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Ein Käfig voller Narren (1978)

Zuletzt aktualisiert am 19. Juni 2020 von Ulrich Würdemann

“ Ein Käfig voller Narren “ lockte ab 1978 mehrere Millionen Zuschauer in Europa und den USA in die Kinos. Aber – darf man als Schwuler lachen darüber, wie Schwule in diesem Film dargestellt werden? Ist ‚ Ein Käfig voller Narren ‚ gar homophob? Ein Wiedersehen nach vielen Jahren:

Ein Käfig voller Narren

Die Handlung von ‚Ein Käfig voller Narren‘ ist schnell erzählt.

Seit Jahren leben und arbeiten Renato Baldi und Albin Mougeotte zusammen. Renato ist Besitzer des Nachtclubs „la cage aux folles“ in Saint Tropez, während Albin sich allabendlich zu ‚Zaza Napoli‘ verwandelt, dem bewunderten Star dieses Nachtclubs („du weißt, dass ich ohne meinen Fächer nicht singen kann„).

Laurent, Renatos inzwischen 20jähriger Sohn (dargestellt von Rémi Laurent (1957-1989)) will heiraten. Seine Auserwählte ist ausgerechnet Andréa Charrier, eine Tochter ‚aus gutem Haus‘. Wie ihren Eltern erklären, wass ein Vater macht? Laurents Eltern seien „gewissermaßen künstlerisch tätig“, Kultur-Attache an der italienischen Botschaft sei der Vater, windet Andréa sich aus dem Eltern-Problem – und die Komödie nimmt Fahrt auf.

Denn Simon, Andreas Vater, hat sich hochgearbeitet vom Sohn eines Gendarmen zum Abgeordneten und Generalsekretär einer konservativen, an Werten und Traditionen orientierten „Partei für Ordnung und Moral“. Er plant eine – für seine parteipolitischen Zwecke instrumentalisierte – Hochzeit in großem Stil. Mit Tochter und Ehefrau fährt er nach Saint Tropez, um die Eltern des womöglich zukünftigen Schwiegersohns kennen zu lernen.

Was Laurent vor ein Dilemma zu stellen scheint. Wie kann er seinen Vater und dessen Lebensverhältnisse zumindest für diesen einen Besuch an die konservativen Lebenswelten der zukünftigen Schwiegereltern anpassen? Wohnung und Lebensstil der beiden sollen ‚ent-schwult‘ werden, ist seine Lösung. Doch nach einigen Versuchen entgegnet Renato – damit wohl die zentrale Botschaft des Films formulierend – entrüstet:

„Ja, ich schminke mich, ich lebe zusammen mit einem Mann und ich bin eine Tunte – aber ich habe keine Probleme. Ich habe fast 20 Jahre dafür gebraucht, und lass mir das nicht kaputt machen von deinem Abgeordneten. Er kann mich mal kreuzweise …“

Doch trotz allen Selbstbewußtseins bleibt die Frage, wie umgehen mit dem anstehenden Besuch der Eltern der zukünftigen Schwiegertochter? Und wohin mit Zaza? Ein drohendes Fiasko zeichnet sich ab …

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Stolz und Vorurteil

Der Film steckt vollerDialoge mit Anspielungen und Doppeldeutigkeiten, sowie inzwischen legendär gewordenen Details und Geschichtchen. Wie der legendären „Arsch-Vase“, in der die Schlüssel verwahrt werden. Oder, ebenso legendär, ‚Jacob‘, der knackig-tuckige farbige Haus-Boy, der die beiden mit „Herr“ und „Gebieterin“ anredet – und auf Versuche von Beleidigungen smart reagiert:

Man hat mich schon Neger und Tunte genannt, aber als Franzose hat mich noch keiner beschimpft!

Oder dem Changieren zwischen Selbstbewusstsein, Akzeptanz einerseits und Pseudo-Liberalität und offener Homophobie andererseits. Alban kann vollkommen tuckig durch die Stadt stolzieren, beim Einkauf zum Beispiel, und wird mit liebevollem Lächeln von allen akzeptiert – wird aber kurze Zeit später in der Bar als ‚Schwuler‘ beschimpft, der sich wehrende Renato muss Schläge einstecken.

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Ein Käfig voller Narren – und das Vorbild

Die Geschichte des Films hat reale Vorbilder: Jean Poiret, der Autor des dem Film zugrunde liegenden Bühnenstücks, und auch an Anpassungen und Dialogen für den Film beteiligt, soll sich auch von Leben und Kabarett des offen schwulen französischen Kabarett-Direktors Michou (Michel Georges Alfred Catty, geb. 18. Juni 1931 in Amiens, gest. 26. Januar 2020 in Saint-Mandé) inspiriert haben lassen. Dieser betreibt seit 1945 in Paris das erste Travestie-Theater Europas, das ‚Cabaret Michou‚. Auch 2019 leitet er noch selbst das Kabarett auf Pigalle – inzwischen das älteste noch existierende in Paris.

einer der Vorbilder für ' Ein Käfig voller Narren ': Kabarett-Direktor Michou auf einer Parade am 25. Juni 2011 in Montmartre (Foto: Basili)2011
einer der Vorbilder für ‚ Ein Käfig voller Narren ‚: Kabarett-Direktor Michou, hier bei der von ihm mit gesponsorten ‚Promenade de la vache enragée‘ am 25. Juni 2011 in Montmartre (Foto: Basili, public domain)

Michou devant la troupe d’échassiers-autruches de la compagnie du Toucan à la Promenade de la Vache enragée le 25 juin 2011 à Montmartre.BasiliGFDL

Die Geschichte von La cage aux folles

Jean Poiret und Michel Serrault kommen 1958 auf die Idee, einige der schwulen Geschäftsleute, die in ihrer Nachbarschaft leben, auf die Schippe zu nehmen – der Sketch Les Antiquaires entsteht.

15 Jahre später kreiert Jean Poiret auf Basis dieses Sketches die beiden Figuren Zaza Napoli und Georges (der später im Film zu Renato wird). Das Theaterstück La cage aux folles entsteht – und wird ab 1. Februar 1973 mit sehr großem Erfolg am Théâtre du Palais Royal gegeben. In den Hauptrollen: Jean Poiret und Michel Serrault. Nahezu 1.800 mal wird das Stück hier in den nächsten fünf Jahren aufgeführt und von über einer Million Zuschauern gesehen. In Deutschland wird das Stück 1983 im Theater am Kurfürstendamm uraufgeführt.

Auf diesem Theaterstück wiederum basiert der gleichnamige Film, ebenfalls ein großer Erfolg. Zwei Fortsetzungen entstehen, sowie ein Hollywood-Remake und 1983 ein Broadway-Musical (mit 1.761 Aufführungen ab 21. August 1983). Michel Serrault wird für seine Darstellung von Zaza 1979 mit dem César als bester Darsteller ausgezeichnet.

Die in Deutschland in die Kinos gebrachte Version von Ein Käfig voller Narren war ursprünglich um einige Minuten gekürzt. Die gekürzten Passagen wurden 20 Jahre später für Veröffentlichungen auf DVD und später BluRay neu synchronisiert nachträglich wieder eingefügt.

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Ein Käfig voller Narren – Lacher auf unsere Kosten?

Das ‚Lexikon des internationalen Films‘ spricht von einer „platten Transvestitenkomödie“ in der die „Lacher fast ausschließlich auf Kosten der vorgeführten Klischee-Außenseiter“ gehen. Und auch von Schwulen-Organisationen wurde dem Film häufiger wegen klischeehaften Karikierens Homosexueller und dem Reduzieren auf effeminierte Darstellung kritisiert.

Lacher auf unsere Kosten? Genau diesen Eindruck habe ich bei diesem Film jedoch nicht. Wohl aber beim Hollywood-Remake aus dem Jahr 1996, „da hab ich mich vorgeführt gefühlt„, merkt Frank an.

Ja, der Film steckt voller (nicht nur ‚Tunten‘-) Klischees – aber sind die (außer dass sie bunter, dichter dargestellt werden) so weit weg von manchem selbstinszenierten schwulen Leben? „Ein Käfig voller Narren“ ist eigentlich keine Burlesque, und nicht homophob. Sondern der Film ist (immer noch) eine herzerwärmende Kömodie über ein schwules Paar, das selbst einen Sohn groß gezogen hat – in Zeiten, als es Gedanken an schwule Familien, an trans* und queer-Identitäten noch kaum gab.

Und ein filmisches Statement voller schwulen Selbstbewusstseins, wie es 1978, in Zeiten weit vor Aids – und nicht nur im Mainstream-Kino – noch rar war.

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La cage aux folles, c’est vous qui la construisez, docteur Amoroso, et notre névrose, c’est celle de vos discours qui désespèrent les homosexuels de ce pays.
(Den Käfig vollerNarren, den haben Sie gebaut, Dr. Amoroso, und unsere Neurose ist diejenige ihrer Diskurse, die die Homosexuellen dieses Landes verzweifeln lässt [Übers. UW])
Jean-Louis Bory, französischer Filmkritiker und Autor,  am 18. April 1977

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Ein Käfig voller Narren (La cage aux folles)
Frankreich / Italien 1978
Regie Edouard Molinaro
mit (u.a.) Michel Serrault (1928 – 2007; Zaza Albin), Ugo Tognazzi (1922 – 1990; Renato), Remi Laurent (1957 – 1989; Laurent; s.o.)
auf Basis eines Theaterstücks von Jean Poiret (Uraufführung Paris 1. Februar 1973)
Erstaufführung Frankreich 25. Oktober 1978
Erstaufführung Deutschland 12. Januar 1979

Ein Käfig voller Narren – Auszeichnungen und Nominierungen
César 1979 – Bester Darsteller Michel Serrault
David di Donatello Award 1979 – Bester Darsteller Ausland Michel Serrault
New York Film Critics Circle Award 1979 – nominiert Bester Film Ausland
National Board of Review 1979 – Bester fremdsprachiger Film
Oscar 1980 – Nominierungen Beste Regie, Bestes Drehbuch, Beste Kostüme
Golden Globe 1980 – Bester ausländischer Film
San Kordi Awards 1980 – nominiert Bester Darsteller Film Ausland Michel Serrault

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

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