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Berlin Kulturelles

Ich schlafe aber mein Herz wacht

Freitag Abend war ich für zweieinhalb Stunden nicht auf diesem Planeten. Sondern im Imperium Messiaen-Symeonidis.

Mit Nick abends ins Eisler, zum Klavierabend. Angekündigt ist Messiaen, von dem ich bisher zwei Stücke im Eisler hörte, mochte.

Wellenflug
Wellenflug

Nur wenige Gäste, obwohl wir (erst mussten wir noch in den Wellenflug auf dem Weihnachtsmarkt) reichlich spät ankommen. Gut dreißig Zuhörer, von denen einige in der Pause gehen.

Ein Komponist, ein Werk. Prodromos Symeonidis spielt auf dem Klavier Olivier Messiaens ‘Vingt regards sur l’Enfant Jesus ‘ (zwanzig Betrachtungen über das Jesus-Kind).

Zunächst bemerke ich bei Nick einige Irritationen, er hatte vermutlich ‘klassischere’ Klaviermusik erwartet. Dann scheint es auch bei ihm zu klicken.
Sitzen nebeneinander.
Augen geschlossen.
Irgendwann ist Pause, gottseidank nur kurz. Weiter.
Mir ist bald, als spiele Symeonidis in meinem Kopf, überall in meinem Kopf. Nein, wenn ich genauer beobachte, da gibt es keinen Kopf, keinen trennenden Schädel drum herum mehr. Meine Wahrnehmung ist überall im Raum, Wahrnehmung und Musik füllen alles aus.
Wie aus einem anderen Universum kehre ich langsam zurück, irgendwann abends kurz vor halb zehn, als der Beifall beginnt.

Prodromos Symeonidis
Prodromos Symeonidis

Manchmal ist Bescherung schon vor dem 24.12. – früher, und völlig unverhofft …

Weitere Informationen über Olivier Messiaen auch auf http://www.oliviermessiaen.org
Informationen zu Prodromos Symeonidis auf http://symeonidis.de/ , u.a. mit MP3-Hörproben, auch von einer Messiaen-Aufnahme.

Nachtrag 17.12. mittags angesichts der Frage eines Lesers, was denn nun der Titel bedeuten solle:
“Je dors, mais mon coeur veille” (Ich schlafe, aber mein Herz wacht) ist für mich die schönste, poetischste der zwanzig Betrachtungen.

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Köln

Et Jrundjesetz – das ‚Kölner Grundgesetz‘

Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz, wurde am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossen.

In Köln gilt informell – lokaler Beitrag zur Föderalismus-Reform – eine Art ‘Kölner Grundgesetz’, oder, wie de Kölsche sagt, ‘et Jrundjesetz’.

das Kölner Grundgesetz ( jrundjesetz ), Gaststätten-Werbung in Köln
das Kölner Grundgesetz ( jrundjesetz ), Gaststätten-Werbung in Köln

Selbiges gibt es in vielen Versionen, die ersten Paragraphen enthält eigentlich jede Version, danach wird’s bunter – mir gefällt die Version mit 11 Paragraphen:

[für Orts-Unkundige, erstens: die „11“ ist DIE Kölner Zahl, schließlich beginnt z.B. am 11.11. um 11:11 Uhr der Karneval…; und zweitens: nach dem Kölschen folgt ein Übersetzungsversuch]

Et Jrundjesetz – das ‚Kölner Grundgesetz‘

§ 1 Et es, wie et es
[Es ist, wie es ist: Den Tatsachen ins Auge sehen]

§ 2 Et kütt, wie et kütt
[Es kommt, wie es kommt: Ja keine Angst vor der Zukunft haben]

§ 3 Et hätt noch immer jot jejange
[Es ist noch immer gut gegangen]

§ 4 Wat fott es, es fott
[Was weg ist, ist weg: Den Dingen nicht hinterher jammern]

§ 5 Et bliev nix wie et wor
[Nichts bleibt, wie es war: Offen sein für Neuerungen]

§ 6 Kenne mer nit, bruche mer net, fott domet
[Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, weg damit: Kritisch sein, wenn Neuerungen überhand nehmen]

§ 7 Wat wellste maache?
[Was willst Du machen?: Sich Dem Schicksal fügen]

§ 8 Mach et jot ävver nit ze off
[Mach’s gut aber nicht zu oft: Auf die Gesundheit achten]

§ 9 Wat soll dä Quatsch?
[Was soll der Quatsch?: Immer gleich grundsätzlich werden!]

§ 10 Drinkste eine met?
[Trinkst Du einen mit?: Sei gastfreundlich]

§ 11 Do laachste Dich kapott
[Da lachst Du Dich kaputt: den Sinn für Humor bewahren]

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… Und was das nun mit Kölner Mentalität, Klüngel und Co. Zu tun hat?
Na, worauf basieren wohl die zahlreichen Kölner Klüngel-Geschichten?

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Köln

Kölner Muscheleien

Eines der Dinge. die ich in Köln besonders mag, sind Muscheln. Miesmuscheln ‘rheinische Art’.

In Berlin bekommt man sie ja eher selten, in Köln hingegen hat nahezu jede bessere Kölsch-Kneipe ein Schild aushängen. Jenes schrill orange-rot leuchtende Plakat im A4-Querformat mit der bestimmt seit 40 Jahren unveränderten stilisierten Miesmuscheln-Abbildung, das ankündigt: hier gibt’s ‘Muscheln rheinische Art’ – mit Wein, Suppengemüse und viel Zwiebeln zubereitet, reichlich Pfeffer, damit’s schön scharf wird. Dazu eine gebutterte Scheibe Schwarzbrot und ein lecker Kölsch – Mhhhmmm!
(Da können selbst holländische Mosselen und französische Moules nicht mithalten, sorry Nachbarn…)

Besonders lecker sind die Muscheln bei uns im Viertel im etwas skurilen ‘Leuchtturm’ – eine Veedels-Kneipe mit wahrscheinlich in Köln einmaliger maritimer Inneneinrichtung, vollkommen un-touristisch, nur von Anwohnern besucht, direkt bei uns “om de Eck” – und mit sehr leckeren Muscheln, jede Saison wieder.

Leuchtturm
Leuchtturm

Ja,. Saison – denn Muscheln ist der Rheinländer (im Gegensatz z.B. zu Niederländern und Franzosen) nicht ganzjährig, sondern nur in den Monaten mit ‘r’ am Ende, sprich von September bis Februar.

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Köln

Nikolaus Gülich – Kölsche Klüngel-Geschichten

Köln ist ja auch bekannt als die Stadt des Klüngelns. Das hört sich weit harmloser und niedlicher an, als es de facto ist – wie ein historisches Beispiel blumig zeigt: der Gülich-Aufstand und seine Verewigung als ‘Platz ’ (Nikolaus Gülich ) .

Das, was heute blumig und verniedlichend mit dem hübschen Wort ‘Klüngel’ umschrieben wird, nämlich Vetternwirtschaft, Vorteilsnahme und Korruption, gab es anscheinend auch vor vielen Jahrhunderten schon in Köln:

Nikolaus Gülich - Gülichplatz in Köln
Nikolaus Gülich – Gülichplatz in Köln

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts erreichten Wahlbetrug, Ämterkauf und Veruntreuungen in Köln anscheinend ein Ausmaß, dass zahlreichen Kölner Bürgern ‘der Kragen platzte’. Der Kölner Kaufmann Nikolaus Gülich (geboren 30. Oktober 1644) organisierte daraufhin Proteste gegen Amtsmissbrauch und Korruption. Er begründete dies blumig damit, Köln würde „scheitern wie Jerusalem und Kindeskinder leiden, wenn der Meineid, das Stehlen und Säckeln nicht abgestellt wird.

1680 setzte sich Nikolaus Gülich an die Spitze unzufriedener Kölner Bürger, die das Kölner Rathaus stürmten. Drei Bürgermeister wurden aufgrund Gülichs Klageschrift verurteilt, 1683 Neuwahlen abgehalten. Aus diesen ging Gülich quasi als eine Art Alleinherrscher hervor, errang erste Erfolge im Kampf gegen Korruption und Amtsmissbrauch. Doch bald schon überzog Gülich, griff selbst zu immer drastischeren, schließlich unlauteren Maßnahmen. Viele Anhänger wandten sich von ihm ab.

1685 schritt der Kaiser ein, Gülich sollte sich für sein Verhalten vor ihm rechtfertigen. Dessen Weigerung benutzte der Kaiser (wohl im Einvernehmen mit dem ‘alten’ Kölner Establishment), um ‘die alte Ordnung’ wieder herzustellen. Nikolaus Gülich wurde verurteilt und am 23. Februar 1686 in Mülheim hingerichtet. Sein Haus in der Kölner Innenstadt wurde abgerissen, der Rat der Stadt bestimmte, dass ‘für alle Zeit’ an dieser Stelle kein Haus mehr gebaut werden dürfe – weswegen Köln noch heute an dieser Stelle ein kleines Plätzchen hat.

Ursprünglich wurde auf dem Platz eine ‘Schandsäule’ mit seinem Bronzekopf aufgestellt, zur Abschreckung. Die Säule ist inzwischen verschwunden, der Kopf hingegen im Stadtmuseum aufbewahrt (das ja auch das ‘Kölner Ei‘ vor dem Vergessen bewahrt). Bereits seit vielen vielen Jahren steht auf dem Gülich-Platz stattdessen der ‘Fastnachtsbrunnen’ von Georg Grasegger – Zufall oder stiller Zusammenhang?
Und dass im ‘Haus Neuerburg’ am Platz das Standesamt ansässig ist, was soll es bedeuten?

Hat sich mit Gülich etwas verändert?
Klüngel wäre doch ganz normal, glaubt der Kölner an sich auch heute, ‘eine Hand wäscht die andere’. Man könne die Dinge doch ‘unbürokratisch regeln’ oder ‘mal fünfe gerade sein lassen’ – nette Begriffe für unsaubere Machenschaften zu finden, das hat anscheinend eine lange Tradition (nicht nur) in dieser Stadt.
Und Nikolaus Gülich, ein frühes Beíspiel von Aufbegehren und (anfänglich erfolgreichem) Bürgerprotest, ist auch heute noch, bis auf wenige Bemühungen, überwiegend seitens der Grünen, ein selbst in Köln weitgehend unbekannter ‘Held’.

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Köln

das Kölner Ei – über Köln und ein Ei

Das Kölner Ei ? Eine der grossen Errungenschaften … der Kölner Technik-Geschichte:

Die Kölner sind ja nun von ihrer Stadt ziemlich begeistert. Sind stolz auf den Rhein im allgemeinen, den Dom im besonderen, ihr regionales Kalt- Getränk (Kölsch) erst recht. Besonders begeistert (von sich selbst und der ‘tollen Szene’) sind viele Schwule der Stadt. Was ein Freund einmal mit ‘die sind doch total besoffen von Köln’ recht treffend beschrieb (und was sich in Sitzungs- und Straßenkarneval z.B. im Absingen von Köln als ‘geilstem Arsch der Welt’ manifestieren wird).

Auf eines aber ist eigentlich eher die Kölner Fachwelt stolz, selbst dem ‘kölschen’ Rest ist es selten bekannt: auf das ‘ Kölner Ei ’.

Diese Art von Ei ist nun keine kulinarische Spezialität der Region wie Flönz, kölsch Kaviar oder halve Hahn. Steht nicht im ‚Kölner Grundgesetz‚. Ist auch kein Schunkel-Beitrag für karnevalistische Bewegungen in verqualmten Kneipen, und erst recht keine besondere Vorliebe der homosexuellen Männer der Stadt.

Das Kölner Ei

Dieses Ei ist vielmehr eine Errungenschaft, die beim ja bekanntermaßen für seine Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und vor allem Kundenfreundlichkeit gefürchteten Kölner Nahverkehr eine bedeutende Rolle spielt:

Kölner Ei
Kölner Ei

Das ‘KölnerEi’ ist eine echte Erfindung der Kölner Verkehrsbetriebe in Zusammenarbeit mit den Clouth Gummiwerken (damals ebenfalls Köln) von Anfang der 1970er Jahre. Eine ei-förmige Gummiplatte, die bei Schienenverkehr der elastischen Lagerung der Gleise auf der Fahrbahn dient. Sie wird als Schienendämpfer eingesetzt bei schotterlosem Oberbau. Hierdurch können Schwingungen und damit Schallentwicklungen wesentlich reduziert werden.

Am 30. Juni 1978 wurde es zum Patent angemeldet. Und ebenfalls 1978 erstmals auf einer Schienenstrecke eingesetzt, auf dem Streckenabschnitt zwischen Ebertplatz und Lohsestrasse. Die deutliche Rduzierung des Körperschalls durch Verwendung des Kölner Eis führte dazu, dass diese Technik auf vielen Kilometern Kölner Nahverkehrsstrecken verbaut wurde.

Heute soll es allein in Köln über 14.000 Mal verbaut sein, das Kölner Ei – und ebenso z.B. in Boston, London, Marseille, Sydney oder Washington.

Es ist ein internationaler Erfolg, das Kölner Ei. Auch wenn’s kaum jemand weiß …

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HIV/Aids Köln

Aids Stele Köln

Auf dem Lichhof in der Kölner Altstadt (neben St. Maria im Kapitol) wurde am 9. Oktober 1994 eine Gedenksäule enthüllt, die Aids Stele Köln

Aids Stele Köln
Aids-Stele Köln (Foto: November 2006)

Die Stele trägt eine Inschrift (Haiku), einen Satz der Dichterin Gitta Benasseni (Gitta Ströbele-Benasseni; geb. 1936, gest. 8.8.2017 Filderstadt)

Auch das Feuer seht, nicht nur das fallende Laub, wenn der Sommer geht

Gitta Benasseni

Zudem trägt die Stele die erläuternde Inschrift

Dem Gedenken aller, die an den Folgen von Aids gestorben sind.

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Berlin Homosexualitäten ondamaris Texte zu HIV & Aids

Denkmal: was wird realisiert?

Neues im Streit um das Denkmal: der LSVD Berlin-Brandenburg fordert die Realisierung entsprechend dem Entwurf der Künstler.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen - Bauschild 2006
Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen – Bauschild 2006

In Berlin wird ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen geplant. Über die konkrete Form der Realisierung hatte es zuletzt heftigen Streit gegeben.

Die Mitgliederversammlung des LSVD Berlin-Brandenburg hat am 28.10.2006 eine Resolution beschlossen. In ihr wird gefordert, das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Sinne des Bundestagsbeschlusses und in Form des preisgekrönten Entwurfs des Künstler-Duos Elmgreen/Dragset zu realisieren.

Unter den Erstunterzeichnern der Resolution finden sich nur Personen männlichen Vornamens. Über eine Berücksichtigung irgendwelcher bei der Diskussion am 29.8. vorgebrachten Argumente oder ebenfalls diskutierter Lösungsmöglichkeiten enthält die Rersolution keine Angaben.

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Text 21. Februar 2017 von ondamaris auf 2mecs

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Berlin

Nachgefasst: Anti-Gewalt-Projekt

Wozu ist das Berliner Anti-Gewalt-Projekt da? Diese Frage stelle ich mir langsam immer mehr, nach Erfahrungen mit dem Berliner Anti-Gewalt-Projekt Maneo.

Über den Überfall auf einen Mann auf einem Cruising- Platz und bisherige Ermittlungen der Polizei habe ich ja bereits geschrieben.

Selbstverständlich habe ich den Überfall auch beim schwulen Anti-Gewalt-Projekt Maneo, dem Berliner Anti-Gewalt-Projekt gemeldet, sowohl telefonisch als auch auf deren Website. Schon das Telefonat mit dem Maneo-Mitarbeiter verläuft etwas irritierend. Ich erwarte nach dem kurzen Berichten des Vorfalls irgendwelche Nachfragen nach Details, die aber so gar nicht kommen. Auf meine eigene Nachfrage erfahre ich dann zumindest, der zuständige Projektleiter sei „derzeit in Urlaub“.
Ich hinterlasse meine Telefonnummer und gebe die Details, die ich dennoch für berichtenswert hielt, auf der Maneo-Internetseite an. Hier findet sich ein ausführlicher Fragebogen. Unter Punkt 29 folgt dann auch „Stehst Du uns für Rückfragen zur Verfügung?“ Ja, klar, wieder gebe ich brav meine Rufnummer an. Und höre nichts.

Maneo schreibt selbst über seine Arbeit: „Maneo ist das Schwule Überfalltelefon Berlin. Der Name Maneo steht dafür, dass wir Betroffenen von Gewalt Mut machen wollen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Mit unseren Angeboten richten wir uns an Schwule und Bisexuelle, ob sie beleidigt oder körperlich angegriffen wurden, ob sie von schwulen- feindlicher oder häusliche Gewalt betroffen waren – auch an Partner, Angehörige und Zeugen, denn auch sie können großen Belastungen ausgesetzt sein.“
Das hört sich gut an – aber entspricht die Realität diesem selbst formulierten Anspruch?

Weiter lese ich „Jedes Anliegen nehmen wir ernst. Mit jedem, der sich an uns wendet, erarbeiten wir individuelle Lösungswege.“
Ah ja. Na, ich habe davon nichts gemerkt, gottseidank war ich „nur“ Zeuge, nicht Betroffener. Aus dem Bekanntenkreis erfahre ich aber von zwei Fällen, in denen Opfer antischwuler Gewalt auffallend ähnliche Erfahrungen gemacht haben – der „Fall“ wird aufgenommen, und das war’s (siehe auch Kommentare zum ersten Posting). „Wende dich vertrauensvoll an uns“ lese ich auf dem Maneo-Plakat – und frage mich, ja, mit dieser Erfahrung, wie denn? Das war nicht vertrauenerweckend …

Nicht vertrauenerweckend – denn wie soll ich bei solchen Erfahrungen zukünftig Opfern antischwuler Gewalt ruhigen Gewissens empfehlen, sich ‘vertrauensvoll’ an Maneo zu wenden?

Ich beginne, mir die Frage zu stellen. Was sagt mir das Verhalten von Maneo? Geht es hier wirklich darum, den Opfern von antischwuler Gewalt zu helfen? Oder ist das eigentliche Ziel vielleicht vielmehr, eine möglichst gute Statistik zu bekommen? Auf dass mit gut dokumentierten Fällen antischwuler Gewalt die eigene Verhandlungsposition gestärkt wird? Oder gar die Finanzierung der eigenen Projektstellen gesichert werden kann? Immerhin, selbst die Internetseite von Maneo spricht ja auffallend deutlich von „Gewalterfassung“.

Für reines Statistik-Futter ist mir meine Zeit zu schade – ich frage mich langsam immer mehr, ob ich zukünftig Fälle noch bei Maneo melden soll.
Ja, ich weiß, es gibt zahlreiche Fälle, in denen die Polizei Täter und Fälle ermittelt hat – allein die Opfer sind unbekannt, melden sich nicht. Was soweit führen kann, dass eine Strafverfolgung wesentlich erschwert wird. Natürlich haben da schwule Anti-Gewalt-Projekte ihren Sinn.
Aber so? Ausschließlich als ‘Statistik-Agentur’ zur Registrierung von Fällen? Das ist mir zu wenig. Vor allem vom eigentlich ehrenwerten „ersten schwulen Überfall-Telefon Deutschlands“ (immerhin gegründet 1990).

Schließlich, welchen Sinn hat ein Anti-Gewalt-Projekt noch, das so offensichtlich desinteressiert wirkt?
Oder umgekehrt: machen schwule Anti-Gewalt-Projekte eigentlich Sinn? Und wenn ja, mit welchen Zielen und Aufgaben?

PS. ein guter Übersichtsartikel zu Gewalt gegen Schwule findet sich hier.
Und Dank an Patrick von [queer moments] in dessen Posting über Matthew Sheppard ich auf diesen Link stieß.

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Nachgefasst: Berlin ein Uhr nachts

In der Nacht vom 22. auf den 23. September wurde ich Zeuge einer antischwulen Gewalttat. Darüber habe ich ja in Berlin ein Uhr nachts bereits geschrieben.

Am 12. Oktober finde ich in meinem Briefkasten zwei Schreiben der Polizei, eine „Vorladung zur Lichtbildvorzeigedatei“ sowie eine Vorladung zur Zeugenaussage.
Immerhin, die Polizei reagiert, entgegen meinen Erwartungen.
Ich erinnere mich, in einer ähnlichen Situation vor vielen Jahren in Köln bekam ich (ebenfalls als Zeuge) nur nach vielen Wochen ein kurzes Schreiben, die Ermittlungen gegen Unbekannt seien eingestellt. Hier, immerhin das Gefühl sie versuchen die Täter ausfindig zu machen.
Das schwule Antigewalttelefon hingegen hat sich bisher noch nicht gemeldet, weder auf meine telefonische Meldung noch auf die Angaben auf ihrer Website hin.

16. Oktober. Der Einblick in die Lichtbildvorzeigedatei verläuft eher wie das Hornberger Schießen. Dass ich mich an Größe, Statur, ungefähres Alter erinnere interessiert nicht, na und Gesichter hab ich im Dunkeln (es war 1 Uhr nachts) auf zehn Meter Entfernung kaum erkennen können. „Ja dann… “, und schon war ich wieder draußen.

23. Oktober. Zeugenvernehmung in einem Gebäude, das alle Behauptungen, Berlin gebe zu viel Geld aus, Lügen strafen möchte (so marode wirken Flure und Treppenhäuser).
Schon auf dem Weg in die zweite Etage fällt mein Blick auf den Etagenflur auf ein blaues Plakat, zwei sich küssende Fussballspieler. Daneben, noch größer, ein Plakat für die Respect Games.

Ein freundlicher Beamter nimmt meine Aussage auf, fragt zwischendurch nach “können wir ‘schwul’ schreiben, oder ist Ihnen eine andere Formulierung lieber?”. Ich bin erstaunt über die respektvoll-aufmerksame Behandlung und nach 30 Minuten wieder draußen. Nicht dass große Hoffnungen bestehen, die Täter ausfindig zu machen. Aber immerhin habe ich den Eindruck, die Polizei nimmt den Vorfall ernst, ermittelt soweit das möglich ist.

Übrigens, vom schwulen Antigewalttelefon hab ich bisher immer noch nichts gehört. Doch dazu ein anderes Mal mehr.

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Berlin

Eine Malve aus Polyamid – Maria de Buenos Aires

Samstag Abend im Saalbau Neukölln. Zufällig hatte ich Wochen vorher in der U-Bahn Hinweise auf das Festival ‘25 Jahre Berliner Kammer-Oper’ entdeckt – und auf Piazzollas ‘ Maria de Buenos Aires ’.

Nach leckerem Essen im Rix Schlange stehen vor der Treppe – die wir, wegen der sehr aufgedrehten Heizung leider ziemlich verschwitzt, knapp zwei Stunden später munter aufgekratzt wieder hinunter gehen.
Dazwischen eineinhalb Stunden, in denen ich so vollkommen in das Geschehen auf der Bühne abgetaucht bin wie lange nicht mehr.

María de Buenos Aires – eine Geschichte um María und die ständige Wiedergeburt des Tango, auch als Allegorie auf die Unsterblichkeit der Liebe.
Stimmlich und darstellerisch begeisternd Yamil Borges als María und Jonathan de la Paz Zaens als El Cantor, etwas (stimmlich) schwächer finden wir beide nur Enrique Keil als El Duende. Im einfach und schlicht gehaltenen Bühnenbau eine Intensität an Darstellung Choreographie Musik Stimmen, die mich völlig abtauchen lässt, völlig „drin“ sein – obwohl ich kaum ein Wort verstehe, der Ulli spricht leider kein spanisch :-( .

Warum nur, fragen wir uns hinterher, ist diese ‘Tango Operita’ in Deutschland so wenig bekannt, wird so selten aufgeführt? Auch jetzt, als Wiederaufnahme anlässlich des Festivals, wurde sie nur dreimal gegeben.

Allerdings – wer Tango und die Musik von Piazzolla mag: ‘María de Buenos Aires’ kommt ab Januar 2007 in der Komischen Oper Berlin zur Aufführung.

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