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Homosexualitäten Köln

Stonewall Momente: Traueranzeige Jean Claude Letist – homosexuell oder schwul ? (Video)

Am Aschermittwoch 28. Februar 1990 starb Jean-Claude Letist an den Folgen von Aids. Jean Claude Letist (1946 – 1990) war einer der bedeutendsten schwulen Aktivisten in Köln in den 1970er und 80er Jahren. Die Traueranzeige für Jean-Claude Letist löste auch eine politische Aktion aus …

Die größte Lokalzeitung Kölns weigerte sich damals jedoch, eine Traueranzeige zu drucken mit den Worten „Ein beispielgebendes schwules Leben hat sein Ende gefunden“. Das Wort „schwul“ in einer Traueranzeige? Undenkbar! Einzig denkbarer Kompromiss sollte das Wort ‚homosexuell‘ sein. Aber genau das war der entscheidende Unterschied …

Traueranzeige Jean Claude Letist
zensierte Traueranzeige Jean Claude Letist – ohne das Wort ’schwul‘

Was dann passierte, und wie die Trauerfeier für Jean-Claude am 12. März 1990 und eine Aktion danach dazu führten, dass bald „schwul“ und „lesbisch“ auch in Traueranzeigen benutzt werden durften, darüber erzähle ich in diesem Video:

Stonewall Momente – Jean Claude Letist Traueranzeige

Das Video entstand für die Kurzfilm-Reihe ‚Stonewall Momente‘ im Rahmen des Projekts ‚queer as german folk‚. #querasgermanfolk ist ein Gemeinschaftsprojekt des Goethe-Instituts Nordamerika mit dem Schwulen Museum* Berlin sowie der Bundeszentrale für politische Bildung bpb.


Stonewall Momente: Ulrich Würdemann

Das Video ist Teil der Ausstellung ‚Love at First Fight! – Queere Bewegungen in Deutschland seit Stonewall‚. Sie ist ab 19. Juli 2019 für mindestens ein Jahr im Schwulen Museum* zu sehen.

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Drei Tage nach der Trauerfeier für Jean-Claude gründete sich am 15. März 1990 ACT UP Köln. Viele von uns nahmen an der Aktion im Verlagsgebäude am 12. März teil. Sie war sozusagen der Auftakt für ACT UP Köln …

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Jean-Claude Letist war für mich ein Vorbild und Ansporn. Von der Gründung und Eröffnung des Schwulen- und Lesbenzentrums SchuLZ bis zu zahlreichen Reisen mit ‚Homoreizen‚ (auf denen sein Sprachgenie immer wieder besonders hilfreich war), von nächtlichen Momenten am Aachener Weiher bis zu aufgeregten politischen Debatten im Bundesverband Homosexualität BVH – er war Inspiration, Herausforderung und – liebenswert.

Ach Gutemiene …

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Zwei kleine Fehler haben sich in dem Video eingeschlichen: natürlich war die Währung damals noch DM und nicht Euro. Und mein Vorname schreibt sich mit einem ‚l‘ – Ulrich … 😉

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Homosexualitäten

Köln 16. März 1985 : SCHULZ Eröffnung Fotos

SCHULZ Eröffnung Fotos : Am 16. März 1985 war es endlich soweit: nach monatelangen Vorbereitungen und Umbauarbeiten in der ehemaligen Tanzschule Meyer eröffnete das SCHULZ Schwulen- und Lesbenzentrum in der Bismarckstraße mit einer grossen Feier mit Disco, Markt der Möglichkeiten (insbesondere der zahlreichen das SCHULZ tragenden Gruppen und Organisationen) und üppigem Buffet.

Als besonderer Gast war zur Eröffnung anwesend Frau von Oehmichen, die letzte Besitzerin der ‚Tanzschule Meyer‘ [1]. Anlässlich der Schlüsselübergabe [2] des SCHULZ wurde sie zum Ehrenmitglied des Trägervereins des SCHULZ, dem Emanzipation e.V. ernannt:

„Als Zeichen unserer besonderen Verehrung ernennen wir Frau Elfriede von Oehmichen zum Ehrenmitglied der Emanzipation e.V.“

SCHULZ Eröffnung Fotos

SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Ehrenmitgliedschaft Frau von Oehmichen
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Markt der Projekte
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Schlüsselübergabe
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke
SCHULZ Eröffnung am 16. März 1985, Theke

Ab sofort standen Kölner Lesben und Schwulen und ihren Projekten und Organisationen 400m² zur Verfügung, selbst verwaltet und selbst organisiert: der Saal, das ‚Blumenzimmer‘, das Café, das ‚Afrikazimmer‘ sowie einige Nebenräume.

Zu Beginn wurde das SCHULZ von 20, später von bis zu 30 verschiedenen Gruppen gemeinsam getragen. Schon bald nach der Eröffnung entwickete sich reger Betrieb im SCHULZ von Diskussionsveranstaltungen und Gruppentreffen bis zu Flohmärkten und einem boomenden Kulturbetrieb – Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Parties, Theater, Kabarett sowie eine im Herbst 1987 eröffnete Bibliothek. Zur Ankündigung der zahlreichen Veranstaltungen entstand bald ein extra Mitteilungsblatt, das ‚Raus in Köln‘.

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[1] Elfriede von Oehmichen belegte u.a. 1947 den 3. Platz und 1948 den 4. Platz in der Deutschen Meisterschaft Standardtanz (pdf).
[2] auf dem Bild zur Schlüsselübergabe bei der SCHULZ Eröffnung ist rechts der 1990 verstorbene Jean Claude Letist zu sehen

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Zeichnungen & Grafiken

Einladung Fete im Schulz 1985

Einladung Fete im späteren SCHULZ am 2.3.1985

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Homosexualitäten Köln

SCHULZ früher : Übernahme ‚Tanzschule Meyer‘ (1984, Fotos)

Das SCHULZ früher : eine Tanzschule! Das Kölner Lesben- und Schwulenzentrum SCHULZ öffnete am 16. März 1985 seine Pforten. Zuvor waren bis zur Eröffnung des SCHULZ umfangreiche Aufräum- und Umbauarbeiten in der ehemaligen Tanzschule Meyer erforderlich, die nach Unterzeichnung des Mietvertrags (am 24.10.1984) am 8. Dezember 1984 begannen.

Hier einige Photos, die ich damals machte, und die einen guten Eindruck der früheren ‚Tanzschule Meyer‚ vermitteln: das SchuLZ früher

SCHULZ bei Übernahme 1984, vorderer Saal

SCHULZ bei Übernahme 1984

SCHULZ bei Übernahme 1984, Saal

SCHULZ bei Übernahme 1984, Tür zum zweiten Saal

SCHULZ bei Übernahme 1984, Blick zur Eingangstür

SCHULZ bei Übernahme 1984, Fassade mit ‚Die Tanzschule Meyer‘

SCHULZ bei Übernahme 1984, Container

SCHULZ bei Übernahme 1984, Keller

SCHULZ bei Übernahme 1984, Keller

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Bei den Aufräumarbeiten im Keller kamen auch zahlreiche Unterlagen der früheren Tanzschule Meyer in Köln zum Vorschein, unter anderem zur Geschichte der Neu-Konstituierung des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbandes nach 1945, an der Herr Meyer beteiligt war. Das Deutsche Tanzarchiv hat sich sehr gefreut, als wir ihm diese Akten später übergaben.

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Homosexualitäten Köln

SCHULZ Eröffnung 1985: Tanzschule wird Schwulen- und Lesbenzentrum

SCHULZ Eröffnung : Am 16. März 1985 wurde das SCHULZ, das Kölner Schwulen- und Lesbenzentrum, in der Bismarckstrasse in Köln eröffnet.Viele Jahre war das SCHULZ in der Bismarckstrasse, später in der Südstadt, eines der Zentren des schwulen und lesbischen Lebens in Köln.

Die Geschichte des SCHULZ begann schon zuvor, 1984 zunächst mit der Suche nach einem neuen ‚glf-Zentrum‘. Im Frühjahr 1984 gründete die glf gay liberation front e.V., die bisher in der Roonstrasse ein sehr kleines ‚Zentrum‘ hatte, eine ‚Initiativ-Gruppe neues Zentrum‘. Bereits ab Juni 1984 wurde an einer Satzung für den zukünftigen Trägerverein gearbeitet, der am Samstag 8. September 1984 gegründet wurde und den Namen ‚Emanzipation e.V.‘ erhielt. Am 24. Oktober 1984 konnte der Mietvertrag für die Räume der ehemaligen ‚Tanzschule Meyer‘ in der Bismarckstr. 17 unterzeichnet werden – nun war klar: es würde bald eine neues, großes Schwulen- und Lesbenzentrum in Köln geben!

Nach vielen Umbauarbeiten, viele Gremien (der Vorstand tagte mindestens wöchentlich …) war es am 16. März 1985 endlich soweit: das neue Zentrum wurde eröffnet:

noch mit Schriftzug ‚Tanzschule Meyer‘ – das SCHuLZ am Tag der Eröffnung, 16.3.1985

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Erinnerungen HIV/Aids

1990 – Es war nur ein Jahr … oder: Aids ist Krieg ?

Puh, ganz schön heftig„, kommentiert Steven.
„AIDS ist kein Spiel, AIDS ist Krieg „, hatten wir ein Plakat kommentiert, auf dem heiter lächelnde Personen an Spielregeln erinnert wurden.

‚ AIDS ist Krieg ‚ – ACT UP beim 3. Deutschen Aids-Kongress 1990 in Hamburg © Foto U.K. Bäcker

Was war das für eine Zeit, in der wir schrieben “ Aids ist Krieg „?
1990, bei ACT UP – Aktionen beim 3. Deutschen Aids-Kongress.

Was war das für ein Jahr, das mich die Gleichsetzung von Aids und Krieg hinnehmen, vielleicht auch selbst sagen ließ?

Ich versuche ein Jahr in Erinnerungen und Gedanken zu rekonstruieren.

1990 – es war nur ein Jahr …

Versuche 1990 zu erinnern

1. Januar. Das Neue Jahr beginnt für uns in Paris. Bei Jean-Philippe, den ich einige Monate zuvor kennen gelernt habe, und seinem Mann. Genauer, in einem Haus in einer der Pariser Vorstädte, bei seiner Mutter, eine kleine Feier, mehr ein Essen mit anschließender Party unter Freunden.

Immerhin ein kleiner Fortschritt: In den USA wird am 29. Januar 1990 Fluconazol (unter dem Handelsnamen Diflucan®) für die Verwendung gegen zwei bei AIDS häufigen Erkrankungen (Kryptokokken-Meningitis, Candidiasis) zugelassen. Heute kann man die Bedeutung dieser Zulassung nur noch schwerlich ermessen – welcher HIV-Positive erkrankt heute noch an Kryptokokken-Meningitis? Früher war ‚Krypto‘ einer der großen Schrecken vieler HIV-Positiver und Aids-Kranker. Ein kleiner Hefepilz, der nur zu schnell lebensbedrohliche Erkrankung und Tod bringen konnte. Und damals als sicheres Zeichen galt ‚jetzt geht’s los, spätestens jetzt wird’s schlimm.‘. Kryoto Toxo PcP, Vokabeln des Aids-Schreckens.

28. Februar. Eigentlich sollte ich feiern heute. Mir ist nicht zum Feiern. Jean-Claude Letist ist tot. Jean Claude, der Weggefährte in Zeiten von glf und SCHULZ, Begleiter auf so mancher Reise oder nächtlichen Exkursionen. Es ist Aschermittwoch.

Anfang März, kurz nach Jean-Claudes Tod. Der nahezu-Monopol-Verleger Kölner Tageszeitungen macht Schwierigkeiten. Die Formulierung „Ein beispielgebendes schwules Leben ist zu Ende gegangen“, mit der wir Jean-Claude in der Traueranzeige würdigen wollen, wird vom Kölner Stadtanzeiger nicht akzeptiert. Das Wort ’schwul‘ komme auf keinen Fall in eine Traueranzeige, das habe da gar nichts zu suchen. Nach Protesten bieten sie an „ein bewusstes Leben ging zuende“, wollen sich, als wir so gar nicht nachgeben, einlassen auf „ein bewusstes homosexuelles Leben ging zuende“. Dass es genau darum geht, ‚homosexuell‘ oder ’schwul‘, verstehen sie nicht. Nach dem ersten Entsetzen über das Verhalten der Verlagsleitung organisieren wir ein Sit-In vor dem Verlagsgebäude (das damals noch mitten in der Kölner Innenstadt ist). Nach erneuten Gesprächen, wenn ich mich recht erinnere bis hoch zu Herrn Dumont, wird der ursprügliche Text der Traueranzeige akzeptiert. „Machen wir eine Aggsion„, Gutemiene, wir haben’s geschafft. Dieses eine letzte Mal für dich.
[vgl. hierzu Stonewall Momente: Traueranzeige Jean Claude Letist – homosexuell oder schwul ? (Video)]

9. – 11. März 1990. Die zweite ‚Schwule Zukunftswerkstatt schwule Utopien‘ (war schon das ‚Schwule Netzwerk‘ Veranstalter? meine Erinnerungen sind hier lückenhaft), Fortsetzung der ersten vom November ’89. Zehn Schwule versuchen an zwei Wochenenden gemeinsam Utopien für ein ‚wärmers Köln‘ zu finden. Mein Tagebuch vermerkt die Hoffnung dass „etwas Neues entstanden ist, eine neue Kraft, etwas ändern zu wollen, eine Vorstellung, wie es sein könnte, Menschen, mit de­nen zusammen ich Schritte dahin machen kann.
Wenige Tage später wird ‚ACT UP Köln – wärmer leben‚ geboren, die Kölner ACT UP Gruppe. Die Gruppe, die schnell auf zehn Mitstreiter wächst (Bernhard, wo bist du?), trifft sich mindestens wöchentlich, um zu diskutieren, Aktionen zu planen.

Am 17. April führen ACT UP Berlin und die Positiven Aktionsfront Frankfurt eine Belagerung des Büros von Bristol-Myers Squibb durch, um gegen das Design geplanter ddI-Studien zu protestieren und Änderungen zu erreichen. ddI – zu dieser Zeit die grosse Hoffnung vieler Positiver. Endlich eine neue Substanz, die verspricht gegen HIV zu wirken. Und zwar auch dann, wenn das eh gefürchtete AZT nicht mehr funktioniert. Leider brauchen die Studien enorm viel Zeit, während Positive sterben, weil wirksame Medikamente fehlen. Und nicht nicht einmal an Studien teilnehmen dürfen. Sie sind schon zu krank, würden die Ergebnisse ‚versauen‘. Forschung kann tödlich zynisch sein.

14. Juli. Französischer Nationalfeiertag. Gerne waren wir früher zu diesem Anlass in Paris. Was für Feiern, Nächte haben wir durchtanzt, die tollen schwulen Feten am ‚quai de la tournelle‘. Dieses Jahr ist alles anders. Tristesse, Hoffnunglosigkeit, Traurigkeit. Mein Tagebuch vermerkt lakonisch „Mit der Metro zur Clinique Henner. Je näher ich der Klinik komme, desto größer wird meine Eile, meine Angst, etwas könnte passiert sein, er könnte gestorben sein.“ Jean-Philippe ist in der Klinik, wieder einmal. Am 17. Juli ‚feiern‘ wir seinen Geburtstag. 26 wird er.

Ich bin viel in Paris in diesen Monaten. Wie es mir geht? Mein Tagebuch vermerkt „Sehnsucht. Kälte und Einsamkeit in der Großstadt. Paris, geliebte Stadt, Stadt der emo­tionalen Abstürze„.
Einem Bekannten schreibe ich aus Paris: „Es ist nicht leicht, jetzt hier am Bett von Jean-Philippe zu sitzen. Sein Zustand ist sehr schlecht (was er selbst auch weiß); laut seiner Mutter hat der Arzt nicht mehr sehr viel Hoffnung, daß er die Klinik noch einmal lebend verläßt. Er hat stark abge­nom­men, immer noch hoch Fieber, kann kaum Essen (wegen des Pilzbefalls in der Spei­se­röhre), die Toxoplasmose führt zu zeitweiligen Ge­dächtnisstörungen. Gottseidank ist sein Freund heute Morgen aus Biarritz zurückgekommen, so daß wir abwechselnd je­weils möglichst lange bei Jean-Philippe sein können.

Und doch – es gibt auch Ausbrüche. Nächte im geliebten ‚Broad‘, unserer damaligen Pariser Lieblings-Disco, den ein oder anderen jungen Mann kennen gelernt (salut, Thierry!). Und häufiger zu Treffen von ACT UP Paris. Aktionen mit gemacht, Diskussionen, Anregungen für unsere Gruppe.

26. Juli. „Gründung Pflegeverein„, ist im Kalender notiert. HIV-Positive, die erkranken, stehen vor grossen Problemen. Schwul, HIV, Aids – viele Pflegedienste scheuen vor uns zurück. Ausreden wie ‚fehlende Qualifikation für so spezielle Fragen‚ sind häufiger als die ehrliche Antwort ‚wir haben Angst‚ oder ‚wir wollen mit solchen Leuten wie Ihnen nichts zu tun haben‚. Streng katholisch ausgerichtete Pflegedienste, ihre Moral, ihre gelebten Wertvorstellungen, ihr Verständnis von Sozialarbeit und Barmherzigkeit empfindet nicht gerade jeder emanzipierte schwule Mann als Lösung. ‚Dann machen wir es eben selbst‚.  SchwIPS wird gegründet, die ‚Schwule Initiative für Pflege und Soziales‘. Sie wird einige Jahre lang der beduetendste Aids-Spezialpflegedienst im Kölner Raum sein.

August. ACT UP Gruppen in Deutschland beginnen gemeinsam den ‚Marlboro Boykott‘ zu organisieren, eine die Brüder und Schwestern in den USA (wo wegen Jesse Helms‚ Kunst-feindlicher Politik auch viele Künstler mit Aktionen mitmachen, z.B. ‚Helmsboro‘) unterstützende Aktion. Sie wendet sich gegen den offen massiv antihomosexuellen Jesse Helms, US-Politiker der äußeren Rechten, der u.a. für das Einreiseverbot für HIV-Positive in die USA maßgeblich verantwortlich ist. Dank breiter Unterstützung in schwulen Szenen sowie großer medialer Wahrnehmung ist die Aktion so erfolgreich, dass der Hersteller (der Jesse Helms mit Spenden sehr großzügig unterstützt) sich zu Gesprächen mit ACT UP Deutschland genötigt sieht. Problematisches Resultat der über einjährigen Aktionen: der Hersteller zahlt schließlich hohe Spenden an Aidshilfe-Organisationen.

Ende August. Urlaubstage in Frankreich. Zunächst eine Woche in Arès am Atlantik, danach durch die Lan­des, Toulouse und durch die französischen Pyrenäen. Macht Spaß, steile Pässe und enge Serpentinen fahren mit meinem spritzigen Renault 11 Turbo. Testosteronspielereien. Auf dem Rückweg einige Tage in Paris. Denkwürdiges Essen mit Jean-Philippe und Syriac.

Vom 27. bis 30. September findet in Frankfurt am Main die erste Bundespositivenversammlung (einschließlich Demonstration am 30.9.) statt. Sie steht unter dem Motto ‘Keine Rechenschaft für Leidenschaft – positiv in den Herbst’. Aktivistisch formulieren die Teilnehmer „So unterschiedlich wir auch leben mögen, wir lassen uns nicht auseinanderdividieren, gerade nicht in dem zentralen Punkt: Unser Leben – und sei es auch zeitlich noch so begrenzt – wollen wir selbst bestimmen und in allem, was unser Leben von außen beeinflusst, wollen wir selbstbewusst und selbstverständlich mitentscheiden …„.
Ich bin nicht dabei bei der ersten BPV.
Keine Rechenschaft für Leidenschaft‚, klasse Titel, klasse Kombination. Bringt es auf den Punkt. ‚Positiv in den Herbst‚ hingegen, einmal mehr mag ich dieses ‚positiv-Wortspiel‘ nicht. Schaudern lässt mich dieser Untertitel, so wie das Jahr bisher war.

2. Oktober. Jean-Philippe ist tot.
10. Oktober. Trauerfeier für Jean-Philippe, Einäscherung, auf dem Père Lachaise in Paris.

Leere. Absturz. Ende.

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November. Der 3. Deutscher Aids-Kongress findet in Hamburg statt. Menschen mit HIV und Aids teilnehmen lassen? Oder zumindest ihre Organisationen wie die Aids-Hilfe? Kein Interesse seitens der Veranstalter (‚kein Interesse‘ ist höflich formuliert. War da eher Abscheu, Widerwille, ihre Ablehnung uns gegenüber auch nur begründen zu müssen?). Vom Präsidenten des Kongresses ist gleichtönig immer wieder zu hören, dies sei ein wissenschaftlicher Kongress, nichts für Laien. Sie wollen über uns reden, nicht mit uns. Mit medienwirksamen Aktionen verschaffen sich die deutschen ACT UP Gruppen und Aids-Hilfe-Aktive Zutritt. Zum ersten Mal sind wir drin, im Kongress. Dabei statt außen vor. Hier, bei einer Aktion auf diesem Kongress, benutzen wir die Formulierung ‚Aids ist Krieg‚.

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Versuche 1990 zu durchdenken

Aids ist Krieg‚ – geht das?
Nein.
Die Formulierung ist nicht nur ‚ganz schön heftig‘, sondern ziemlich daneben. Aus heutiger Sicht.

[vgl. hierzu auch 2mecs 2021: Kampf und Krieg – Militär-Metaphorik im Sprachgebrauch bei Aids, auch nach 40 Jahren]

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Die Jahre wie 1990 eines war haben mir viel genommen und wenig gegeben. Verwüstungen Narben Schmerzen hinterlassen die ich heute noch spüre.

Krankheit Angst Entsetzen Sterben Verzweiflung waren in meinem Freundes- und Bekanntenkreis, unter Weggefährten  und in Szenen in denen ich mich bewegte, in einem Ausmaß das unvorstellbar scheint und schien, und manchens mal nicht aushaltbar war. Und doch, es war kein Krieg.

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Wenn ich meine Kalender von damals durchsehe, von den dort eingetragenen Freunden lebt kaum noch jemand“ – mit Bildern wie diesen versuchen wir ‚Überlebenden‘ (auch ich) gelegentlich zu illustrieren, welche Verwüstungen in unserem Freundes- und Bekanntenkreis Aids angerichtet hat.
Nein, ich erliege dieser Versuchung heute nicht, um das Jahr 1990 zu erfassen. Kein statistisches Kräftemessen, kein ‚Schwanzvergleich des Leids‘.
Den Schmerz dieser Jahre können Zahlen nicht erfassen.

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Eine noch stärkere Metapher als ‚Aids ist Krieg‚ benutzten einige (nicht wenige) US- Aids-Aktivisten: „AIDS is the gay holocaust“ [1], Aids als Holocaust der Schwulen.

Wir bemühen uns – nicht eben grundlos – mit Sprache bewusst umzugehen. In den USA sind starke Metaphern sehr beliebt, gelegentlich auch wenig reflektiert oder über das Ziel hinausschiessend. Aids, die Auswirkungen von Aids auf schwule Szenen gleichzusetzen mit dem Holocaust, nie konnte dich dieses Bild gut finden, geschweige denn akzeptieren. Und doch, so sehr ich damals protestierte, auf den Holocaust, den organisierten Mord an Millionen jüdischer Mitbürger als singuläres Ereignis verwies, ich konnte das dieser Metapher zugrunde liegende Gefühl verstehen.

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Jack Fritscher, Herausgeber des legendären ‚Drummer‘, eines 1975 bis 1999 erschienenen Schwulen-Magazins, bezeichnete die Jahre zwischen 1984 und 1995 als „the Decade of Death“ – das Jahrzehnt des Todes. Klingt ein wenig nach ‚drama queen‘ – trifft aber den Nerv, bringt dieses damalige Gefühl ‚rings um uns herum sterben sie, unsere Zukunft, unsere Kultur, unsere Szenen krepieren‘ auf den Punkt.

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Die Situation damals, Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre, ist Menschen die sie nicht mit erlebt haben, heute nur noch schwer vermittelbar. Es gibt einige Bücher und Filme, die Stimmungen der Zeit recht gut einfangen (empfehlenswert m.E.: ‚Les Temoins‘ / ‚Die Zeugen‘ von André Téchiné). Aber dieses vielschichtig dunkle bedrückende Gefühl ‚hier stirbt eine ganze, meine ganze Szene weg, und niemand tut etwas, es gibt keinen Ausweg‘, dieses Gefühl ist heute kaum übermittelbar.

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Nein, Aids war hierzulande nie gleich Krieg. Die Formulierung ‚Aids ist Krieg‚ wirkt auf mich heute eher wie der hilflose Versuch, sich gegen Verharmlosung zu wehren. Den Schmerz und die Angst auszudrücken, dass eine ganze Szene zu sterben schien.

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Anmerkungen:
Über meine Zeit mit dem in diesem Text mehrfach erwähnte Jean-Philippe habe ich in einer Mini-Serie erzählt: 1989 / 90: Einige Tage mit dir – Jean-Philippe
[1] Zu ‚Aids is the gay holocaust‘:
Aids als schwulen Holocaust zu betrachten war in schwulen Szenen der USA (besonders New Yorks) Anfang der 1980er Jahre ein weit verbreiteter und diskutierter Gedanke (siehe z.B. ‚Aids and the holocaust‘, Leserbrief des US-Schriftstellers William F. Hoffman, New York Times 23.10.1988).
Larry Kramer verwandte die Formulierung von Aids als ‚gay holocaust gerne und oft, erstmals öffentlich meines Wissens 1985 in ‚The Normal Heart‘. Die Sammlung seiner frühen Aids-Texte aus der Zeit bei ACT UP und im GMHC wurde unter dem Titel „Reports from the Holocaust: The Story of an AIDS Activist“ 1989 und erneut 1994 veröffentlicht.
Kramer hielt die Verwendung des Begriffs Holocaust im Zusammenhang mit Aids besonders für zutreffend wegen des Unvermögens der US-Regierung zu einer schnellen und ausreichenden Reaktion auf die Aids-Krise – es betraf ja ’nur Schwule‘, und später Arme und Menschen ohne politischen Einfluss. Nachlässigkeit, Desinteresse und Apathie in der US-Regierung sei, so Kramer, mit verantwortlich für die hohe Zahl von Aids-Toten, und rechtfertige die Verwendung des Begriffes ‚Holocaust‘.
Die Verwendung des Begriffes ‚Holocaust‘ im Kontext von Aids wurde auch in den USA viel diskutiert und besonders Kramer dafür heftig kritisiert.

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Erinnerungen Homosexualitäten Köln

Gewalt gegen Schwule und Lesben – Nährboden für Faschismus? (1989)

Gewalt gegen Schwule und Lesben – Nährboden für Faschismus?“ war der Titel einer Veranstaltung (im Rahmen der Antifa-Veranstaltungsreihe), die die glf – Politgruppe am 6. September 1989 im Kölner Schwulen- und Lesbenzentrum SCHULZ durchführte. Für diese Veranstaltung verfasste ich damals in Abstimmung mit der Politgruppe den folgenden Text für einen ‚Reader‘ (für den ich auch ViSdP zeichnete):

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Erinnerungen

Claus Gillmann 13.9.1939 – 29.8.1994

Am 29. August 1994 starb der Kölner Theaterwissenschaftler Publizist und Schwulen-Aktivist Claus Gillmann, geboren am 13. September 1939.

Dr. Claus Gillmann (1939 – 1994)
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Homosexualitäten Köln

Jean Claude Letist (1946 – 1990)

Jean Claude Letist (1946 – 1990) war einer der bedeutendsten schwulen Aktivisten in Köln in den 1970er und 80er Jahren. Ein Platz erinnert an ihn. (english summary at bottom of page / Résumé en français à la fin de la page)

Jean Claude Letist, am 13. Februar 1946 in Brüssel geboren, zog 1968 nach Köln. Er arbeitete zunächst als Pilot, später als Übersetzer und Dolmetscher im Rundfunk.

In den 1970er und 80er Jahren hat Jean-Claude maßgeblich zum Aufbau einer Schwulen- und Lesbenbewegung (nicht nur) in Köln beigetragen, viele Organisationen und Gruppen mit aufgebaut oder geprägt.

Jean Claude Letist war u.a.

  • erster Generalsekretär der ILGA (damals noch IGA) seit 1986
  • Vorstandsmitglied der gay liberation front Köln (glf) seit 1983
  • Gründungsmitglied des Bundesverband Homosexualität (BVH)
  • Vorstandsmitglied der Aids-Hilfe Köln seit ihrer Gründung
  • 1982 Mitgründer und Mitinhaber des schwulen Buchladens ‘Lavendelschwert’
  • Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied von Emanzipation e.V. (Trägerverin des SCHULZ)
  • Mitglied im Beirat der Deutschen Aids-Hilfe DAH
SCHULZ Eröffnung in Köln am 16. März 1985, Schlüsselübergabe, rechts Jean Claude Letist

Am 28. Februar 1990 starb Jean-Claude im Alter von 44 Jahren an den Folgen von Aids. (Und, ganz Aktivist, noch nach seinem Tod führte er indirekt zu einer “Aggsion”, als die ach so liberale Dumont-Presse in Köln erst nach massiven Protesten trauernder Freunde und Weggefährten sich überwand und das Wörtchen ‘schwul’ in einer Traueranzeige akzeptierte). Am Nachmittag des 12. März 1990 fand in Köln die Trauerfeier statt.

Stein für Letist, Namen und Steine – Mémoire nomade, Köln

Erinnerungen an Jean Claude Letist

In Erinnerung ist mir spontan immer sein bis zum Schluss grauenhaftes Deutsch – ich höre ihn immer noch sagen „dann machen wir eine Aggsion“, und muss grinsen …

Letist, der und unter Freunden und Bekannten den Spitznamen ‘Gutemine‘ hatte, bemühte sich immer politisch und privat integer zu sein. Eine Anekdote beschreibt das vielleicht ganz gut:
Irgendwann während einer Konferenz, die in Köln stattfand (und deren Mitveranstalter er, wie konnte es anders sein, war), traf ich Jean-Claude nachts am Aachener Weiher, dem stadtbekannten abend- und nächtlichen Cruising-Gebiet. Wir plauderten ein wenig über die Konferenz, während wir die vorbei promenierenden Männer beobachteten.
Plötzlich kommt ein uns beiden zunächst unbekannter junger Mann etwa unseren Alters auf ihn zu. „Jean-Claude, du hier? Das hätte ich ja nicht erwartet …“, kommt er nach kurzer Begrüßung bald schon auf den Punkt. Jean-Claude, offensichtlich zutiefst entrüstet, stemmt plötzlich die Hände in die Hüften, blickt den jungen Mann eindringlich an. Dann höre ich seine brummige Stimme knurren, in einer dem Parkgeschehen so gar nicht angemessenen Lautstärke „Ja glaubst du ich habe keinen Sex? Denkst du ich diskutiere nur? Ich will doch auch f***en! Schwulsein ist doch nicht nur politisch!
Pikiert wendet sich der junge Mann ab, versucht schnell diese ihm unangenehm werdende Szenerie zu verlassen, aus der plötzlichen Aufmerksamkeit heraus zu kommen. Jean-Claude hingegen beginnt laut zu lachen, ein ‘diese Klemmschwestern’ rutscht ihm noch kommentierend raus.
(Und am nächsten Morgen, vor Fortsetzung der Konferenz, sehe ich ihn den jungen Mann herzlich in den Arm nehmen…)

Jean Claude Letist Platz in Köln

Ein kleiner Platz nahe der Kölner Innenstadt. Ein unauffälliges Schild, das den Namen des Platzes nennt, kaum beachtet. Darunter ein kleines Schild zur Erläuterung.

Jean-Claude-Letist-Platz, Köln (Strassenschild)

In Erinnerung an Jean Claude wurde am 18. Mai 2000 von der Bezirksvertretung Innenstadt auf Antrag von Grünen, SPD und Regenbogenliste beschlossen, einen bisher namenlosen Platz in “Jean-Claude-Letist-Platz” umzubenennen.

Jean-Claude-Letist-Platz Köln (2007)

(Und, so trübe der Platz im ausgehenden Winter 2007 aussieht, im Sommer sitzt es sich hier unter Bäumen, an vielen Tischen eines Cafés, sehr nett)

Jean-Claude-Letist-Preis

Seit 2015 verleiht die Aidshilfe Köln in unregelmäßigen Abständen den Jean-Claude-Letist-Preis.

2017 wurde die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) ausgezeichnet.

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Memo:
In den ‚Michael Weltmann papers‘ (Michael Weltmann, geb. 28.2.1949, verstarb am 27. Januar 1992 an den Folgen von Aids) befindet sich ein ‚Memorial booklet for Jean Claude Letist‘.

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Jean Claude Letist, major gay rights activist in germany and international, was born feb. 13 in Brussles, Belgium. 1968 he moved to Cologne, where he became involved in several gay rights organisations like glf (local) or BVH (federal level). Since 1986 he was the first secretary general of the former IGA International Gay Association, now ILGA. Letist died of Aids 1990. Since 2000, he is honored in Cologne with a square that bears his name.

Jean Claude Letist, grand militant des droits des homosexuels en Allemagne et internationale, est né février 13 Brussles, Belgique. 1968, il s’installe à Cologne, où il est devenu impliqué dans plusieurs organisations de défense des droits des homosexuels comme GLF (local) ou BVH (niveau fédéral). Depuis 1986, il a été le premier secrétaire général de l’ex International Gay Association IGA, maintenant ILGA. Jean Claude mort du sida 1990. Depuis 2000, il est honoré à Cologne avec une place qui porte son nom.

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