Kategorien
COVID19 Politisches

Coronographien 21 – kann eine Coronavirus Tracing App vertretbar sein ?

Zuletzt aktualisiert am 14. November 2023 von Ulrich Würdemann

Kann der Einsatz einer Coronavirus Tracing App vertretbar sein in dieser Ausnahmesituation und unter Einhaltung bestimmter Bedingungen? Persönliche Gedanken.

Als eine ExitStrategie, um aus den Ausgangsbeschränkungen durch Kontaktverbote und Ausgangssperren heraus zu kommen gilt vermehrtes Containment zur Senkung der Neuinfektionsrate. Coronavirus-Infizierte sollen durch stark ausgeweitetes Testen aufgespürt und dann durch contact tracing Infektionsketten unterbrochen werden.

Als ein möglicherweise effizientes und sinnvolles Werkzeug des contact tracing gelten Tracing Apps für Mobiltelefone.

In einigen Staaten werden solche Tracking Apps bereits eingesetzt, so dieSingapur Coronavirus Tracking App.

Auch in Deutschland entwickelt das Robert Koch Institut eine Tracing App. Ihre Basis ist das paneuropäische Projekt PEPP-PT.

Doch diese Apps greifen womöglich stark in Freiheits– und Grundrechte ein. Wie verträgt sich die Anwendung von Tracking Apps mit Datenschutz und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung?

Welche grundsätzlichen Möglichkeiten von Tracking Apps es gibt, und wie diese einzuschätzen sind, habe ich hier dargestellt: Tracking von Coronavirus Infizierten.

Auch ausgangsbeschränkende Maßnahne sind starke Eingriffe in Bürgerrechte. Zudem dürften sie über einen längeren Zeitraum nur schwer aufrecht zu erhalten und durchzusetzen sein.

Wenn Tracking Apps hier einen Weg heraus aus diesen Einschreänkuzngen weisen können, gilt es ihren Einsatz ernsthaft zu erwägen. Die Frage ist also in der aktuellen Situation vielleicht nicht „ist eine Coronavirus Tracking App schlecht und abzulehnen?“, sondern eher

„wie kann eine Grundrechte- und Datenschutz- konforme Coronavirus Tracking App aussehen?“

Grund-Anforderungen an eine Coronavirus Tracing App

Standort, Bewegungsverläufe, Kontakt – Tracking betrifft potenziell zahlreiche Daten, die tief die Privatsphäre tangieren. Und die besonderem Schutz unterstehen.

Wie können Grundanforderungen lauten, damit eine Coronavirus Tracking App Privatsphäre– und Grundrechteverträglich sein könnte?

Drei Prinzipien:

  • Dezentralität – Daten sollten nur dezentral verarbeitet und gespeichert werden, keine zentrale Datenspeicherung,
  • Anonymität – Daten nur anonymisiert verwenden (namentlich nicht zuorndbar), und dergestalt, dass sie nicht de-anonymisierbar / re-personalisierbar sind, und
  • Datensparsamkeit Weitergabe nur im Fall einer Infektion, Weitergabe nur ohne Identität von Indexperson oder Kontaktpersonen.

Dies sind Grundanforderungen in Anlehnung an Linus Neumann (Sprecher des CCC) „Corona-Apps“: Sinn und Unsinn von Tracking„.

Neumann skizziert in seinem Text zudem in 6 Schritten, wie eine elegante Lösung aussehen könnte. Er kommt zu dem Schluss

„Die Daten der höchsten Qualität und Aussagekraft lassen sich vollständig anonym und dezentral erfassen.“

Linus Neuman

Weitere Anforderungen kommen hinzu. Generell gilt, die App sollte

  • angemessen,
  • verhältnismäßig
  • transparent (der Nutzer muss wissen, was gespeichert, wie verarbeitet und an wen weitergegeben wird),
  • zeitlich begrenzt speichern (14 Tage?), anschließend rückstandlos löschen, und
  • datensparsam sein.

Die Coronavirus Epidemie wird irgendwann vorüber gehen. Gehen die Grundrechte-Aufweichungen dann auch vorüber?
Um Missbrauch zu verhindern und die Etablierung eines allgemeingültigen Überwachungs-Tools auszuschließen, sollte

  • der zeitlich begrenzte Ausnahme-Charakter eines solchen Trackings muss festgeschrieben sein, und
  • eine automatische Beendigung / Ablauf der Berechtigung inkludiert sein,
  • geregelt sein was mit den Daten nach Beendigung der Epidemie oder Erreichen des vorher definierten Ziels geschieht (Löschung)
  • der Quellcode vollständig frei und ohne Zugangsbeschränkungen zugänglich sein.

Klaus Müller, Vorstand Bundesverband Verbraucherzentralen, formulierte am 11.4. fünf Bedingungen: „freiwillig, geeignet, nötig, verhältnismäßig und zeitlich befristet“.

die Singapur Coronavirus Tracking App ist keine vertretbare Lösung

Die Singapur Coronavirus Tracking App wird häufig als Beispiel einer innovativen Tracking App genannt, die auch mit dem Datenschutz und Grundrechten vereinbar sein könne.

Coronavirus Tracking App vertretbar ? - das Beispiel Singapur
Coronavirus Tracking App vertretbar ? – das Beispiel Singapur (Quelle: https://www.tracetogether.gov.sg/)

Diese App arbeitet (vermeintlich?) nicht mit GPS- Standortdaten, sondern mit Bluetooth und Nähe- Daten.

Peter Schaar, bis 2013 Bundesdatenschutzbeauftragterm, wies darauf hin, dass bei Kombination von Bluetooth und GPS „Anonymität eine Illusion“ sei.

Allerdings erfüllt auch diese App nicht komplett die obigen Grund- Anforderungen. Vermutlich werden Bewegungsdaten gespeichert. Der Querllöcode liegt bisher nicht offen. Im Fall einer Infektion wird in dieser App die Identität der Personen offen gelegt.

Die Singapur Coronavirus Tracking App ist m.E. keine vertretbare Lösung für eine Tracking App…

Vertretbare Möglichkeiten einer Tracing App denkbar?

Doch – sind die Faktoren, die z.B. die Singapur-Lösung m.E. nicht vertrebar machen überhaupt für die Zielerreichung zwingend erforderlich?

Nein, gerade eine Identitäts-Offenlegung ebenso wie Bewegungsprofile sind für das Erreichen des Zwecks der App nicht zwingend erforderlich. Wichtig ist dafür die Tatsache des Kontakts, jedoch weder der Ort des Kontakts noch die Identität der Personen.

Auch ohne Weitergabe persönlicher Daten und von Bewegungsprofilen ist ein Tracing zur Unterbrechung von Infektionsketten möglich – wenn die App entsprechend gestaltet wird.

Wie diese Anonymität und Datenschutz gewährleistende Version einer Bluetooth basierten Tracking App mit strikt dezentraler anonymer Speicherung aussehen könnte, hat Dr. Ulf Buermeyer (Richter am Landgericht Berlin) konkret skizziert: Corona-Tracking & Datenschutz: kein notwendiger Widerspruch.

Eine Umsetzung dieser Anforderungen könnte datenschutzkonform möglich werden mit dem Pan European Privacy-Protecting Proximity Tracing (PEPP-PT).

Die Digitale Gesellschaft fordert für Corona Apps, „eine vollständige Datenschutzprüfung durchzuführen und diese zu veröffentlichen“. Im Fall von contact tracing sei eine umfangreiche Risikobetrachtung notwendig. Bei Anbindung an Infrastrukturen von Google oder Apple seien Vertantwortlichkeiten untereinander zu klären.

Ob eine auf PEPP-PT aufbauende angekündigte Coronavirus Tracing App des RKI die Anforderungen erfüllt, bleibt abzuwarten …

Die Leopoldina – Stellungnahme zu Ausstiegs-Szenarien aus dem Shutdown hingegen schlägt die “Nutzung von freiwillig bereitgestellten GPS-Daten in Kombination mit Contact-Tracing” und von „Bewegungsprofilen“ vor, ohne zu begründen warum GPS-Daten und Bewegungsprofile erforderlich wären und nicht Bluetooth-basierte Verfahren genügen (Stellungnahme Leopoldina, pdf).

bleibt das Problem der Freiwilligkeit

Selbst wenn eine Tracing App dann Grundrechte- verträglich und Datenschutz- konform eingesetzt werden kann – es bleibt eine Frage:

Wie viel Freiwilligkeit ist beim Einsatz einer derartigen App realistisch möglich? Gerade in Zeiten einer Epidemie? Bei sozialem Druck, shaming & blaming ?

Wenn selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestags bereits in einer Stellungnahme eine App-Pflicht diskutiert?

Auch das FiFF warnt in seiner Stellungnahme (14.4.) vor der Gefahr einer ‚impliziten Nötigung‘ zur Nutzung der App.
Und SPD-Vorsitzende Eskens forderte am 11. Mai, der Einsatz der App müsse erfolgen unter der Maxime “ kein Zwang, keine Anreize, keine Verhaltenssteuerung“.

Jeder Zwang wäre ein fatales Zeichen … erst recht, falls es zu einer Kombination mit einer Corona Quarantäne App käme …

Fragen zur Freiwilligkeit sind z.B.

  • tragen mögliche ‚Incentives‘ für die Nutzung der App (wie Vorteile bei der Lockerung von ausgangsbeschränkenden Maßnahmen) zur Verschärfung dieses Freiwilligkeits-Problems bei?
  • wie kann sichergestellt werden das Nicht-Nutzern der App keine Nachteile drohen ?
  • Und wie kann sichergestellt werden, dass ein zunächst freiwillig eingeführtes Tracing nicht im nachhinein doch noch verpflichtend wird?

die Frage der Aufteilung der Gesellschaft

Wier bekommen absehbar eine Dreiteilung der Gesellschaft – in diejenigen, die immun sind, diejenigen die gerade infiziert oder erkrankt sind, und diejenigen die bisher nicht mit dem Coronavirus infiziert waren.

Drei Gruppen mit sehr unterschiedlichen Interessen – von Epiemiologie und Virologie über Gesellschaft bis Ökonomie.

Wie gehen wir in der Gesellschaft damit um, dass es bald eine Teilung entlang der Virologie geben könnte? Kommt es womöglich zu einem neuen Coronavirus Stigma? Einer Spaltung der Gesellschaft? Haben Bürger:innen die immun sind bald mehr Rechte als die anderen? Z.B. per ‚Immunitätsausweis‚, wie ihn der Bundesgesundheitsminister bereits vorgeschlagen hat? Und für den die Bundesregierung kurz darauf bereits die Voraussetzungen geschaffen hat?
Müssen aktuell Infizierte und Erkrankte gar damit rechnen, mit einem sichtbaren Makel herum zu laufen? Oder wird die App auch dafür eingesetzt, Quarantäne zu überwachen?

Eine Tracking App verursachte diese Frage nicht – sie trägt aber dazu bei sie sichtbar zu machen. Und könnte dazu beitragen sie zu vermeiden oder lindern.

mein persönliches Résumé

Eine Coronavirus Tracing App kann womöglich dazu beitragen, dass ausgangsbeschränkende Maßnahmen und andere in Freiheits- und Bürgerrechte massiv eingreifende Maßnahmen zurückgenommen werden können. Erleichtern wenn nicht ermöglichen dass wir in „ein normales Leben zurückkehren“ können.

Solch eine Tracing App kann vermutlich Grundrechte- und Datenschutz- konform, insbesondere auch unter Wahrung der Anonymität realisiert werden.

Wenn weitere Kriterien erfüllt sind (s.o.), insbesondere die zeitliche Begrenzung, und Fragen wie Stigma und mögliche Dreiteilung der Gesellschaft bedacht werden,

scheint mir persönlich unter diesen Bedingungen und in dieser Ausnahmesituation die Verwendung einer Coronavirus Tracing App vertretbar zu sein.

.

CCC 6.4.2020: 10 Prüfsteine für die Beurteilung von „Contact Tracing“-Apps

Reporter ohne Grenzen 6.4.2020: Anonymität und Quellenschutz gewährleisten

FiFF 14.4.2020: Datenschutz-Folgeabschätzung für die Corona App
.

Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

4 Antworten auf „Coronographien 21 – kann eine Coronavirus Tracing App vertretbar sein ?“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert