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Coronographien 13 – Kontaktverbot

Coronavirus Kontaktverbot Kontaktbeschränkung – Ansammlungen von mehr als 2 (!) Personen sind ab Montag 23. März für zunächst mindestens 2 Wochen verboten. In der Öffentlichkeit gilt ein vorgeschriebener Mindestabstand. Darauf haben sich Bund und alle Bundesländer am 22. März verständigt.

Ansammlungen von mehr als zwei Personen sind demzufolge verboten. Ausnahme gelten für Familien sowie Personen, die gemeinsam in einem Haushalt oder einer WG leben (und Nutzung ÖPNV sowie Beerdigungen). In der Öffentlichkeit muss ein Mindestabstand von 1,50 Meter (besser 2m) eingehalten werden.

Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder mit den im Haushalt lebenden Personen gestattet, so Bundeskanzlerin Merkel in der Pressekonferenz am 22. März 2020.

Bayern kündigte an, diese Regelung nicht umzusetzen. Man dürfe sich in Bayern auch weiterhin nur mit Angehörigen des eigenen Haushalts im Öffentlichen Raum bewegen. Auch einige andere Bundesländer haben üpber die gemeinsame Regelung hinaus reichende Regelungen verhängt.

Die Einhaltung soll von Polizei und Ordnungsbehörden überwacht, Verstöße sollen mit hohen Geldstrafen sanktioniert werden.

Die konkrete Rechtsgrundlage ist bisher unklar. Rechtlich zuständig sind die Bundesländer. Gültigkeit ist derzeit mindestens zwei Wochen (NRW: bis 19. April).

Mit der Regelung – statt einer völligen Ausgangssperre – soll die weitere Ausbreitung des Coronavirus eingedämmt werden. Das Problem sei nicht das Verlassen des Hauses (Ausgangssperre), sondern der Kontakt von Personen.

Ähnlich wie Ausgangssperren greift ein Kontaktverbot tief in Grundrechte ein, z.B. in die Bewegungsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit. Oppositionspolitiker mahnen bereits regelmäßige Überprüfungen an.

Die beschlossenen Regelungen zeigen keine eindeutige Exitstrategie auf. Wird sie wieder zurück genommen? Wann? Die Gültigkeit? Vorläufig. Verlängerbar. Unendlich verlängerbar? Unklar. Zurücknahme unter welchen Bedingungen? Unklar.

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COVID19 HIV/Aids ondamaris Texte zu HIV & Aids Politisches

Coronographien 12 – HIV und Coronavirus

Sind Menschen mit HIV-Infektion durch das Coronavirus oder COVID-19 besonders gefährdet? Helfen Aids-Medikamente gegen Corona?


Diagram of the HIV virion – Thomas Splettstoesser (www.scistyle.com) – Own work
CC BY-SA 4.0

einige Informationsquellen zu HIV und Coronavirus:

Informationen zu HIV und Coronavirus in deutscher Sprache:

Deutsche Aidshilfe: Aktuelle Aidshilfe-Infos zu Corona (fortlaufend aktualisiert)

Deutsche Aids-Gesellschaft: Stellungnahme zur Gefährung von Menschen mit HIV durch COVID-19 (12.03.2020, pdf)

JES Bundesverband: Kurzinformation COVID 19 und Drogengebrauch

JES & akzept e.V. & Deutsche Aidshilfe : Corona – Informationen für Drogengebraucher*innen (pdf)

Konferenz der Vorsitzenden von Qualitätssicherungskommissionen der Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland: Informationen zur Opioid-Substitution und Sars-CoV-2/Covid-19 Hinweise für substituierende Ärztinnen und Ärzte (pdf)

Deutsche Aidshilfe 19. März 2020: Coronavirus, Ibuprofen, HIV-Medikamente: Ruhig bleiben, dabeibleiben!

Deutsche Aidshilfe 12. März 2020: Coronavirus und Sex: Fragen an den DAH-Medizinreferenten Armin Schafberger

Deutsche Aidshilfe 28. Februar 2020: Coronavirus und HIV – fünf Fragen an den DAH-Medizinexperten Armin Schafberger

Informationen zu HIV und Coronavirus in englischer Sprache:

UNAIDS: What people living with HIV need to know about HIV and COVID-19

UNAIDS: Rights in the time of COVID-19 – Lessons from HIV for an effective, community-led response

WHO 17. März 2020: Q&A on COVID-19, HIV and antiretrovirals

IAS: COVID-19 and HIV: Webinar series

BHIVA statements on HIV and COVID-19

CDC – FAQ COVID-19: What people with HIV should know

Children’s HIV Association (CHIVA) statement on COVID-19

COVID-19 drug interactions

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NAM aidsmap 13. März 2020: Experts shed light on coronavirus response and its implications for people with HIV

Simon Collins: Sex, HIV and STIs during COVID-19 pandemic

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Coronographien 11 – erste und zweite Änderung Infektionsschutzgesetz 2020

Im März und im November 2020 erfolgte in zwei Schritten die Änderung Infektionsschutzgesetz 2020: das Bundeskabinett beschloss am 23. März 2020 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Der Entwurf wurde am 25. März in drei Lesungen im Bundestag und am 27. März im Bundesrat im Eilverfahren beschlossen und direkt anschließend in Kraft gesetzt. Mit einer zweiten Änderung wurde per 19. November 2020 ein neuer Paragraf 28a eingeführt, der konkrete Maßnahmen benennt und durch eine Gesetzesgrundlage mehr Rechtssicherheit schafft.

Am Sonntag 22. März 2020 einigten sich Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten der Länder unter anderem auch darauf, das Infektionsschutzgesetz zu ändern. Die Verpflichtung zur Übermittlung von Mobilfunkdaten wurde im letzten Moment aus dem Gesetzentwurf gestrichen.

Mehrere Bundesländer hatten im Vorfeld die geplanten Änderungen kritisiert, eine Änderung von Zuständigkeiten sei nicht erforderlich und führe nur zu Verunsicherung. Medien kritisieren, mit dem Gestez würde der Bundesgesundheitsminsietr „zum starken Mann“ gemacht.

Das Bundeskabinett hat den Entwurf (pdf) bereits am Montag 23. März 2020 behandelt und beschlossen. Noch in derselben Woche hat am Mittwoch 25.3. der Bundestag in erster, zweiter und dritter Lesung debattiert. Am Freitag 27.3. wird der Bundesrat im Eilverfahren darüber beschließen. Die Zustimmung des Bundesrats ist erforderlich, da eine neue Weisungsmöglichkeit des Bundes enthalten ist.

Deutscher Bundestag Siotzveretilung 2020 (KingWither – Own work – Lizenz cc-by-sa 4.0

Im Mai 2020 folgte im Kontext der Einführung eines Immunitätsausweises bereits die zweite Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2020.

Änderung Infektionsschutzgesetz 2020 – Einführung einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite

Mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes werden dem Bund weitreichende zusätzliche Kompetenzen eingeräumt. Grundlage ist die neu eingeführte Möglichkeit, eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ (neuer §5) auszurufen. Dies kann erfolgen wenn eine „ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland festgestellt“ wird.

„Die Bundesregierung wird zur Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ermächtigt.“

„Auf Verlangen des Bundestages oder des Bundesrates ist die Feststellung aufzuheben.“

aus dem Gesetzentwurf zur Änderung des infektionsschutzgesetzes, 2. Satz ergänzt bei Lesuing im Bundestag am 24.3.

Medien (zuerst die FAZ) berichteten am 21. März 2020 erstmals von einem 23 Seiten umfassenden Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Der Bund wolle so mehr Kompetenzen an sich ziehen und die Bundesländer entmachten.

Die Ausrufung des Epidemiefalls wird einer Einigung am Montag 23.3. abends zufolge nun nicht wie ursprünglich im Entwurf des BMG geplant durch die Bundesregierung sondern durch den Bundestag erfolgen. In einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ erhält der Bund dann für einen befristeten Zeitraum zusätzliche Kompetenzen.

zusätzliche Kompetenzen für den Bund

Mit der Gesetzesänderung würde der Bund / das Bundesgesundheitsministerium sehr weitreichende Kompetenzen erhalten. Unter anderem wären weitreichende Einschränkungen von Grundrechten möglich

Es gehe unter anderem darum dem Bund zu Lasten der Bundesländer Kompetenz zuzugestehen, so z.B.

  • grenzüberschreitende Personentransporte zu untersagen
  • Verpflichtung einreisender Personen, Reiseroute und Kontakte offenzulegen
  • Kontaktpersonen von Coronavirus-Infizierten per Handy-Ortung zu suchen (contact tracing), Mobilfunkunternehmen sollen zur Datenweitergabe verpflichtet werden
  • zentrale Steuerung der Versorgung mit Arzneimitteln udn Schutzausrüstung
  • Zwangsrekrutierung von medizinischem Personal

Voraussetzung dieser neuen Kompetenzen sei eine „epidemische Lage nationaler Tragweite„. Die Bundesregierung müsse das Vorliegen dieser ‚National-Epidemie‚ erklären.

Mit der Änderung soll der Bundesgesundheitsminister auch ermächtigt werden, Ausnahmen von Gesetzen wie z.B. dem Arzneimittelgesetz zuzulassen – im Alleingang, ohne Hinzuziehen des (Gesetze erlassenden) Parlaments. Zudem soll der Bundesgesundheitsminister selbst ‚Ausnahmen vom Infektionsschutzgesetz‘ erlassen können.

Änderung Infektionsschutzgesetz – Präzisierung zu Ausgangssperren

Das Anordnen von Ausgangssperren oder Ausgangs-Beschränkungen sei nicht im Gesetzentwurf enthalten, so die FAZ.

Allerdings wird §28 (1) [Einschränkung von Grundrechten] in dieser Hinsicht präzisiert. Die ‚zuständige Behörde‘ kann demnach zukünftig Personen verpflichten, „den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen“ oder „bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“.

Änderung Infektionsschutzgesetz – vorerst gestoppt: Mobilfunkdaten an Gesundheitsbehörden

Mehrere Politiker äußerten insbesondere vor dem Hintergrund der Bereitstellung von Handydaten an Gesundheitsbehörden Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes. Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung?

Bundesgesundheitsminister Spahn gehe „sehr hemdsärmelig mit Bürgerrechten um“, so FDP-Politiker Stephan Thomae. Er sprach von einem „unverhältnismäßigen Eingriff in wichtige Persönlichkeitsrechte“. Spahns Plan des Handytracking sei „unausgegoren“, so Konstantin von Notz (Grüne).

Am Sonntag Nachmittag wurde bekannt, dass der Bundesgesundheitsminister auf die Ermittlung von Kontaktpersonen mittels Mobilfunkdaten verzichtet. Er ist aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Kanzlerin und Ministerprädsident:innen hätten es blockiert. Gerade dieser Punkt hatte in sozialen Netzwerken wie auch bei Netzaktivisten für Empörung und Proteste gesorgt.

Ulf Buermeyer, Richter am Berliner Landgericht, zeigte sich erleichtert – ein „missratener Vorschlag“ sei einkassiert.

Bundesjustizministerin Lambrecht betonte das Vorhaben personenbezogene (!) Mobilfunkdaten zu übermitteln werde vorerst nicht weiter verfolgt. Vorerst genüge die Übermittlung anonymisierter Daten. Die Übermittlung personenbezogener Daten schloss sie nicht generell aus. Spahns Vorschlag sei nur „zu früh gekommen„, zudem sei unklar ob er zielführend sei.

Allerdings enthält der Gesetzentwurf einen neuen Passus (neuer § 12 (5a) IGV-Durchführungsgesetz), demzufolge Gesundheitsämter Daten zur Erreichbarkeit von Personen direkt von den Fluggastdatenzentralen erhalten können. Dies ist nicht nur ‚im Verdachtsfall‘ möglich, sondern generell bei ‚Flügen aus betroffenen Gebieten‘.

Spahns Ansinnen ‚Mobilfunk Tracking Daten für Gesundheitsbehörden‚ ist ebenfalls nicht endgültig vom Tisch. Vielmehr soll das Vorhaben in Ruhe durchdacht und dann nach Ostern erneut aufgegriffen werden.

Beispiel könnte Singapur sein – contact tracing per Handy-App.

Zudem wird parallel an der Entwicklung einer ‚GesundheitsApp‘ gearbeitet, mit der infizierte Personen getrackt werden können.

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zweite Änderung Infektionsschutzgesetz 2020 – November 2020

Im November 2020 wurde eine dritte Änderung Infektionsschutzgesetz 2020 beschlossen (Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite).

Die Änderungen wurden in erster Lesung am 6. November 2020 im Bundestag behandelt. Am 18. November 2020 folgte die zweite und die dritte Lesung. Mit einer Mehrheit von 415 Abgeordneten stimmte der Bundestag der Änderung am Infektionsschutzgesetz zu. Direkt anschließend erteilte nachmittags der Bundesrat in einer Sondersitzung seine Zustimmung. Am Abend des gleichen Tages erfolgte die Unterzeichnung (Ausfertigung) durch den Bundespräsidenten. Das Gesetz trat am darauffolgenden Donnerstag 19. November 2020 in Kraft.

Hintergrund der Änderung im November 2020: viele Maßnahmen waren zunächst auf die ‚Generalklausel‚ gestützt. Paragraf 28 legt fest, dass ’notwendige Maßnahmen‘ ergriffen werden dürfen. Konkrete Maßnahmen würden dann durch Verordnungen der Bundesländer ergriffen.
Doch in zahlreichen Bundesländern waren Corona-Maßnahmen von gerichten wieder gekippt worden (z.B. Beherbergungsverbot), z.B. mit der Begründung diese seien unverhältnismäßig oder nicht ausreichend begründet.

Mit der zweiten Änderung Infektionsschutzgesetz 2020 im November 2020 wird ein neuer Paragraf 28a eingeführt. In diesem werden einzelne mögliche Maßnahmen konkret benannt. Zu den benannten und dadurch gesetzlich verankerten Maßnahmen gehören

  • Abstandsgebote
  • Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum
  • Beschränkungenen oder Untersagungen von Übernachtungsangeboten, Reisen, Kultur-, Sport- und Freizeitveranstaltungen
  • Schließung von Geschäften
  • Anordnen einer Maskenpflicht im öffentlichen Raum

Die Maßnahmen basieren damit nicht mehr unspezifisch auf der Generalklausel sondern erhalten damit eine vom Parlament verabschiedete Gesetzesgrundlage (statt zuvor Verordnungnen der Länder; Schaffung von Rechtssicherheit). Die (umsetzenden) Verordnungen der Bundesländer müssen nun zeitlich befristet (grundsätzlich 4 Wochen, verlängerbar) und begründet sein (diese Begründungs- und Limitierungspflicht bestand zuvor nicht).

Änderung Infektionsschutzgesetz als Zeichen der Depolitisierung ?

Professor Christoph Möllers (HU Berlin) kritisiert unter dem Titel ‚parlamentarische Selbstentmächtigung‚ zahlreiche Bestimmungen der Änderugn des Infektionsschutzgesetzes und spricht von zunehmender Depolitisierung:

„Dass all diese Kompetenzen, die im Notfall wie jetzt im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit stehen, von einem einzelnen Ministerium ausgeführt werden können, das sich nur noch mit der eigenen Hierarchie und punktuell mit dem ins Einvernehmen zu setzenden anderen Ministerien auseinanderzusetzen hat, führt die Depolitisierung weitreichender Entscheidungen auf die Spitze.“

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Ein Detail-Problem: Kontaktverbote und Ausgangssperren kann und wird man irgendwann zurücknehmen. Glaubt irgendwer, dass eine einmal eingeführte Übermittlung von Bewegungsdaten aus Mobilfunk an Gesundheitsbehörden jemals wieder zurückgenommen wird?

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Das Infektionsschutzgesetz (IfsG, Gesetzestext IfsG) regelt die Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Es legt u.a. fest welche Krankheiten meldepflichtig sind, welche Angabe gemacht und wie übermittelt werden. Es trat am 1. Januar 2001 in Kraft und ist Nachfolger des 1961 bis 2000 geltenden Bundesseuchengesetzes.

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siehe auch

Überwachung von Infizierten

Datenschutz und Bewegungsprofile

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Coronographien 10 – Versammlungsfreiheit

Die Versammlungsfreiheit ist Ausdruck und Kernbestandteil freiheitlicher Demokratie. Wie steht es in Zeiten der Epidemie mit dem Coronavirus um Versammlungsfreiheit ?

Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht

Die Versammlungsfreiheit ist in Artikle 8 Absatz 1 des Grundgesetzes geregelt. Sie stellt ein Grundrecht dar.

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“

Grundgesetzt Artikel 8 (1)

Zudem gewährleistet Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention die Versammlungsfreiheit:

„Jede Person hat das Recht, sich frein und freidlich mit anderen zu versammeln …“

Europäischen Menschenrechtskonvention Artikel 11 (1)

Die Versammlungsfreiheit ist Grundbestandteil der politischen Willensbildung (Demonstrationsrecht, Demonstrationsfreiheit).

Gemäß Grundgesetz kann die Versammlungsfreiheit in der Öffentlichkeit beschränkt werden:

„Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. “

Grundgesetzt Artikel 8 (2)

Versammlungen unter freiem Himmel müssen angemeldet, nicht aber genehmig werden. Für die Beschränkung der Versammlungsfreiheit muß ein Gesetz Grundlage sein. In der Regel ist dies ein Versammlungsgesetz (auf der Ebene Bund oder seit der Föderalismusreform 1.9.2006 Länder).
Zur Durchsetzung kann die Polizei herangezogen werden, ein Einsatz der Bundeswehr zur Beschränkung der Versammlungsfreiheit ist nicht verfassungsgemäß.

Die große Bedeutung der Versammlungsfreiheit wurde mehrfach durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt (z.B. -> Brokdorf-Urteil 1985).

Die Versammlungsfreiheit kann durch Versammlungsverbote (gemäß §5 und §15 Versammlungsgesetz) oder Ausgangssperren eingeschränkt werden.

Coronavirus und Versammlungsfreiheit

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wurde zu Beginn der Coronavirus-Epidemie in zahlreichen Bundesländern eingeschränkt.

Rechtsgrundlage dieser Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch Landesbehörden infolge der Coronavirus-Epidemie ist i.d.R. das Infektionsschutzgesetz IfsG. Demzufolge kann die ‚zuständige Behörde‘

„auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. … Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) werden insoweit eingeschränkt.“

§ 28 IfSG, Auszug

Dabei gilt, dass die Beschränkung verhältnismäßig sein muss, personell, räumlich und zeitlich bestimmt und begrenzt. Insbesondere sind nur vorübergehende Maßnahme zulässig „bis andere Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“ (IfsG).

So wurde z.B. in Hamburg am 12. März 2020 die ‚Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen und Versammlungen zur Eindämmung des Coronavirus‘ (pdf) erlassen.


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Coronographien 9 – Ausnahmezustand

Die Coronavirus Epidemie ist eine Ausnahmesituation – aber auch ein Cortonavirus Ausnahmezustand ?

„Es ist schon sehr schwer.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel schaut sehr ernst bei ihrer Fernsehansprache zur Coronavirus Epidemie am Mittwoch 18. März 2020. „Die nächsten Wochen werden noch schwerer.“

Die Situation ist ohne Zweifel eine Ausnahmesituation. Aber auch ein Ausnahmezustand?

Bei einem Ausnahmezustand werden Existenz oder wesentliche Grundfunktionen eines Staates als bedroht angesehen. Der Begriff Ausnahmezustand wird oft gleichbedeutend mit dem Begriff Notstand verwendet.

Im Grundgesetz gibt es den Begriff Ausnahmezustand nicht.

Am 30. Mai 1968 verabschiedete zur Zeit der Großen Koalition der Deutsche Bundestag nach massiven Protesten (insbesondere der ‚außerparlamentarischen Opposition APO) die so genannten ‚Notstandsgesetze‚ (‚Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes‘).

Coronavirus Ausnahmezustand? - 1968 wurde massiv gegen die geplanten (und dann beschlossenen Notstandsgesetze demonstriert
Coronavirus Ausnahmezustand? – 1968 wurde massiv gegen die geplanten (und dann beschlossenen Notstandsgesetze demonstriert
‚Treibt Bonn den Notstand aus!‘ Aufkleber mit Aufruf zum Sternmarsch nach Bonn gegen die Notstandsgesetze. Kuratorium „Notstand der Demokratie“ Bundesrepublik Deutschland, Mai 1968 Papier, Kunststoff 7,4 x 10,4 cm Haus der Geschichte, Bonn

Die mit den Notstandsgesetzen herbeigeführten Änderungen des grundgesetzes ermöglichen unter genau spezifizierten Umständen zum Beispiel

  • den Einsatz der Bundeswehr im Innern,
  • gesetzgebende Funktionen von Bundestag und Bundesrat können von einem ‚Gemeinsamen Ausschuß‘ übernommen werden.
  • die Einschränkung einiger Grundrechte, ohne weiteren Rechtsweg.

Die einschränkbaren Grundrechte sind

  • Briefgeheimnis und
  • Post- und Fernmeldegeheimnis (Grundgesetz Artikel 10)
  • Freizügigkeit (Grundgesetz Artikel 11)

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Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen Michelle Bachelet, Chirurgin und 2006 bis 2010 sowie 2014 bis 2018 Präsidentin Chiles, betonte am 16. März 2020, Ausnahmezustand und Notstand dürften nicht dazu missbraucht werden, Menschenrechte zu unterdrücken.

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Disclaimer

Ich bin juristischer Laie. Diese Texte dienen nur der Information und Wiedergabe meiner Meinung. Sie sind lediglich allgemeiner Natur und stellen keine Rechtsberatung dar. Konsultieren Sie im Bedarfsfall einen Anwalt.


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Coronographien 8 – Bundeswehr in Innern

Kann in Ausnahmesituationen, z.B. Epidemie Coronavirus Bundeswehr im Innern eingesetzt werden, neben der Polizei werden ?

Coronavirus Bundeswehr im Innern – welche Rechtsgrundlage gäbe es?

Die Verwendung der Bundeswehr im Inneren sieht das Grundgesetz in genau zwei Fällen vor:

  • Verteidigungs- oder Spannungsfall, geregelt in Artikel 115 a (1), und
  • Wahrnehmung bestimmter Ausgaben im Inneren (kein Verteidigungs- oder Spannungsfall), geregelt in Artikel 87a (3), mit strengem Verfassungsvorbehalt.

„Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“

Grundgesetz Artikel 87 a (2)

„Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Absatz 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.“

Grundgesetz Artikel 87 a Absatz 4

Im Fall des Einsatzes im Inneren ohne Spannungs-oder Verteidigungsfall (wie, wenn überhaupt, in der Situation der Coronavirus-Epidemie), bestehen genau drei Möglichkeiten gemäß Grundgesetz:

  • Amtshilfe (Artikel 35 (1)),
  • militärische Bekämpfung nichtstaatlicher Gegner der freiheitlichen ordnung (Artikel 87 a (4)) [innerer Notstand = Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung], und
  • Naturkatastrophe oder besonders schwerer Unglücksfall (Artikel 35 (2,2) & 3) [Katastrophenhilfe]

Im (für die Situation der Coronavirus-Epidemie am ehesten in Betracht zu ziehenden) Fall der Naturkatastrophe hat das Bundesverfassungsgericht noch 2006 die Verwendung explizit militärischer Mittel dezidiert abgelehnt (nur ‚Hilfspolizist‘).
Seit 3. Juli 2010 (Parlaments- Entscheidgung) ist der Einsatz militärischer Mittel nur als ultima ratio möglich.

Erst seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2012 darf die Bundeswehr überhaupt im Inneren hoheitliche Aufgaben übernehmen – unter der Bedingung von Attentaten von „katastrophischem Ausmaß„.

Polizei in Land und Bund

Das Polizei– und Ordnungsrecht ist in Deutschland Sache der Bundesländer. Zusätzlich ist die Bundespolizei (früher Bundesgrenzschutz) beim Bundesministerium des Inneren angesiedelt.

Vollkommen unabhängig vpon Landes- und Bundes-Polizeistrukturen sind die Feldjäger als Militärpolizei. Sie besitzt gegenüber Nicht-Bundeswehr-Angehörigen im Friedensfall keinerlei Weisungsbefugnis (Ausnahem zur prümären Aufgabenerfüllung, z.B. militärischen Sicherheitsbereich errichten).

Im Fall einer ‚drohenden Gefahr für den Bestand des Bundes‘ ermöglicht Artikel 91 (2) Grundgesetz der Bundesregierung, die Befehlsgewalt über die Polizei an sich zu ziehen und auch Bundespolizei einzusetzen. Militärische Strukturen werden nicht genannt.

Trennung von Polizei und Militär – eine historische Erfahrung

Die strikte Trennung von polizeilichen und militärischen Aufgaben, wie sie das Grundgesetz (bis auf wenige genau geregelte Ausnahmen, s.o.) vorsieht, beruht auf historischer Erfahrung.

Die Staatsaufgabe Innere Sicherheit ist laut Grundgesetz Aufgabe der Polizei. Aufgabe der Bundeswehr ist die Außenverteidigung der Bundesrepublik Deutschland.

In der Verfassung der Weimarer Republik (wie zuvor auch des Kaiserreichs) gab es diese strikte Trennung nicht.

Die Folge, nicht erst in der NS-Zeit: immer wieder wurde das Militär auch im innern eingesetzt, um staatliche Gewalt durchzusetzen – gerade auch gegen politische Demonstrationen.

Dies zukünftig zu verhindern, ist Grundgedanke der strikten Trennung von polizeilichen und militärischen Funktionen im Grundgesetz

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Coronavirus und Bundeswehr – wie lange halten die verfassungsrechtlichen Grenzen?

Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer betonte Mitte März 2020, Sicherheit und Ordnung seien Sache der zivilen Sicherheitsbehörden.

Doch es gab bereits Anfragen in dieem Bereich. Vom Bundesland Thüringen sei die Bitte gekommen, Soldaten zur Bewachung einer Erstaufnahmeinrichtung für Asylbewerber in Suhl abzustellen. Juristen des Ministeriums hätten die Anfarge als nicht genehmigungsfähig beurteilt.

Am 26. März betonte Bundesverteidigungsministerium Annegret Kramp-Karrenbauer, es sei vorerst nicht die Zeit über größere Befugnisse der Bundeswehr im Innern zu diskutieren. Jetzt sei aktute Krise.

Ebenfalls am 26. März wird bekannt, dass der Innenminister von Baden-Württemberg mit Bundesverteidigungsminsiterin Kramp-Karrenbauer gesprochen hat – über Möglichkeiten der Bundeswehr, die Polizei im Land zu unterstützen.

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Die Bundeswehr stelle 15.000 Soldat:innen insbesondere aus Sanitätsdienst und Logistik ab für die Bekämpfung der Coronavirus-Epidemie, teilte Bundesverteidigungsministerin Kram-Karrenbauer am 2. April 2020 mit.

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Coronographien 7 – Internet

Ist in Zeiten des Coronavirus der Internet Zugang gesichert, und zwar generell und in ausreichender Geschwindigkeit?

Wie sicher ist die Internet-Versorgung während der Coronavirus-Epidemie?

Mehr Datentransfer in Zeiten der Coronavirus Epidemie

Kommunikation und Koordination versorgungsrelevanter Dienste stehen im Vordergrund und nehmen an Volumen zu.

Unternehmen ersetzen Meetings und Konferenzen zunehmend durch Videokonferenzen. Der Datenverkehr aufgrund von Videokonferenzen habe sich verdoppelt, berichtet DE-CIX. Mitarbeiter arbeiten nicht mehr vor Ort im Büro, sondern im Home Office.

Bürger:innen, in Zeiten von ‚sozialer Distanz‚ (und noch mehr in Folge denkbarer Ausgangssperren), nutzen vermehrt soziale Netzwerke, onlien- Spiele und Streamingdienste.

In der Schweiz war es Mitte März zu Ausfällen gekommen. Netzbetreiber SwissCom hatte daraufhin Kunden zu ‚vernünftiger Nutzung‘ aufgerufen. Der Schweizer Bundesrat hatte als ‚ultima ratio Blockade von Streaming‘ angedroht.

Ist die Versorgung mit Internet in Deutschland sicher und stabil? Für alle?

Streaming verlangt hohe Datentransfers

Dass Streamen eines Films über das Internet erfordert in Abhängigkeit von der Bildqualität hohe Datentransfers. Netflix empfiehlt z.B. für Filme in HD-Qualität 5 MBit / s, bei Standard-Auflösung SD hingegen 3 MBit / s.

Für Filme in UHD-Qualität sind sogar Netflix zufolge 25 MBit / s sinnvoll.

Internet-Knoten in Deutschland: wir sind gerüstet

Der deutsche Internetknoten Deutsche Commercial Internet Exchange (DE-CIX) ist der zentrale Austauschpunkt für den Datenverkehr des Internets in Deutschland.

Coronavirus Internet Zugang gewährleistet? - Optisches Patchpanel am AMS-IX - Fabienne Serriere - http://fbz.smugmug.com/gallery/4650061_iuZVn/5/282300855_hV8xq#282337724_tZqT2 - Lizenz  CC BY-SA 3.0


Optisches Patchpanel am AMS-IX – Fabienne Serriere – http://fbz.smugmug.com/gallery/4650061_iuZVn/5/282300855_hV8xq#282337724_tZqT2 – Lizenz CC BY-SA 3.0 (AMS-IX ist der Internetknoten der Niederlande; Foto 2008)

DE-CIX ist was den Datendurchsatz betrifft der größte Internetknoten der Welt. Träger ist ‚eco – Verband der Internetwirtschaft‘.

DE-CIX sieht sich auch für steigende Datentransferraten gerüstet:

„Even if all companies in Europe were to operate exclusively remotely with staff all working from home, and the UEFA European Football Championship were to be broadcast in parallel, we would still be able to make the necessary bandwidth available for seamless interconnection.

DE-CIX FAQ zu COVID-19, zuletzt geprüfdt 19.3.2020

Die Kapazitätsplanung sei sehr solide. Auf eine 40prozentige Kapazitätssteigerung sei man vorbereitet. Bei einer Auslastung von 63% werde nachgerüstet.

Die Kapazitäten könnten zudem im Bedarfsfall zügig ausgebaut werden. Derr Betrieb sei weitgehend automatisiert (automatisierte Wartungsroboter) oder per Remote-Zugriff möglich. Nur in seltenen Fällen seien manuelle Eingriffe vor Ort erforderlich.

DE-CIX teilte mit, bisher sei am Knoten IX Frankfurt der durchschnittliche Datenverkehr (Datendurchsatzrate) in Folge der Epidemie um etwa 10% angestiegen.
Der Datenverkehr durch Videokonferenzen allerdings sei binnen 7 Tagen um 50% gewachsen. Der Datentransfer in Folge von online- und Cloud Gaming sowie Nutzung sozialer Netzwerke sein um 25% angesteigen.

Datenreduzierung ?

In der EU-Kommission gibt es Überlegungen, bestimmte Datenströme zu reduzieren, um systemrelevante Dienste stabil und sicher aufrecht erhalten zu können.

So könnte die Bildqualität im Streaming bei (zu) starker Inanspruchnahme von Bandbreiten automatisch von HD-Qualität auf SD gesenkt werden.

Die EU-Kommission rief Streaming-Anbieter bereits dazu auf, mit Internetanbietern zusammen zu arbeiten, um ggf. Einfluß auf den datzendurchsatz zu nehmen.

Netflix, YouTube und Amazon Prime Video kündigten am 21.3. an, für einen begrenzten Zeitraum in Europa die Übertragungsqualität von Videos zu reduzieren. Facebook (inkl. Instagram) zog am 22. März nach.
Netflix beendete die Drosselung der Bitrate am 15. Mai 2020.

Datennutzung im Mobilfunk Netz

In den Mobilfunk-Netzen scheint die Datennutzung eher zu sinken als zu steigen. Darauf deuten zumindest darten des Netzbetreibers Vodafone hin.

Vodafone teilte am 19. März mit, die Sprachnutzung im Mobilfunknetz sei zwar um 35% gestiegen. Der Datentransfer sei jedoch zurück gegangen.

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Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen UNHCR betrachtet den freien Zugang zum Internet als Menschenrecht (Resolution, pdf).

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Coronographien 6 – Ausgangssperre

Ist eine Coronavirus Ausgangssperre denkbar? Welche rechtlichen Grundlagen könnte sie haben?

Als Ausgangssperre wird ein Verbot bezeichnet, öffentliche Plätze, Straßen etc. zu betreten (Betretungsverbot), oder zu bestimmten Zeiten auszugehen (Ausgangsverbot).

Ausgangssperren können zeitlich befristet sein (z.B. abends bis morgens). Bestimmte Personengruppen (z.B. ’systemrelevante Berufe‘ können ausgenommen werden.

Ausgangssperren greifen tief in Grundrechte ein, z.B. in die Bewegungsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit.

Coronavirus Ausgangssperre – denkbare rechtliche Grundlagen

Rechtliche Grundlage für Ausgangssperren können auch in Notstandsgesetzen oder dem Ausrufen eines Ausnahmezustands liegen.

Katastrophenfall

Eine Regelung für die Erklärung eines Katastrophenfalls gibt es in Deutschland auf Länder-Ebene (i.d.R. jeweilige Landes-Verfassung), nicht jedoch auf Bundes-Ebene.

Auf Bundesebene wäre eine Berufung auf die am 30. Mai 1968 trotz starker Proteste beschlossenen Notstandsgesetze denkbar. Diese sind allerdings eher für militärische als für zivile Katastrophen gedacht (die Ländersache sind). In der bisherigen Geschichte der BRD ist ihre Anwendung bisher noch nie vorgekommen. [vgl. dazu auch Coronavirus – Bundeswehr im Innern?]

Allerdings erlaubt Artikel 35 Grundgesetz die Ausrufung des so genannten Katastrophen-Notstands (Innerer Notstand bzw. Katastropenfall). Demzufolge kann die Bundesregierung (in Kombination mit Art. 91 bzw. Art. 35) über die Zusammenarbeit mit den Ländern hinaus die Bekämpfung eines überregionalen Katastrophenfalls an sich ziehen.
Denkbar wäre hier die Betrachtung der Coronavirus-Epidemie als ‚Naturkatastrophe in Zeitlupe‚, wie der Virologe Christian Drosten vorschlug. Prof. Pierre Thielbörger (Ruhr-Uni Bochum) verwies zudem auf die Möglichkeit, im Fall des drohenden Zusammenbruchs des öfentlichen Gesundheitssystems von einer ‚drohenden Gefahr für den Bestand es Bundes‘ (Art. 91 (1) auszugehen.

Am Freitag 20. März mittags 12:35 Uhr wurde das Katastrophen- Warn- ud Informationsdienstews KATWARN (das ausschließlich öffentliche Warnungen von Behörden und Dienststellen versendet) für Informationen zur Coronavirus-Epidemie genutzt.

Infektionsschutzgesetz

Angeordnet werden könnten Ausgangssperren auf Basis des Infektionsschutzgesetzes. Dort heißt es in Paragraph 28 unter anderem, die ‚zuständige Behörde‘

„kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. … Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) werden insoweit eingeschränkt.“

§ 28 IfSG, Auszug

Auch bei Maßnahmen nach Infektionsschutzgesetz kann der Bund bisher nur Empfehlungen aussprechen. Die Umsetzung und Durchführung ist bisher Sache der Bundesländer.
An der Kompetenzverteilung in Sachen Ausgangssperren soll vermutlich auch im Rahmen der Kompetenzverschiebung hin zum Bund durch die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes nichts verändert werden.

Mit dem derzeit debattierten Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes 2020 werden die Bestimmungen zu Ausgangssperren präszsiert.
Die ‚zuständige Behörde‘ kann demnach in der Neufassung §28 (1) zukünftig Personen verpflichten, „den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen“ oder „bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“.

Dabei gilt, dass die Beschränkung verhältnismäßig sein muss, personell, räumlich und zeitlich bestimmt und begrenzt. Eine allgemeine Ausgangssperre findet sich im Infektionsschutzgesetz nicht.

Alle bisher (19. März 2020) ausgesprochenen Schulschließungen, Abstandsregelungen etc. wurden m.W. mit dem infektionsschutzgesetz begründet. Gleiches gilt für die Ausgangsbeschränkungen in Bayern.

Östereich: COVID-19 – Maßnahmengesetz als Basis für ausgangsbeschränkende Maßnahmen

Seit 16. März 2020 ist in Österreich das COVID-19 – Maßnahmengesetz in Kraft. Der Gesundheitsminister darf Personen das Betreten ebstimmter Orte untersagen.

Ausgangsbeschränkende Maßnahmen finden hier ihre Rechtsbasis. Sie sidn geregelt in der ‚Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes‘.

Coronavirus Ausgangssperre – weitere Fragen

Abwägung – dass eine Maßnahme womöglich geeignet ist (z.B. die Ausbreitung eines Virus zu verlangsamen) beduetet noch nicht zwangsläufig dass sie auch verhältnismäßig oder erforderlich ist.

Ist eine Ausgangssperre epidemiologisch / medizinisch von Nutzen? Die Frage ist umstritten. Prof. Andreas Stang, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie und Chef-Epidemiologe der Uniklinik Essen „Der zu erwartende Zusatznutzen kann hier nicht wirklich quantifiziert werden“.

Der Staatsrechtler Ulrich Battis von der Humboldt-Universität Berlin hält Klagen gegen Einschränkungen von Grundrechten für wenig aussichtsreich. In der Passauer Neuen Presse (19. März 2020) bemerkte er, das Notfallkonzept sei seiner Ansicht nach zwingend, verhältnismäßig und sehr einleuchtend.

Bei Begründung von Ausgangssperren mit dem Infektionsschutzgesetz: Dr. Andrea Edenharter (FernUni hagen) weist im Verfassungsblog darauf hin, dass dies die Kurzfristigkeit der Maßnahme impliziere: „bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“ (was z.B. Tracking von Coronavirus Infizierten sein könnte). Beim Coronavirus handele es sich jedoch um eine lang andauernde Bedrohung.
Sie hält die Ausgangssperre (hier: Fall Tirschrenreuth) für verfassungswidrig, da diese „in unverhältnismäßiger Weise in die Freiheitsrechte der betroffenen Bewohner eingreift“.
Die Eindämmung des Virus müsse im Einklang mit dem Grundgesetz erfolgen.

Wie sieht die Exit-Strategie aus? Für welchen Zeitraum besteht die Ausgangssperre? Unter welchen Bedingungen wird sie für wen und wie lange aufgehoben?

allgemeine rechtliche Rahmenbedingungen z.B.

  • Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen – Infektionsschutzgesetz (IfSG vom 20. Juli 2000, BGBl. I S. 1045)
  • Allgemeine Verwaltungsvorschrift über die Koordinierung des Infektionsschutzes in epidemisch bedeutsamen Fällen (Verwaltungsvorschrift- IfSG-Koordinierung – IfSG Koordinierungs- VwV) vom 12. Dezember 2013 (BAnz AT 18.12.2013 B3)
  • Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (IGV-Durchführungsgesetz – IGV-DG) vom 21. März 2013 (BGBl. I S. 566),
  • Gesetz zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) vom 23. Mai 2005 (IGVG 2005) vom 20. Juli 2007 (BGBl. II S. 930)
  • Nationaler Pandemieplan 2016/2017

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Eine neue Dimension erhält die Frage der Ausgangssperren, wenn sie mit der Frage der Bereitstellung, Analyse und etwaigen Sanktionierung von daten aus Bewegungsprofilen z.B. der Mobilfunkanbieter kombiniert wird …

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Über aktuelle Warnungen der Bundesregierung informiert eine Internetseite.

Alle 2mecs-Texte zur Coronavirus Epidemie COVI19 hier

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Disclaimer

Ich bin juristischer Laie. Diese Texte dienen nur der Information und Wiedergabe meiner Meinung. Sie sind lediglich allgemeiner Natur und stellen keine Rechtsberatung dar. Konsultieren Sie im Bedarfsfall einen Anwalt.

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Coronographien 5 – Prostituierte fordern Unterstützung

Terre des Femmes – Menschenrechte für die Frau e.V. fordert in einer Pressemitteilung, die Bundesregierung solle „umgehend weitere Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung von Prostituierten“ beschließen. Die Schließung von Prostituionsstätten wurde begrüßt.

Es kann nicht sein, dass man Prostituierte, die in einem Bordell tätig sind, von heute auf morgen im Stich lässt. Die meisten werden nicht von dem deutschen Sozialsystem aufgefangen und rutschen in prekäre Verhältnisse ab“, so Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES. „Eine plötzliche Schließung von Bordellen, wie sie jetzt verordnet wurde, führt zur sozialen Katastrophe für betroffene Frauen. Sie muss unbedingt durch weitere Sozialmaßnahmen begleitet werden. Deswegen fordern wir als Frauenrechtsorganisation auch das sog. ‚nordische Modell‘, als Ausweg aus der Prostitution: weil es wichtige flankierende Maßnahmen mit sich bringt, wie die Bestrafung der Sexkäufer, um die Nachfrage nach käuflichem Sex zu senken und gutfinanzierte Ausstiegsprogramme für Prostituierte.“
[Pressemitteilung Terre des Femmes]

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Die Deutsche Aids-Hilfe DAH hatte dementgegen – damals noch ohne Bezug auf die Corona-Krise – Anfang Januar 2020 das ‚nordische Modell‘ abgelehnt.

Das Angebot sexueller Dienstleistungen werde durch ein Sexkaufverbot nicht weniger, sondern verlagere sich ins Verborgene, so die DAH. Prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse würden verschärft, die Betroffenen würden weiter marginalisiert. [Pressemitteilung DAH]

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Coronographien 4 – Bürgerrechte

Das Coronavirus Sars-CoV-2 und seine (möglichen) Folgen (insbes. COVID-19) verändern derzeit massiv unsere Gesellschaft, unser Miteinander. Zwei Schlagworte kennzeichnen die grundlegende Entwicklung derzeit: „freiwillige soziale Distanz“ und „Einschränkung demokratischer Bürgerrechte„.

Hier Teil 2 zu Coronavirus und Bürgerrechte [Teil 1 zu Coronavirus und soziale Distanz hier]

zweitens: ich lasse mir meine Bürgerrechte nicht auf Dauer nehmen

Coronavirus und Bürgerrechte – Freiheitseinschränkende Maßnahmen werden in atemberaubendem Tempo beschlossen. Bürgerrechte und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt. Ausgangssperren schon für ‚möglich‘ erklärt (§28 Infektionsschutzgesetz).

Maßnahmen, kaum von kritischer Debatte begleitet.

Was noch vor ganz kurzer Zeit unvorstellbar war, scheint heute neue Normalität.

Mit „freiwilliger sozialer Distanz„, Ausgangs- und Versammlungsverboten ist auch gefährdet – eine Grundlage unserer Demokratie. (Und das Internet ersetzt dies nur marginal und bei weitem nicht für jede:n).

„Einheitliche Strategie unter einheitlicher Führung“ verlangen Spittzenpolitiker. Überwachung von Infizierten und Kranken durch den Geheimdienst (in mehreren Staaten) – kaum jemand staunt. Bewegungsprofile von Handynutzer:innen werden in Deutschland und Österreich an die Regierung weitergegeben. Und immer wieder klingt die Sehnsucht nach Durchgreifen und harten Maßnahmen an.

Wir verlieren immer mehr an persönlicher Freiheit, an Autonomie, an Grundrechten, an – gesellschaftlichem Leben.

Agora - Coronavirus und Bürgerrechte
Coronavirus und Bürgerrechte – die Agora (Markt- und Versammlungsplatz), Merkmal der Polis und Ort der Bürgerrechte
Athens Roman Agora 4-2004 1 – open street map – Lizenz CC BY-SA 3.0

Nein wir sind nicht die Borg. Totale Assimilation, gleiches Verhalten (siehe oben, einheitliche Strategie, einheitliche Führung) ist nicht unser Ziel. Verraten wir nicht unsere jeweils eigene Individualität. Unsere Bürgerrechte.

Wie oben: in der momentanen Situation mag das angebracht sein – aber was ist damit auf lange Sicht?

Die beschlossenen Einschränkungen könnten notfalls zwei Jahre in Kraft bleiben, lässt uns das RKI am 17. März wissen [Tageschau LiveBlog 17.3., 11:02]. Es bezeichnet das als ‚Extremfall‘ – aber wieviele Maßnahmen, die noch letzte Woche extrem schienen, sind längst Realität …

Was macht es mit einer Gesellschaft, mit unserer Gesellschaft, auf längere Zeit mit dermaßen grundlegenden Einschränkungen zu leben?

Passen wir auf dass unsere demokratischen Rechte nicht unterhöhlt werden.

Sorgen wir dafür dass wir weiterhin die Möglichkeit haben unsere Bürgerrechte auszuüben. Uns zu versammeln, uns auszutauschen, zu diskutieren und vor allem auch zu streiten, verschiedener Meinung zu sein.

Gibt es überhaupt irgend eine Exit-Strategie aus der Einschränkung der Bürgerrechte? Wie sieht die aus? Wann greift sie?

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Herzlichen Dank an Jan und Marcel für Anregungen !