unter Bürgermeister George Moscone gelangen ihm einige wesentliche Verbesserungen für Lesben und Schwule in San Francsico, unter anderem brachte er ein ‚gay rights bill‘ ein und verhinderte eine Verordnung, die offen schwul und lesbisch lebende LehrerInnen an der Berufsausübung gehindert hätte.

Harvey Milk konnte nur elf Monate als Stadtrat arbeiten. Am 27. November 1978 wurde Milk vom ehemaligen Stadtrat Dan White erschossen. Auch Bürgermeister Moscone fiel dem Attentat zum Opfer.

Der Attentäter Dan White wurde im Mai 1979 verurteilt. Das Strafmaß (sieben Jahre Gefängnis) wurde von vielen Einwohnern San Franciscos als skandalös niedrig empfunden. Es kam zu massiven Demonstrationen und schweren Zusammenstößen mit der Polizei (bekannt als White Night). Bei anschließenden Aktionen der Polizei wurden mehrere schwule Bars in der Castro Street zerstört.

Milk selbst hatte mit Gewaltaktionen gegen ihn gerechnet. Er hatte Tonbänder vorbereitet, die gespielt werden sollten für den Fall, dass er Opfer eines Attentats werde. „Sollte eine Kugel mein Gehirn treffen, lasst diese Kugel jede Schranktür zerstören“ (Schrank -> closet, Symbol für den (unfreiwillig) nicht offenen, den ‚Schrank-Schwulen‘).

Nach seinem gewaltsamen Tod wurde Milk endgültig zu einer schwulen Ikone, zu einem Symbol eines neu erwachten schwulenpolitischen Bewusstseins im San Francisco der 1970er Jahre. Viele Orte und Zentren schwulen- und lesbenpolitischen Lebens und Engagements wurden nach ihm benannt, am bekanntesten vielleicht die ‚Harvey Milk Highschool‘ in New York (inzwischen eine öffentliche High School). Das Leben Harvey Milks wurde von Rob Epstein unter dem Titel ‚The Times of Harvey Milk‘ verfilmt.

Der Regisseur Gus van Sant wird nun das Leben von Harvey Milk als Spielfilm (BioPic) verfilmen. Beginn der Dreharbeiten soll nach jahrelangen Vorarbeiten im Januar 2008 sein. In den Hauptrollen sollten als Darsteller des Harvey Milk Sean Penn sowie als Darsteller des Dan White Matt Damon im Gespräch sein. Damon solle aber aus terminlichen Gründen doch abgesagt haben, wie pinknews berichtet.

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Text von ondamaris auf 2mecs 22.01.2016

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Vergewaltigt in Dubai (akt.4)

Ein 15jähriger Schüler droht in einem bizarren Streit zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Frankreich vom Vergewaltigungs-Opfer zum Angeklagten wegen homosexueller Handlungen zu werden.

Alex, ein 15jähriger Franzose, verbrachte im Juli 2007 zusammen mit seinen Eltern eine Urlaub in Dubai. Nach Aussagen des Schülers wurde er am 14. Juli (dem französischen Nationalfeiertag) auf dem abendlichen Rückweg zu seinen Eltern von drei Männern vergewaltigt. Zwischen in Bau befindlichen Villen hätten die drei Männer ihn mit einem Messer bedroht, seine Hosen gewaltsam herunter gezogen und ihn vergewaltigt.

Ein Arzt bestätigte anschließend, dass am und im Körper des Jungen fremdes Spermas gefunden wurde – das der drei Beklagten, wie später mittels DNA-Analysen festgestellt wurde. Allerdings behauptet der Arzt, ein Ägypter, keine Spuren einer gewaltsamen Penetration gefunden zu haben. Es habe ‚wohl vielfältige vorherige Benutzung‘ der Analregion gegeben [… bei einem 15jährigen …].

Doch erstaunlicherweise wurde in den Vereinigten Arabischen Emiraten lange Zeit nicht gegen die drei Männer ermittelt, die die Vergewaltigung begangen haben sollen. Dem Jungen, seinen Eltern sowie französischen Diplomaten wurde stattdessen nahegelegt, nicht auf Strafverfolgung zu bestehen. Vielmehr werden nun dem 15-jährigen Jungen ‚homosexuelle Praktiken‘ vorgeworfen.

Doch nicht nur das. Die Behörden vor Ort hielten es mehrere Wochen lang auch nicht für erforderlich, dem Jungen oder seinen Eltern mitzuteilen, dass bei einem der drei Männer bereits vor 4 Jahren während eines Gefängnis-Aufenthalts eine HIV-Infektion diagnostiziert wurde. Zunächst war der Mutter des Jungen von VAE-Behörden mitgeteilt worden, die drei Beklagten seien ‚krankheitsfrei‘. Erst Anfang September wurde ihr gegenüber deutlich gemacht, dass einer der Beklagten HIV-infiziert sei.
Bisher wurde bei dem Jungen kein HIV diagnostiziert. Aufgrund der langen möglichen Inkubationszeit wird er jedoch erst in einigen Wochen endgültige Klarheit in Sachen HIV haben.

Der Junge ist inzwischen in die Schweiz geflüchtet. Er habe befürchten müssen, in den Vereinigten Arabischen Emiraten auch noch unter dem Vorwurf homosexueller Handlungen festgenommen zu werden, gab er zur Begründung an.
Er und seine Eltern wandten sich anschließend an die Presse in der Hoffnung, aufgrund öffentlichen Drucks doch noch eine Strafverfolgung der Männer erreichen zu können.

90% der Einwohner Dubais sind nicht Bürger der Vereinigten Arabischen Emirate.
Vergewaltigung von Männern ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten kein Straftatbestand, wohl aber ‚erzwungene Homosexualität‘. Ausländer, denen homosexuelle Aktivitäten vorgeworfen werden, werden des Landes verwiesen. Ausländer, bei denen HIV festgestellt wird, müssen das Land innerhalb von 24 Stunden verlassen.

Der Fall des 15jährigen Jungen hat zu diplomatischen Spannungen zwischen Frankreich und den arabischen Emiraten geführt.
Die Behörden in Dubai haben die Ermittlungen gegen die drei Beklagten inzwischen neu aufgenommen. Zwei erwachsene inzwischen festgenommene Beklagte sollen am 7. November vor Gericht stehen, der dritte noch minderjährgige Beklagte am 6. November vor einem Jugendgericht.

Die Mutter des Jungen, eine Journalistin mit guten Kontakten zur französischen Regierung, fordert auf www.boycottdubai.com inzwischen zum Boykott des vermeintlichen Paradieses am persischen Golf auf.

Weitere Informationen:
Liberation: Vergewaltigung eines 15jährigen in Dubai
Tetu: Prozess am 7. November und diplomatische Verwicklungen
Die Jüdische: Vergewaltigter 15jähriger Franzose wird zum Täter gemacht
New York Times: In Rape Case, a French Youth Takes On Dubai
International Herald Tribune NYT:

Update 08.11.: Einem Schweizer Bericht zufolge scheint der Junge Schweizer zu sein. Die Mutter hat einen Prozess in Frankreich sowie der Schweiz angestrengt. Derweil wird der Prozess in Dubai fortgesetzt.
Update 15.11.: ein Interview mit dem 15Jährigen über seine Erfahrungen hier auf rue89.com
Update 16.11.: NZZ über eine Vergewaltigung und ihre Folgen
Update 28.11.: im Prozess gegen die zwei erwachsenen Tatverdächtigen wird das Urteil für den 12. Dezember 2007 erwartet
Update 29.11.: Mutter aus dem Gerichtssaal geworfen
Nachtrag 12.12.: zwei der Männer in Dubai zu je 15 Jahren Haft verurteilt (der dritte, noch nicht volljährige Täter muss sich vor dem Jugendgericht verantworten)
Nachtrag 21.01.2008: der französisch-schweizerische Jugendliche hat sich bei dem Vorfall nicht mit HIV infiziert, berichtet die Basler Zeitung
Nachtrag 18.02.2008: Am 3. Februar wurde die Verurteilung der beiden Männer zu 15 Jahren Haft in der Berufung bestätigt. Der dritte Angeklagte wartet auf die Verhandlung seines falls vor dem Jugendgericht.

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Text 24. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs