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Coronographien 6 – Ausgangssperre

Zuletzt aktualisiert am 4. Mai 2024 von Ulrich Würdemann

Ist eine Coronavirus Ausgangssperre denkbar? Welche rechtlichen Grundlagen könnte sie haben?

Als Ausgangssperre wird ein Verbot bezeichnet, öffentliche Plätze, Straßen etc. zu betreten (Betretungsverbot), oder zu bestimmten Zeiten auszugehen (Ausgangsverbot).

Ausgangssperren können zeitlich befristet sein (z.B. abends bis morgens). Bestimmte Personengruppen (z.B. ’systemrelevante Berufe‘ können ausgenommen werden.

Ausgangssperren greifen tief in Grundrechte ein, z.B. in die Bewegungsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit.

Coronavirus Ausgangssperre – denkbare rechtliche Grundlagen

Rechtliche Grundlage für Ausgangssperren können auch in Notstandsgesetzen oder dem Ausrufen eines Ausnahmezustands liegen.

Katastrophenfall

Eine Regelung für die Erklärung eines Katastrophenfalls gibt es in Deutschland auf Länder-Ebene (i.d.R. jeweilige Landes-Verfassung), nicht jedoch auf Bundes-Ebene.

Auf Bundesebene wäre eine Berufung auf die am 30. Mai 1968 trotz starker Proteste beschlossenen Notstandsgesetze denkbar. Diese sind allerdings eher für militärische als für zivile Katastrophen gedacht (die Ländersache sind). In der bisherigen Geschichte der BRD ist ihre Anwendung bisher noch nie vorgekommen. [vgl. dazu auch Coronavirus – Bundeswehr im Innern?]

Allerdings erlaubt Artikel 35 Grundgesetz die Ausrufung des so genannten Katastrophen-Notstands (Innerer Notstand bzw. Katastropenfall). Demzufolge kann die Bundesregierung (in Kombination mit Art. 91 bzw. Art. 35) über die Zusammenarbeit mit den Ländern hinaus die Bekämpfung eines überregionalen Katastrophenfalls an sich ziehen.
Denkbar wäre hier die Betrachtung der Coronavirus-Epidemie als ‚Naturkatastrophe in Zeitlupe‚, wie der Virologe Christian Drosten vorschlug. Prof. Pierre Thielbörger (Ruhr-Uni Bochum) verwies zudem auf die Möglichkeit, im Fall des drohenden Zusammenbruchs des öfentlichen Gesundheitssystems von einer ‚drohenden Gefahr für den Bestand es Bundes‘ (Art. 91 (1) auszugehen.

Am Freitag 20. März mittags 12:35 Uhr wurde das Katastrophen- Warn- ud Informationsdienstews KATWARN (das ausschließlich öffentliche Warnungen von Behörden und Dienststellen versendet) für Informationen zur Coronavirus-Epidemie genutzt.

Infektionsschutzgesetz

Angeordnet werden könnten Ausgangssperren auf Basis des Infektionsschutzgesetzes. Dort heißt es in Paragraph 28 unter anderem, die ‚zuständige Behörde‘

„kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. … Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) werden insoweit eingeschränkt.“

§ 28 IfSG, Auszug

Auch bei Maßnahmen nach Infektionsschutzgesetz kann der Bund bisher nur Empfehlungen aussprechen. Die Umsetzung und Durchführung ist bisher Sache der Bundesländer.
An der Kompetenzverteilung in Sachen Ausgangssperren soll vermutlich auch im Rahmen der Kompetenzverschiebung hin zum Bund durch die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes nichts verändert werden.

Mit dem derzeit debattierten Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes 2020 werden die Bestimmungen zu Ausgangssperren präszsiert.
Die ‚zuständige Behörde‘ kann demnach in der Neufassung §28 (1) zukünftig Personen verpflichten, „den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen“ oder „bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“.

Dabei gilt, dass die Beschränkung verhältnismäßig sein muss, personell, räumlich und zeitlich bestimmt und begrenzt. Eine allgemeine Ausgangssperre findet sich im Infektionsschutzgesetz nicht.

Alle bisher (19. März 2020) ausgesprochenen Schulschließungen, Abstandsregelungen etc. wurden m.W. mit dem infektionsschutzgesetz begründet. Gleiches gilt für die Ausgangsbeschränkungen in Bayern.

Östereich: COVID-19 – Maßnahmengesetz als Basis für ausgangsbeschränkende Maßnahmen

Seit 16. März 2020 ist in Österreich das COVID-19 – Maßnahmengesetz in Kraft. Der Gesundheitsminister darf Personen das Betreten ebstimmter Orte untersagen.

Ausgangsbeschränkende Maßnahmen finden hier ihre Rechtsbasis. Sie sidn geregelt in der ‚Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes‘.

Coronavirus Ausgangssperre – weitere Fragen

Abwägung – dass eine Maßnahme womöglich geeignet ist (z.B. die Ausbreitung eines Virus zu verlangsamen) beduetet noch nicht zwangsläufig dass sie auch verhältnismäßig oder erforderlich ist.

Ist eine Ausgangssperre epidemiologisch / medizinisch von Nutzen? Die Frage ist umstritten. Prof. Andreas Stang, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie und Chef-Epidemiologe der Uniklinik Essen „Der zu erwartende Zusatznutzen kann hier nicht wirklich quantifiziert werden“.

Der Staatsrechtler Ulrich Battis von der Humboldt-Universität Berlin hält Klagen gegen Einschränkungen von Grundrechten für wenig aussichtsreich. In der Passauer Neuen Presse (19. März 2020) bemerkte er, das Notfallkonzept sei seiner Ansicht nach zwingend, verhältnismäßig und sehr einleuchtend.

Bei Begründung von Ausgangssperren mit dem Infektionsschutzgesetz: Dr. Andrea Edenharter (FernUni hagen) weist im Verfassungsblog darauf hin, dass dies die Kurzfristigkeit der Maßnahme impliziere: „bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“ (was z.B. Tracking von Coronavirus Infizierten sein könnte). Beim Coronavirus handele es sich jedoch um eine lang andauernde Bedrohung.
Sie hält die Ausgangssperre (hier: Fall Tirschrenreuth) für verfassungswidrig, da diese „in unverhältnismäßiger Weise in die Freiheitsrechte der betroffenen Bewohner eingreift“.
Die Eindämmung des Virus müsse im Einklang mit dem Grundgesetz erfolgen.

Wie sieht die Exit-Strategie aus? Für welchen Zeitraum besteht die Ausgangssperre? Unter welchen Bedingungen wird sie für wen und wie lange aufgehoben?

allgemeine rechtliche Rahmenbedingungen z.B.

  • Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen – Infektionsschutzgesetz (IfSG vom 20. Juli 2000, BGBl. I S. 1045)
  • Allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Koordinierung des Infektionsschutzes in epidemisch bedeutsamen Fällen (Verwaltungsvorschrift- IfSG-Koordinierung – IfSG Koordinierungs- VwV) vom 12. Dezember 2013 (BAnz AT 18.12.2013 B3)
  • Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (IGV-Durchführungsgesetz – IGV-DG) vom 21. März 2013 (BGBl. I S. 566),
  • Gesetz zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) vom 23. Mai 2005 (IGVG 2005) vom 20. Juli 2007 (BGBl. II S. 930)
  • Nationaler Pandemieplan 2016/2017

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Eine neue Dimension erhält die Frage der Ausgangssperren, wenn sie mit der Frage der Bereitstellung, Analyse und etwaigen Sanktionierung von daten aus Bewegungsprofilen z.B. der Mobilfunkanbieter kombiniert wird …

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Über aktuelle Warnungen der Bundesregierung informiert eine Internetseite.

Alle 2mecs-Texte zur Coronavirus Epidemie COVI19 hier

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Disclaimer

Ich bin juristischer Laie. Diese Texte dienen nur der Information und Wiedergabe meiner Meinung. Sie sind lediglich allgemeiner Natur und stellen keine Rechtsberatung dar. Konsultieren Sie im Bedarfsfall einen Anwalt.

Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

12 Antworten auf „Coronographien 6 – Ausgangssperre“

„Allerdings erlaubt Artikel 35 Grundgesetz die Ausuferung des so genannten Katastrophen-Notstands. Demzufolge kann die Bundesregierung über die Zusammenarbeit mit den Ländern hinaus die Bekämpfung eines überregionalen Katastrophenfalls an sich ziehen.“

Wo genau steht das? Ich kann das nirgends erkenne. Wenn Sie den Artikel 35 richtig lesen, bleibt die exekutive Gewalt immer beim betroffenen Land! Ein Kontrolle durch den Bund ist nicht vorgesehen!

„Ist das Land nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage, kann die Bundesregierung seine Polizei und zusätzlich Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstellen sowie Einheiten des Bundespolizei einsetzen. Erstreckt sich die Gefahr über ein Land hinaus, kann sie den betroffenen Landesregierungen Weisungen erteilen (Art. 91 Abs. 2 GG).“
lautr Bundeszentreale für politische Bildung -> Notstandsverfassung https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/22619/notstandsverfassung

PS Sie haben insofern recht dass ich an der Stelle nicht Art. 91 und Art. 35 genannt habe – dies hab ich gerade nachgeholt. Danke für den Hinweis!

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