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HIV/Aids

Operation Denver – Aids-Desinformation von KGB und Stasi – Jakob Segals Fort-Detrick-These

Zuletzt aktualisiert am 24. April 2023 von Ulrich Würdemann

Operation Denver – Aids sei ursprünglich in geheimen Labors des US-Militärs entwickelt und als Biowaffe eingesetzt worden – diese Desinformation brachten KGB und Stasi im Verbund mit ostdeutschen Forschern ab Mitte der 1980er Jahre in Umlauf. Mit welcher Wirkung? Mit welcher Relevanz? Eine Studie der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) befasst sich mit der “ AIDS-Verschwörung “ und der ‚Fort-Detrick-These‘ von Jakob Segal.

„Die Amis waren’s“ – das US-Militär habe HIV insgeheim als Biowaffe entwickelt und deren Wirkung an Häftlingen getestet. Dann sei das Experiment außer Kontrolle geraten. Diese Verschwörungstheorie zum ‚wahren‘ Ursprung von HIV setzten KGB und Stasi ab 1985 in der Operation Denver zu Propagandazwecken in die Welt – tatkräftig unterstützt vom Biologie-Profesor Jakob Segal.

Diese Verschwörungstheorie wird auch als ‚Fort-Detrick-These‚ oder ‚Operation Denver‚ bezeichnet, benannt nach Fort Detrick in Maryland / USA, wo u.a. das ‚United States Army Medical Research Institute of Infectious Diseases‘ (USAMRIID) seinen Sitz hat und Biowaffen entwickelt wurden. Ziel dieser Desinformations-Kampagne: Propaganda, insbesondere die USA zu diskreditieren.

Operation Denver und Jakob Segal

Ab Sommer 1985 beschäftigte sich Professor Jakob Segal mit Aids und entwickelte die ‚These‘, HIV sei das Ergebnis militärischer Experimente der US-Amerikaner.

1986 veröffentlichte er eine ‚wissenschaftliche Studie‘, die in den Folgejahren oft zitiert und verbreitet wurde – und zunehmend als ‚Beweis‘ für die ‚Fort-Detrick-These‘ galt.

Die Stasi unterstützte die Verbreitung dieser ‚Studie‘ im westlichen Ausland (Objektvorgang ‚Denver‘) „zur Verstärkung antiamerikanischer Vorbehalte in der Welt„.

In DDR-Wissenschaftlerkreisen gab es bald deutliche Kritik an Segals Fort-Detrick-These – die jedoch nicht publik gemacht wurde. Segal habe „als ostdeutscher Wissenschaftler praktisch ein Monopol für Veröffentlichungen zum Ursprung von Aids im Ausland“ gehabt, so die Autoren.

Bereits 1987 distanzierte sich selbst die sowjetische Akademie der Wissenschaften offiziell von Segals Fort-Detrick-These (und damit der Operation Denver).

Segal jedoch vertrat sie bis an sein Lebensende nahezu unverändert weiter, publizierte dazu mehrfach, auch nach der ‚Wende‘.

Mitte der 1990er Jahre ergänzte er seine ‚Aids-Weisheiten‘ sogar um eine weitere: Aspirin (Acetylsalicylsäure, ASS) könne regelmäßig eingenommen HIV bekämpfen („Aspirin fights Aids„, einige werden sich erinnern …). Doch die Pharmaindustrie könne daran nichts verdienen, deswegen ließe sie HIV-Infizierte eher sterben. Eine weitere Runde im Verschwörungs-Karussell.

Jakob Segal (1911 – 1995)

Jakob Segal wurde am 17. Januar 1911 in Sankt Petersburg geboren. Ab 1919 lebte er in Königsberg, studierte dort, sowie in Berlin und München Biologie, musste dann jedoch aufgrund seines Engagements in der KPD emigrieren. In Toulouse beendete er sein Studium, lernte dort seine spätere Frau Lilli (geb. 7. Juni 1913 in Berlin) kennen.

Während des zweiten Weltkriegs lebten die Segals weiterhin in Frankreich, wo Jakob Segal 1940 an der Pariser Sorbonne Doktor der Biologie wurde.  Beide engagierten sich im Widerstand. Lilli  Segal wurde 1944 deportiert nach Auschwitz, konnte aber fliehen.

1952 zogen beide von Frankreich in die DDR, wohnten fortan in Ostberlin. Beide hatten zudem die sowjetische Staatsbürgerschaft. Jakob Segal arbeite an der Humboldt-Universität, gründete 1953 das Institut für Allgemeine Biologie, und galt, so die Autoren, als ‚ideologisch treuer Wissenschaftler‘:

Eine Naturwissenschaft, die der Ideologie nicht untergeordnet war oder ihr nicht diente, schien für Seghal unvorstellbar.“ (Selvage/Nehring)

1971 wurde Jakob Segal emeritiert. 1988 wurde er als ‚wissenschaftlicher Leiter‘ der ‚Forschungsstelle für medizinsiche biophysikalische Chemie‘ angestellt, Lilli Segal am gleichen Institut als ‚Beraterin für Dokumentation‘. Die Forschungsstelle betreibe ‚grundlegende Aids-Forschung‘, so Lilli Segal in einem taz-Interview.

Jakob Segal starb am 30. September 1995, seine Frau Lilli am 7. Juni 1999. Beide wurden auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin beigesetzt.

beteiligt an der Operation Denver - Grabstein Jakob Segal und Lilli Segal (Foto: SpreeTom)
Grabstein Jakob und Lilli Segal (Foto: SpreeTom, cc-by-sa 3.0)

Grave of Jakob Segal on Zentralfriedhof Friedrichsfelde in BerlinSpreeTomCC BY-SA 3.0

Verbreitung der Fort-Detrick-These im Westen

Inzwischen wurde die ‘ Fort-Detrick-These ’ längst als Verschwörungstheorie entlarvt und widerlegt.

Eine Studie der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) geht ihr 2015 im Detail nach, insbesondere der Verwicklung der Stasi sowie des ostdeutschen Forscherpaares Segal. Erstmals konnten die Forscher dafür auch Unterlagen der bulgarischen Staatssicherheitsdienste auswerten.

Wesentliche Frage dabei auch: wie kam es zur Verbreitung dieser Verschwörungstheorie im Westen?

Segals Aids-Verschwörungs-These im Westen zu publizieren und bekannt zu machen erwies sich als schwierig. Bekannte Wissenschaftler (wie der angefragte Frankfurter Sexualforscher Volkmar Sigusch) lehnten ab. Zahlreiche große Medien reagierten ebenfalls reserviert.

Die Tageszeitung taz hingegen brachte am 18. Februar 1987 ein Interview mit Jakob Segal, das der Regimkritikers Stefan Heym (1913 – 2001; Heym hatte 1986 über seinen Arzt von der These Segals gehört) geführt hatte.

Jan Feddersen und Wolfgang Gast berichteten hierüber Anfang 2010 in der taz (die die Segal’sche Theorie schon 1998 zur zweitbesten Verschwörungstheorie gekürt hatte) unter dem Titel „Als die Stasi uns benutzte“ von einem ‚Diskussionsvorschlag‘, der ‚heißesten Hysteriewahre‘, einem ‚Gespinst sowjetischer Provenienz‘

„In der Bundesrepublik verfing ihr Diskursvorschlag zwar bei Teilen der Linken, nicht jedoch in jenen Kreisen, die das Thema direkt betraf … Dass die Geschichte hinter der Geschichte von Geheimdienstlichem, Infiltrationen und nützlichen Idioten(medien) handelte, kam erst sehr viel später heraus …“

Nicht nur die taz beteiligte sich (mehrfach) an der Verbreitung der Segal’schen Verschwörungstheorie. Sondern auch Filmemacher und (eine lokale) Aidshilfe: Jochen Hick verwandte die These Segals 2000 als als grundlegende Idee seines Films ‚No one Sleeps‘. Und die Aidshilfe Stuttgart publizierte mehrfach in ihrem Vereinsorgan die Thesen Segals.

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Aids eine von den Amis entwickelte Biowaffe?

Angesichts des Horrors um uns herum waren, so meine Erinnerung an die frühen Jahre der Aids-Krise, für die meisten von uns, die direkt oder indirekt von HIV und Aids betroffen waren, damals derartige Verschwörungstheorien wenig relevant.

In der Zeit der ersten Meldungen über Aids (1983/1984 – also vor der Publikation von Segals ‚Studie‘) erinnere ich Momente, in denen so mancher sich (auch angesichts jahrzehntelanger Diskriminierungs- und Verfolgungs-Erfahrung) fragte, ist das möglich? Eine Krankheit die gezielt Homosexuelle ‚befällt‘? Oder gibt es doch eine Absicht, ein Agens dahinter?

Aber schon bald rückten andere Dinge in den Vordergrund. Hilfe, Medikamente, Versorgungsnotstand, Prävention, und gerade in den ersten Jahren der große Streit um die zukünftige Richtung der Aids-Politik – das waren Themen, die für uns wichtig waren. Nicht Segals abstruse Theorien.

Die Formulierung der Autoren „für nicht wenige AIDS-Aktivisten war die Selbstverteidigung der Segals durchaus glaubhaft und eigentlich auch überflüssig“ kann ich nicht nachvollziehen. Ich erinnere die Reaktionen von Aids-Aktivisten und Aidshilfen auf Segals Theorie weit überwiegend anders.

Derartige Verschwörungstheorien wie die der Segals waren angesichts des alltäglichen Horrors in unserem Handeln und Denken (anders als evtl. in Südafrika, wie Edwin Cameron bemerkt) kaum relevant – sie waren eher lästig oder ein Ärgernis. Wenn eine Verschwörungstheorie im Laufe der Zeit immer wieder einmal problematisch war, dann eher die der Aids-Leugner …

Im Vordergrund der Segal’schen Theorie und ‚Aids-Verschwörung‘ stand, so die Autoren der BStU-Studie, die Diskreditierung der USA. Wie erfolgreich sie hierbei waren, mögen andere beurteilen.

Dass die ‚Aids-Verschwörung‘ aus Segals, Stasi und KGB in Deutschland aber eine tatsächliche aidspolitische Relevanz (im Sinne von Veränderung von Aids-Politiken) entwickeln konnte, sehe ich nicht.

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Douglas Selvage, Christoper Nehring
Die AIDS-Verschwörung –
Das Ministerium für Staatssicherheit und die AIDS-Desinformationskampagne des KGB
Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheistdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Hg.)
Reihe BF informiert Nr. 33
Preis als Print 5,-€, als pdf Download kostenfrei (Link)
(an zwei Stellen nach gerichtlicher Auseinandersetzung modifiziert / geschwärzt)

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Von Ulrich Würdemann

einer der beiden 2mecs.
Schwulenbewegt, Aids- und Therapie-Aktivist. Von 2005 bis 2012 Herausgeber www.ondamaris.de Ulli ist Frankreich-Liebhaber & Bordeaux- / Lacanau-Fan.
Mehr unter 2mecs -> Ulli -> Biographisches

3 Antworten auf „Operation Denver – Aids-Desinformation von KGB und Stasi – Jakob Segals Fort-Detrick-These“

Zum diesen Theorien kann ich – soweit ich mich daran erinnere sagen, dass für mich und uns, die damals frisch HIV-infiziert waren und wegen noch nicht vorhandenen Medikamenten schnell ins AIDS Stadium rutschten oder rutschen konnten, keine Zeit für die intensive Auseinandersetzung zu dieser These hatte. Zumal – was hätte es mir geholfen, zu wissen ob oder ob nicht…… Nichts! Außerdem zeigte mir meine schnelle Aids-Erkrankung Realitäten statt Eventualitäten auf, von denen ich nicht in meinen schlimmsten Träumen geträumt hatte. Und irgendwie fand ich diesen Hype um diese Theorien geschmacklos angesichts der hohen Todesrate in kürzester Zeit durch Aids.

Danke für deine Erinnerungen, Sabine!
Ich habe s damals ähnlich empfunden – angesichts der Realitäten waren solche Verschwörungstheorien relativ wenig relevant.

Viel Erfolg dir für die Veranstaltung im Schwulen Museum* – bin gespannt, was du berichtest 🙂

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