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Frankreich

Moderne Lebensqualität oder Schuhkarton

Zuletzt aktualisiert am 5. März 2016 von Ulrich Würdemann

“Warum hast du eigentlich so viele Photos von Le Havre in deinem Photo-Album online?”, fragt St. in einer Mail, “ist das deine Lieblings-Stadt?”

Nein, bei weitem nicht.
Ich bin oft und sehr gerne in Frankreich; meine französische Lieblingsstadt war (wie für viele) lange Paris. Inzwischen ist Bordeaux auf den Spitzenplatz gerückt.
Eigentlich mag ich Frankreich aber (auch) wegen der Regionen – da liegen Aquitanien und die Bretagne eindeutig vorn.

Die Sache mit Le Havre ist eine ganz andere Frage.

Bis zum September 2007 kannte ich Le Havre nur von der Landkarte. Es gab keinen Grund dorthin zu fahren – bis uns der Urlaub 2007 dort mehr oder weniger ohne unser Zutun vorbei brachte. Nun doch mit einigem Interesse, hatte ich doch vom Welt-Kulturerbe-Status der Innenstadt gelesen.

Nahezu die gesamte Innenstadt von Le Havre war nach dem Krieg total zerstört. Sie wurde in den 1950er Jahren unter der Leitung des französischen Architekten Auguste Perret völlig neu aufgebaut, später ergänzt u.a. mit ‘le Volcan‘ von Oscar Niemeyer.

Ein Tag im September 2007. Früher Morgen in Le Havre. Wir haben unerwartetes Glück: es ist ‘jour du patrimoine’, was etwa einem Tag des offenen Denkmals entspricht. Nahezu alle architektonischen Sehenswürdigkeiten der Stadt sind geöffnet, viele mit zusätzlichen Führungen und Ausstellungen. Wir schlendern durch die Stadt, und irgendwann beginne ich zu fotografieren. Der Mann fragt irgendwann, sag mal, du knipst ja ganz schön viel, warum eigentlich.
Ja, warum?

Nach Jahren glücklicher Kindheit in einem großen Garten am Rande des Moores zogen meine Eltern in eine dieser Neubau-Siedlungen, wie sie in West-Deutschland in den 1960er Jahren überall entstanden. Ich empfand (und empfinde) diese Siedlung, diese Blocks, diese Wohnungen bald als kalt, abweisend, letztlich menschenverachtend.

Und ich frage mich, wie ich so durch Le Havre spaziere, was macht (nicht nur hier) den Unterschied? Warum vermittelt diese Stadt mir so viel Lebensqualität, Heiterkeit, Angenehmes?

Wann vermittelt die Moderne Lebensqualität, menschengerechtes Zusammenleben?
Und wann kippt es, wann entstehen daraus, aus den teilweise gleichen Ideen, kalte, … Schuhkarton-Wohnfabriken, die soziale Abgründe erzeugen können?

Dieser Frage nachzuspüren versuche ich mit den vielen Photos, von denen einige nun im Photo-Album Le Havre zu sehen sind.

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

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