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Stonewall 1969 – “The big news here is Gay Power”

Zuletzt aktualisiert am 26. Februar 2023 von Ulrich Würdemann

“we’re part of a vast rebellion of all the repressed” – mit diesen Worten beschreibt der US-amerikanische Schriftsteller Edmund White in einem Brief, was sich Ende Juni 1969 am New Yorker Stonewall Inn abspielte – den Beginn dessen, was heute als CSD gefeiert wird.

Die CSD-Saison hat bereits begonnen, viele größere und kleine Städte feiern wieder den “Christopher Street Day”. Feiern – und über das Feiern ist der Ursprung dessen, was heute Selbstverständlichkeit scheint, weitgehend in Vergessenheit geraten: das Aufbegehren von Schwulen gegen Polizei-Willkür am Stonewall Inn. Erst seit kurzem ist ein Brief breit verfügbar, in dem US-Schriftsteller Edmund White 1969 über die Vorgänge berichtet.

New York Ende der 1960er Jahre. Immer wieder führt die Polizei Razzien durch in Bars, die als Homosexuellen-Treffpunkte gelten. Drangsalierungen, Erniedrigungen, Diskriminierungen. So auch in der Nacht des 27. auf den 28. Juni 1969. Wieder einmal Polizei-Razzia im ‘Stonewall Inn’ in der Christopher Street im New Yorker Greenwich Village.

Doch in dieser Nacht war etwas anders. Anders als zuvor kuschten die Gäste nicht, beugten sich nicht der Willkür der Polizei – sondern wehrten sich. Was folgte, beschreibt wikipedia

“Im und vor dem Stonewall Inn begann in der Nacht vom Freitag, den 27. Juni zum Samstag, den 28. Juni 1969 gegen 1:20 Uhr der Stonewall-Aufstand, der mit Unterbrechungen bis zum 3. Juli dauerte. Regelmäßige Polizeirazzien mit Aufnahme der Personalien und Beleidigungen der Gäste waren der Auslöser für den ersten ernst zu nehmenden Widerstand von Schwulen gegen willkürliche diskriminierende Behandlung durch die Staatsmacht und damit der Beginn der Lesben- und Schwulenbewegung. Der Aufstand zeigte sofortige Wirkung. Weitere Proteste gab es Anfang Juli und einen Monat später, am 27. Juli organisierte eine Gruppe von Lesben und Schwulen den ersten „Gay March“ vom Washington Square zum Stonewall.[1] Ein Jahr danach fanden die ersten Gay Pride-Umzüge in New York und anderen Städten statt. Der Name „Stonewall“ wird heute international genutzt, um Veranstaltungen für Lesben und Schwule zu bezeichnen.”

Stonewall Inn, Januar 2003 (Foto: Montrealais, Lizenz: CC-by-sa)
Stonewall Inn, Januar 2003 (Foto: Montrealais, Lizenz: CC-by-sa 3.0)

Stonewall Inn 2003Montrealais – CC BY-SA 3.0

Einen sehr authentischen Eindruck dessen, was im und am Stonewall Inn vor sich ging, vermittelt ein erst seit kurzem breit verfügbares Dokument: ein Brief, den der us-amerikanische Schriftsteller Edmund White am 8. Juli 1969, nur wenige Tage nach den Ereignissen, an ein befreundetes Paar schreibt. Eindrücklich beschriebt White damals, was sich in der Nacht und an den folgenden tagen ereignet. Ein kurzer Eindruck:

“… Someone shouted “Gay Power,” others took up the cry–and then it dissolved into giggles. A few more gay prisoners–bartenders, hatcheck boys–a few more cheers, someone starts singing “We Shall Overcome”–and then they started camping on it. A drag queen is shoved into the wagon; she hits the cop over the head with her purse. The cop clubs her. Angry stirring in the crow. The cops, used to the cringing and disorganization of the gay crowds, snort off. But the crowd doesn’t disperse. …”

Und später

“Some straight toughs rough up some queens. The queens beat them up.”

Edmund White gilt als einer der bedeutendsten schwulen Autoren des 20. Jahrhunderts (u.a. 1978 ‘Notturono für den König von Neapel’, 1977 mit Charles Silverstein ‘The Joy of gay sex’). White ist u.a. einer der Gründer von GMHC ‘Gay Men’s Health Crisis’, einer der ältesten und größten Non-Profit- Organisationen zur Unterstützung von Menschen mit HIV und Aids. White selbst weiß seit 1985 von seiner HIV-Infektion und lebt offen HIV-positiv.

Stonewall Inn – Monument unter Denkmalschutz

Das Stonewall Inn wurde aufgrund seiner großen Bedeutung für die Geschichte der Schwulenbewegung 1999 als ‘National Historic Landmark’ in das ‘Nationale Register historischer Stätten der USA” aufgenommen. Im Juni 2015 wurde das Stonewall Inn unter Denkmalschutz gestellt.

Der scheidende US-Präsident Obama hat anlässlich des Gay Pride im Juni 2016 das Stonewall Inn und das umliegende Gebiet zum ersten ‚gay rights national monument‘, zum ersten nationalen Homo-Monument (Nationaldenkmal der LGBT-Bewegung) der USA erklärt. Zuvor hatten eine Nachbarschafts-Anhörung stattgfunden. Zum Nationalen Schwulenrechte-Monument wurde der Christopher Park, das Stonewall Inn selbst sowie einige umliegende kleinere Straßen erklärt.

„Damals galt es als obszön, illegal oder sogar geisteskrank, schwul, lesbisch, bisexuell oder transgender zu sein. Razzien wie diese waren nichts Neues, aber diesmal hatten die Besucher genug. Also erhoben sie sich und sagten ihre Meinung. Die Krawalle wurden zu Protesten, die Proteste wurden eine Bewegung und die Bewegung wurde letztendlich ein wesentlicher Teil Amerikas.“

US-Präsident Obama am 24. Juni 2016

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Stonewall – die erste Schwulen-Demonstration?

Andere Berichte verorten die erste Schwulen-Demonstration der USA nicht auf die Stonewall-Aufstände, sondern drei Jahre früher: Am 21. Mai 1966 hätten Homosexuellen-Gruppen in Los Angeles mit einem Autokorso (‚motorcade‘) aus 15 Fahrzeugen öffentlich dagegen protestiert, dass Homosexuelle vom US-Militär ausgeschlossen waren. Aktionen zu dem Thema waren zwischen mehreren US-amerikanischen Homosexuellen- Organisationen abgesprochen; aus dem Vorbereitungstreffen ging später die Vor-Stonewall- Homosexuellenorganisation North American Conference of Homophile Organizations (NACHO) hervor.

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Die transsexuelle Punkerin Jayne County war Zeugin der Stonewall – Aufstände. Sie erinnert sich 2016 (im Interview mit Philipp Meinert, Autor von Homo Punk History)

„Stonewall war eine Revolution. Vorstellungen verändern un d Widerstand leisten. Kämpfen! Widerstand gegehn die Rolle, in die uns die Gesellschaft stecken will. Wir machen usnere eigenen Rollen. Die müssen wir uns von niemandem vorschreiben lassen.“

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Wie wohltuend, einen authentischen und lebendigen Bericht über das zu lesen, was am Anfang der heutigen Party-CSDs stand: das Aufbegehren gegen Unterdrückung, das Eintreten für die eigenen Rechte. Whites Bericht ist ein ‘must read’ – eine Pflichtlektüre für jeden, der verstehen möchte, was am Anfang dessen stand, was uns heute so selbstverständlich scheint.

Welch Kontrast spricht aus Whites Bericht zu den heutigen Party- und Fress-Meilen, zu denen so mancher CSD geworden ist. Geworden – denn auch in Deutschland waren die Anfänge anders. Denn die Bezeichnung “Christopher Street Day” (CSD) ist fast nur in Deutschland und der Schweiz üblich. Noch die ersten Schwulen- und Lesben-Demonstrationen hießen in Erinnerung an ihre Vorläufer in manchen Städten (Hamburg) ‘Stonewall-Demonstration’. Lange her…

Inzwischen sind politische Inhalte auf CSDs längst immer mehr in den Hintergrund geraten. Der Kölner CSD z.B. verzichtet im Jahr 2010 sogar bewusst auf eine explizite politische Forderung ...

‘Gay Power’? Bei den heutigen CSDs fast nur noch als Tanz-Energie zu erleben … Zeit zum Nachdenken!

Danke an Michael für den Hinweis!

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

12 Antworten auf „Stonewall 1969 – “The big news here is Gay Power”“

Vielen Dank für euren Bericht!!!! was man- so nicht weis!!!! bekommt man stets von euch als Zusatz Information vielen Dank und lieben Gruß Thomas

‚Stonewall Uprising‘ – Dokumentation über einen Wendepunkt der Geschichte der Homosexuellen – ondamarissagt:

[…] durch die New Yorker Polizei wurden zu einem der Startpunkte der Schwulenbewegung. „The big news here is gay power“, kommentierte damals Edmund White die Vorgänge um die Stonewall Bar in der Christopher Street in New Yorks Greenwich […]

Danke für den großartigen Artikel. In all den gegenwärtigen Wirren tut es gut, uns an die Ursprünge zu erinnern, als ein Zeit des Aufbruchs und der großen Gefühle. Die sich im Aufstand von Stonewall entladen haben. In Berlin waren wir anschließend zehn Jahre lang vor allem mit uns selbst beschäftigt, ehe wir 1979 das Jubiläum des zehnten Jahrestages von Stonewall zum Anlass nahmen, uns auf die Straße zu wagen, tanzend unterwegs, im Unterschied zur gleichzeitigen Disharmonie und dem Gleichschritt der vorangegangenen Jahre. Politik und der Spaßwert sollten sich die Waage halten und für einen Ausgleich sorgen, wenigstens einmal im Jahr. Darum hat der CSD, allen Unkenrufen zum Trotz nach wie vor seine Berechtigung,

Lieber Bernd Gaiser,
vielen Dank! Ich habe mit Interesse deinen Bericht vom ersten Berliner CSD 1979 gelesen.
‚Mein erster CSD‘ war zwei jahre später 1981 und nannte sich ‚Interschwul‘ ( https://www.2mecs.de/wp/2012/03/interschwul-1981/ ), aber schon die nächsten beiden ‚CSD‘ in Hamburg 1982 und 1983 hörten auf den Namen ‚Stonewall‘ ( https://www.2mecs.de/wp/2012/12/stonewall-1982-und-1983-hamburger-schwulen-und-lesben-demonstrationen/ ).
Ja, der CSD hat auch in meinen Augen weiterhin seine Berechtigung [vielleicht mit etwas weniger ‚Schützenfest-Atmosphäre‘ ;-)] – allerdings freue ich mich auch, wenn nach neuen Formaten und Formen gesucht wird, wie das die Kölner z.B. mit Pride Salon und Pride Denkwerkstatt machen.
LG Ulli

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