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Coronographien 11 – erste und zweite Änderung Infektionsschutzgesetz 2020

Zuletzt aktualisiert am 14. November 2023 von Ulrich Würdemann

Im März und im November 2020 erfolgte in zwei Schritten die Änderung Infektionsschutzgesetz 2020: das Bundeskabinett beschloss am 23. März 2020 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Der Entwurf wurde am 25. März in drei Lesungen im Bundestag und am 27. März im Bundesrat im Eilverfahren beschlossen und direkt anschließend in Kraft gesetzt. Mit einer zweiten Änderung wurde per 19. November 2020 ein neuer Paragraf 28a eingeführt, der konkrete Maßnahmen benennt und durch eine Gesetzesgrundlage mehr Rechtssicherheit schafft.

Am Sonntag 22. März 2020 einigten sich Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten der Länder unter anderem auch darauf, das Infektionsschutzgesetz zu ändern. Die Verpflichtung zur Übermittlung von Mobilfunkdaten wurde im letzten Moment aus dem Gesetzentwurf gestrichen.

Mehrere Bundesländer hatten im Vorfeld die geplanten Änderungen kritisiert, eine Änderung von Zuständigkeiten sei nicht erforderlich und führe nur zu Verunsicherung. Medien kritisieren, mit dem Gestez würde der Bundesgesundheitsminsietr „zum starken Mann“ gemacht.

Das Bundeskabinett hat den Entwurf (pdf) bereits am Montag 23. März 2020 behandelt und beschlossen. Noch in derselben Woche hat am Mittwoch 25.3. der Bundestag in erster, zweiter und dritter Lesung debattiert. Am Freitag 27.3. wird der Bundesrat im Eilverfahren darüber beschließen. Die Zustimmung des Bundesrats ist erforderlich, da eine neue Weisungsmöglichkeit des Bundes enthalten ist.

Deutscher Bundestag Siotzveretilung 2020 (KingWither – Own work – Lizenz cc-by-sa 4.0

Im Mai 2020 folgte im Kontext der Einführung eines Immunitätsausweises bereits die zweite Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2020.

Änderung Infektionsschutzgesetz 2020 – Einführung einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite

Mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes werden dem Bund weitreichende zusätzliche Kompetenzen eingeräumt. Grundlage ist die neu eingeführte Möglichkeit, eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ (neuer §5) auszurufen. Dies kann erfolgen wenn eine „ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland festgestellt“ wird.

„Die Bundesregierung wird zur Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ermächtigt.“

„Auf Verlangen des Bundestages oder des Bundesrates ist die Feststellung aufzuheben.“

aus dem Gesetzentwurf zur Änderung des infektionsschutzgesetzes, 2. Satz ergänzt bei Lesuing im Bundestag am 24.3.

Medien (zuerst die FAZ) berichteten am 21. März 2020 erstmals von einem 23 Seiten umfassenden Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Der Bund wolle so mehr Kompetenzen an sich ziehen und die Bundesländer entmachten.

Die Ausrufung des Epidemiefalls wird einer Einigung am Montag 23.3. abends zufolge nun nicht wie ursprünglich im Entwurf des BMG geplant durch die Bundesregierung sondern durch den Bundestag erfolgen. In einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ erhält der Bund dann für einen befristeten Zeitraum zusätzliche Kompetenzen.

zusätzliche Kompetenzen für den Bund

Mit der Gesetzesänderung würde der Bund / das Bundesgesundheitsministerium sehr weitreichende Kompetenzen erhalten. Unter anderem wären weitreichende Einschränkungen von Grundrechten möglich

Es gehe unter anderem darum dem Bund zu Lasten der Bundesländer Kompetenz zuzugestehen, so z.B.

  • grenzüberschreitende Personentransporte zu untersagen
  • Verpflichtung einreisender Personen, Reiseroute und Kontakte offenzulegen
  • Kontaktpersonen von Coronavirus-Infizierten per Handy-Ortung zu suchen (contact tracing), Mobilfunkunternehmen sollen zur Datenweitergabe verpflichtet werden
  • zentrale Steuerung der Versorgung mit Arzneimitteln udn Schutzausrüstung
  • Zwangsrekrutierung von medizinischem Personal

Voraussetzung dieser neuen Kompetenzen sei eine „epidemische Lage nationaler Tragweite„. Die Bundesregierung müsse das Vorliegen dieser ‚National-Epidemie‚ erklären.

Mit der Änderung soll der Bundesgesundheitsminister auch ermächtigt werden, Ausnahmen von Gesetzen wie z.B. dem Arzneimittelgesetz zuzulassen – im Alleingang, ohne Hinzuziehen des (Gesetze erlassenden) Parlaments. Zudem soll der Bundesgesundheitsminister selbst ‚Ausnahmen vom Infektionsschutzgesetz‘ erlassen können.

Änderung Infektionsschutzgesetz – Präzisierung zu Ausgangssperren

Das Anordnen von Ausgangssperren oder Ausgangs-Beschränkungen sei nicht im Gesetzentwurf enthalten, so die FAZ.

Allerdings wird §28 (1) [Einschränkung von Grundrechten] in dieser Hinsicht präzisiert. Die ‚zuständige Behörde‘ kann demnach zukünftig Personen verpflichten, „den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen“ oder „bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“.

Änderung Infektionsschutzgesetz – vorerst gestoppt: Mobilfunkdaten an Gesundheitsbehörden

Mehrere Politiker äußerten insbesondere vor dem Hintergrund der Bereitstellung von Handydaten an Gesundheitsbehörden Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes. Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung?

Bundesgesundheitsminister Spahn gehe „sehr hemdsärmelig mit Bürgerrechten um“, so FDP-Politiker Stephan Thomae. Er sprach von einem „unverhältnismäßigen Eingriff in wichtige Persönlichkeitsrechte“. Spahns Plan des Handytracking sei „unausgegoren“, so Konstantin von Notz (Grüne).

Am Sonntag Nachmittag wurde bekannt, dass der Bundesgesundheitsminister auf die Ermittlung von Kontaktpersonen mittels Mobilfunkdaten verzichtet. Er ist aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Kanzlerin und Ministerprädsident:innen hätten es blockiert. Gerade dieser Punkt hatte in sozialen Netzwerken wie auch bei Netzaktivisten für Empörung und Proteste gesorgt.

Ulf Buermeyer, Richter am Berliner Landgericht, zeigte sich erleichtert – ein „missratener Vorschlag“ sei einkassiert.

Bundesjustizministerin Lambrecht betonte das Vorhaben personenbezogene (!) Mobilfunkdaten zu übermitteln werde vorerst nicht weiter verfolgt. Vorerst genüge die Übermittlung anonymisierter Daten. Die Übermittlung personenbezogener Daten schloss sie nicht generell aus. Spahns Vorschlag sei nur „zu früh gekommen„, zudem sei unklar ob er zielführend sei.

Allerdings enthält der Gesetzentwurf einen neuen Passus (neuer § 12 (5a) IGV-Durchführungsgesetz), demzufolge Gesundheitsämter Daten zur Erreichbarkeit von Personen direkt von den Fluggastdatenzentralen erhalten können. Dies ist nicht nur ‚im Verdachtsfall‘ möglich, sondern generell bei ‚Flügen aus betroffenen Gebieten‘.

Spahns Ansinnen ‚Mobilfunk Tracking Daten für Gesundheitsbehörden‚ ist ebenfalls nicht endgültig vom Tisch. Vielmehr soll das Vorhaben in Ruhe durchdacht und dann nach Ostern erneut aufgegriffen werden.

Beispiel könnte Singapur sein – contact tracing per Handy-App.

Zudem wird parallel an der Entwicklung einer ‚GesundheitsApp‘ gearbeitet, mit der infizierte Personen getrackt werden können.

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zweite Änderung Infektionsschutzgesetz 2020 – November 2020

Im November 2020 wurde eine dritte Änderung Infektionsschutzgesetz 2020 beschlossen (Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite).

Die Änderungen wurden in erster Lesung am 6. November 2020 im Bundestag behandelt. Am 18. November 2020 folgte die zweite und die dritte Lesung. Mit einer Mehrheit von 415 Abgeordneten stimmte der Bundestag der Änderung am Infektionsschutzgesetz zu. Direkt anschließend erteilte nachmittags der Bundesrat in einer Sondersitzung seine Zustimmung. Am Abend des gleichen Tages erfolgte die Unterzeichnung (Ausfertigung) durch den Bundespräsidenten. Das Gesetz trat am darauffolgenden Donnerstag 19. November 2020 in Kraft.

Hintergrund der Änderung im November 2020: viele Maßnahmen waren zunächst auf die ‚Generalklausel‚ gestützt. Paragraf 28 legt fest, dass ’notwendige Maßnahmen‘ ergriffen werden dürfen. Konkrete Maßnahmen würden dann durch Verordnungen der Bundesländer ergriffen.
Doch in zahlreichen Bundesländern waren Corona-Maßnahmen von gerichten wieder gekippt worden (z.B. Beherbergungsverbot), z.B. mit der Begründung diese seien unverhältnismäßig oder nicht ausreichend begründet.

Mit der zweiten Änderung Infektionsschutzgesetz 2020 im November 2020 wird ein neuer Paragraf 28a eingeführt. In diesem werden einzelne mögliche Maßnahmen konkret benannt. Zu den benannten und dadurch gesetzlich verankerten Maßnahmen gehören

  • Abstandsgebote
  • Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum
  • Beschränkungenen oder Untersagungen von Übernachtungsangeboten, Reisen, Kultur-, Sport- und Freizeitveranstaltungen
  • Schließung von Geschäften
  • Anordnen einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum

Die Maßnahmen basieren damit nicht mehr unspezifisch auf der Generalklausel sondern erhalten damit eine vom Parlament verabschiedete Gesetzesgrundlage (statt zuvor Verordnungnen der Länder; Schaffung von Rechtssicherheit). Die (umsetzenden) Verordnungen der Bundesländer müssen nun zeitlich befristet (grundsätzlich 4 Wochen, verlängerbar) und begründet sein (diese Begründungs- und Limitierungspflicht bestand zuvor nicht).

Änderung Infektionsschutzgesetz als Zeichen der Depolitisierung ?

Professor Christoph Möllers (HU Berlin) kritisiert unter dem Titel ‚parlamentarische Selbstentmächtigung‚ zahlreiche Bestimmungen der Änderugn des Infektionsschutzgesetzes und spricht von zunehmender Depolitisierung:

„Dass all diese Kompetenzen, die im Notfall wie jetzt im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit stehen, von einem einzelnen Ministerium ausgeführt werden können, das sich nur noch mit der eigenen Hierarchie und punktuell mit dem ins Einvernehmen zu setzenden anderen Ministerien auseinanderzusetzen hat, führt die Depolitisierung weitreichender Entscheidungen auf die Spitze.“

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Ein Detail-Problem: Kontaktverbote und Ausgangssperren kann und wird man irgendwann zurücknehmen. Glaubt irgendwer, dass eine einmal eingeführte Übermittlung von Bewegungsdaten aus Mobilfunk an Gesundheitsbehörden jemals wieder zurückgenommen wird?

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Das Infektionsschutzgesetz (IfsG, Gesetzestext IfsG) regelt die Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Es legt u.a. fest welche Krankheiten meldepflichtig sind, welche Angabe gemacht und wie übermittelt werden. Es trat am 1. Januar 2001 in Kraft und ist Nachfolger des 1961 bis 2000 geltenden Bundesseuchengesetzes.

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siehe auch

Überwachung von Infizierten

Datenschutz und Bewegungsprofile

Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

3 Antworten auf „Coronographien 11 – erste und zweite Änderung Infektionsschutzgesetz 2020“

[…] Bereits am Dienstag 5. Mai 2020 soll der Gesetzentwurf im Bundestag in erster Lesung behandelt werden. Am 14. Mai, nur wenig später soll die Beschlussfassung folgen. In Kraft treten soll das Gesetz dann Mitte Juni 2020.Es stellt bereits die zweite Änderung binnen Wochen dar, nach der ersten Änderung des Infektionsschutzgesetzes 2020 vom März 2020. […]

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